Wenn Erziehung wieder kriegstauglich werden soll

Der Bundesinnenminister will Schüler auf Krisen und einen möglichen Kriegsfall vorbereiten. Nach Pandemie, Klima- und Energiekrise soll nun der Krieg zum Lehrstoff werden. Doch Angst erzieht nicht – sie deformiert. Sie ersetzt Nachdenken durch Gehorsam und Verantwortung durch Anpassung.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Es sind Sätze wie die von Alexander Dobrindt, die aufhorchen lassen. Schüler sollen auf künftige Krisenfälle – also auch auf einen möglichen Kriegsfall – vorbereitet werden. Was auf den ersten Blick nach nüchterner Vorsorge klingt, weckt bei genauerem Hinsehen Erinnerungen, die man in diesem Land längst hinter sich glaubte.

Deutschland ist ein Land, das zwei Systeme hinter sich hat, die Kinder und Jugendliche nicht als denkende Individuen sahen, sondern als formbare Masse für staatliche Zwecke.

Zwei Systeme

Im Dritten Reich sollten Kinder und Jugendliche „wehrfähig“ werden – körperlich abgehärtet, ideologisch gestählt, bereit zum Opfer.

In der DDR hieß es dann „Wehrerziehung“. Auch dort wurde im Namen der Sicherheit indoktriniert, marschiert, exerziert – diesmal für den Frieden.

Beiden Systemen war gemeinsam, dass die Jugend zur Vorbereitung auf den Ernstfall herangezogen wurde. Der Ernstfall war nie das Leben – sondern der Staat.

Wenn Politiker heute wieder darüber sprechen, dass Schüler auf Krisen und Kriege vorbereitet werden sollen, ist das kein Zufall. Es ist Ausdruck eines politischen Klimas, das Angst als Argument einsetzt. Nach Pandemie, Klima- und Energiekrise soll nun der Krieg zum pädagogischen Lehrstoff werden. Doch Angst erzieht nicht – sie deformiert. Sie ersetzt Nachdenken durch Gehorsam und Verantwortung durch Anpassung.

Manipulation und Indoktrination

Natürlich ist Vorsorge wichtig. Es spricht wenig dagegen, dass Kinder lernen, in einer Notsituation Erste Hilfe zu leisten oder Zivilcourage zu zeigen. Aber die Wortwahl verrät, worum es wirklich geht. „Kriegsfall“ – das ist kein didaktischer Begriff, sondern ein politischer. Sobald Politiker beginnen, Schüler darauf „vorzubereiten“, geht es nicht um Bildung, sondern um Deutungshoheit und um Manipulation. Die Schüler werden instrumentalisiert. In dieser Entwicklungsphase sind sie sehr vulnerabel, besonders empfänglich für Manipulation und Indoktrination. Die Kinder und Jugendlichen werden dieses Thema gewiss in ihre Familien tragen und damit weiterverbreiten.

Wie angeblich „begeisterungsfähig“ Kinder sein können, wurde in der Corona-Zeit deutlich. Angeblich trugen sie gerne Maske und mieden eifrig soziale Kontakte, weil sie ja Oma und Opa schützen wollten. Dieser Unsinn wurde in junge Gehirne eingepflanzt und die Kinder gaben das weiter. Sie wollten solidarisch sein und selbst kein Leid verursachen. Heute weiß man, dass die vielen Maßnahmen den damaligen Kindern und Jugendlichen sehr geschadet haben.

Aus der Geschichte nichts gelernt

Deutschland hat in seiner Geschichte bitter gelernt, was passiert, wenn die Schule zum verlängerten Arm der Politik wird. Ob HJ oder FDJ – es war die gleiche Versuchung: die Jugend als Träger eines neuen, besseren Menschenbildes. Nur das Etikett wechselte. Mal hieß es Vaterland, mal Sozialismus. Die Methode in beiden Fällen ähnlich: Erziehung durch Angst, geadelt durch moralische Überhöhung.
Wenn es nun diskutiert wird, dass die Jugend auf künftige Krisen und einen möglichen Kriegsfall vorbereitet werden soll, sollte man diese Äußerungen kritisch hinterfragen und im geschichtlichen Kontext betrachten. Dies entrüstet von sich zu weisen, zeigt, dass Reflexion nicht gewollt ist, weil Argumente fehlen.

Die gefährlichste Folge solcher Initiativen ist nicht der Unterricht selbst, sondern die schleichende Gewöhnung an einen Ausnahmezustand. Kinder, die früh lernen, dass Krise der Normalzustand ist, verlieren das Selbstverständnis einer freien Generation. Wer permanent vorbereitet wird, kann nicht mehr unbefangen leben.

Wer soll das Thema lehren?

Wer soll dieses Thema eigentlich unterrichten? Welche Fachlehrkraft? Der Religionslehrer? Der Biolehrer? Die Lehrkraft für Ethik? Oder der Sportlehrer, der die Kinder dann auch sportlich so ertüchtigt, dass sie zur Waffe greifen können? Oder etwa der schneidige Oberleutnant von der Bundeswehr, der gleichzeitig Werbebroschüren in den Bildungsstätten verteilen darf?

Nichts zu befürchten, wer mitmacht

Dobrindts Vorschlag ist kein harmloser Gedanke zur Sicherheitspolitik, sondern ein Symptom. Er zeigt, wie tief der Reflex sitzt, Kontrolle und Angst zur gesellschaftlichen Leitlinie zu machen. Statt Kinder zu stärken, will man sie disziplinieren – im Namen der „Krisenfestigkeit“. Wer mitmacht, der habe ja schließlich nichts zu befürchten.

Es ist eine unglaubliche Frechheit, wie die CSU die Gehirne der Kinder und Jugendlichen beeinflussen möchten und negative Folgen in Kauf nimmt. Schulen sollten ein Ort der Bildung sein, des Wissens, des Friedens. Statt zu Krisenfestigkeit zu erziehen, sollte vielmehr das Fach der Diplomatie auf den Stundenplan gesetzt werden.

Man sollte sich davor hüten, Dobrindts Aussage samt Inhalt zu verharmlosen.

Dr. Friedrich Pürner, MdEP

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Kommentare ( 89 )

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BKF
1 Monat her

Ob HJ oder FDJ – es war die gleiche Versuchung“ Als ehemaliger DDR-Bürger würde ich die HJ eher mit den Pionieren gleichsetzen (unterteilt in Jungpioniere und Thälmanpioniere), als mit der FDJ.

joly
1 Monat her

Was hat Dobrindt politisch/wirtschaftlich Positives geschafft? Außer Steuergeldverschwendung. War er gegen die Sprengung der Kühltürme? Ist die Grenze zu? Was macht er gegen die drohende Invasion von ca 2 Millionen Gazaner?

November Man
1 Monat her

 Ich sehe in solchen Aktionen eine „Wesensverwandtschaft der Union mit dem frühen Nationalsozialismus“.  

November Man
1 Monat her

Dobrindt kann ja einen Jugendbund der Union als neue, erste offizielle Jugendorganisation der Partei in München gründen. Oder einen Bund Deutsches Jungvolk. 15-Jährige mussten früher zur eigentlichen HJ, 18-Jährige wechselten in die SA. Oder SAntifa. Fanfarenzüge und Spielscharen. Feiern wie zur Sommersonnenwende oder zum Gedenken an die Märtyrer der Bewegung versprachen früher schon Gemeinschaftserlebnisse. Oder die „Pimpfe“, das war früher ein umgangssprachlicher Begriff für 10- bis 14-jährige Jungen in der Hitlerjugend, die dem Deutschen Jungvolk angehörten. Die Organisation bereitete die Jungen auf eine spätere Mitgliedschaft in der Hitlerjugend vor, unter anderem durch sportliche Aktivitäten wie Laufen und Weitsprung sowie durch… Mehr

Riffelblech
1 Monat her

Sehr viel besser wäre es den Kindern schon im Kindergarten und in der Schule beizubringen wie man sich vor derartigen kriegsgeilen Politikern schützen
kann .
Jawohl es stimmt Kinder sind ein wesentlicher Multiplikator für Meinungen und Einstellungen.
Umso dringender wäre es das diese Kinder aus der Schule nach Hause kommen und zu Mamma und Papa sagen
:“ habt ihr die / den gewählt ? Der will uns in den Krieg schicken ! Ich will da aber nicht hin .“

albert deutsch
1 Monat her

Zur Kuba-Krise 1962 gingen Bilder ,amerikanischer Schulkinder die sich bei einem Atomschlag unter einen Tisch versteckten ,um die Welt .Es ging den Amis damals wie den Russen heute ,Atomraketen vor der Haustür .Ein cleverer Kennedy und ein bauernschlauer Chruschtschow lösten das Problem .Seit Kennedys Tot hofft die Welt auf einen cleveren Nachfolger – vergeblich .
Deutschland wartet auf einen Kanzler mit dem Format eines Brandt , der nicht vor den Amis kniete ,sondern in Warschau .

Haedenkamp
1 Monat her

#Man lernt hier sehr wenig, es fehlt an Lehrkräften und wir Knaben werden es zu nichts bringen, das heißt, wir werden alle etwas sehr Kleines und Untergeordnetes im späteren Leben. Der Unterricht, den wir genießen, besteht hauptsächlich darin, uns Geduld und Gehorsam einzuprägen …..# (Robert Walser, Jakob von Gunten)

Franz Schroeder
1 Monat her

Wir belohnen die fahnenflüchtigen Ukrainer mit Bürgergeld und allen anderen Annehmlichkeiten und die Politik findet das supi. Wir sind ja Gutmenschen und helfen der ganzen Welt.
Nur für die eigene Bevölkerung gilt das nicht. Die soll jetzt die Fahnenflüchtigen an der Ostflanke ersetzen.

Wenn das nicht ein krankhaftes Paradoxon ist.

Und die Menschen in diesem Land….?

Hurra Hurra Hurra, endlich können wir wieder Krieg spielen, wir haben endlich wieder einen Feind.

Unglaublich.

joly
1 Monat her
Antworten an  Franz Schroeder

Alle kriegsgeilen Politiker 3 Monate Flaschen aus Mülltonnen suchen lassen. Wer weniger als 50 Flaschen hat bekommt nur Wasser und Brot.

Deutscher
1 Monat her

„Heute weiß man, dass die vielen Maßnahmen den damaligen Kindern und Jugendlichen sehr geschadet haben.“

Naja, man kann’s auch übertreiben. Also ich als Schüler hätte kein PTBS entwickelt, weil ich nicht in die Schule „darf“, salopp gesagt.

Man sollte nicht ausblenden, dass wir es heute mit einer Gesellschaft zu tun haben, wo die Elterngeneration im Helikoptermodus ihre Kinder in ungesundem Maße verwöhnt und verweichlicht hat und das ist in diesem Zusammenhang nicht unerheblich.

Peter Pascht
1 Monat her

Aus der Geschichte nichts gelernt? Nein, wirklich nicht.Denn dazu müsste man die Geschichte kennen, nicht nur die Lügenmärchen die man ihnen in Schulbüchern eingetrichtert hat. Sie waren alle kriegswütig und Frieden unwillig. Niemand wollte einen Friedenskompromis. Schließlich forderten die Nazis mit Zustimmung der SPD erst einmal nur jene deutschen Gebiete zurück die man im 1WK in Versailles geraubt hatte. Rede des Abgeordneten Otto Wels SPD vom 23. März 1933 vor dem Reichstag „Ich darf mir wohl in diesem Zusammenhang die persönliche Bemerkung gestatten, dass ich als erster Deutscher vor einem internationalen Forum, auf der Berner Konferenz, am 3. Februar des… Mehr

Last edited 1 Monat her by Peter Pascht