GNTM – Germany’s Next Superbombe

Alle Jahre wieder beglückt ProSieben seine Zuschauer mit dem Casting-Format von Heidi Klum, in der „Germany’s Next Top Model“ gesucht wird. Jedes Jahr wieder strömen tausende junger Mädchen zu den Auditions in deutschen Großstädten, um sich vor den Augen der anderen Teilnehmerinnen und denen des TV-Publikums an den Bildschirmen daheim zu präsentieren. Dabei kann man sich ja nur zum Deppen machen, wissen die Medien (vorwiegend Frauen) und zum Opfer (wissen PolitikerInnen und Kölner Chefärzte in grünem Zwirn). 




Die übergestülpte Opferrolle changiert dabei abwechselnd von „werden zum Objekt der sexuellen Phantasie in den Köpfen der Männer gemacht“ oder „hungern sich für das Schönheitsideal eines Models zu Tode“ – kurzum: „Germany’s Next Top Model“ macht nicht nur krank am Körper, sondern auch völlig krank im Kopf. Wie besonders eindrucksvoll die Kritiker unter Beweis stellen.

Heidi Klum, das German Marketingwunderkind, ist dabei das personifiziert verdummende Böse, das junge Mädchen gleich einer Sirene mit schriller Stimme herbeilockt, um sie und ihre Träume anschließend an den steilen Klippen ihrer spitzen Hüftknochen zerschellen zu lassen.

Heidi Klum, eine Deutsche, die mit viel Ehrgeiz und viel Professionalität ein internationaler Superstar geworden ist und es dadurch zu erheblichem Wohlstand gebracht hat, kehrt nach Deutschland zurück. Kann Deutschland sowas verkraften? Einmal im Jahr kann es das nicht. Einmal im Jahr zeigt sich die ganze entstellte Einheitsfratze der lokalen Sittenwächter Politiker, Medien und FemTrolls bei Facebook und Twitter (rudimentäre Männlein mit Pflusenbart zähle ich explizit hinzu). Sie alle eilen und überholen sich darin, das Format zu verurteilen und die energische Blondine aus Bergisch Gladbach auf’s schärfste zu verdammen.

Allesamt Personen, deren lustvollen Träume darin bestehen, morgens in ein Chefbestimmerbüro zu schweben, auf dem der lange Konferenztisch reichhaltig mit Produktionspapieren zu Sendungen gedeckt ist, die einer Freigabe durch ihre Unterschrift bedürfen. DAS wäre eine schöne Welt nach ihrem Geschmack. Aber bis es soweit ist, muss eben Twitter herhalten. Oder das Feuilleton einer deutschen Tageszeitung. Oder die Steigbügelhalter der öffentlich-rechtlichen Medien.

Harald Martenstein schrieb einmal sehr treffend: Wenn der Lookismus erst mal abgehakt ist, werden sie sich als Nächstes den Writismus vornehmen.“

Gestern fand in Mannheim das alljährliche Finale von „Germany’s Next Top Model“ statt. Zehn Jahre #GNTM. Zehn Jahre keine der Finalistinnen deutsches oder internationales Top Model. Dafür 50 Tage Ruhm. Die Abwägung darf man ruhig jeder der Teilnehmerinnen selbst überlassen.

Vier Teilnehmerinnen, jede hübsch anzuschauen, musste einen wochenlangen Hindernisparcours überwinden, um sich gegen ihre Mitstreiterinnen durchzusetzen. Ihr Weg führt sie dabei weit fort von zuhause; sie kommen nach Los Angeles, nach New York, nach Sydney, nach Mailand – einige der Kandidatinnen umrunden dabei einmal die ganze Welt und bekommen dabei einen tatsächlichen Eindruck, wie es in dem Leben eines erfolgreichen Models zugeht. Sie arbeiten mit bekannten oder neuen, erfolgreichen Fotografen zusammen (die letzte Staffel war komplett durchzogen von Christian Schuller) und erhalten dabei Bilder für ihre Präsentationsmappen, von denen Newcomer, die den deutschen Markt bearbeiten, wirklich träumen können. Bilder aus solch aufwändigen Photo-Produktionen wie ausgestrahlt, werden die meisten Models im wirklichen Leben leider nie erhalten.

Julia Friese schreibt sich nun in ihrem Beitrag auf WELT.de „Abbruch war das beste, was GNTM passieren konnte“ ihre Abneigung über das ganze Format und den Inhalt von der Seele. Das ist ok. Aber einen Sendungsabbruch durch eine Terrorwarnung als „das beste“ zu bezeichnen, ist schon eine echt üble Überschreitung.

Eine freiheitliche Gesellschaft, die eine Castingshow aushalten – oder so sollte man doch meinen: frei wegschalten kann, erfreut sich an dem Zurückweichen durch einen angedrohten Terrorakt.

Der Niedergang in Progress.




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