Rede zum 8. Mai: Der Bundeskanzler als Nebelwerfer

Der Bundeskanzler wendet sich am 8. Mai an die Bürger in Deutschland. Doch seine historischen Vergleiche sind ziellos. Nur ein paar Sätze lassen etwas erahnen. Olaf Scholz laviert herum – und scheut die Beantwortung der wichtigen Fragen.

IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Olaf Scholz ist sehr ergriffen – so will er jedenfalls wohl wirken. Mit überlangen Pausen sollen die vom Teleprompter abgelesenen Sätze eindringlicher klingen, doch die Miene bleibt regungslos. Der Versuch, in zehn Minuten etwas Sinnvolles zum 8. Mai und zum Krieg in der Ukraine zu sagen, verschwimmt in einem Wort-Nebel. Die Mehrheit der Formulierungen stammt wohl aus dem eingestaubten Baukasten für Erinnerungskultur-Reden jeglichen Anlasses. Dazwischen finden sich nur wenige Sätze, die etwas bedeuten – oder jedenfalls bedeuten könnten, wenn man sie so verstehen will. Die Rede wirft am Ende mehr Fragen auf, als sie beantwortet.

Der Höhepunkt der Rede ist dann folgerichtig eine weitere eingerostete Phrase: „Nie wieder!“ klagt Scholz mit leicht zittriger Augenpartie und etwas verkrampfter Miene in die Kamera, fast hätte er sich dabei noch verhaspelt. „Nie wieder Krieg. Nie wieder Völkermord. Nie wieder Gewaltherrschaft“. Er hätte gleich noch „Nie wieder Krankheit, nie wieder Dürre, nie wieder Vergewaltigung“ anhängen können.

Es ist eine typische Scholz-Rede: Die merkwürdig ineinander verschachtelten Argumente scheinen vor allem eine so perfekt abgerundete Oberfläche zu erzeugen, dass jede Säge der Kritik an ihr abrutscht. Es ist insofern ein geschicktes Hin-und-Her: Er beginnt seine Rede mit einer Schilderung der deutschen Kriegsschuld vor allem gegenüber Russland und der Ukraine, um Putins Vergleich des Krieges heute mit dem Zweiten Weltkrieg dann als geschichtsvergessen darzustellen.

Dann sind es Passagen wie diese, die einen ratlos zurücklassen: „Präsident Putin setzt seinen barbarischen Angriffskrieg sogar mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus gleich. Das ist geschichtsverfälschend und infam. Dies klar auszusprechen, ist unsere Pflicht. Doch damit ist es nicht getan. Es war der militärische Sieg der Alliierten, der der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland ein Ende setzte. Wir Deutsche sind dafür bis heute dankbar!“

Es ist eine merkwürdige Verknüpfung der Geschichte mit der Situation heute – aber was soll sie bedeuten? Dass wir Russland dankbar sind – oder, dass auch heute ein militärischer Sieg gegenüber einer Diktatur das Ziel ist?

Seine endlose Abrundung setzt sich fort. Einmal äußert er großes Verständnis für die Kritiker von Waffenlieferungen, ohne den Gedanken sinnvoll zu Ende zu führen. Dann kündigt er an, dass Deutschland weiterhin auch schwere Waffen liefere – „immer sorgfältig abwägend“. Das oberste Ziel sei es, dass die Nato in keine Kriegshandlungen hineingezogen wird – den Sieg der Ukraine gibt er dennoch als Ziel aus, wie auch immer das erreicht werden soll.

Man könnte den Bundeskanzler grundsätzlich für eine gewisse Abwägung loben, aber die Rede bleibt am Ende ziellos: Scholz verzichtet darauf, seine Politik zu benennen und bleibt bewusst im Vagen. Es ist der Versuch einer Rede, aus der jeder das herauslesen kann, was ihm gefällt und die gleichzeitig niemanden provoziert.
Es ist ein Wunschkonzert: Man will nicht nachgeben, aber auch nicht kämpfen. „Nie wieder“ bedeutet also wie immer: Deutschland legt sich auf den Rücken und doziert darüber, wie schrecklich die Welt ist. Scholz laviert sich weiterhin aus der Verantwortung. Und gerade das ist an einem so historischen Tag verheerend.

Wenn man schon über die Lehren spricht, dann müsste man sie auch ziehen. Und die Lehre muss mehr sein, als Krieg schlimm zu finden. Die Lehre wäre, dass wir in Zukunft handeln, bevor es zu spät ist. Dass wir eine Politik des Wegsehens beenden, die ja erst in diese Situation geführt hat.

Statt darüber zu sprechen, ob Deutschland ein Embargo nun wolle oder nicht (es geht leider ohnehin nicht), müsste man darüber sprechen, wie man Deutschland ernsthaft aus der Energieabhängigkeit von Russland befreit. Dafür aber müsste man nicht nur über kurzfristig gemietete LNG-Terminals sprechen, sondern an die Glaubenssätze der Politik dieses Landes heran. Man müsste darüber sprechen, ob Kohle- und Atomausstieg unter diesen Bedingungen noch haltbar sind.

Richtig ist es auch, über eine Neuausrichtung der Verteidigungspolitik zu sprechen. Dann ist es aber nicht sinnvoll, ein Budget von 100 Milliarden in die Welt zu posaunen und es dann nach nur wenigen Wochen Schritt für Schritt zurückzunehmen – und außerdem eine offensichtlich ungeeignete Verteidigungsministerin im Amt zu lassen. Man müsste über die grundsätzlichen Fehler Deutschlands im Umgang mit seinen Partnern sprechen. Und dann müsste man auf die Krisenherde der Zukunft schauen – und sich fragen, wie man etwa dem von China bedrohten Taiwan helfen kann. Und man müsste sich gerade am 8. Mai mit der Frage der Sicherheit Israels beschäftigen – und einen kritischen Blick auf Projekte wie den Iran-Deal entwickeln.

Zur Verantwortung des „Nie wieder“ gehört es, sich mit unangenehmen Fragen zu beschäftigen, bevor es zu spät ist. Und die Fragen zu beantworten, die wirklich im Raum stehen.

Und so wird Olaf Scholz seiner Verantwortung nicht gerecht. Niemand hat ihn gezwungen, an so einem Tag eine geschichtsträchtige Rede zu halten. Wenn man es aber tut, kann man sich nicht hinter Teleprompter-Phrasen verstecken. Der Bundeskanzler lässt die Bevölkerung im Dunkeln über seine Agenda. Das lässt schon nichts Gutes erahnen – zu befürchten ist allerdings, dass er auch selbst nicht weiß, wo er hin will.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 21 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

21 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Kassandra
1 Jahr her

Es war Propaganda.
Ein Trommeln zum Einverständnis zum Krieg.
Unter Auslassung dessen, was vor dem Einmarsch der Russen den Menschen im Donbass angetan wurde. Unicef listet aus der Sicht von Kindern den Bürgerkrieg seit 2014, der die Welt trotz der vielen Toten und großer Zerstörung nicht interessierte: https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/krieg-in-der-ukraine-uebersicht
Bei weitem keine „geschichtsträchtige“ Rede. Dafür zu viele Täuschungen und Auslassungen – mitsamt der Vorgabe der Denkrichtung, dass es nur einen Schuldigen gäbe. Weit gefehlt – es ist vieles ganz anders, als sie uns weismachen wollen.

Last edited 1 Jahr her by Kassandra
Klaus Kabel
1 Jahr her

„Die Deutschen sind dermaßen damit beschäftigt,
den letzten Holocaust nachträglich zu verhindern,
dass sie den nächsten billigend in Kauf nehmen.“

Henry M. Broder

ersieesmussweg
1 Jahr her

Franzosen und Russen gehört das Land,  Das Meer gehört den Briten, Wir aber besitzen im Luftreich des Traums, Die Herrschaft unbestritten.“
Heinrich Heine
Ist es das, was Scholz sagen wollte?

Turnvater
1 Jahr her

Zur Verantwortung des „Nie wieder“ gehört es, sich mit unangenehmen Fragen zu beschäftigen, bevor es zu spät ist. Und die Fragen zu beantworten, die wirklich im Raum stehen.“

Eine dieser unangenehmen Fragen wäre beispielsweise die, weshalb sich die EU zum Schoßhündchen der USA machen läßt.

N. Niklas
1 Jahr her

Man könnte auf den Gedanken kommen, dass Scholz gar nichts zu sagen hat. Dann ist der Titel „Scholzomat“ wahrscheinlich berechtigt. Als nächstes finden wir heraus, dass Analena eine selbst von ihren Gegnern völlig überschätzte Hupfdohle ist, die ebenfalls nach vorne auf die Bühne geschoben wurde, aber Null Gehirn hat und das Robert Habeck ein leerer Anzug ist, der nur redet und tut, was sich Andere von ihm wünschen. Möglicherweise erkennen wir dann auch, dass Christian Lindner ein biegsamer selbstgefälliger Schwindler, Wolfgang K. ein notorischer Wüstling, Karl Lauterbach nur entlaufen ist. Eine echte Sensation wäre das allerdings alles ebenfalls nicht.

Fenris
1 Jahr her

Er hat eben von der Besten gelernt, wenn es darum geht viel zu reden und nichts zu sagen. So ist das heute. Bloss nicht anecken, sondern irgendwelche Phrasen dahinsäuseln. „Der Deutsche“ möchte nicht mit klaren Meinungen von Politiker belästigt werden. Er döst lieber vor sich hin und vertraut darauf, was die superschlauen Entscheider machen. Wird schon richtig sein. Die Landtagswahl gestern hat doch gezeigt, wie zufrieden die Wähler sind. Das schwankt dann mal ein bisschen zwischen SPD und CDU wem man sein Kreuzchen schenkt. Das wars dann aber auch. Die Verantwortlichen für das Abschaffen der Grundrechte der Bürger während dieser… Mehr

haasel
1 Jahr her

20 Jahre Afghanistan – und jetzt ist für Frauen wieder die Vollburka eingeführt – die mit Augenschutz! So viel zum Fortschritt der von außen-Einmischung!

Peter Klaus
1 Jahr her
Antworten an  haasel

Statt unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen, verteidigen unsere Gutmenschen jetzt den Burkini im örtlichen Freibad. 1:0 für die Taliban würde ich jetzt mal zynisch behaupten 😉

Julischka
1 Jahr her

Für ALLE, nur ja nicht für unsere eigenen Leute! Wenn ich heute in diesem total kranken Land für MEINE Kinder auf die Straße gehe, muß ich mich rechtfertigen, beschimpfen und diskriminieren lassen, mache ich das für die Kinder der anderen bin ich eine Heldin, dabei nehme ich „nur“ mein „Fürsorgerecht“ und deren „Pflicht“ und die Verantwortung für meine Kinder ernst und überlasse das nicht dem Staat!