Nord-Stream-Sprengung: Womöglich war es eine „pro-ukrainische Gruppe“

Eine Gruppe von Putin-Feinden soll mit einer gemieteten Yacht die Pipeline in der Ostsee zerstört haben. Das berichten zeitgleich die New York Times und deutsche Medien unter Berufung auf staatliche Stellen in den USA und europäischen Ländern.

IMAGO / Xinhua
Luftbild der dänischen Regierung vom Ort der Sprengung am 27.09.2022
Wieder eine neue These über die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline – und wieder wird von einer Regierung, die als Auftraggeber in Frage kommt, dementiert. Journalistische Recherchen der New York Times (NYT) und deutscher Medien behaupten jetzt: Womöglich hat eine pro-ukrainische Gruppe drei von vier Strängen der Pipelines auf dem Grund der Ostsee in der Nacht zum 26. September 2022 durch Explosionen zerstört.

Aus Kiew heißt es: Die ukrainische Regierung habe nichts damit zu tun. In Moskau sieht man die neue These als Ablenkungsmanöver. Sie sei von jenen gestreut, „die im Rechtsrahmen keine Untersuchungen führen wollen und versuchen, mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit des Publikums abzulenken“, schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa auf Telegram. Moskau macht für den Anschlag die Geheimdienste der USA und Großbritannien verantwortlich, wie es auch der US-Journalist Seymour Hersh tut. 

Wenig überraschend auch die Zurückhaltung in der Bundesregierung. Außenministerin Annalena Baerbock verfolgt zwar, wie sie sagt, „alle Berichte und auch alle Erkenntnisse, die es von unterschiedlichen Akteuren gibt, ganz, ganz (sic) intensiv“, aber vor einer Bewertung müssten erst die zuständigen Behörden ihre Ermittlungen zu Ende führen. Und von denen ist bislang nichts zu hören. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius bleibt im Vagen. Er erwähnt ausdrücklich die  Möglichkeit einer „False-Flag-Aktion“, durch die den Ukrainern etwas in die Schuhe geschoben werden könnte, was sie nicht getan haben: „Die Wahrscheinlichkeit für das eine wie für das andere ist gleichermaßen hoch“, erklärt Pistorius. Es helfe auch nicht, „auf der Grundlage von solchen Recherchen, die bestimmt mühsam und akribisch gemacht worden sind, jetzt darüber nachzudenken, welche Auswirkungen das auf unsere Unterstützung für die Ukraine hätte.“

Die New York Times beruft sich auf ungenannte amerikanische Offizielle, die über neue Geheimdiensterkenntnisse verfügten. Dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj oder Vertraute von ihm an der Aktion beteiligt gewesen seien oder die Täter im Auftrag der Kiewer Regierung handelten, könne nicht bewiesen werden und sei unklar. In einem anderen, aber zu dem der NYT passenden Bericht der ARD und der Zeit, die sich auf deutsche Ermittler berufen, heißt es, man habe ein konkretes Boot identifiziert, mit dem die Anschläge durchgeführt worden sein sollen: eine Yacht, die von einer Firma in Polen gemietet worden sein. Sie soll zwei Ukrainern gehören. ARD und Zeit schreiben von „Spuren“ in die Ukraine, schließen aber eine „False-Flag-Operation“ nicht aus. Bei einer solchen werden bewusst falsche Fährten zu anderen potenziellen Verdächtigen gelegt. Auf eine Anfrage habe der ukrainische Präsidentenberater Michail Podolyak erklärt, die Ukraine habe „natürlich nichts mit den Anschlägen auf Nord Stream 2 zu tun“.

Da die Anmietung mit gefälschten Reisepässen erfolgte, sei die Nationalität der Täter unklar, heißt es in dem ARD/Zeit-Bericht. Man wisse aber, dass die Gruppe aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin bestand. Das Boot soll am 6. September 2022 von Rostock aus in See gegangen und am nächsten Tag in Wieck (Darß) und später bei der dänischen Insel Christiansø festgestellt worden sein. ARD und Zeit berichten, die Yacht sei bei der Rückgabe ungereinigt gewesen sein, weshalb die Ermittler noch Spuren von Sprengstoff hätten nachweisen können. 

Die NYT schreibt, auch den eigenen Quellen in den amerikanischen Behörden seien viele Details noch unklar. Allerdings will man wissen, dass die Täter eine Gruppe von Gegnern des russischen Machthabers Wladimir Putin sei. Die Quellen halten es für möglich, dass die Täter Ukrainer oder (Putin-feindliche) Russen oder eine Mischung aus beiden seien. 

Die amerikanischen Quellen widersprechen also eindeutig der Hersh-These: Amerikaner oder Briten waren demnach nicht beteiligt. Ihre Erklärung für die fachlichen Fähigkeiten der ukrainischen und/oder russischen Putin-Feinde: Der Sprengstoff sei „mithilfe von erfahrenen Tauchern“ angebracht worden, die „dem Anschein nach nicht für Militär oder Geheimdienste arbeiteten“, aber möglicherweise früher spezielle Ausbildungen einer Regierungsorganisation erhalten hätten.

Die NYT schreibt, dass weder der US-Geheimdienst CIA noch das Weiße Haus den Bericht kommentieren wollten, ebensowenig mehrere betroffene Regierungen in Europa. 

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Kommentare ( 142 )

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142 Comments
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Evero
1 Jahr her

Es gibt Stimmen, die aufgrund der starken US-Wirtschaft auch in den nächsten Jahrzehnten die USA als Weltführungsmacht vorne sehen. Das unterschreibe ich nicht. Die USA unterhalten weltweit ein Heer von Militärbasen. Wenn der Dollar schwach wird und immer weniger nachgefragt, wenn nach und nach mehr Staaten den USA die hegemoniale Gefolgschaft und Zahlungswilligkeit einstellen und die Lieferketten weiter gestört bleiben, wird auch der Stern der USA in der Welt sinken. Die USA sitzen schon auf Billiarden von Dollar Schulden. Wie weit wollen/können sie das noch treiben? Die Aktion der USA in der Ukraine ist m. E. schon ein Versuch, die… Mehr

Jo_01
1 Jahr her

Es handelt sich hier um eine – inzwischen fast schon gewohnte . Beleidigung der Intelligenz der Leser bzw. Konsumenten solcher Nachrichten. Es ist so billig. Kürzlich war noch zu lesen, dass alle Geheimdienste der USA, DE und der skandinavischen Länder von einem Anschlag ausgehen, der ob seiner Komplexität und Planung „nur von einer staatlichen Macht“ durchgeführt bzw. mit deren Unterstützung ausgeführt werden konnte. Und nun kommen da ein paar Amateure, mieten eine Yacht, machen einen Ausflug zur Pipeline, sprengen diese und lassen dann noch die (gefälschten) Pässe liegen? Und TE hat dazu keine eigene Meinung, sondern berichtet nur, was uns… Mehr

Ein Mensch
1 Jahr her

Also ich glaube ja immer noch das es unsere Reichsbürgerrollatorgang war. Die waren ja schließlich kurz davor Deutschland, vlt. ja sogar die ganze Welt ins Chaos zu stürzen. Da ist ihnen so ein Tauchgang in 70m Tiefe mit militärischem Sprengstoff zuzutrauen. Die körperliche Verfassung der Umstürzler war ja auch die eines Navy Seals, war auf den Live Aufnahmen der Festnahmen deutlich erkennbar. Auch die Tüteligkeit nach dem Anschlag, den sie generalstabsmäßig geplant und ausgeführt hatten, das Boot nicht zu reinigen und ihre gefälschten Pässe liegen zu lassen, traue ich ihnen durchaus zu. So liebe Leute, jetzt setze ich mir meinen… Mehr

Hannibal ante portas
1 Jahr her

„pro-ukrainische Gruppe“ stimmt doch! Pulitzer-Preisträger Hersh ist ja zum selben Ergebnis gekommen. Zum konkreten Tathergang müsste vielleicht noch etwas nachrecherchiert werden.

Britsch
1 Jahr her

Der Dieb (Täter) ruft „Haltet den Dieb (Täter)“
dort rennt er.
Ich denke das trifft auch in diesem Fall zu.
Man präsentiert einen anderen Täter (wenn nötig mit gefälschten Beweisen) um von sich selbst als tatsächlicher Täter abzulenken.
Wäre nicht das erste Mal.

Nibelung
1 Jahr her

Kaum war der rote Wumms-Führer aus dem Bunker in Washington zur Kurzvisite, kam die neue Variante mit dem gecharterten Schiff aus Polen mit ukrainischer Besatzung medial in`s Presselicht und das hängt vermutlich mit dem miesen Image der Amis zusammen, die durch die Recherchen von Hersh ganz schön in Bedrängnis kamen. Vermutlich hat man dann eine neue Mär beschlossen um von den eigenen Schandtaten abzulenken, denn auch den Roten hierzulande traut doch kein Mensch mehr etwas zu, außerhalb vieler anderer Sauereien, die man ja kennt und dafür mußte nun das Ansehen durch fadenscheinige Ablenkung her und sowas kann man nicht am… Mehr

Jo_01
1 Jahr her
Antworten an  Nibelung

Dieser zeitliche Zusammenhang ist mir ebenfalls aufgefallen.
Aber Hersh wird nächste Woche dazu nochmal nachlegen, wie ich las…

AmitO
1 Jahr her

Ich hab mir jetzt einmal den NYT Artikel durchgelesen: Tatsächlich ist er spannender als gedacht, auch wenn die Beschuldigung natürlich völliger Quatsch ist. Es soll also eine pro-ukro-Truppe von 6 Leuten auf einer Yacht gewesen sein, die nicht auf Kiews Befehl gehandelt hat. Danach spricht der Artikel darüber (und zählt dabei minutiös auf), dass die UA aber bekannt dafür ist Aktionen zu bringen, die die westl. Verbündeten verstören, wie z.B. das Attentat auf Daria Dugina oder der Sprengstofflaster auf der Krim-Brücke. Indirekt wird demnach also die UA doch für den Anschlag verantwortlich gemacht. Für alle die es noch nicht gemerkt… Mehr

Evero
1 Jahr her
Antworten an  AmitO

Die US-Regierung und die EU-europäischen Regierungschefs haben wohl die Sprengkraft unterschätzt welche der staatlich orchestrierte Gaspipeline-Sabotage-Akt in den Bevölkerungen der EU-Staaten erzeugt hat. Jetzt muss schnell ein Fake-News-Reparaturpaket her, damit die „Harmonie“ nicht gestört wird. In der Ukraine zeichnet sich ein Durchbruch der russischen Truppen ab. Der Westen ist nicht darauf vorbereitet. Der rechnet mit einer Offensive erst im Frühsommer. Wenn der Durchbruch der Russen gelingt, kann der heiße Krieg dieses Jahr relativ bald enden. Möglicherweise bereitet sich der Westen schon darauf vor und klebt Selenski und seiner Regierung vorher noch das Buhmann-Schild auf den Rücken. Selenski ist dann Geschichte,… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Evero
Horologe
1 Jahr her

“ Die Phantasie ist eine wunderbare Eigenschaft, aber man muss sie im Zaum halten. “

Erich Kästner

Evero
1 Jahr her
Antworten an  Horologe

Allein die Logik gibt verläßlichen Halt und Orientierung.
Jedoch im Krieg und bei Geheimdiensten ist Lügen Pflicht. Da darf der forschende Geist noch weniger Kausalketten und unwiderlegbare Beweise erwarten, als sonst im Leben.

Fabian S.
1 Jahr her

Wer glaubt denn noch an den Weihnachtsmann? Nachdem die Indizien auf das amerikanische Militär zeigen, ziehen genau diese ganz unabhängig den Hasen aus dem Hut: Ein paar unzufriedene Hobbytaucher aus der Ukraine waren es jetzt also! Klasse Story, ich hatte schon befürchtet, sie würden uns die Legende es waren die Reichsbürger in Zusammenarbeit mit dem NSU aus dem Hut zaubern. Aber so auch nicht schlecht!

Ivan Ivanov
1 Jahr her

Wie schön ist, dass diese ukrainischen Terroristen so dumm sind – sie haben nicht nur eine ukrainische Yacht gemietet, dazu noch in dieser ukrainischen Yacht ein bisschen Sprengstoff gelassen. Übrigens, woher ist bekannt, dass sie gefälschte Reisepässe hatten – wenn jemand diese Reisepässe gesehen hat und dabei festgestellt hat, dass sie gefälscht sind, warum waren diese Leute nicht festgenommen worden? Oder haben sie ihre Pässe in der Yacht vergessen?