Zum Tode von Mainhardt Graf Nayhauß

Er kannte buchstäblich alle, und er wusste unglaublich viel: viel mehr als die meisten – und viel mehr, als er veröffentlichte. Nachruf auf einen echten Journalisten.

picture alliance / dpa | Rolf Vennenbernd

„Mainhardt Graf Nayhauß (…) hat mit seinen Hintertreppengeschichten mutmaßlich mehr zur Demokratisierung der Macht beigetragen als ganze Jahrgänge von Kisch- und Nannen-Preisträgern.“
(Willi Winkler – am 3. Februar 2021)

In seinem Arbeitszimmer hing ein Foto: der Reporter neben Helmut Kohl. „Erkennen Sie mich darauf?“ fragte er schelmisch, wenn man ihn besuchte.

Das war lustig. Niemand hätte diese beiden jemals verwechseln können. Kohl war bekanntlich ein Hüne: zwei Meter groß, zwei Zentner Lebendgewicht, ein wandelnder Berg. Mainhardt Graf Nayhauß war für einen Mann wirklich sehr klein und sehr schmächtig, neben dem massigen Kanzler der Einheit wirkte er geradezu zerbrechlich.

Der Eindruck täuschte gewaltig.

Sein Vater war Offizier und ein entschiedener Gegner des NS-Staats – und wurde gleich nach der Machtergreifung eines der ersten Opfer: verhaftet, gefoltert, ertränkt. Nayhauß selbst wurde dann an der Front verwundet. Er kannte also die Diktatur, und er kannte den Krieg, und Zeit seines Lebens hatte er für beide nichts übrig. Trotzdem war der gebürtige Berliner kein Pazifist. Dem Militär und vor allem den Soldaten fühlte er sich immer verbunden.

Als Kind hatte er erlebt, dass die Wahrheit lebensgefährlich sein kann. Das brachte ihn gleich nach dem Krieg zum Journalismus. Besuchern in seinem Ferienhaus in Südfrankreich erzählte er gerne von seinem beruflichen Durchbruch:

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Der kam mit einem Bericht für den Spiegel über eine alkoholisch völlig aus dem Ruder gelaufene Weihnachtsfeier von leitenden Mitarbeitern des Verfassungsschutzes. Erzählt hatte ihm davon ein – seinerzeit immer noch verkaterter – Teilnehmer, der nach dieser Beichte aus Angst davor, verfolgt oder erkannt zu werden, das Bonner Domizil von Nayhauß erst durch die Hintertür und dann per Hechtsprung über den Zaun in den Nachbargarten verließ.

Der Text wirbelte so viel Staub auf, dass Spiegel-Gründer Rudolf Augstein entzückt anordnete: „Vom Grafen nur noch solche Geschichten.“ Daran hielt sich Nayhauß – eigentlich für den Rest seines Lebens.

Er enthüllte keine großen Skandale. Aber er enthüllte die Menschen hinter der Politik, das Kleingeistige hinter dem Großspurigen – die Anekdote, die mehr offenbart als die Presseerklärung. Er war sozusagen das Gegenteil eines Einflüsterers: Er hörte, was Menschen ihm erzählten. Und Menschen erzählten ihm viel, weil sie ihm vertrauten – völlig zurecht: Nayhauß lebte mehr von dem, was er wusste, aber nicht schrieb, als von dem, was er tatsächlich veröffentlichte.

Die Bild-Zeitung wurde seine zweite Heimat, und „Bonn vertraulich“ (später „Berlin vertraulich“) wurde zur Blaupause für politische Kolumnen schlechthin. Nayhauß lieferte keine Kommentare, dafür im besten Sinne Neuigkeiten und Hintergründe: neue Sachverhalte und Geheimnisse, die ohne ihn wohl nie ans Licht gekommen wären. Allzu viele sogenannte Journalisten machen es heute umgekehrt.

Diese heutigen Meinungsmonster mit Haltungsschäden, die Restles und Reschkes, waren ihm ein Gräuel. Das merkte man ihm an, aber er sagte es nicht. Dazu war er zu höflich, zu gut erzogen, zu anständig. Auch das unterschied ihn deutlich von seinen Nachfolgern.

Er war selbstbewusst, aber nicht arrogant. Er konnte sich eine schier unendliche Neugier leisten – weil er keine Angst davor hatte, dass neue Erkenntnisse vielleicht sein Weltbild erschüttern würden. „Ich lerne immer noch“, sagte er oft. Er passte seine Meinung den Fakten an, nicht umgekehrt.

Aber er hatte eine Meinung, eine durchdachte und dezidierte, zu sehr vielen Dingen. Nur empfand er es nicht als seine journalistische Aufgabe, sein Publikum damit zu behelligen. „Ich erzähle wahre Geschichten, die die hoffentlich noch nicht kennen“, sagte er. „Die Schlüsse sollen sie selber ziehen.“

Spät in seiner Karriere probierte er noch einmal das Fernsehen aus. Bei RTL bekam er, klar, eine Kolumne: Jeden Freitag erzählte er in „Guten Morgen, Bonn“ (später „Guten Morgen, Berlin“) seine Geschichten. Da lernte ich ihn kennen: als Volontär bei RTL.

Später sahen wir uns regelmäßig beim Bundespresseball, bei dem er bis ins hohe Alter ein gern gesehener Gast war. Er stellte mich seiner Frau und seinen Töchtern vor. Als wir beide schon lange nicht mehr bei RTL waren, lud er mich auch in seine Büro-Wohnung im Berliner Regierungsviertel ein. Es gab Tee aus feinem Porzellan.

Im Arbeitszimmer stand eine schier endlose Reihe von Hängeregister-Schränken: sein Archiv, nach einem ausgeklügelten System sortiert. „Kann ich da mal reingucken?“ fragte ich. Er lächelte. Die Schubladen blieben geschlossen. Es gab mehr Tee.

Neben dem Bild mit Helmut Kohl hingen noch viele Fotos von dem Reporter mit vielen anderen Politikern: Nayhauß mit diesem, Nayhauß mit jenem – ein kleiner Mann mit den vermeintlich Großen in Deutschland.

Er hat sie alle überragt.

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Kommentare ( 2 )

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2 Comments
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Johann Thiel
3 Jahre her

Eine gefährliche Einsicht, wie ich finde, weil sie gleichermaßen für Gut wie Böse bemüht wird. Deswegen ist die Aufforderung an „alle“ etwas mitzumachen, immer mit Vorsicht zu betrachten.

Manfred_Hbg
3 Jahre her

Dazu kann man wohl nur noch mit vollem Respekt sagen: Die Guten und Aufrichtigen im Journalismus sterben -leider- aus!