Urteil zur Vielfalt in den Öffentlich-Rechtlichen schlägt weitere Wellen

Der VGH Baden-Württemberg öffnet – gestützt auf das BVerwG Leipzig – eine weitere Tür zur Prüfung, ob ARD/ZDF ihren Auftrag zu Vielfalt und Ausgewogenheit überhaupt erfüllen. Wenn nicht, wackelt die Beitragsgrundlage der Öffentlich-Rechtlichen. Jetzt droht eine regelrechte Klagewelle.

picture alliance/dpa | Uwe Anspach

Am 18. Dezember 2025 hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH BW) in Sachen ÖRR-Beitragspflicht die Berufung einer Klägerin gegen ein abschlägiges Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zugelassen (VGH 2 S 589/25). Es ging um die Frage, was gegen die Beitragserhebung geltend gemacht werden könne, wenn der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ein der Vielfaltssicherung dienendes Programm anzubieten, strukturell verfehlt werde.

Der VGH BW ließ damit eine Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 3. März 2025 – 3 K 4940/24 – zu. Der VGH BW berief sich vor allem auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerG) Leipzig vom 15. Oktober 2025 (siehe unten) und stellte eine „Divergenz“ des Urteils des VG Stuttgart zum Urteil des BVerwG fest.

Interview mit Carlos Gebauer
Nach dem Leipziger Urteil: „Der ÖRR wird nie mehr so sein wie vorher“
Explizit greift der VGH BW das im Leipziger Urteil festgehaltene Recht auf, dass der den Rundfunkbeitrag rechtfertigende individuelle Vorteil in der Möglichkeit liege, „ein den Anforderungen des klassischen Funktionsauftrags entsprechend ausgestaltetes Programm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten empfangen zu können.“ Mit „Funktionsauftrag“ sind die im Medienstaatsvertrag (MStV) verankerten Grundsätze gemeint: Sicherung der Meinungsvielfalt, umfassende Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung, basierend auf Objektivität, Unparteilichkeit und Ausgewogenheit.

Diesen höchstrichterlich, vom BVerwG am 15. Oktober 2025 festgehaltenen Grundsatz habe das VG Stuttgart im März 2025 noch nicht zugrundelegen können, so der VGH BW. Dennoch weiche die nunmehr angefochtene Entscheidung des VG Stuttgart vom 3. März 2025 jetzt objektiv von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab und sei entsprechend den dargelegten Grundsätzen umzudeuten.

Das Urteil des VGH BW und das vorausgehende Urteil des BVerwG wird eine Flut an Revisionen zulassen müssen. Medienanwalt Markus Haintz schreibt dazu:
„Die Verwaltungsgerichte Stuttgart und Karlsruhe (bekannt für dieses Vorgehen ist in Baden-Württemberg auch das VG Freiburg) haben sich hierfür nicht sonderlich interessiert und ihr ‚altes Programm‘ vor dieser Revisionszulassung (die aufgrund eines ‚Fingerzeigs‘ des Bundesverfassungsgerichts erfolgte) abgespielt.“ Man kann erwarten, dass jetzt bundesweit Tausende, wenn nicht gar eine fünfstellige Zahl an bislang von Gerichten zurückgewiesenen Klagen gegen die Zwangsgebühren zur Revision anstehen.

Was besagt das „Leipziger“-Urteil vom 15. Oktober 2025?

Nach Urteil Bundesverwaltungsgericht
Urteil zu Rundfunkgebühren – wie geht es jetzt weiter?
Eine Klägerin hatte 2022/2023 in Sachen Rundfunkgebühr gegen den Bayerischen Rundfunk geklagt. Begründung: Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) fehle es an Meinungsvielfalt. Sie sehe deshalb keinen „individuellen Vorteil“ von der Möglichkeit den ÖRR zu nutzen und wolle den Beitrag nicht zahlen. Damit war die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht München (Urteil vom 21.09.2022, Az. M 6 K 22.3507) und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, Urteil vom 17.07.23, Az. 7 BV 22.2642) gescheitert. Die Bürgerinitiative Leuchtturm ARD hatte den Streitfall dann vor das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig gebracht.

Am 15. Oktober 2025 hat der 6. BVerwG-Senat das Berufungsurteil des BayVGH schließlich aufgehoben. Dazu berief sich der Leipziger Senat auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2018 (1 BvR 1675/16 u.a.). Dessen Bindungswirkung hätten die Vorinstanzen – so das BVerwG – verkannt. „Karlsruhe“ hatte damals die Beitragspflicht für verfassungskonform erklärt, aber die Beitragspflicht auf den individuellen Vorteil bezogen, ein den Anforderungen des Funktionsauftrags entsprechendes Programm nutzen zu können. Dieser Funktionsauftrag verlangt, dass die ÖRR Vielfalt sichern und als Gegengewicht zum privaten Rundfunk Orientierungshilfe bieten.

Die Leipziger Richter öffnen schließlich einen kleinen Spalt für einen Hebel gegen den Rundfunkbeitrag. Ihre Argumentation: Es fehle an der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Beitragspflicht, wenn das ÖRR-Gesamtprogramm über mindestens zwei Jahre evident und regelmäßig die Anforderungen an Vielfalt und Ausgewogenheit verfehle. Die Schwelle sei damit jedoch hoch, betonte der Senat.

Was aber bietet der vom BVerwG geöffnete kleine Spalt für eine Aushebelung der Beitragspflicht? Eine Verweigerung des Beitrags sei zwar nur bei „gröblicher und längerfristiger Verfehlung“ möglich. Das ist eine große Hürde. Vor allem weil es dazu wissenschaftlicher Gutachten und mehrjähriger Analysen bedarf. Immerhin aber können/müssen Verwaltungsgerichte jetzt prüfen, ob der Programmauftrag hinsichtlich Vielfalt und Ausgewogenheit erfüllt wird.

Dieses Urteil ist keine totale Klatsche für die Zwangsgebühr, aber ein Erfolg für die Kritiker bzw. Verweigerer der Zwangsgebühr. Rechtsanwalt Dr. Harald von Herget sieht das so. Für ihn ist das Urteil „eine Herausforderung“, den Nachweis zu erbringen, dass der ÖRR keine ausreichende Meinungsvielfalt biete. Klar, so von Herget, sei freilich, dass es nicht ausreiche, einzelne Kritikpunkte zu sammeln, sondern dass das Gesamtprogramm in den Blick genommen werden müsse. Von Herget ist Vorstandsmitglied des Vereins „Bund der Rundfunkbeitragszahler„, der u.a. zusammen mit der Leuchtturm-Bürgerinitiative auf grundsätzliche Änderungen im ÖRR hinwirken will. Dieses Bündnis veröffentlicht unter „Akte ÖRR“ laufend aktualisiert krasse Beispiele von Verstößen der ÖRR gegen deren Pflicht zur Ausgewogenheit und gegen sparsames Haushalten.

Ausblick

Apropos Nachweis der (Nicht-)Ausgewogenheit: Das Schweizer Unternehmen Media Tenor mit Sitz im schweizerischen Rapperswil-Jona liefert fundierte Analysen zur Berichterstattungstendenz von Medien. „Media Tenor“ bescheinigt ARD und ZDF politische Schlagseite. TE hat am 9. Februar 2025 ausführlich darüber berichtet.

Das heißt: Ein Anfang zum aufwendigen Nachweis der Einseitigkeit der ÖRR ist über individuelle Erfahrungen hinaus längst gemacht, aber ausbaufähig und ausbaubedürftig. Auch die Universitäten hätten hier einen Auftrag. Auf dass die vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig möglich gemachten Hebel gegen die Zwangsgebühren wirklich angesetzt werden können. Es wird gewiss ein langer Weg, aber es lohnt sich, ihn zu beschreiten.


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Kommentare ( 21 )

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Kassandra
5 Stunden her

Link zu Media Tenor hier: http://de.mediatenor.com/de/bibliothek/berichte/1255/bericht-zur-lage-der-informationsqualitaet-in-deutschland auf Read more klicken Prof. Dr. Christian Riecküber die Studie im Februar 2023: https://www.youtube.com/watch?v=0fInTjgqZjc . Weshalb aber nicht endliche Beweislastumkehr „beklagen“? Denn die Sendungsmacher wissen doch am Besten, was sie da über uns bringen und sind deshalb auch am Besten in der Lage, die linke Ausgewogenheit des Programms vorzustellen. Rundfunkstaatsvertrag § 11 verlangt generelle Ausgewogenheit. . Die Berliner Zeitung schreibt zudem am 22.12.2025, dass das „politische“ Kontrollgremium gar nicht geeignet ist, für „Ordnung“ zu sorgen: In den Aufsichtsgremien des ÖRR sind teilweise so viele Politiker, dass sich das Bundesverfassungsgericht vor elf Jahren in einem… Mehr

Sagen was ist
6 Stunden her

„Urteil zu……Öffentlich-Rechtlichen schlägt weitere Wellen“

Der Titel ist ein bloßer Teaser, denn selbst die höchst schlagenden Wellen
verlaufen sich alle – immer.

Kassandra
5 Stunden her
Antworten an  Sagen was ist

Jeder macht mal „Fehler“ – und gerade der „Beitragsservice“ als verlängerter Arm der örr-Anstalten scheint mir bei der jetzt immer deutlicher werdenden gesetzlichen Wackellage in immer schwächere Positionen zu kommen. Die haben übrigens die www dort überarbeitet – aus welchem Grunde auch immer. Bleiben tut das aus dem Impressum: ARD ZDF Deutschland­radio Beitrags­service ist eine öffentlich-rechtliche, nicht rechtsfähige Gemeinschafts­einrichtung der in der Arbeits­gemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rund­funk­anstalten der Bundes­republik Deutsch­land (ARD) zusammen­geschlossenen Landesrund­funkanstalten, des ZDF und des Deutschland­radio zum Zwecke des Einzugs der Rundfunk­beiträge nach dem Rund­funk­beitrags­staatsvertrag. . Wie aber können die als „nicht rechtsfähig“ Zwangsvollstreckungen veranlassen? Kann das hier jemand… Mehr

es beleidigt meinen Verstand
6 Stunden her

man suche bei tagesschau.de nach ‚hate aid‘ und dann nach ‚jacques baud‘
so geht öffentlich rechtliche Ausgewogenheit und Information

Kassandra
5 Stunden her

Man kann auch die Einfärbung von Wetterkarten seit 1990 bis heute als Beweis vorlegen. Ist ja alles bei denen im Archiv – und raussuchen, was sie da Tag für Tag im Vergleich fabrizieren sollten sie es sich selber können.

Retlapsneklow
6 Stunden her

Was, wenn die persönlichen Wahrnehmungen der Zuschauer den Wissenschaftlern widersprechen? Gilt dann, was Wissenschaftler behaupten, das die Zuschauer gesehen hätten?

Kassandra
5 Stunden her
Antworten an  Retlapsneklow

Seit Klima und Corona aber auch zu vielen anderen Themen sind „Wissenschaftler“ auch nicht mehr das, als was wir sie früher aufs Podest stellten. Gerade unter Mithilfe des örr hat sich die Masse hinter die Fichte führen lassen – wie beim CO2 eben auch. Echte Experten lachen sich rund über das, was sie mit uns inzwischen machen – hier bei Joe Rogan: „Retired MIT scientist LAUGHS off the claim that “the science is settled” on climate change. Once you hear this, it becomes clear that anyone insisting “the science is settled” has no idea what they’re talking about: “On the… Mehr

Klaus D
6 Stunden her

über mindestens zwei Jahre….dann könnte der örr aber auch über 2 jahre extrem einseitig berichten ohne das was passiert. Und wie lange muss er dann neutral berichten? Wenn er dann 1 monat neutral berichtet hat fängt die 2 jahresfrist dann von neuem an? Und wenn er das macht (ausgewogen berichten) wird das ja erst recht nichts am rundfunkbeitrag ändern bzw die könnten eher mehr fordern.

Kassandra
5 Stunden her
Antworten an  Klaus D

Bei Beweislastumkehr müssen die beweisen, was sie tun –
immerhin haben sie die vollen Archive, die die dauerhaft angerichtete Misere belegen.
Nehmen wir nur Harald Lesch, wie ihn Gunnar Kaiser über die Jahre ertappen konnte: https://www.youtube.com/watch?v=KWq3nXt7hPU
Hier weiter: https://www.youtube.com/watch?v=bpRZGZsNd8E
All das muss weit mehr als ausreichend sein, den Beitrag weiter einzubehalten.

Wilhelm Roepke
7 Stunden her

Jeder Mosaikstein gegen diese Regierungspropaganda hilft. Aber man kann einen Sandhaufen nicht in 10 Minuten mit einem Teelöffel wegschaufeln. Aber man kann damit beginnen. Und 1.000 Leute mit 1.000 Teelöffeln sind schneller als einer.

Richy
7 Stunden her

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn dieser Rundfunkbeitrag endlich fallen würde, dann müssten wir endlich solche Typen wie Hayali, Böhmermann, Wellmer, Lanz, Illner, Miosga, um nur einige zu nennen, nicht mehr zwangsfinanzieren.

Guzzi_Cali_2
7 Stunden her

Die können von mir aus ihr vollkommen ideologisiertes Programm machen so lange sie wollen – es ist mir vollkommen gleichgültig, was die senden oder nicht. Nur will ich nicht dafür zahlen – um das geht es. Es könnte so einfach sein: Wer guckt oder hört, zahlt. Wer nicht, der nicht. Die wahre Angst der ÖRR nebst ihren Politschranzen ist, daß wenn die die Zwangszahlungen aufheben, dann guckt auch keiner mehr – wer will für den Müll schon bezahlen? Und damit geht der Politschranzeria natürlich ihr Sprachrohr flöten. Das will von denen natürlich keiner. Würde es wegfallen, müßten sich die Polit-Clowns… Mehr

Peter Gramm
7 Stunden her
Antworten an  Guzzi_Cali_2

…“ Wer guckt oder hört, zahlt. Wer nicht, der nicht.“…dann hätten aber die wohlversorgten und über die Maßen gepamperten ÖRR Günstlinge und Moderatoren ein Problem ihre überdimensionierten Einkommen zu erklären und begründen. Momentan reichen Gier, Geldgier und gierig sein völlig aus.

Will Hunting
6 Stunden her
Antworten an  Guzzi_Cali_2

Mich würde folgendes interessieren . Hat die Selbstmordrate parallel zum erweiterten Informationsfluss und Unterhaltung durch Internet und Privatfernsehen abgenommen.
Auf Facebook kursieren Fernsehzeitungsausschnitte 70 bis 90 Jahre.
Jetzt weiß ich warum Schusswaffen reglementiert werden.

Alf
7 Stunden her

ARD/ZDFVielfalt und Ausgewogenheit?
Wer solche Dinge zu Weihnachten sendet

ARD zeigt Weihnachtsmesse mit Schleim-Jesus

https://www.bild.de/regional/baden-wuerttemberg/live-im-fernsehen-ard-zeigt-christmette-mit-schleim-jesus-694e6bfdba368aa0126a3a92

hat jedwede Legitimation als ÖRR verloren.
Für diesen Dreck fehlen einem die Worte.
Kein Wunder, daß Kirchenaustritte zunehmen
Wäre doch mal ein Thema für die Weihnachtsansprache des Papstes.

Jan Frisch
7 Stunden her

Steht der Gebührenzahler also in der Nachweispflicht für das gesamte Angebot des ÖRR den Nachweis der Unausgewogenheit zu liefern? Für die Tagesschau um 20 Uhr wurde der Nachweis längst von Alexander Teske geliefert, ein Anfang ist also gemacht.

Kassandra
5 Stunden her
Antworten an  Jan Frisch

Konkret das ist der Fehler – den es umzukehren gilt.
Wieso sollen 1000e Beitragsverweigerer dem Moloch örr mit der Speerspitze „Beitragsservice“ beweisen, was der örr, link wie er personalisiert ist, eh in jeder Sendeminute zum Besten gibt?