Richter Fischer bei Maischberger – Glücksfall für „Strafgeneigte“

Bei Maischberger prallte das wahre Leben auf die Justiz. Eine Blumenhändlerin, drei Polizisten, ein Ex-Pirat und ein Bundesrichter. Was die Justiz nicht im mindesten beeindruckte. Was verstehen Laien schon vom wahren Kern der Dinge?

Screenshot:ARD/maischberger

Wie im richtigen Leben: Die laut Thema Betroffenen, die „Polizisten – Prügelknaben der Nation“, spielten bei Maischberger eigentlich keine Rolle. Sicher, Regina Lenders aus Hamburg durfte ein bisschen vom fehlenden Respekt erzählen, dass sie sogar Angst um ihr Kind hat, wenn acht bis zehn Freunde eines Täters sich drohend zusammenrotten und sagen „Wir finden deine Familie“. Von Tumulten in Gerichten, von feiernden Angehörigen nach Freisprüchen vor Gericht, auch bei schlimmen Tätern. Vor 37 Jahren, als sie bei der Polizei anfing, sei doch alles ganz anders gewesen. Was aber anders war, und welche Tätergruppen inzwischen die kriminelle Szene in Deutschland massiv bereichern, wurde nicht erwähnt, vielleicht setzt man solche Kenntnisse als bekannt voraus.

Der ausgestiegene Polizist (und Buchautor) Nick Hein hatte weitere Beispiele, diesmal vom Kölner Hauptbahnhof, die wir hier vernachlässigen. Hein bekommt aber noch seinen großen Auftritt. Polizeigewerkschafter Rainer Wendt hatte noch in seinem Buch vom Leder gezogen, beklagt darin lasche Richter und schrieb, eine „ernsthafte Strafverfolgung findet nicht statt.“ Aber, wie so oft in Talkshows, gab er den Wendte-Hals und nahm die armen überlasteten Richter in Schutz. Womöglich aus Angst vor Thomas Fischer. Womit wir beim fast schon literarischen Teil dieses kafkaesken Abends sind.

Auftritt der Blumenhändlerin Heike Osterberg, die einen Laden in Berlin hat und diverse Male ausgeraubt oder bestohlen wurde. Vom letzten Diebstahl hatte sie eine Videoaufzeichnung, die sie bei Facebook postete. In der Folge meldete sich eine Ex-Freundin des Täters, gab dessen Namen und Aufenthaltsorte bekannt, woraufhin die Blumenhändlerin ihre Erkenntnisse der Polizei schickte, um einige Zeit später von der Staatsanwaltschaft folgende Nachricht zu bekommen: Der Täter „konnte nicht ermittelt werden.“ (Auf Facebook wurde sie dann noch als „Nazi“ beschimpft, weil der Täter offensichtlich Migrationshintergrund hatte.)

Die arme Frau konnte noch einen ähnlichen Fall aus der Abteilung Paranoid Fiction kundtun: Zwei Trickbetrügerinnen schnappte sie auf frischer Tat, übergab sie der Polizei, um wieder von der Staatsanwaltschaft zu hören: Verfahren eingestellt, weil die „Verdächtigen“ „keinen Aufenthaltsort in Deutschland“ haben.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren – auch in Kombination mit publik gewordenen Urteilen der letzten Monate bei Vergewaltigungen, schwerer Körperverletzung, etc. –, dass dieser verrückte Umgang mit Straftätern System hat. Und das System verdeutlicht keiner so perfekt wie der Richter und Dichter (Bundesrichter und Zeit online-Autor) Thomas Fischer. Mag sein, dass sich unter den Talaren bis Ende der 60er der Muff aus 1.000 Jahren angesammelt hatte. Seither mufft es allerdings auch schon wieder gewaltig: Same, same, but different.

Für einen richtig großen Auftritt fehlte ihm eigentlich nur noch eine gepuderte Perücke, wie man sie aus englischen Gerichtsklassikern kennt. Die Verachtung des und der Gewöhnlichen beherrscht er aus dem EffEff. Die Hamburger Polizistin Regina ließ er fast gelangweilt wissen: Überraschend, dass man erst nach 37 Jahren so etwas feststellt, er könne einen Anstieg von Aggressionsdelikten nicht bestätigen. Das sei wohl eher persönlich. Individuell. Zudem solle sie nicht von Tätern reden, Menschen sind schlimmstenfalls Verdächtige.

Die Maßstäbe stimmen nicht
Vor der Tat steht immer die Gesinnung
Wendt versuchte dem „lieben Herrn Fischer“ ein polizeiliches Lagebild zu vermitteln, demzufolge acht bis zehn männliche und weibliche Beamte tätlich und täglich angegriffen würden. Aber die übertriebene Freundlichkeit half dem Kommissar auch nicht weiter: Gewalt sei erst einmal ein terminus technicus und er, Wendt, sei nicht die Polizei, sondern nur ein Polizist. Milde Urteile sind für ihn kein eh Thema. „Für drei Jahre überfalle ich einen Blumenladen. Für drei Jahre und sechs Monate nicht? Absurd.“ Auch weitere Alltagsschilderungen der Polizei perlten an der Weltsicht des Richters erfolglos ab. Statistiken gelten für ihn nur, wenn er sie selber herausgekramt hat.

Der Blumenhändlerin erklärte er ausführlich den Unterschied zwischen Raub und Diebstahl, ließ sie irgendwie wissen, dass sie sich sogar noch glücklich schätzen dürfe, eigentlich sei ihr doch gar nichts passiert. Dann fand er, sie sei eher ein Fall für die Wissenschaft. Dieser sei das „Unsicherheitsgefühl“ durchaus vertraut. Obwohl das natürlich jeder statistischen Grundlage entbehre. Die Gründe für solche Gefühle seien kompliziert, dozierte der Richter dann und führte tatsächlich Klimawandel und Kriegsangst ins Feld. Und dass alte Strukturen zerfallen – das Dorf, die Gemeinschaft – und der Vereinzelte heute in einer kleinen Wohnung lebe.

Als er dann noch vom dramatischen Rückgang bei Sexualstraftaten erzählte, traten der Blumenhändlerin, die sich um ihre 20-jährige Tochter sorgt, beinahe die Tränen in die Augen. Ob vor Wut oder Fassungslosigkeit konnten wir nicht feststellen. Schülern, denen der Zugang zu Heinrich Kleists „Michael Kohlhaas“ schwerfällt, sei an dieser Stelle ausdrücklich eine Aufzeichnung der Ausführungen unsere Bundesrichters nahegelegt. Es gibt keine Gerechtigkeit, nur Richter.

Die Knallcharge gab an diesem Maischberger-Abend ein seltsames SPD-Mitglied namens Lauer. Bekannt geworden, weil er mögliche AfD-Wähler bei deren Arbeitgeber denunzierte. Wie ein übereifriger Geselle seines Meisters bekam er sein bewunderndes Kopfnicken für den großen Fischer kaum noch unter Kontrolle. Der überging das Getue wie ein russischer Großfürst seinen Domestiken, verschonte ihn dafür wenigstens mit Belehrungen.

Nun können wir Thomas Fischer, der vom Unispiegel „zu einer Art Popstar und Erklärbär für Studenten und andere junge Menschen“ ausgerufen wurde, intellektuell natürlich nicht das Wasser reichen und zittern schon vor einer möglichen Replik. Aber warum steigt ein Bundesrichter in die Niederungen spätabendlichen Entertainments? Sicher, es bleibt zu loben, dass er Frau Maischberger wiederholt ihre sprunghafte Themenwechsel vorwarf. Von daher sollte er vielleicht alle Talkshows der Reihe nach aufsuchen.

Oder verletzt er damit das für Richter geltende Mäßigungsverbot bei öffentlichen Äußerungen? Auf dieses Glatteis wollen wir uns nicht begeben. Und wenn wir uns auch bei fast allem, was seine Exzellenz von sich gab, am Sofa festkrallen mussten, um nicht an die Decke zu gehen, sei auch das Sympathische (neben der Tonlage seiner Stimme) nicht unterschlagen:

In den Jahren 1994 bis 1997 war Fischer Erster Vorsitzender der Beschwerdekammer des Verbands für das Deutsche Hundewesen. Da kann er doch gar kein schlechter Mensch sein!

Ich hatte ja noch ein Wort zum Ex-Polizisten Nick Hein versprochen. Als es um Videoüberwachung ging, die die neue Sicherheitspartei Deutschlands, SPD, auch nach dem Berliner Attentat ablehnte, glaubte der Jungsozialist, seine große Minute sei gekommen, vielleicht weil er in der SPD die Rolle des Polizeikritikers zu besetzen hätte. Er erklärte den Polizisten überheblich, dass Videoüberwachung rein gar nichts bewirke. Hein: „Wenn ich Ihnen jetzt eine scheuere, hätten Sie das Band und könnten mich verklagen.“

Und was sagt der weise Thomas dazu: Video kann Strafgeneigte durchaus abhalten. Strafgeneigte! Vielleicht sollte er doch zum Film. Wir Schlafgeneigten machen hier Schluss.

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