Die Einschränkung von Grundrechten wird an Phantasiegrößen gekoppelt

Die Bundesregierung möchte per Gesetz Grundrechtseinschränkungen an die 7-Tages-Inzidenz koppeln. Dabei ist dieser gemessene Wert spätestens seit dem Einsatz von Schnelltests weder aussagekräftig noch einschätzbar. Die Corona-Zahlen dienen einem Wettlauf der Verzerrungen.

IMAGO / Rüdiger Wölk

Die jüngsten Corona-Zahlen sind eine sonderbare Mischung aus Unverschämtheit und Lächerlichkeit. Denn den zuständigen Stellen ist nicht gelungen, über Ostern halbwegs ernstzunehmende Zahlen zu produzieren. Ämter stellten einfach die Meldungen ein, weswegen die Inzidenz erst nach unten einbrach und jetzt wieder nach oben schnellt. Wann es wieder Zahlen mit der Aussagekraft von vor Ostern gibt, weiß keiner so recht. Und das in einer Zeit, in der die härtesten politischen Entscheidungen seit langem getroffen werden, mehr noch: In der genau diese Inzidenz per Bundesgesetz automatisch über elementare Grundrechte entscheiden soll. 

Es gibt grundsätzliche Trends, die die Inzidenz systematisch verzerren. Beispielsweise der massenhafte Einsatz von Schnelltests, über den man schlichtweg keine Zahlen hat. Auf TE-Anfrage konnte man beim RKI nicht mal grobe Schätzungen vorlegen. Aus dem Alltag kann man aber wohl vermuten, dass die Zahl der Schnelltests die der PCR-Tests deutlich übersteigt – die Zahl der Gesamttests hat sich in den letzten Wochen dadurch also mindestens verdoppelt, wohl eher vervielfacht. Da das RKI aber nur die Zahl der PCR-Tests ermittelt, kommt das in den Statistiken des RKI nicht vor. In den letzten Wochen erleben wir einen plötzlichen Anstieg der Positivenquote der PCR-Tests. Das resultiert möglicherweise daraus: Denn wer einen positiven Schnelltest hat, muss sich einem erneuten PCR-Test unterziehen, wer allerdings ein negatives Ergebnis erhält, wird fröhlich sein Leben weiter leben und den Gesundheitsämtern fern bleiben.

Solange es nur um PCR-Tests ging, hatte man zumindest eine RKI-Statistik, aus der man dann die positiven Tests in Relation zu den Gesamttests stellen konnte. Jetzt ist die Statistik unvollständig, da sie Schnelltests, das Rückgrat der Testung in Deutschland, nicht einbezieht:

Schon im Dezember letzten Jahres wurden dieser Stelle in einem Update die Frage nach der Corona-Dunkelziffer in den Mittelpunkt gestellt – zum damaligen Zeitpunkt musste man mindestens von einer Dunkelziffer von 100 Prozent (wahrscheinlicher 300%) ausgehen. Und das bedeutet dann: Es gibt viele Fälle, die nicht gefunden werden, auch weil die teilweise völlig symptomfrei verlaufen – aber wenn man sie testen würde, gingen sie eben in die Statistik ein. Durch den massenhaften Einsatz von Schnelltests wurde diese Dunkelziffer höchst wahrscheinlich zu großen Teilen aufgelöst und wird es weiter. Man kann die Zahlen damit aber nur noch schwer vergleichen.

Vermehrt zu testen ist ja erstmal nicht zu kritisieren, gerade in Altersheimen ist es ein entscheidendes und erfolgreiches Instrument, aus dem sich in den letzten Wochen stark sinkende Todeszahlen ableiten. Aber man muss die aus der stark angestiegenen Testung resultierenden Effekte in der Bewertung der Situation berücksichtigen und kann nicht stumpf die Inzidenz weiter messen und sie gleich gewichten.

TE fragte beim RKI nach, ob der vermehrte Einsatz von Schnelltests irgendwie erfasst wird und ob dessen Auswirkungen in der Bewertung der gegenwärtige Lage vorkommen. Antwort: „Aus den dem RKI nach IfSG vorliegenden Daten lässt sich keine Verzerrung der Anzahl PCR-positiver Testergebnisse durch eine übergroße oder stark ansteigende Anzahl von positiven Antigentests nachweisen.“

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Man teilt uns daraufhin eine erhobene, aber nirgendwo öffentlich ausgewiesene Quote mit, nämlich die der PCR-positiven Fälle, die zuvor einen positiven Schnelltest hatten. „Der Anteil von allen die Referenzdefinition erfüllenden, also PCR-bestätigten Fälle, für die ein vorangehender positiver Antigentests vorliegt, lag in KW 5 bis einschließlich KW 9 konstant bei ca. 3,5%. Seit KW 10 steigt dieser Anteil leicht von 4,4% in KW 10 auf 5,5% in KW 11 und 6,0% in KW 12 an.“ heißt es.
Nur fünf Prozent der Corona-Infektionen sollen durch Schnelltests gefunden werden? Obwohl die die überwältigende Mehrheit der Testungen ausmachen? Das kann kaum sein. Man schreibt uns auch gleich dazu: „Einschränkend muss gesagt werden, dass über die Vollständigkeit der den Gesundheitsämtern gemeldeten positiven Antigennachweise keine Aussage gemacht werden kann.“

Hier laufen nun sicherlich zwei Effekte zusammen: Zum einen erfassen die Ämter nicht flächendeckend, wer einen positiven Schnelltest hat, das ist ja meist ohnehin nur Selbstaussage. Zum anderen melden sich viele Leute, die ein positives Schnelltestergebnis aber keine Symptome haben, erst gar nicht beim Gesundheitsamt – daraus resultieren schließlich hauptsächlich negative Effekte für sie persönlich. Und sich selbst in Quarantäne begeben und seine Kontakte informieren kann man auch ohne Behörden. Die Corona-Zahlen sind also das Ergebnis eines Wettlaufs der Verzerrungen.

Übrigens zeigen die Zahlen des RKI dennoch: Die Zahl der Antigentests muss deutlich angestiegen sein, immerhin hat sich der genannte Prozentsatz innerhalb der letzten Wochen fast verdoppelt.

Ein anderer Effekt, der die fragwürdige Aussagekraft der Inzidenzzahlen demonstriert, ist die merkwürdige Entwicklung, dass trotz steigender gemeldeter Fälle, die Anzahl der Corona-Toten und hospitalisierten Fälle seit Wochen abnimmt. Das zeigt folgende Grafik, zu der man einschränkend sagen muss, dass die Werte der letzten 2-3 Meldewochen wohl nicht aussagekräftig sind. Der Trend ist dennoch eindeutig. Und das wohlgemerkt angesichts einer angeblich deutlich tödlicheren Variante, die mittlerweile über 80 Prozent der Neuinfektionen in Deutschland ausmachen soll. Natürlich spielen auch Testung der Altenheime, Impfungen und Immunitäten eine Rolle. Dennoch sind diese Entwicklungen zumindest bemerkenswert:

Da nicht mal erfasst wird, wieviele Schnelltests durchgeführt werden, und die Verantwortlichen in der Bundesrepublik zu keinem Zeitpunkt irgendein Interesse an den Tag legten, die Größe der Dunkelziffer abzuschätzen, kann man aus dem Inzidenzwert eigentlich kaum noch etwas ableiten, es sind zu viele Effekte, die gegeneinander laufen und das Bild in alle vier Himmelsrichtungen verzerren. Die Inzidenz ist zu einer reinen Phantasiegröße geworden.

An diese Zahl dann am Ende die schwerwiegendsten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik zu knüpfen, erscheint als Wahnsinn – und eigentlich ein Punkt, an dem Gerichte einschreiten müssten. Das erläuterte der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau auch hier im TE-Interview.

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Kommentare ( 74 )

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74 Comments
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Meyer
3 Jahre her

Es ist sicher schon schlimm genug, dass Aufgrund der stark vermehrten PCR-Tests die 7-Tage-Inzidenzen einfach anwachsen, ohne das man eine seriöse Vergleichbarkeit  mit Werten aus Zeiten mit weniger Tests hat. Es wäre also sinnvoll, wenn in den Statistiken die Inzidenzen zu der Anzahl der Tests in Relation gesetzt werden. Jedoch ist es meiner Meinung noch problematischer,dass die PCR-Tests bei gut 1 Million Tests pro Woche und, konservativ geschätzt,  bei 1,25% falsch positiven Ergebnissen einen Inzidenz-Wert von mehr als 35 „produzieren“, ohne das irgendjemand krank ist. Bei dem Ausweiten der Tests auf z. B. 20 Millionen (etwa wenn die Schüler 2x… Mehr

holuschi
3 Jahre her

Wenn das neue Infektionsschutzgesetz durchgeht ist laut einer Stellungnahme des Netwerkes Kritischer Richter und Staatsanwälte „die Diktatur vollendet und die klassischen Bürgerrechte sind weg, das sollte jedem klar sein.“
https://netzwerkkrista.de/2021/04/12/eine-stellungnahme-zur-geplanten-aenderung-des-infektionsschutzgesetzes/
Ich vermute das ist nicht jedem klar und von einigen sogar gewünscht.

hansohlow
3 Jahre her
Antworten an  holuschi

Danke für den Link.

Dr. Rehmstack
3 Jahre her

Es gibt eigentlich nichts Neues: Covid ist eine virale Erkrankung, die besonders Alten und Multimorbiden gefährlich wird. Die Todeszahlen gehen deutlich runter, weil die besonders Gefährdeten inzwischen geimpft sind, die Lauterbachsche „Killervariante“ ist laut Lancet nicht gefährlicher als die bisherige. Die Toten, die durch konsequente Verfolgung eines nationalen Impfplanes zu vermeiden gewesen wären, sind weitere Merkel Tote oder wie Schäuble sagte: das ischt der Preis für Europa. In Brittanien sind die Pubs und Fitnessstudios wieder geöffnet. Die Inzidenzzahlen sind wie hier sehr gut dargelegt keine taugliches Instrument des Monitoring. Seit Püschels Untersuchungen wissen wir, daß das Virus inflammatorische (entzündliche) Kaskaden… Mehr

Pankratius
3 Jahre her

Ich finde nirgendwo die wichtige Beobachtung, dass die Schnellteste mittlerweile bei Discountern und in Drogeriemärkten sowie dem Internet frei verkauft werden, was schon seit einem Jahr hätte der Fall sein müssen.

Effekt: Hunderttausende privater Schnelltests und damit sicherlich Tausende angeschlossener – überwiegend positiver – PCR-Tests werden gemacht. Davon geht die Inzidenz natürlich rauf. Aber die tatsächliche Inzidenz ist keineswegs gestiegen, da es sich lediglich um einen Offenlegungseffekt und nicht um zusätzliche Infektionen handelt. Also Inzidenz-Manipulation, so weit das Auge reicht.

Riffelblech
3 Jahre her

Die gesamte sog. Pandemie wird mittlerweile mittels der Teste am Leben gehalten . Fragen wir einen Arzt ,welche anderen Symptome als Grippesymtome die Erkrankten und dann positiv getestet haben kommt Grippe raus ! Es ist nicht gelungen diesen Popanzvirus darzustellen.Also kann es ihn nicht geben . 1500 verschiedene Institute weltweit haben den Versuch unternommen den kompletten Virus darzustellen . Nix ! Sind die zu dämlich ? Eher wohl nicht . Wir werden hier in brutalster Weise von kriminellen Elementen verarscht . Die Bevölkerung verängstigt,eingeschüchtert und zu Duckmäusern erzogen . Und dann kommen die Impfhersteller ,werden von eben den genannten Kriminellen… Mehr

heinrich-behrens
3 Jahre her

Verstorbene nicht mehr in der ITS Statistik,   Bis Ende Februar 21 wurden noch die Zahlen der Verstorbenen C Patienten auf den Intensivstationen angezeigt. Sie lag am 23.02.21 bei 21.364 (zwei eins drei sechs vier). (Ende Februar lag die Zahl unwesentlich höher. Es gab bei der Erstellung dieser Unterlage nur keinen Screenshot dafür.) Zur gleichen Zeit wurden in den öffentlichen Wahrheits-Medien schon Zahlen um die 50.000 Tote propagiert. Ende März sollten es wohl so 80T werden. Sagt meine Glaskugel.   Jedenfalls fiel wohl 2 oder 3 Leuten diese Diskrepanz auf. Worauf hin man behauptete dass die meisten ja in den… Mehr

hansohlow
3 Jahre her

Danke für diesen Bericht. Genauso ist es. Das Infektionsschutzgesetz ist meiner Meinung nach def. verfassungswidrig. Eine Notstandsregelung war nicht vorgesehen und unverhältnismäßiger geht es nicht. Tests verweigern!

Michnix
3 Jahre her

Ich hoffe das dieses alles im Gedächtnis der Wähler bleibt und diese dann ihre Schlüsse ziehen.

hansohlow
3 Jahre her
Antworten an  Michnix

Wird nicht helfen… wozu gib es die Briefwahl? 😉

Dr. Rehmstack
3 Jahre her
Antworten an  Michnix

Sie verstehen es nicht!

Krauti
3 Jahre her

Mein Kommentar weiter oben entstand, bevor ich den Ihrigen las (ist also keine billige Kopie ;-)). Sie geben exakt meine Gedanken wieder.

Krauti
3 Jahre her

Interessant sind eigentlich nur die schweren Verläufe mit Hospitalisierung bzw. Beatmung und die wirklich Erkrankten im Sinne bisheriger schwerer Grippefälle. Dazu dann ein Vergleich zu den Vor-und vorvorjahreszahlen von hospitalisierten/beatmeten Lungenetzündungen und den schweren Grippefällen (evtl. hospitalisiert) mit Aufschlüsselung des Alters und der Herkunft (Ethnie). Zudem würde mich interessieren wieviel Menschen mit einer schweren klassischen Lungenentzündungen derzeit im Krankenhaus liegen und wieviel Menschen derzeit unter einer schweren Grippe leiden. Nur so kann man sich ein objektives Bild machen. Die PCR-Positiv-Getesteten, das wissen wir alle, wird es immer geben. Die hat es ja schon 2010 gegeben, als Herr Drosten damals sagte,… Mehr

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  Krauti

Das, was Sie anregen, ist das, wie man mit einer wirklichen Pandemie wissenschaftlich umzugehen hätte. Leider kann man das bei „Corona“ nicht erkennen.
Albert Camus schreibt in seinem Vorwort zu La Peste: “Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit.” Leider kann man das hinsichtlich „Corona“ nicht erkennen.
Wahrscheinlich gibt es auch gar keine Lungenentzündungen mehr und auch keine Patienten, die an Lungenentzündung sterben. Alles ist „Corona“.