Unfreiwillig komisch: Friedrich Merz will Bürokratie abbauen

Friedrich Merz will die Bürokratie abbauen – das wollen Bundesregierungen seit sechs Jahrzehnten. Wenn nun ausgerechnet der wankelmütigste aller Kanzler versucht, “konkret” zu handeln, wird das schnell unfreiwillig komisch.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Liesa Johannssen

Wenn Friedrich Merz (CDU) redet, bietet sich ein Trinkspiel an: Ein Schnaps für jedes Mal, wenn der Kanzler das Wort “konkret” erwähnt. Wer da mitmacht, ist ordentlich besoffen aus der Pressekonferenz zur Klausur des Kabinetts herausgegangen. Merz will mit dem Wort betonen, dass er nicht nur Veränderungen ewig ankündigt, sondern tatsächlich etwas tut. In der Klausur ging es vor allem um den Abbau der Bürokratie in Deutschland. Die haben Merz und seine Minister beschlossen. Konkret.

Was denn nun genau passiert? Im Detail? Also sozusagen konkret? Das lässt sich noch nicht sagen. Denn das Kabinett hat nur beschlossen, dass es zu Vorhaben, die bereits im Koalitionsvertrag stehen, nun Entwürfe geben soll. Am besten noch bis Weihnachten. Also hat Merz wieder mal ein Versprechen gemacht, das er faktisch gebrochen hat. Doch Vorsicht. Wer nach jedem Versprechen, das der Kanzler bricht, einen Schnaps trinken will, wird schnell ein Fall für die Suchtklinik.

In der Amtszeit Helmut Kohls gab es eine andere Reihenfolge: Zuerst haben die Ministerien einen konkreten Entwurf entwickelt und untereinander abgestimmt, dann haben der Kanzler und seine Minister im Kabinett darüber beraten und letztlich entschieden. Damit hat Kohl dafür gesorgt, dass Absichten und Verfahren nicht im Streit einzelner Beamter zerbröseln. Die Regierung Merz macht es anders: Sie liefert erst die Überschriften und gibt die Vorhaben dann in die Ministerien. Was herauskommt ist damit offen – und in der Hand der Bürokratie.

Dieser Unterschied mag wie ein Detail wirken. Aber er ist entscheidend. In der Regierung Kohl lag der Schwerpunkt auf den Inhalten. In der Regierung Merz zählen nur die Überschriften. Was dann “konkret” im Gesetzverfahren passiert, ist Glückssache. Im Fall von Friedrich Merz allerdings meist Pechsache. Denn, was als wünschenswertes Vorhaben startet, etwa der überfällige Abbau der längst dysfunktionalen Bürokratie in Deutschland, das endet dann oft in Murks – und im Gegenteil dessen, was die Regierung ursprünglich beabsichtigt und versprochen hat.

Je nach Gemüt kann man es mit Humor oder in Angstzuständen wahrnehmen, dass sich nun der wankelmütigste aller deutschen Kanzler ausgerechnet den Bürokratie-Abbau als Thema ausgesucht hat. Im Baurecht hat schon Helmut Schmidt (SPD) als Kanzler den Vorschriften-Dschungel angemahnt. Doch den hat seitdem keine Regierung gelichtet, stattdessen ist er tüchtig ausgewuchert. Seit sechs Jahrzehnten versprechen also deutsche Regierungen Bürokratie-Abbau. Es braucht eine große Menge an Schnaps, um zu glauben, dass ausgerechnet Merz darin Erfolg hat.

So wie der Kanzler betont, dass er zusammen mit seinen Ministern “sehr konkrete Beschlüsse gefasst” habe, ist das Gegenteil zu erwarten. Es gilt die alte Thekenregel: Es redet nur dann jemand oft darüber, etwas zu tun, wenn er es in Wirklichkeit nie tut. Etwa, wenn Merz betont, “eine wirklich richtig gute High-Tech-Agenda“ beschlossen zu haben – dann möchte man ihm eine Show auf Comedy Central anbieten, aber nicht das Kanzleramt. Die konkreten Entwürfe zu dieser “wirklich richtig guten” Agenda liegen noch nicht vor. Selbstredend.

Zu seiner Offensive gegen die Bürokratie hat Merz vorab ein Papier in den staatlichen, staatsnahen und jedenfalls regierungstreuen Medien verteilen lassen. Die betonen etwa im Deutschlandfunk, wie “konkret” die 80 darin enthaltenen Vorhaben seien. Es mag schwer sein, einem Chihuahua das Männchen-Machen beizubringen – mit Mitarbeiter des Deutschlandfunks fällt das gegenüber der Regierung indes leicht.

Geht nun ein richtiger Journalist die 80 Vorhaben durch, lautet das Ergebnis, dass die schwarz-rote Regierung kaum etwas anderes ankündigt, als es ihre Vorgänger in den vergangenen sechs Jahrzehnten getan haben – vergeblich. So will die schwarz-rote Regierung die Arbeit der rund 400 Zulassungsbehörden in Deutschland harmonisieren und auf einer Internetseite dem Bürger aus einer Hand anbieten lassen. Gute Idee. Grundsätzlich. Nur der konkrete Entwurf liegt halt noch nicht vor. Jetzt ist es an den Bürokraten, das unbürokratisch umzusetzen.
Lücke zwischen Pathos und Realität

Die Lücke zwischen Pathos und Realität sorgt immer wieder für unfreiwillige Lacher. Etwa, wenn Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) pompös sagt: “Der Status Quo ist unser Gegner. Wir brauchen eine Bereitschaft, wirklich maßgebliche Veränderungen in unserem Land voranzutreiben.” Und dann bestehen diese Veränderungen konkret darin, weitere Verwaltungsschritte übers Internet zu ermöglichen.

Wogegen nichts spricht. Womit Deutschland aber im Vergleich zu etwa den Ländern des Baltikums um zwei Jahrzehnte im Rückstand ist. Wenn sich jetzt eine Regierung von willigen Journalistendarstellern dafür feiern lässt, dass sie diesen Rückstand endlich abbauen will – ohne konkrete Entwürfe dafür zu haben – dann ist das vielleicht unfreiwillig komisch. Vor allem aber ist es peinlich.

Apropos unfreiwillig komisch. Einer der 80 Punkte ist die Pflichtschulung von Beamten. Die Bürokraten sollen in Kursen lernen, weniger bürokratisch zu sein. Da würde es sich lohnen, Kameras aufzustellen. Die Erben Preußens lernen, pragmatisch statt umständlich zu denken. Das Format wäre für den Spartensender Comedy Central zu groß. Das ließe sich weltweit als Humor-Gigant verkaufen. Mit dem Geld aus den Rechten ließe sich der Haushalt mal mit Einnahmen statt mit Schulden oder höheren Steuern sanieren – für Lars Klingbeil wäre das tatsächlich mal eine konkrete Veränderung. Prost.

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Kommentare ( 63 )

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M.Peter
2 Monate her

Selten so eine treffende Beschreibung des bundesdeutschen Wahnsinns und der Verursacher dieses Irrsinns gelesen.

wackerd
2 Monate her

Diese Regierung ist sowas von Retro, dass die nicht mal merken, wie banal die alten Worthülsen ihres „Microsoft Word Starter 2010“ Programms sind. Denn daraus stammen die Ankündigungen „Konkrete Politik“.

jopa
2 Monate her

Als erster Schritt: Hebt alle Gesetze der letzten 10 Jahre auf. Folgen unter anderen: Verbrennerverbot: weg, Heizungsverbot: weg, Lieferkettengesetz: weg, Postenadipositas: abgebaut.

jopa
2 Monate her

Wenn ich diese beiden, Fritze und Lars, höre, dann frag ich mich: WER hat dieses Land in den letzten 50 Jahren regiert? WER hat die Bürokratie so aufgeblasen? WER fordert noch mehr Bürokratie? Es ist wie bei der Ziege aus dem Märchen: Ich bin so satt ich mag kein Blatt/Vorschrift. Wovon soll ich satt seit, ich fand kein Blättlein/Paragrafen.

AlexR
2 Monate her

Wollte das ein Stoiber nicht auch? Bürokratie abschaffen. Hat auch nicht geklappt, aber dafür hatte Stoiber in seinen gestammelten Werken wenigstens Unterhaltungswert.

Moses
2 Monate her

Solche Versprechungen sind für ihn superleicht, weil er auch genau so leicht lügt.
Das letzte mir bekannte Beispiel ist mit Israel gebunden. Merz hat berichtet, dass die vertraglich vereinbarten Militärlieferungen an Israel teilweise reduziert worden seien, aufgrund des Krieges im Gazastreifen, also der Zerstörung der Hamas.
 In Wirklichkeit hat Israel seit diesem Tag überhaupt keine Lieferungen mehr aus Deutschland erhalten. Das ist eben das übliche Verstehen von deutschen Staatsraison.

gernot69gernot
2 Monate her

Ich bin jetzt hoffnungsfroh das der Merz sich endlich zu Herrn Javier Milei bekennt und die Kettensäge herausholt. Kraftvoll mit ungebremsten Elahn und ganzem persönlichem Einatz wird er dise Aufgabe meistern an dem viele schon gescheitert sind,er wird in das Olymp der Helden einziehn Dies ist dringend nötig um die Demokratie zu retten.Oder bleibt es doch nur eine fette Osterente die auf dem Weihnachtswunschzettel steht?
Achtung Satire ist möglich.

epigone
2 Monate her

Die Verwaltung in Deutschland ist ein kompletter Irrsinn! Beliebige Beispiele sind möglich, hier mal eines aus dem Bildungsbereich: Wer BaföG empfängt, und zum Beispiel als Mediziner im praktischen Jahr zwei oder drei Ausbildungsabschnitt im Ausland absolviert, muss für jeden einzelnen Ausbildungsabschnitt BaföG neu beantragen. Denn in der Regel ist die Zuständigkeit für die ausländischen Nationen jeweils in einem anderen Bundesland angesiedelt. Im Falle meines Sohnes bedeutet das, wenige Monate vor dem Ablegen des dritten Teils des Staatsexamens und damit der Approbation als Mediziner: Er musste vier mal ein BaföG Antrag stellen, und zwar jedes Mal vollständig. Erst noch für Deutschland… Mehr

Giovanni
2 Monate her

Bravo! Merz hat es geschafft. Er wird von der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr ernst genommen!

Peter Triller
2 Monate her

Bürokraten schaffen keine Bürokratie ab, sondern schaffen nur immer größere Bürokratien. Ohne „Kettensäge“ geht hier gar nichts, d.h. Kündigungsschutz und Bestandsschutz für Beamte und Angestellte abschaffen, das Leistungsprinzip einführen, wer nicht leistet fliegt raus. Alle Aufgaben, die nicht hoheitlich sind, also innere und äußere Sicherheit betreffen sowie das Justizsystem, werden privatisiert. Punkt!