Die Parallelen zwischen den Fällen Annalena Baerbock und Diana Kinnert

In einem Gastbeitrag schreibt Plagiatsprüfer Dr. Stefan Weber über die Plagiate von Diana Kinnert und Annalena Baerbock – die Parallelen, unkritische Medien und das große Schweigen.

IMAGO/photothek, Future Images - Collage: TE

Plagiatorin Diana Kinnert hat nun mit einer wenig glaubwürdigen Stellungnahme auf die mehr als 200 nachgewiesenen Plagiatsfragmente inklusive eines zusätzlich gefälschten Interviews in ihren Büchern reagiert. Es werden spätestens an dieser Stelle interessante Parallelen zum Plagiatsfall Annalena Baerbock offenkundig:

1. EMPORGESCHRIEBEN UND HOCHGEJUBELT. Sowohl Annalena Baerbock als auch Diana Kinnert wurden von den großen bundesdeutschen Massenmedien vor den Enthüllungen kritiklos hochgejubelt: Baerbock zum neuen Polit-Wunderwuzi, Kinnert zur jungen Parade-Intellektuellen. Annalena Baerbock am Cover von Spiegel und stern ist noch in bester Erinnerung; und eine Zusammenschau der Lobhudeleien über Kinnerts Einsamkeits-Buch ist nun auch in Cicero nachzulesen. Plagiatsforscher-Kollege Jochen Zenthöfer fragt dort zurecht: „Weshalb haben die öffentlich-rechtlichen Medien das Buch der 30-Jährigen […] so gelobt?“ – Ich sage nun nicht, dass nach den Plagiaten keine Substanz mehr übrig bleibt: Ich sage nur, dass wir es nicht (mehr) wissen.

Fälschungsvorwürfe:
CDU-Politikerin Diana Kinnert soll in ihrem Buch auch ein Interview erfunden haben
2. FEHLER UND FÄLSCHUNG. Wie bei Baerbock, gesellen sich auch bei Kinnert zu den Plagiatsfragmenten inhaltliche Fehler: Falschzitate, eine fehlerhafte Chronologie, fragwürdige Tatsachenbehauptungen. Wie Baerbock, plagiierte auch Kinnert dort noch, wo sie ganz Persönliches beschrieb: Bei Baerbock war es unter anderem ein Besuch bei einem alternativen Energie-Unternehmen, bei Kinnert ein „selbst geführtes“ Interview mit einer Einsamkeitsforscherin. Die gemeinsame Klammer: Persönlich Erlebtes (oder nie Erlebtes? Wieder gilt: Wir wissen es nicht mehr.) wurde (im Nachhinein?) zusammengegoogelt, Real Life-Erfahrung wurde zumindest auf Text-Ebene vorgetäuscht. Zum Plagiat kommt die Fälschung.

3. SERIENPLAGIAT STATT SINGULARITÄT. Beide, Baerbock und Kinnert, isolieren ihr plagiatorisches Vorgehen zum singulären Phänomen, einem speziellen Umstand geschuldet: Bei Baerbock war es zeitlicher Druck vor der Wahl, Kinnert lässt es offen, ob „Lebenskrise, Doppelbelastung oder strukturelles Problem“ zur plagiatorischen Praxis geführt haben. – Das Narrativ, dass das Plagiat ein isolierter Fehler war/ist, ein einmaliger Fauxpas, den die Betroffene doch gar nicht nötig gehabt hätte, wiederholen dann auch brav die etablierten Massenmedien, siehe zuletzt dieser Kommentar im stern.

Nun wurde aber gerade nachgewiesen, dass Kinnert 2021 und schon 2017 plagiiert hat – bei einer jungen Autorin weist dies wohl eher auf einen Seriencharakter als auf einen einmaligen Ausrutscher hin. Und auch Annalena Baerbock hat in ihren Reden und Kurztexten über mehr als ein Jahrzehnt lang plagiiert, wie mein Kollege Martin Jaksch überzeugend dokumentiert hat. Die Massenmedien interessieren sich aber traditionell nicht für das Systemische, sondern nur für Einzelfälle. Sie sehen nicht das Muster, das Muster hat leider keinen Nachrichtenwert.

4. UNKLARER STATUS DES „KO-AUTORS“. Beide, Baerbock und Kinnert, hatten einen „Ko-Autor“, dessen Namensnennung sie am Buchcover aber konsequent verweigerten. Baerbock erwähnte den „Ko-Autor“ überhaupt nur auf der Impressumsseite, im Kleingedruckten: „In Zusammenarbeit mit Michael Ebmeyer“. Bei Kinnert steht „mit Marc Bielefeld“ erst auf der Haupttitelseite im Buch drinnen, in kleinerer Schrift als der Schriftzug „Diana Kinnert“. – Doch wenn der Vorwurf des Plagiats kommt, ändert sich das Verhältnis von am Cover genannter Autorin und am Cover nicht genanntem Zuarbeiter plötzlich. So schreibt Kinnert nun:

„Das Buch ‚Die neue Einsamkeit‘ hat zwei Autoren. Es ist in einem gemeinsamen Schreibprozess entstanden. Schon deshalb sind Vorwürfe der Vorsätzlichkeit gegen einen einzelnen Autor unseriös. Wir beide Autoren tragen Verantwortung für den gesamten Schreibprozess.“

Plagiatsprüfer Stefan Weber
"Jahrzehntelange Methode"? Baerbock schrieb auch in früheren Schriften ab
Nun, wenn das Buch zwei Autoren hat, müsste Marc Bielefeld gleichberechtigt am Cover stehen, oder nicht? Zum Vorwurf des Plagiats und der Fälschung kommt nun also auch noch der Vorwurf der unethischen Autorschaft hinzu. Es mag sein, dass das gelebte Praxis bei Sachbüchern dieser Art ist. Aber genau deshalb gehört diese Verlogenheit endlich abgestellt! So war etwa auch die „Ehrenautorschaft“ in der Wissenschaft gelebte Praxis, bis die ausbuchstabierten Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis dieser endlich entgegen standen.

5. VORSATZ WIRD ABGESTRITTEN. Beide, Baerbock und Kinnert, sind Meister im Abstreiten des vorsätzlichen Plagiierens. Waren es bei Baerbock ganz viele kleine Notizen, die sie ständig gemacht hat und letztlich zur Konfusion führten (so die Erklärung vor einer Runde von Kindern), so rechtfertigt Kinnert das Plagiieren mit der Verwechslung von „Recherchestellen mit Schreibteilen“, übrigens – das muss ich ihr zugestehen – eine durchaus kultige Formulierung. Gut, zugegeben: Der Plagiator, der „Erwischt!“ sagt, der muss erst geboren werden.

6. BEIDE BÜCHER ERSCHIENEN IN TOP-VERLAGEN und wurden „Bestseller“, was immer das heute bedeuten mag. Einmal ullstein, einmal Hoffmann und Campe. Beide Bücher wurden laut Dankwort ausführlich von Profis, von Akademikern lektoriert. Beide Bücher wurden von hochrangigen Kolleginnen und Kollegen rezensiert: Niemand entdeckte Plagiate oder andere Unstimmigkeiten. Und beide Bücher wurden nach den Plagiatsvorwürfen zurückgezogen.

7. INVESTIGATION FINDET IN ALTERNATIVEN MEDIEN STATT. Bei beiden Plagiatsfällen, Baerbock und Kinnert, ist das investigative Interesse der großen bundesdeutschen Medien gering. Schon der Exklusivbericht der FAZ zum Fall Kinnert hob mit einer Entschuldigung der Autorin an. Seitdem wird die gesamte Investigation hier im Blog, auf Wikipedia und in Alternativmedien geleistet. Wem das von der Diskussion um Baerbocks Lebenslauf-Mogeleien bekannt vorkommt, der ist hier nicht im Irrtum. Merke: Medien dekonstruieren nur sehr ungern ihr eigenes Narrativ.


Dieser Beitrag von Plagiatsprüfer Doz. Dr. Stefan Weber erschien zuerst auf dessen Blog (hier). Weber erreichte u.a. durch die Aufdeckung der Plagiate von Annalena Baerbock und Diana Kinnert bundesweite Aufmerksamkeit. 

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Kommentare ( 22 )

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22 Comments
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alter weisser Mann
1 Jahr her

Die Parallelen: weiblich, relativ jung, mäßige Bildung aus dem klassischen Bildungskanon, hohes Selbstwertgefühl, starkes Sendungsbewußtsein und überentwickeltes Ego.
Auf dieser Basis entstehen solche Machwerke.

Mindreloaded
1 Jahr her
Antworten an  alter weisser Mann

…und Schuld sind natürlich die alten weißen Männer, weil die wissenschaftliche Qualitätskriterien erfunden haben, um Frauen „draussen“ zu halten

ludwig67
1 Jahr her

Die typische „Ich bin erwischt worden-Spirale“:
Stimmt nicht
Nur ein paar Stellen
Frauenfeindlich
Rechte Kreise
Neider
Kann mich nicht erinnern
Gebe kleinere Fehler zu, argumentiere mit Umständen (konnte nicht anders)
Jetzt neu: War ich nicht, war der andere
Demnächst: War einer aber wir wissen nicht wer

Die neuen Verantwortungsträger bei der Arbeit!

Schwabenwilli
1 Jahr her

Man braucht sich nicht wundern wenn Kinder, Schüler, Studenten die diese Schwindeleien oder sind es schon Betrügereien? mitbekommen und für sich entscheiden, warum soll ich mich noch anstrengen wenn es auch so geht. Das hat katastrophale Auswirkungen auf die Leistungsbereitschaft unserer Gesellschaft und den damit verbundenen wirtschaftlichen, finanziellen, kulturellen…. Niedergang. Wenn man das noch verhindern möchte dann muss man diese Schwindler aus dem Politikgeschäft jagen.

Stephan K.
1 Jahr her

Es müsste wie bei jeder Stellenausschreibung Mindestanforderungen für Parlamentarier und Regierungsmitglieder geben, abgeschlossene Schul-und Berufsausbildung mit mindestens 5 Jahren Berufserfahrung, dann hätten solche Blender keine Chance und die Fraktion der Grünen wäre nicht mehr existent, aber vermutlich wird diese Regierung dann ein abgebrochenes Studium oder Regieassistenz beim Kasperletheater per Gesetz damit gleichsetzen.

alter weisser Mann
1 Jahr her
Antworten an  Stephan K.

Ich bin für eine 10 Jahresfrist bei der Berufserfahrung, ohne Anrechnung von Parteien, NGOs, Verwaltungen, Kulturbetrieb etc. pp., kurzgesagt in der freien Wirtschaft, dort wo das Geld herkommt.

Mindreloaded
1 Jahr her
Antworten an  Stephan K.

– mind. 35 Jahre
– mind. eine abgeschlossene Berufsausbildung
– mind. 5 Jahre einkommensteuerpflichtig gearbeitet
– Direktwahlen, kein Listen mehr
– max. 2 Legislaturperioden im Bundestag

Stefferl
1 Jahr her
Antworten an  Mindreloaded

Ich stimme bei den Anforderungen durchaus zu. Ich finde allerdings, daß man auf all das auch durchaus verzichten könnte, wenn der Politiker Folgendes mitbringt:

  • Anstand
  • Moral
  • Ehrlichkeit
Rainer Wellershoff
1 Jahr her

Sollte uns das ueberraschen ?

Deutsche Marxisten erzaehlen uns doch seit Jahrzehten das Maerchen von der unvergleichlichen Deutschen Erbschuld. Dabei kann jeder nachlesen, was ein Dschingis Khan, roemische Armeen, die Jakobiner und die Herren Tscherschnisky und Uljanov gemacht haben.

Nein, mit den Mitteln der Massenpropaganda kann man fast jede Luege und Fehldarstellung verkaufen.

Sterling Heights
1 Jahr her

Eine grosse Portion Selbstbewusstsein, Verkaufstalent und oberflächliches Labern. Das reicht oft für die Karriere, jedenfalls in Talkshows und in der Politik.
Ich würde niemals ein Buch von solchen Autoren*innen lesen. Bestsellerlisten beachte ich nicht, mein Buchhändler hat mir erklärt, wie diese zustande kommen.

Berlindiesel
1 Jahr her

Ich bin weder ein Wähler der Grünen noch der CDU, bewege mich aber im Alltag in exakt jenen Milieus, die zu 80 Orozent eine der beiden Parteien wählen – der sog. „urbanen bürgerlichen Mittelschicht”. Kinnert noch mehr als Bearbock sind beide Angehörige der den Boomern nachfolgenden Generation. Sie sind vollständig Kinder eines auf Breite, Gleichmachung und grünlinksliberale Prädominanz ausgerichteten Bildungssystems. Das setzte schon bei den nach 1960 geborenen Jahrgängen ein, doch gab es in deren Schul/Hochschullaufbahn immer noch althergebrachte Lehrer, die anders dachten und lehrten. Für die beiden Frauen, die 1980 bzw. 1992 geboren wurden, gilt das nicht.   Der… Mehr

Jens Frisch
1 Jahr her

Einige Parallelen zwischen den Fällen Annalena Baerbock und Diana Kinnert vergisst der Autor:
Beide haben einen „Menstruationshintergrund“, beide sind „Feminist*Innen“ und beide sind mit Sicherheit „woke“.

Georg J
1 Jahr her
  • Immer mehr habe ich den Eindruck, dass von „Eliten“ ausgewählte Persönlichkeiten gezielt über die Medien „aufgebaut“ werden und uns dann später bei Wahlen „angeboten“ werden. Eigentlich soll aber der „Auswahlprozess“ in Parteien in der Demokratie von unten nach oben erfolgen, nicht über die Medien, nicht ausgesucht von einer „Elite“.
  • Frau Kinnert hat gem. Wikipedia einen „Bachelor of Arts“- Studienabschluß, ansonsten, außer der Teilnahme an politischen Projekten, keine praktische Berufserfahrung tritt aber mit 30 Jahren unter dem Label „Politikberaterin“ auf. Was für eine konkrete Beratung soll das also sein, welche Politik von ihr bekommt?
Last edited 1 Jahr her by Georg J
Jerry
1 Jahr her
Antworten an  Georg J

So oder so ist es schon fast ein Kunststück, 30 Jahre alt zu sein und noch keinerlei praktische Berufserfahrung zu haben, Tätigkeiten ohne jegliche Wertschöpfung gehören für mich nicht dazu. Ich denke die meisten Bürger haben in diesem Alter bereits ein paar Jahre mehr vorzuweisen.

josefine
1 Jahr her
Antworten an  Georg J

Seit wann ist das ein qualifizierter Beruf? So nennen sich wohl vor allem Leute, die sonst nichts aufweisen können.
So kreativ ist die Jugend, da kommen
Die Alten nicht mit. Obwohl diese Alten in der Regel Abschlüsse vorzeigen können, mehr erlebt haben und sicher besser beraten können.

augustderstarke
1 Jahr her

Zuviele Fuzzis, die das Alphabet einigermaßen aufsagen können, fühlen
sich auserkoren und bemüßigt, auf den Spuren von den Manns, Bölls
Grass’s, Tellkamps wandeln zu können. Bücherschreiben als Freizeitsport
und Selbstdarstellung. Der deutsche Literaturmarkt krankt an Masse.