Unübliche Gedanken zum Politik-Betriebstyp der Koalition

Will der Souverän gar nicht souverän sein, sondern sich unterwerfen, nicht Hirte sein, sondern bestenfalls Hütehund, und vielleicht am liebsten - Schaf?

Ein Witz: Kommt der Chef in eine jüngst in Betrieb genommene Halle und findet sämtliche Werkbänke unbesetzt. Verwundert macht er sich auf die Suche und trifft die neu eingestellte Belegschaft schließlich in der Kantine an, wo sie mächtig am Diskutieren ist. Nach Sinn und Zweck des Beisammenseins und einem guten Grund für die Abwesenheit vom Arbeitsplatz befragt, erhält der Chef die, mit einem Gemisch aus Verwunderung und Amüsement vorgetragene, Auskunft, man habe noch einiges untereinander zu klären, etwa wer mit wem könne, was man in nächster Zeit zu tun gedenke und wer überhaupt das Sagen habe. In allen diesen Fragen divergierten die Ansichten noch beträchtlich; man gebe sein Bestes, aber eine Einigkeit sei noch nicht in Sicht. Und man bitte nun, fortfahren zu dürfen, was ja auch im besten Interesse des Unternehmens sei. 
Prächtige Leute, denkt unser Chef, lüftet als Zeichen der Anerkennung seinen Schutzhelm und setzt seinen Rundgang dann erleichtert fort… (Wie gesagt: ein Witz.)

Kein Witz: Kommt der Souverän in ein Parlamentsgebäude und findet im Plenum sämtliche Bänke unbesetzt. An der Infotheke erhält er die Auskunft, die Angehörigen der Parteien säßen zu Sondierungsgesprächen für mögliche Koalitionen beisammen und seien mächtig am Diskutieren. Die letzte Wahl habe zu Sitzverhältnissen geführt, die eine Regierungsbildung nur über sehr ungewöhnliche Koalitionen erlaube. Widerstrebendes sei zusammenzuführen, das könne dauern, da müsse man Geduld haben. Aber er könne beruhigt sein, die Damen und Herren geben ihr Bestes. Zwar sei noch nicht absehbar, wer mit wem zusammengehe, aber letztlich werde man sich, wie immer, zusammenraufen. 
Prächtige Leute, denkt der Souverän, und dass er in deren Haut nicht stecken wolle. Er dankt für die Auskunft, tippt an seinen Hut und schreitet von dannen…

Ob es den Souverän stört, wenn wir ein paar kritische Fragen stellen?

Was erlaubt eigentlich den wochenlangen Verzug bis zur Aufnahme der parlamentarischen Arbeit? Hat das Volk nicht bereits durch seine Wahl eine Entscheidung gefällt, nämlich Delegierte bestimmt und damit Aufträge erteilt? Mit welchem Recht begeben sich die Parteien also in Verhandlungen untereinander, ist ihr Verhältnis nicht primär eines zu den Wählern? 
Mit welchem Recht arbeiten sie gar an einem Vertrag, der sie untereinander bindet – haben sie nicht längst einen Vertrag, nämlich mit dem Volk? 
Und ist ein Koalitionsvertrag (wie Fraktionsdisziplin und -zwang) nicht geradezu wider den Geist des Grundgesetzes, insofern er dem Abgeordneten der beteiligten Parteien, der doch im von Gesetz und Gewissen gesteckten Rahmen frei sein soll, Zügel anlegt?

Oder hinkt der Vergleich zwischen Unternehmen und Staat? Ist der Souverän eines demokratischen Landes nicht in dem Sinn Herr seines Landes wie der Chef Herr seines Unternehmens? 
Oder ist einfach die Interessenlage eine andere: Will das Staatsvolk die Macht gar nicht innehaben, sondern sie vielmehr los sein? Nicht souverän sein, sondern sich unterwerfen, nicht Hirte sein, sondern bestenfalls Hütehund, und vielleicht am liebsten – Schaf?

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