Wer nicht rotgrüne Sprüche nachbetet, muss Nazi sein

Elitenkritik ist im woken Deutschland out – es darf im besten Deutschland aller Zeiten nicht passieren, dass eine Minderheit einer Mehrheit vorschreibt, was es zu tun gilt. Denn wer mächtige Minderheiten hinter dem vermutet, was derzeit passiert, ist mit Sicherheit Antisemit. Auch, wenn er nur am Treffen einer CDU-Denkfabrik teilnimmt.

Screenprint: Youtube/DenkfabrikR21

Darf man noch „Eliten“ sagen? Geht es nach den Grünen und einigen Journalisten, ist Elitenkritik derzeit mindestens auf demselben Nazi-Level wie Autobahn. Denn hinter jedem, der meint, dass Herrschaft von einer wie auch immer gearteten Minderheit ausgeht, steht mit Sicherheit ein Antisemit, der nur nach einem kryptischen Code sucht, um dahinter das Finanzjudentum zu verstecken. Das klingt hanebüchen – ist es auch.

Hintergrund war ein Beitrag des ARD-Magazins „Kontraste“. Inhalt: eine Veranstaltung der CDU-Denkfabrik R21 des Mainzer Historikers Andreas Rödder. Das Thema schmeckte offenbar wenigen: Es ging um den woken Kreuzzug in der Gesellschaft und die Konsequenzen für die Demokratie. Neben Rödder und der ehemaligen Bundesministerin Kristina Schröder ist auch Dieter Nuhr dabei. Alles keine Randgestalten. Doch das Magazin versucht dann doch, aus dem CDU-Treffen eine Art Mischung aus NPD-Parteitag und Aluhutträger-Symposion zu machen.

— ÖRR Blog. (@OERRBlog) November 11, 2022

Schröder sagt schlichtweg etwas, das man nicht widerlegen kann: Die Anhänger der Wokeness sind eine Minderheit. Und Dieter Nuhr: Eine machtvolle kleine Elite versucht, gegen eine Mehrheit der Bevölkerung zu steuern. Das alles inszeniert „Kontraste“ so, dass es irgendwo als bedrohlich daherkommt, mit besorgt-dunkler Kommentatoren-Stimme. Gut, dass man Albrecht von Lucke dazugewinnen kann. Der unterstellt gleich, dass die CDU mit der Kritik gegen Wokeness das „eigentliche Problem“ in Deutschland, nämlich den Rechtsextremismus, kleinrede.

Denn in der Welt linker Politik und linker Medien ist nicht etwa die Wokeness der Extremismus – nein, Extremist ist, wer gegen Wokeness ist. Doch einigen ist das noch nicht genug. Die grüne Abgeordnete Marlene Schönberger deutete das Geschehen gleich auf ganz eigene Weise:

Die Rede von ‚mächtigen Eliten‘ & ‚Strippenziehern‘, die ‚Politik, Medien & Börse kontrollieren‘, ist fester Bestandteil antisemitischer Narrative – seit Jahrhunderten.“

Das ging schnell. Und um diese Logikakrobatik auch noch zu untermauern, folgt sogleich ein Papier der Amadeu-Antonio-Stiftung. Darunter macht sie es nicht. Das man dadurch zugleich in Erklärungsnöte kommen könnte, weil man selbst nur zu gerne die Macht der Auto-Lobby, der Atom-Lobby, der Kohle-Lobby oder anderer böser Konzerne samt des weißen Patriarchats und anderer Strukturen wiederum zum non plus ultra der eigenen Narrative erklärt – dafür reicht das logische Denkvermögen offenbar nicht aus. Was sonst hat denn die damals von Medien und auch Linken bejubelte Occupy-Bewegung („Wir sind die 99-Prozent!“) betrieben als eine solche Elitenkritik?

Das Wort „Elite“ hat dabei schon Machiavelli seines elitären Duktus’ entkleidet. Für Machiavelli waren die Eliten schlicht diejenigen, die an den Hebeln der Macht saßen – gleich welcher Qualität und Profession. Im Wesentlichen handelt es sich damit auch um den Elitenbegriff des Autors: Elite ist, wer oben sitzt. Ein roter Faden in Machiavellis Werk ist daher auch das Machtstreben, aber vor allem auch die Machtsicherung der Herrschenden, die qualifiziertere Kräfte absägen (Machiavelli meinte sich damit als Leidtragender auch selbst) und den Aufstieg von Gegenkräften verhindern. Der meisterlich von Machiavelli beschriebene Aufstand der Ciompi (Wollweber) ist ein bis heute zeitloses Dokument davon, wie eine große, aber machtlose Gruppe von einer kleinen, aber gut verdrahteten Junta außer Gefecht gesetzt wird.

Zu Machiavellis historischer Leistung gehört, die Machtmechaniken der Eliten schonungslos beschrieben und analysiert zu haben; wer im dreckigen Spiel der Politik mitmachen wollte, sollte wissen, mit welchen Methoden er zu rechnen hatte. Hier liegt übrigens ein Missverständnis der meisten Machiavelli-Interpretationen: Machiavelli hat nicht dazu geraten, sich wie die Machteliten zu verhalten, sondern im Zweifelsfall zu wissen, wie man deren Tricks beantwortete, und auch selbst „Böses zu tun“. Der Florentiner selbst träumte von der Meritokratie – aber dafür musste die dekadente und korrupte Schicht von Netzwerkern weichen, die die Staatströge besetzen.

Kommt das Szenario bekannt vor? Es wundert nicht, dass der Sumpf der Republik Florenz dem der Republik Berlin nach fünfhundert Jahren verblüffend ähnelt. Die Zeiten mögen sich ändern, der fehlerbehaftete Charakter des Menschen bleibt. Und ebenso wie damals müssen heute diejenigen Leute zuerst mit Verleumdung rechnen, die auf den Schmutz zeigen. Wie damals die florentinischen Patrizier vor sich den gravitätischen Anspruch hertrugen, nur am Wohle des Vaterlandes interessiert zu sein, sind es heute die Grünen, die nur sich selbst als Mehrheit – früher hätte man gesagt: Volk – identifizieren können. Denn wenn man von sich selbst abstreitet, eine Minderheit zu vertreten, bleibt letztlich nur der Schluss übrig, sich selbst für die Mehrheit zu halten.

An dieser Stelle treffen sich übrigens Machiavelli und Tocqueville, die mit den Konzepten von Elite und Tyrannei der Mehrheit nur scheinbar sich widersprechende Konzepte vertreten. Machiavellis Zeit stellte die Idee des Souveräns über die Idee der Masse; dass eine Volksmenge mit größerer Legitimität herrschen sollte als einer nur von den Reichsten gewählter Bürgermeister oder von den Fürsten gewählter König, war der Renaissance noch fremd. Ab dem 18. Jahrhundert dominiert dagegen der Gedanke, dass einzig der Zuspruch der Mehrheit die benötigte Legitimität für Herrschaft schafft.

Tocqueville, Realist wie Machiavelli, erkannte daher in seiner Zeit die Vorboten der Massengesellschaft, in der das Individuum vom Totalitarismus derjenigen zerdrückt wird, die im Namen der Mehrheit sprechen. Der Anspruch, die Mehrheit zu vertreten, ist gleichbedeutend mit dem „L’État, c’est moi“ von Ludwig XIV. Wer sich auf die Mehrheit berufen kann, ist unantastbar wie früher der französische König, dem im Mittelalter sogar Heilungskräfte nachgesagt wurden. Ob man von Gottes Gnaden oder der Mehrheit auserwählt wurde, ist dabei nur eine Formalität: Es kommt auf die daraus abgeleitete Wirksamkeit an. Der Zeitgeist macht seinen Kotau, so nur jemand eine Umfrage hervorholt, die etwa die steile These eines Experten dadurch bestätigt, dass auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter so einem Vorschlag stehen würde.

Denkfabrik Republik 21
Die Mitte regt sich – gegen die woke Freiheitsbedrohung
Sich in Erinnerung zu rufen, dass historisch immer wieder kleine Gruppen, entweder durch Berufung auf hehre Ideale, Ziele oder auch die Mehrheit eine ganze Gesellschaft kapern konnte, gehört daher zu den ersten Tugenden eines geschichtsbewussten Menschen. Keine Ideologie hat als Massenbewegung begonnen. Ihr organisches Wachsen haben immer wieder (auch) interessierte Kreise befördert. Hätte die Gesellschaft von 1968 etwas von dem Deutschland 2022 gewusst, hätte sich außer den hartgesottenen Maoisten kaum jemand für die rot-grünen Ziele hingegeben. Durch einen längeren Prozess der Durchdringung, Besetzung von Schlüsselstellung und Ausnutzung der Gutgläubigkeit des politischen Gegners haben die geistigen Vorgänger jener Leute, die Elitenkritik mit Antisemitismus gleichsetzen wollen, die ideologische Zukunft gebahnt.

Nur verständlich, dass man sich nun dieses Mittels bedient, jede Kritik zu ersticken: Die einmal gewonnene Hegemonie will man nicht so einfach abgeben. Schließlich weiß man selbst, dass auch eine kleine Gruppe viel mehr ausrichten kann, als man gemeinhin glaubt. Dass der Widerspruch zudem nicht vom extremen Rand, sondern der zentristischen Union kommt, ist dabei umso gefährlicher. Sollte die domestizierte Partei tatsächlich auf die Idee kommen, beim Thema Farbe zu bekennen und statt des geringsten Widerstandes die in der Mehrheit tatsächlich unbeliebte Wokeness bekämpfen, bedeutete das schließlich den Verlust der allzu lieb gewonnenen Posten. Dafür kann man auch mal gerne das schwerste Geschütz aufbieten, dass die politische Sprache der Bundesrepublik zu bieten hat.

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