Wie die Tagesschau den Skandal der Berlinwahl kleinredete

Wie kann ein am Wahltag offensichtlicher Skandal bei den Abstimmungen in Berlin in den Medien einfach wieder verschwinden? Die Tagesschau verharmloste das Desaster als Panne, stellte Kritik mit Verschwörungstheorien gleich und kümmerte sich nicht weiter um den Fall.

IMAGO / Future Image

Wie können offensichtliche Unstimmigkeiten wie die der Berlinwahl im September 2021 trotz Augenzeugenberichten über Warteschlangen, nicht abgegebene oder zu spät abgegebene Stimmzettel, Mängel an Stimmzetteln oder falsch ausgegebene Stimmzettel in der medialen Versenkung verschwinden? Genauso wichtig wie mediale Skandalisierung ist das mediale Verschweigen und Umdeuten (Framing bzw. Narrativ) einer Nachricht. Im Fall der Berlinwahl lohnt es sich, die Berichterstattung der Tagesschau in den letzten Monaten zu rekapitulieren.

Am Wahltag waren allein wegen der Menge der von den Medien als „Pannen“ verharmlosten Vorfälle in Berlin die Zustände nicht zu ignorieren. Auch in Stadtteilen, in denen die Wahl einigermaßen geordnet verlief, durfte das Wahlvolk eine halbe Stunde vor den Lokalen warten. Bilder von Warteschlangen, die die Beteiligten an Bilder von den US-Wahlen in Florida im Jahr 2000 erinnerten.

Berlinwahl nur eine „Panne“?

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Zur Mittagszeit versuchten die Hauptstadtmedien das Ereignis noch als Hinweis auf das Funktionieren der Demokratie in Deutschland zu verkaufen: Denn die langen Schlangen seien mit Sicherheit auf das rege Interesse an der Wahl zu interpretieren. Dieses Narrativ verpuffte bereits am Mittag, weil die ersten Statistiken zur Wahlbeteiligung eintrudelten – sie fiel für eine Abgeordnetenhauswahl höher, aber für eine Bundestagswahl mit rund 75 Prozent normal aus. In einigen Kreisen musste das Ergebnis am Wahlabend „geschätzt“ werden.

Es lohnt, die nachfolgende Berichterstattung am Beispiel der Tagesschau nachzuverfolgen. Sie zeigt, wie die öffentlich-rechtlichen Medien einen für jeden am Wahltag offensichtlichen Skandal zu einer „Panne“ herunterspielen wollten. Schlüsselstück dabei: ein Beitrag von „Faktenfinder“ Patrick Gensing. Er bediente sich einer ausgeklügelten Strategie. Da das Desaster bei der Belinwahl offensichtlich war, zog er andere Beispiele heran, um zu zeigen, dass es bei der Bundestagswahl keine Manipulation gegeben habe.

Faktenfinder“ Gensing framed die Wahl zurecht

Dahinter steckt eine besondere Logik: etwa, weil in Würzburg nichts schiefgegangen sei oder Bilder von älteren Wahlen zirkulierten, versuchte der Faktenfinder jede Kritik zu zerstreuen, bei der Wahl könnte überhaupt etwas schiefgegangen sein. Statt sich mit den eigentlichen, für jeden nachlesbaren und nachhörbaren Vorfällen in der Hauptstadt zu befassen, zitierte Gensing No-Name-Accounts auf Twitter, um an ihnen zu exerzieren, wie falsch sie liegen.

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Der Kniff: Gensing beginnt mit einem Eingeständnis. „Tatsächlich hat es in einigen Berliner Wahllokalen schwere Pannen gegeben – doch im Wahlkreis Würzburg gibt es eine simple Erklärung, warum die AfD bei den Zweitstimmen zwar 6,6 Prozent holte – bei den Erststimmen hingegen bei 0,0 Prozent landete: Es war gar nicht möglich, hier eine Erststimme für die AfD abzugeben.“ Der Fall Berlin kommt gerade einmal in einem Halbsatz vor. Doch sofort wird die Aufmerksamkeit auf einen anderen Ort gelenkt. In Gensings gesamter Analyse, die „Fake News über angebliche Manipulationen“ heißt, soll dem Gebührenzahler das Bild einer sauberen Wahl in Deutschland vermittelt werden, indem man tatsächliche Vorwürfe gegen vermeintliche ausspielt. Nur an zwei Stellen wird der Berliner Fall überhaupt genannt.

Der Artikel „Fake News über angebliche Manipulationen“ vom 27. September 2021 ist damit ein Paradebeispiel, wie die Medien unangenehme Wahrheiten in eine richtige Richtung drängen. Strohmänner, nach denen keiner gefragt hat; Vergleiche mit Orten, wo es keine Wahlmanipulation gab; Verharmlosung der Vorfälle statt ihrer klaren Nennung. Was ist eine „Wahlpanne“? Ein verlorener Stift? Ein verlorener Stimmzettel? Oder etwa eine mehrstündig unterbrochene Wahl mit Tausenden ungültigen Stimmen?

Die Suggestion schafft Bilder, die sich beim Leser und Zuschauer festsetzen: alles halb so wild. Zuletzt schafft Gensing eine Assoziation zum sogenannten „Sturm auf das Kapitol“, bei dem die Lügen über eine Wahlmanipulation genau diesen ausgelöst hätten. Unverblümt malt Gensing damit das Schreckensbild an die Wand, Ähnliches stünde auch Deutschland bevor, sollte man wirklich zu den Verschwörungstheoretikern gehören, die sagen, es sei bei der Wahl etwas schiefgelaufen.

Berlinwahl: „Möglich, aber wohl ohne Folgen“

Auch in den folgenden Monaten bleibt es beim Deutungsmuster (kleine) Panne. Am 15. Oktober berichtet die Tagesschau erneut: als „Möglich, aber wohl ohne Folgen“ bezeichnet die Nachrichtensendung die Konsequenzen der Berliner Wahl. „Wer meint, beim Wählen eine Panne mit juristischer Relevanz entdeckt zu haben, kann innerhalb von zwei Monaten nach dem Wahltag – also bis 26. November um 24 Uhr – Einspruch gegen die Wahl einlegen“, erklärt die Tagesschau. Auch hier wieder der Begriff „Panne“. Im Zusammenhang mit „juristischer Relevanz“ stellt sich die Frage, ob der Begriff sinnvoll – oder nicht verzerrend verwendet wird.

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„Zur Ungültigkeit der Wahl können Wahlfehler überhaupt nur dann führen, wenn sie sich auf die Sitzverteilung im Bundestag ausgewirkt haben oder zumindest ausgewirkt haben können. ‚Mandatsrelevanz‘ nennt man das“, erklärt die ARD im Kindergartenton. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, gibt es dann die eingeholte Expertenmeinung zur Stärkung des Narrativs von den vertrödelten Zetteln und vielleicht etwas Kaffee auf Tante Ernas Wahlschein. „Mehrere Expertinnen und Experten – darunter Christian Waldhoff, Rechtsprofessor an der Berliner Humboldt-Universität – gehen nicht davon aus.“

Zwar nennt der Beitrag die Möglichkeit, dass die Abgeordnetenhauswahl wiederholt werden könnte. Aber auch das nur, indem sofort im Nachsatz eingeschränkt wird: „Es ist noch nie vorgekommen, dass so in Berlin eine ganze Wahl ‚gekippt‘ wurde.“ Kann nicht sein, hat es nie gegeben, wird also wohl auch nicht sein.

Ein kritischer Kommentar bleibt ohne Folgen – die Arbeit machen andere

Die Berichterstattung ist auch deswegen beachtlich, weil zwei Wochen zuvor, am 1. Oktober 2021, in den Tagesthemen ein kritischer Kommentar von David Biesinger lief, der von allen Beiträgen jene Schärfe zeigte, die nötig gewesen wäre. „Unsere Demokratie wurde fahrlässig beschädigt. (…) Das wird nachwirken: Bei denen, die ewig in den Wahllokalen warten mussten, und erst recht bei jenen, die die Demokratie ohnehin geringschätzen. Jetzt muss sie mühsam repariert werden, die Demokratie: durch zählen, wieder zählen und bitte durch eine unabhängige Überprüfung“, erklärt der RBB-Chefredakteur.

Eigentlich hätte das der Anspruch eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein müssen. Wer seine Gebühren tatsächlich eine „Demokratieabgabe“ nennt, der sollte genauer hinschauen, wenn er selbst deren Schädigung attestiert. Doch dazu kam es nicht. Das Thema schlief ein, keine Sendeanstalt mit Millionengehalt hielt es für nötig, nachzuforschen, zu recherchieren oder sich in die mühsame Archivarsarbeit zu begeben, und sich die Stimmzettel selbst anzusehen. Das blieb Aufgabe eines jungen Autorenteams – in Zusammenarbeit mit Tichys Einblick.

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Kommentare ( 48 )

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Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Na ja, wenn mit der AFD die Falschen gewonnen hätten, würde schon nachgezählt werden…

Lotus
1 Jahr her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Ich habe eher den Verdacht, dass schon bei der Erstauszählung darauf geachtet wird, dass die „Falschen“ niemals gewinnen werden.

Micky Maus
1 Jahr her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Wer weiß denn ob die AfD die Falschen wären? Das wird doch vorwiegend von den gleichgeschalteten Lügenmedien ARD und ZDF herausposaunt um ihre Lügenmärchen zu vertuschen und damit die Posten unserer verlogenen Politiker abzusichern. Fakt ist eines: mit der AfD würde ein Großteil des deutschen Geldes in Deutschland verwendet und nicht in der ganzen Welt sinnlos und ohne Nutzen verschenkt, siehe doch nur Bundeswehreinsatz in Afghanistan! Nichts gebracht, nur Folgekosten ! In Deutschland gibt es genug zu tun, wie Wohnungsbau, Infrastruktur, Schulwesen und …..ich höre lieber auf mit aufzählen. Aber leider glaubt das dumme deutsche Volk immer noch diesen Lügnern… Mehr

Hieronymus Bosch
1 Jahr her

Viele Leute in diesem Land sind apathisch, gleichgültig und lediglich auf ihren nächsten Urlaub fixiert! Sie schrecken nur auf, wenn es um angebliche Rassisten und Rechtsextreme geht, ansonsten verhalten sie sich wie dumme Lämmer, die Angst vor dem Wolf haben, der gar nicht kommt. Die Rolle dieser „Angstverwalter“ besetzen die Staatsmedien, die das Volk mal einlullen und dann wieder aufhetzen! Sie haben es drauf, was sie den manipulierten Menschen als Wohltat verkaufen!

bruecke222
1 Jahr her

Die ÖR Medien sind ein gutes Beispiel wie sehr Demokratie und freie Wahlen Farce sind.

Alf
1 Jahr her

Unser ÖRR berichtet immer genüßlich von ausländischen Wahlen, in denen „Pannen“ auf Kameras dokumentiert sind. Ja, das böse Ausland. Gerne schickt man Wahlbeobachter dorthin. Dabei zeigen die „Pannen“ in Berlin, daß man gar nicht weit reisen muß. Was nicht sein kann, Berlin zeigt wie es geht. Unser Staat schämt sich nicht. Nein, es ist keine Demokratie mit Aussetzern (wie ich früher geschrieben habe), wir leben in einer Scheindemokratie ohne Gewaltenteilung. Mein Vater hatte mich früher getadelt, wenn ich unser Land als Bananenrepublik bezeichnete. Mit fast 80 Jahren sagte er zu mir: Du hast Recht, wir leben in einer Bananenrepublik. Wir… Mehr

Senni
1 Jahr her

Gibt es in diesem Land überhaupt noch etwas das reibungslos klappt – so wie früher ? NEIN !

Hummi
1 Jahr her

ARD und ZDF sind eben Zwangsgebühren finanzierter Staatsfunk , Propaganda und Lügensender! Was soll man denn von denen bei solchen Skandalen erwarten ? Einfach Nichts

johndoe19
1 Jahr her

„Wie können offensichtliche Unstimmigkeiten wie die der Berlinwahl im September 2021 trotz Augenzeugenberichten über Warteschlangen, nicht abgegebene oder zu spät abgegebene Stimmzettel, Mängel an Stimmzetteln oder falsch ausgegebene Stimmzettel in der medialen Versenkung verschwinden?“
Das ist einfach zu erklären:
Während die Verfassungsschützer die Regierung vor den Verfassungsfanatikern schützt und das BVerfG die Gesetzgebung der Regierung vor Anwendung der Regeln des Grundgesetzes bewahrt, verhindern die ÖR und die MSM dass die Regierung (solange sie den Leitlinien der Transatlantiker folgen) unliebsamer Kritik ausgesetzt wird..
Somit sind fast alle Voraussetzungen für eine „erfolgreiche“ Regierungsarbeit gegeben.

Franz Guenter
1 Jahr her

Linksgrüne Politiker und ÖRR sind Brüder im Geiste. Nicht zuletzt geht es um Stellen, Posten und Geld. Dann sorgt man eben dafür daß die einen an der Macht bleiben und die anderen helfen kräftig dabei. „Halt du sie dumm, ich halt sie arm.“ Oder platt: Eine Hand wäscht die andere.
Frohe Pfingsten an das beste Leserforum, das ich persönlich kenne.

Micky Maus
1 Jahr her
Antworten an  Franz Guenter

Ja hier sind sich die Volksverblöder und Demokratie-Heuchler einig. Wenn es um Pöstchen und Geld und Macht geht, würden diese Lügner auch Sch..ße fressen wenn damit ihr Betrug vertuscht werden könnte. Ich bin von vielen belächelt worden, als ich schon vor Jahren von Wahlbetrug genau wie damals in der DDR sprach, jetzt geben sie mir alle Zustimmung. Obwohl das deutsche Volk schon hochgradig belogen wurde, haben immer noch zu wenige begriffen was hier abgeht. Verblödung durch Kohl, Schröder und Merkel ist zu 100% gelungen und jetzt wird das deutsche Volk arm gemacht.

Thorsten
1 Jahr her

Es ist ganz klar eine parteiliche „Cui bono?“ Angelegenheit: da die SPD und Linken die Schuldigen und die Verlierer einer Nachwahl wären, wird es von den links-grünen Medien verharmlost und klein geredet.
Wenn es aber um die AfD gehen würde, dann gäbe es Zeter und Mordio.
Es ist ganz klar Parteilichkeit – alles Andere ist nur noch naiv und kindisch

littlepaullittle
1 Jahr her

Oder „Schummelei“ beim Dieselskandal ?
Wenn die juristische „Wahl“aufarbeitung so lange dauert wie die Aufarbeitung bei Volkswagen, dann sind sowieso zwei Legislaturperioden in Berlin vorbei.