Bundesnotbremse: Wie sich das Bundesverfassungsgericht um die Entscheidung drückt

Das Bundesverfassungsgericht hat die Eilanträge zur Bundesnotbremse abgewiesen. Es scheint die Entscheidung solange aufschieben zu wollen, bis die öffentliche Meinung feststeht. Und dann leistet es sich noch einen peinlichen Schusselfehler in der Begründung.

IMAGO / Stockhoff

Das Bundesverfassungsgericht hat die Eilanträge zum Bundeslockdown hinsichtlich der Ausgangssperre abgelehnt. Das ist zunächst keine Aussage über die Verfassungskonformität der Bundesnotbremse, die bleibt ja im Hauptsacheverfahren weiterhin offen.

Grundlage für die Ablehnung der Eilanträge ist das etwas verwirrende Prinzip der „Doppelhypothese“, das in solchen Fällen zur Anwendung kommt. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich dabei in der Bewertung der Eilanträge inhaltlich nicht mit der Verfassungskonformität des Gesetzes selbst. In der Pressemitteilung heißt es etwa: „Bei der Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben“. Stattdessen findet eine Folgenabwägung statt, in der letztendlich nur untersucht wird, welche Entscheidung des Gerichtes, die gravierenderen negativen Folgen haben würde, wenn die Entscheidung sich im Hauptsacheverfahren als falsch erweist. Was hätte die schlimmeren Auswirkungen – dass die Ausgangssperre zu unrecht weiterhin bestehen oder, dass die Ausgangssperre zu unrecht gekippt werden würde?

Verfall der demokratischen Kultur
Wie unabhängig sind unsere Gerichte noch?
Das Gericht räumt zwar ein: „Ob die nächtliche Ausgangsbeschränkung geeignet ist, um ihr Ziel zu erreichen, ist fachwissenschaftlich umstritten.“ – , kommt am Ende aber zu dem Ergebnis, dass es wohl deutlich härtere Konsequenzen hätte, wenn der „gesetzgeberischen Gesamtkonzeption“ ein für die Infektionsbekämpfung bedeutsames Instrument verlieren würde, als wenn die Menschen diese Einschränkungen der Grundrechte trotz möglicher Verfassungswidrigkeit erdulden müssten. Die Ausgangssperre falle nämlich in einen Zeitraum, indem Aktivitäten außerhalb einer Wohnung oder Unterkunft „keine ganz erhebliche quantitative Bedeutung haben“.

Die Verfassungskonformität bleibt im Hauptsacheverfahren offen. Was allerdings wirklich bedenklich ist, ist die Zeitspanne, in der das Verfassungsgericht operiert, schon für die Behandlung der Eilanträge ließ man sich zwei Wochen Zeit. Fachkundige Quellen vermuten, dass das Verfassungsgericht seine Entscheidung solange verzögern will, bis der Bundeslockdown ohnehin vorüber ist um abzuwarten, wie sich die öffentliche Stimmung in den nächsten Wochen bewegt. In keinem Fall, so der Eindruck, will man sich gegen den Zeitgeist stellen.

Hat das Grundgesetz Paragraphen?

Das Verfassungsgericht selbst scheint etwas in Corona-Panik zu sein, erst jüngst sagte man eine mündliche Verhandlung über die Anhebung der absoluten Obergrenze der Parteienfinanzierung ab, mit der Begründung, dass die „aktuell äußerst dynamische, in ihrem weiteren Verlauf schwer absehbare Entwicklung der SARS-CoV-2-Pandemie“ keine Durchführung der Verhandlung gestatte, zuvor wollte man die Verhandlung in „externen Räumlichkeiten“ durchführen.

Der skandalbelastete neue Präsident des Gerichts, Stephan Harbarth, der bis 2018 noch Bundestagsabgeordneter der Union war, befindet sich in einer schwierigen Lage. Die Bedeutung des Gerichts wird zu Gunsten des EuGHs immer weiter abgebaut – durch immer unverhohlenere politische Motive bei der Richterpostenbesetzung durch die Politik droht Karlsruhe marginalisiert zu werden. Ganz offenkundig versucht man jetzt die Gunst der allgemeinen Medienöffentlichkeit zu gewinnen. Das absurde Klima-Urteil ist der Gipfel dieser Entwicklung, erstmals legte man die Pressemitteilung gleich auch noch in französischer Sprache bei, damit – so wohl die Hoffnung – in der ganzen Welt die Menschen von der Bedeutsamkeit dieses deutschen Gerichts schwärmen.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, als er noch Politiker war

Screenshot Twitter

Die Eilanträge zu diesen extremen und direkten Grundrechtseinschränkungen werden allerdings relativ lax, fast beiläufig behandelt. An einer Stelle war im veröffentlichen Beschlusstext zur Bundesnotbremse, der mit den Worten „Im Namen des Volkes“ überschrieben ist, von einem Paragraphen 77 Abs. 2 GG die Rede. Dass es im Grundgesetz keine Paragraphen, sondern Artikel gibt, um die besondere Bedeutung der Worte hervorzuheben, hat das oberste deutsche Gericht wohl vergessen. Gegenüber TE räumte ein Sprecher des Verfassungsgerichts die Korrektur ein, verzichtete aber auf weitere Erklärungen.

Das Verfassungsgericht hat wohl nicht mehr die Möglichkeit oder nicht mehr den Willen, sich inhaltlich ernsthaft mit den Dingen zu beschäftigen. Bei den schwerwiegendsten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte dieser Republik will sich das höchste unabhängige Verfassungsorgan der Justiz am liebsten einfach wegducken. In Karlsruhe geht man wohl lieber den Weg des geringsten Widerstands.

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Kommentare ( 62 )

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Oblongfitzoblong
2 Jahre her

Das ist kein verzeihlicher Fehler! Die große kognitive Dissonanz, die die hohen Richter bei ihrem Beschluss zur CO2-Entscheidung nicht bewältigen konnten, führt in der selbst herbeigeführten Unsicherheit zu einem solchen Kapitalfehler. Das sind Basics, deren Kenntnis von einem Bundesrichter erwartet werden dürfen!

Entenhuegel
2 Jahre her

Harbarth hat es ja zuletzt mehrfach deutlich gemacht: Er wird um jeden Preis grundgesetzwidrige Maßnahmen und Gesetze bestätigen (lassen), wenn sie nur von der politischen Behauptung getragen werden, gut für Gesundheit und/oder Klima zu sein. Er setzt den unter Voßkuhle schon absehbaren Trend bis zum Ultimum durch – und schafft damit das Grundgesetz faktisch ab, indem er der Politik zu gesteht, willkürlich höherrrangige Ziele zu definieren (lassen) und Grundrechte einzukassieren … Genau dafür wurde Harbarth von Merkel installiert. Denn seine Vita lässt genau erkennen, dass er immer für Parteilichkeit und Partikularinteresse eintrat und niemals für Recht und Gesetz oder gar… Mehr

Manfred_Hbg
2 Jahre her

Auch wenn ich mich hier hier wiederhole: Die Zeiten wo ich mit Respekt, Achtung und Stolz auf unsere -vor allem höchsten- Gerichte geschaut habe, sind mittlerweile längst vorbei nachdem (zumindest)mir klar geworden ist, dass auch diese unsere höchsten Gerichte immer mehr mit linksgrünpolitischen Bücklingen besetzt wurden/sind und das hier in Deutschland mittlerweile auch immer mehr EU-Brüssel mit dem EuGH das richterliche und gesetzliche Sagen hat und nicht mehr unsere deutschen Gerichte bis hin zum Verfassungsgericht. Es ist eine Schande wie dieser (noch)eigenständige Deutsche Staat und dessen GG nicht nur „dank“ der linksgrünen AltparteienEINHEITSpartei, sondern besonders auch von unseren höchsten Gerichten… Mehr

Gerro Medicus
2 Jahre her

Sehr geehrter Herr Türkis. Das BVerfG hat sich nicht um eine Entscheidung gedrückt. Es hat genau die Entscheidung getroffen, die es regierungsseitig gewollt sollte. Sie schreiben es ja selbst: „Es scheint die Entscheidung solange aufschieben zu wollen, bis die öffentliche Meinung feststeht.“ Darum geht es, um Zeitgewinn, bis sich die Öffentlichkeit zwangsweise auch an diese Rechtsverletzung „gewöhnt“ hat. Wie an schon so viele andere vorher. Es gibt ja noch viel mehr Möglichkeiten, aufmüpfige Bürger zu disziplinieren. Man denke nur exemplarisch an das Skandalurteil in Leipzig, in der das Gericht die Klage gegen die Maskenpflicht eines Kindes abwies, mit einem Streitwert… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Gerro Medicus
F.Peter
2 Jahre her

Der Harbarth hatte doch lange genug Gelegenheit, die Methode „Merkel“ zu lernen, die er jetzt auch beim BVG umsetzt.

Montesquieu
2 Jahre her

Harbarth ist Fachanwalt für juristisch relevante Finanztricksereien großen Stils. Er hat von Verfassungsrecht soviel Ahnung wie …
Der Mann funktioniert. Paragraphen, was sind schon Paragraphen….

ketzerlehrling
2 Jahre her

An der Spitze dieses sog. Gerichts sitzt ein Mann Merkels. Er wird ihr nicht in den Rücken fallen. Ich bin sicher, er war ein aufmerksamer Schüler und macht es wie sie. Aussitzen, einfach aussitzen. Die Öffentlichkeit weiss in der Regel nicht, was vorgeht, will es gar nicht so genau wissen und wenn, dann begrüßt es alles, was ihr in ihrem verqueren Denken nützt und sie schützt. Dass sie sich dabei völlig aufgeben, ist ihnen entweder nicht klar, oder ebenfalls egal. Schuld ist immer der Nebenmann, die Nebenfrau.

Markus Machnet
2 Jahre her
Antworten an  ketzerlehrling

Das „NebenEs“ haben sie vergessen. Wir wollen doch in dem Land, in dem genern wichtiger ist, als denken und für das Land „Deutschland“ zu handeln, korrekt bleiben. Die Mannschaft, die Deutschland bei den olympischen Spielen vertreten soll, wird jetzt, ganz im Sinne linksgrüner Ideologie (wohl übergangsweise) „Team D“ genannt. Könnte bei der nächsten Veranstaltung dann entweder klein geschrieben werden – für divers – oder ganz entfallen, wie im Fußball. Ich warte auf den Tag, an dem dieses Gericht Begriffe, wie „deutsch“, „Deutsche (m/w/d)“ und schließlich Deutschland für verfassungswidrig erklärt, weil die Zudringlinge (auch Migranten genannt) sich in ihren Grundrechten verletzt… Mehr

Oblongfitzoblong
2 Jahre her
Antworten an  Markus Machnet

Also das können Sie doch nicht so sagen! So etwas machen nur die Polen und die Ungarn, etc.

KoelnerJeck
2 Jahre her

Laut Anthony de Jasay (vgl. „Gegen Politik“) ist eine Verfassung „ein Keuschheitsgürtel, für den die Lady den Schlüssel hat“, denn im Zweifelsfall wird die Verfassung einfach geändert oder neu interpretiert. Es braucht den Druck der Straße. Ludwig von Mises drückt es in „Liberalismus“ wie folgt aus: „Eine liberale Regierung ist eine contradictio in adjecto. Regierungen mussen zum Liberalismus durch die Macht der einmütigen Volksüberzeugung gezwungen werden; darauf, dass sie freiwillig liberal sein könnten, ist nicht zu rechnen.“

Bernhard J.
2 Jahre her

Die Verfassungsrichter sollten mal bei Hannah Arendt nachlesen! „In einer bürokratischen Herrschaft, wo an die Stelle des Gesetzes die Verordnung getreten ist, wird dauernd gehandelt, bevor Recht gesprochen worden ist, werden dauernd vollendete Tatsachen geschaffen, gegen die es dann einen Einspruch entweder überhaupt nicht gibt oder nur auf einem so komplizierten, eben »bürokratisierten Wege, daß ihm praktisch keine Bedeutung mehr zukommt. Es liegt in der Natur der Sache, daß man auf dem Verordnungswege immer außerordentlich schnell, auf dem Rechtswege dagegen immer nur verhältnismäßig langsam Resultate zeitigen kann. Es ist daher immer ein Zeichen bürokratischer Herrschaft, wenn der Rechtsweg nur noch… Mehr

Markus Machnet
2 Jahre her
Antworten an  Bernhard J.

Sehr gut beschrieben!! Besser geht es kaum.

Engelbogen
2 Jahre her

Zu was die Dramaturgie und Verzögerung des Hofstaates…

Erhofft man sich durch dieses herummerkeln, das irgend ein Hinterwäldner annimmt, die Entscheidung sei wohl überlegt?

… wenn man doch eh schon jeder weiß wie es ausgeht.

Last edited 2 Jahre her by Engelbogen