Tschüss, Realität – die Regierung will nicht mehr

Die Ampel produziert fleißig Gesetze und bringt neue auf den Weg. Allerdings: Nichts davon hat etwas mit den brennenden Problemen im Land zu tun. Es findet eine Simulation von Politik statt – mit Unterstützung vieler Medien.

picture alliance / Metodi Popow

Die Regierungskoalition in Berlin rühmt sich regelmäßig ihres Fleißes. Ihre Vertreter, allen voran die Grünen, präsentieren lange Erledigungslisten; viele weitere Vorhaben, heißt es dann, seien schon auf den Weg gebracht. Das stimmt insoweit, als die Ampel tatsächlich als Maschinerie funktioniert, die Gesetze in großen Mengen ausstößt. Die Emsigkeit, mit der die Politiker der drei Parteien Paragrafen fabrizieren, kann ihnen niemand absprechen. Gerade erst winkte sie die Legalisierung von Cannabis durch, am Freitag das Selbstbestimmungsgesetz, in dem es allerdings nicht um bürgerliche Selbstbestimmung geht, sondern darum, auch autoritäre Forderungen der Translobby in Gesetzestexte zu gießen.

— Familien-, Senioren-, Frauen- & Jugendministerium (@BMFSFJ) April 12, 2024

Als nächstes steht das Demokratieförderungsgesetz an, das den Geldfluss an linke Vorfeldorganisationen verstetigen soll. Außerdem plant die Regierung, das Namensrecht so zu ändern, dass Ehepartner aus ihren Namen nach Gusto einen gemeinsamen mischen können, Verkehrsminister Volker Wissing bringt Sonntagsfahrverbote für das Klima ins Spiel; die Zukunftskommission Landwirtschaft schlägt vor, die Mehrwertsteuer auf Fleisch zu erhöhen. Viel zu tun also.

Die selbstgebastelte Aufgabenliste der rastlosen Koalitionäre bietet, um einmal eine grüne Lieblingsvokabel zu verwenden, eine ziemlich bunte Vielfalt. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit aller Vorhaben: Nichts davon hat irgendetwas mit den Krisensymptomen zu tun, unter denen das Land oder vielmehr seine Bürger leiden. Deutschland geht ins zweite Rezessionsjahr, es fällt gegenüber anderen Industrieländern immer deutlicher zurück. Die Unternehmensflucht beschleunigt sich, von BASF über Autozulieferer bis zum Haushaltsgerätehersteller Miele und den Kettensägenhersteller Stihl, der lieber in der Schweiz als in Deutschland produzieren will. Wenn Firmen nach Deutschland kommen, dann oft nur, wenn Milliarden aus der Staatskasse die Nachteile ausgleichen. Politiker bekennen sich unentwegt zur Entbürokratisierung, während sie immer neue ausgefeilte Regelungen ausarbeiten, die beispielsweise den Wohnungsbau so teuer und aufwendig machen, dass viele, die bauen könnten, es lieber bleiben lassen.

Die ungebremste Asylzuwanderung bringt Kommunen zur Verzweiflung, die für fantastische Summen ganze Hotels anmieten oder Containersiedlungen errichten, um Neuankömmlinge unterzubringen. Die importierte Kriminalität steigt in einem Maß, das auch die Innenministerin nicht mehr wegerklären kann. Es fehlen Polizisten, Staatsanwälte, Richter, allein in Berlin, darauf weist der Oberstaatsanwalt Ralph Knispel hin, schiebt die völlig überlastete Justiz 35.000 offene Verfahren vor sich her. Schon deshalb enden viele Ermittlungen mit Einstellung, Straftäter kommen aus der U-Haft frei, weil die Behörde es nicht schafft, die Anklage rechtzeitig fertigzustellen.

Ein Sofortprogramm für Regierungspolitiker in Bund und Ländern schriebe sich praktisch von selbst. Genau darin liegt offenbar aus Sicht der Verantwortlichen die Zumutung. Der postmoderne Politiker will sich seine Agenda unbedingt selbst schreiben, statt sie sich von der Realität diktieren zu lassen. Alles, was die Ampel abarbeitet und demnächst angeht, entspringt entweder der Absicht, Punkte beim eigenen Wählermilieu zu sammeln, wobei hier die Grünen ihre Punkte am erfolgreichsten durchsetzen. Oder das Projekt soll politischen Druck mildern, etwa bei Wissing, der hofft, mit seinem Fahrverbotsvorschlag der grünen Dauerkritik an seiner Amtsführung zu entkommen. Außerdem spielt es eine entscheidende Rolle, wie das Berliner Kommentariat Gesetzesvorhaben aufnimmt. Höhere Steuern auf Fleisch, das finden viele wohlmeinende Medienschaffende gut.

Alles in allem: Politik betreiben die Minister dieses Regierungsbündnisses nur noch für sich selbst, ihre unmittelbaren Unterstützer und für Politikjournalisten. Selbst wenn die Cannabis-Freigabe weniger bürokratisch angelegt wäre und nicht der Justiz die Aufgabe aufhalsen würde, alte Strafen wegen Grasbesitz zurückzunehmen, was bedeutet, sie mühsam aus Gesamtstrafen herauszurechnen, selbst wenn das Selbstbestimmungsgesetz keine Sanktionen gegen Leute enthielte, die jemand mit seinem früheren Namen ansprechen, selbst wenn temporäre Fahrverbote für irgendetwas sinnvoll wären – es handelt sich durchweg um politische Angebote, für die es bei der Bevölkerungsmehrheit keine Nachfrage gibt. Die meisten Deutschen hätten vermutlich nichts gegen eine Änderung des Namensrechts. Sie finden es nur nicht wichtig, und sie stellen fest, dass umgekehrt alles, was sie als drängend wahrnehmen, im Regierungsviertel keine Rolle spielt.

Wirtschaftsminister Robert Habeck sinniert zwar ab und zu, die deutschen Unternehmenssteuern seien im Vergleich zu den Wettbewerbern zu hoch. Von einem Vorschlag, sie zu senken, ist weit und breit nichts zu sehen. Die Asylmaßnahmen auf EU-Ebene, die Ampelpolitiker als bedeutsame Wende bewerben, ändern an der Lage in Deutschlands Städten und Landkreisen nicht das Geringste. Erstens treten sie erst in zwei Jahren in Kraft, zweitens machen sie es anderen Ländern leicht, sich von der Verpflichtung freizukaufen, überlasteten Ländern Asylbewerber abzunehmen. Von allem wirklich Wichtigen halten sich die Koalitionäre fern, weil sie schon vorher wissen, dass sie sich in der Ampel nicht darauf einigen könnten. Meist deshalb, weil jeder Schritt dazu am Widerstand der Grünen scheitern würde.

Steuersenkung, um die wirtschaftliche Abwärtsfahrt zu bremsen? Bloß nicht. Grüne und SPD klagen jetzt schon über Geldmangel und suchen nach neuen Wegen, um Schulden zu machen. Die Wirtschaftstransformation mit Zukunftsentwürfen vom Reißbrett kostet nun mal. Entbürokratisierung? Gerade dann, wenn ein politisches Projekt der Gesellschaftsveränderung dienen soll, geht es nun mal nicht ohne Kontrolle, also Bürokratie, siehe Heizgesetz. Einigermaßen unbürokratisch funktioniert nur die Geldvergabe aus dem „Demokratie leben!“-Topf von Familienministerin Paus: Da genügt es offenbar, dass die richtigen Leute die gewünschte Summe aufs Antragsformular schreiben.

Auch eine wirksame Eindämmung der Asylzuwanderung, das machen die Grünen bei jeder Gelegenheit klar, gibt es mit ihnen nicht, weil der harte Kern ihrer Wähler – also gut acht bis zehn Prozent der Bevölkerung – das nicht goutieren. Etwas mehr als die reguläre Amtszeit liegt hinter der Koalition, die offenbar beschlossen hat, sich von der Politik im eigentlichen Sinn zu verabschieden.

Die Simulation von Regierungstätigkeit funktioniert nur deshalb noch einigermaßen, weil viele Hauptstadtmedien und insbesondere die Öffentlich-Rechtlichen die Agenda des Nebensächlichen und Unwichtigen einfach übernehmen. Zum Selbstbestimmungsgesetz etwa gab es große Beiträge, es ist Talkshow-tauglich. Die mediale Behandlung suggeriert, hier würde die Regierung ein brennendes Problem anpacken. Es gibt an diesem Gesetz vieles zu kritisieren, vor allem seinen illiberalen Zwang – aber selbst diese Kritik hilft paradoxerweise dabei, ein Thema als große Auseinandersetzung zu inszenieren, das angesichts der wirklichen Probleme und Zuspitzungen nur eine winzige Fußnote darstellt.

Andere Medienbeiträge beschäftigen sich dann wieder mit der Frage, warum derart viele Bürger das Vertrauen nicht nur in die Regierung, sondern in den Staat insgesamt verlieren. Aber auch hier liegt die Antwort und damit das nächste Projekt schon fix und fertig bereit: Dann muss eben mehr Geld an NGOs fließen, die den Bürgern nahebringen, wie Demokratie funktioniert.


Unterstützung
oder