Hendrik Wüst: „Das Konservative gehört nicht zum Markenkern der CDU“

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hat sich entpuppt und ist in die Spur seines Vorgängers Armin Laschet eingetreten. „Konservativ“ gilt auf den Fluren der CDU-Zentrale bereits als Schimpfwort zur Etikettierung unbequemer Leute. Der Ausverkauf der CDU setzt sich fort.

IMAGO/Political Moments

Ein paar Unentwegte, mittlerweile wohl Unverbesserliche, meinen immer noch, mit Friedrich Merz (66) als CDU-Vorsitzendem würde die CDU wieder Land bei den konservativ-bürgerlich-liberal-christlich eingestellten Wählern gewinnen. Aber diese Hoffnung dürfte wohl endgültig perdu sein. Merz hin oder her: Die CDU ist auf dem Weg zu einer der mittlerweile mindestens vier woken Blockparteien. Mit oder ohne Merz – diese Frage stellt sich schon gar nicht mehr. Denn die CDU beschreitet den Weg nach links und damit zurück in die Merkel-Phase mit Merz (siehe sein Eintreten für die Frauenquote), und sie beschreitet diesen Weg längst ohne Merz, besser: ohne auf Merz Rücksicht zu nehmen.

Eine der CDU-Zukunftshoffnungen hat dies jetzt in einem Interview brutalst möglich deutlich gemacht. Der neue NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU; 47), (vermeintlicher) Chef einer schwarz-grünen/grün-schwarzen/grün-grünen (?) Koalition, sagte soeben in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS): „Der Markenkern der CDU war nie das Konservative, sondern das Christliche.“ Konservatives und Christliches ein Ausschließungsgegensatz? Das mag verstehen, wer will.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Mit den bisherigen CDU-Parteiprogrammen ist Wüsts reichlich apodiktisch-programmatische Aussage nicht vereinbar. Ein Blick in die CDU-Parteiprogramme seit dem ersten Programm von 1978 reicht. Dort lesen wir unter anderem den Satz:

„Bei aller notwendiger Veränderung, bei allem Wandel und aller Modernisierung – wir stehen als Christlich Demokratische Union auf einem festen Wertefundament. Unser Bekenntnis zum christlichen Menschenbild, zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und zu unseren drei Wurzeln – der christlich-sozialen, der liberalen und der konservativen: All das ist Grundlage unserer Politik für unser Land und seine Menschen. Gestern, heute und in Zukunft.“

Auch im dritten und bisher letzten Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2007 ist das Konservative gleich zu Beginn hervorgehoben:

„Die CDU ist die Volkspartei der Mitte. In ihr sind auch heute die politischen Strömungen lebendig, aus denen sie nach 1945 entstanden ist: die christlich-soziale, die liberale und die wertkonservative.“

Merkel hat das freilich nie interessiert. Für sie galten die Prinzipien Beliebigkeit und Beweglichkeit. „Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial.“ So formulierte es Merkel bei „Anne Will“ im März 2009. Ferdinand Knauß hat das in seinem Buch „Merkel am Ende“ so zusammengefasst: „Merkel steht für nichts.“ Einer der letzten standhaft konservativen in vorderen CDU-Rängen, der vormalige brandenburgische CDU-Vorsitzende Jörg Schönbohm, formulierte es so: Merkel hat das Tafelsilber der CDU verschleudert. Mit verschleudert haben dieses Tafelsilber auch andere, zum Beispiel der Kurzzeit-CDU-Vorsitzende und krachend gescheiterte Kanzlerkandidat des Jahres 2021 Armin Laschet: Anfang 2018 hatte er – wie sein NRW-Nachfolger Wüst – ebenfalls in der FAS gemeint: „Unser Markenkern ist eben nicht das Konservative.“

Hendrik Wüst hat sich also entpuppt und ist in die Spur seines NRW-Vorgängers Laschet eingetreten. Wahrscheinlich hat es Wüst nicht ruhen lassen, dass er am 23. Oktober 2021 von der Zeit als „Der konservative Posterboy“ vorgestellt wurde.

Austrittsschreiben
Junge Christdemokraten rechnen mit ihrer Partei ab: CDU in zu vielen Bereichen „Teil des Problems“
Wüst weiß auch, dass er ziemlich genau zwanzig Jahre jünger ist als Merz. Und dass er das bevölkerungsgrößte Bundesland sowie den größten CDU-Landesverband repräsentiert. Da blühen Phantasien. Und da gilt es Vorkehr zu treffen – auch in einer zunehmend unprofessionellen Distanzlosigkeit gegenüber kulturmarxistisch aufgestellten ideologischen Gegnern. Zum Beispiel hatte sich Wüst am 3. Juli 2022 beim Christopher Street Day (CSD) zum Frontmann gemacht – neben den Grünen Claudia Roth und Sven Lehmann.

Damit bleibt: Der Ausverkauf der CDU setzt sich fort. Konservative dort gelten als Aussätzige, die man gefälligst nicht mehr als Redner, Berater, Autoren oder Podiumsdiskutanten haben will. „Konservativ“ gilt auf den Fluren der CDU-Zentrale bereits als Schimpfwort zur Etikettierung unbequemer Leute. Und das schon seit langem. Insofern ist es kein Wunder, wenn es auch in der CDU keine konservativen Intellektuellen gibt.

Das heißt: Die Zukunft der CDU gehört den programmatisch Flexiblen – jetzt schon unter Merz und nach Merz erst recht. Die Claims sind abgesteckt. Die beiden neuen Landesregierungen von Schleswig-Holstein (angeführt von „Genosse Günther“, CDU) und Nordrhein-Westfalen (angeführt von Hendrik Wüst) zeigen überdeutlich, wohin der Hase läuft: offiziell und auf dem Papier derzeit in Richtung Schwarz-Grün, dann bald in Richtung Grün-Schwarz, schließlich in Richtung Grün-Grün.

Ein Friedrich Merz wird daran nichts ändern. Er bleibt auf dem Weg weg von der Adenauer- und Kohl-CDU ein Übergangsmann, selbst wenn es ihm für wenige Jahre doch noch gelingen sollte, Kanzler zu werden.


Unterstützung
oder

Kommentare ( 49 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

49 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Juri St.
1 Jahr her

Das Konservative war DER Markenkern der CDU. Wüst gehört nicht zum Markenkern der CDU. Und Merz mit seiner Anbiederung an die Grünen ist DIE Enttäuschung des Jahres. Vom Hoffnungsträger zum Waschlappen, der beim leichtesten Gegenwindstoß umfällt.

RauerMan
1 Jahr her

Konservative (Das Bewährte bewahrende) werden ihren Markenkern außerhalb der Union betonen.
Andere Länder, wie Schweden, Dänemark oder auch jetzt Italien machen es vor.
Vorverurteilungen seitens dt.Altparteien sind typisch und verfolgen das Ziel das Bewährte nicht zurückzuverlangen, da das die heutige Union zerstören würde.
Es ist ein langer Marsch, daß die Wahrheiten sich durchsetzen, aber es wird kommen, die Fakten beeinflussen das Leben immer negativer, bisherige wirksame Propaganda zerlegt sich selbst.

LadyGrilka55
1 Jahr her

„Das Konservative gehört nicht zum Markenkern der CDU“?

Haben wir schon lange gemerkt. Deswegen wählen Selberdenker die AfD, die einzige echte Oppositionspartei, die einzige Partei, die nicht mit den Grünen ins Bett gehen würde.

Es ist aber gut, dass Wüst so deutlich wird. Vielleicht merken dann die immer noch konservativen und trotzdem Immer-noch-CDU-Wähler endlich, dass diese Partei nur noch ein Abklatsch der Grünen bzw. der roten Parteien ist, und beginnen sich hoffentlich endlich zu fragen, welche Partei als einzige noch konservative Werte in Deutschland vertritt!

Harry Charles
1 Jahr her

ICH GLAUBE,

Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Alfred Dregger, Manfred Wörner, Heinrich Windelen, Franz-Josef Strauß und all die vielen anderen Konservativen (die die CDU/CSU einst groß gemacht haben und denen die heute verdanken, dass sie [unerklärlicherweise, wer wählt die noch?] immer noch bei knapp 30% sind, die würden es anders sehen als der woke Wüst.

Babylon
1 Jahr her

Man könnte Hern Wüst ja einmal fragen: „Also lieber Herr Wüst, die CDU ist Ihrer geschätzen Meinung nach keine konservative Partei, empfehlen sie also konservativen Wählern die CDU nicht zu wählen und in diesem Fall, welche Partei dann?“
Herr Wüst müßte erst einmal nachdenken, dann ins Stottern geraten, um schließlich irgendeinen Unsinn zu antworten.

bkkopp
1 Jahr her

Es ist leider so. Merz macht keine Anstalten dies zu ändern. Es hat natürlich auch schon 1978 Leute gegeben, die die CDU-Programmatik als mit Worthülsen angereichert gesehen haben. Die Nachkriegsplutokraten und alle Altbesitzer von Sachwerten und/oder Anteilen an Sachwerten, hatten damals schon ca. 30 Jahre ( seit 1949) sehr erfolgreich daran gearbeitet, die Erhard’sche Idee von “ Wohlstand für Alle “ (1957) in weiten Teilen zu verhindern. Die mit Flick/Brauchitsch berühmt gewordene “ Pflege der politischen Landschaften “ war sehr effektiv, hatte aber weder mit der ordoliberalen sozialen Marktwirtschaft, noch mit Erhard’s Versprechen etwas gemeinsam. Die Wohnungseigentumsquote war damals unter… Mehr

akimo
1 Jahr her

interessante WortEntwicklung zum dritten Programm, dass Sie zitieren: da taucht das Unwort ‚Wertkonservativ’ auf. Und das bedeutet: alles nur nicht konservativ, ich war früher konservativ, jetzt bin ich rechts. So drücke ich das gegenüber meinen Freunden jetzt aus und es fühlt sich gut an.

Last edited 1 Jahr her by akimo
Jan
1 Jahr her

Der Markenkern der CDU ist das Opportunistische. Könnte man mit Konservativ-Sein die größten Wahlerfolge einfahren, wären Wüst und Günther ganz stramm dabei. Jede Partei zieht bestimmte Menschentypen an, bei den Unionsparteien ist der Opportunismus am stärksten ausgeprägt. Weil Grün die Meinungsführerschaft erobert hat, versucht man bei Schwarz auf der Erfolgswelle mitzureiten. Eigene Erfolgswellen zu kreiieren, dazu ist man bei den mutlosen und schlaffen Unionsparteien nicht in der Lage. 50 Jahre profitierte man von einem gesellschaftlichen Grundkonservatimus und nachdem dieser durch gesellschaftlichen Wandel aufgeweicht war, orientierte man sich vor 20 Jahren langsam um.

LadyGrilka55
1 Jahr her
Antworten an  Jan

„Könnte man mit Konservativ-Sein die größten Wahlerfolge einfahren, wären Wüst und Günther ganz stramm dabei.“ Das klingt wahrscheinlich. Im Übrigen KÖNNTE man mit Konservativ-Sein durchaus Wahlerfolge einfahren, vielleicht sogar „größte“, wenn man den Mut und das Standvermögen hätte, eigene klare Standpunkte zu haben und diese gegen den linksgrünen Mainstream auch offensiv und öffentlich zu vertreten! Würde die CDU durch klare Ansage gegen den dümmlichen linksgrünen Zeit(un)geist glänzen, würde sie die Wahrheit sagen im Hinblick auf die relevanten Themen wie Migration, Klima, EU, Corona usw., könnte sie viele Bürger erreichen, die die Nase voll haben von den Lügen und Beschönigungen der… Mehr

Last edited 1 Jahr her by LadyGrilka55
Dieter Kief
1 Jahr her

Dass jemand seine Partei als Marke betrachtet ist genau das, was Giorgia Meloni ausdrücklich zurückweist als die „umfassende Kommerzialisierung des Lebens“!
Nebenbei: Giorgia Meloni Meloni verankert ihre Kritik – genau wie ihr Freund Viktor Orban – in ihrer christlichen Überzeugung. Diese Dinge scheinen Hendrik Wüst nicht hinreichend klar zu sein.

ludwig67
1 Jahr her
Antworten an  Dieter Kief

Eine erfolgreiche Marke ist zuallererst ein bestimmter Platz im Bewusstsein. Grüne = Umwelt, SPD = Sozial, usw.
CDU = ? Und genau das ist das Problem. Wer eine solch schwache Politmarke hat, muss darauf hoffen dass die anderen schwächer sind. Genau das hat die CDU unter Merkel so erfolgreich gemacht. Irgendwie immer besser als die jeweilige Alternative plus Mutti. Die Stärke der CDU war die Schwäche der Sozis. Immer wenn diese einen wirklich starken Kandidaten hatten (Brand, Schmidt, Schröder), sah es für die CDU schlecht aus.

LadyGrilka55
1 Jahr her
Antworten an  ludwig67

„Grüne = Umwelt“?
Diese Gleichsetzung ist nicht vollständig. Richtig müsste es heißen:
Grüne = Umweltzerstörer
Denn nichts anderes tun sie mit ihrem Windräder-Wahn. Sie wollen noch weitere Massen dieser Monster-Gerippe in die Landschaft stellen, damit noch mehr geschützte Vogelarten und Insekten vernichtet werden. Das hat mit Umweltschutz so viel zu tun wie Frau Baerbock mit Friedenspolitik.

„SPD = Sozial“?

Wann bitte war denn die SPD zum letzten Mal sozial? Dieser „Markenkern“ existiert doch nur noch in den Köpfen der ewig gestrigen Realitätsblinden. Andernfalls hätte die längst gemerkt, dass die SPD nichts mehr für die kleinen Leute tut wie ehedem.

kb
1 Jahr her

Und jetzt? Was ist die alternative? Das Problem ist doch nicht mehr die CDU. Das Problem ist das die wirkliche Alternative fehlt – die AfD kann es ja auch nicht.