Fake und Frame zugleich

Die grüne Vize-Bundestagspräsidentin Claudia Roth hält Abschiebungen nach Afghanistan nicht nur für rechtswidrig. Sie begründete ihren Standpunkt mit einer falschen Zahl.

Odd Andersen/AFP/Getty Images

Die Frage, ob Deutschland abgelehnte und vor allem straffällig gewordene Asylbewerber nach Afghanistan abschieben soll, gehört zu den heftigsten innenpolitischen Streitpunkten. Die grüne Vize-Bundestagspräsidentin Claudia Roth hält Abschiebungen in das Land nicht nur für rechtswidrig. Sie begründete ihren Standpunkt mit einer Zahl. In einem aktuellen Eintrag auf Facebook schrieb Roth:

„Erneut soll nach Afghanistan abgeschoben werden. Doch auch der einundzwanzigste Abschiebeflug ändert nichts an den Tatsachen vor Ort: Afghanistan ist nicht sicher, für niemanden, nirgends. Die Sicherheitslage ist katastrophal. […] In Afghanistan wütet einer der gewaltsamsten Konflikte der Welt, mit über 40000 Toten allein im letzten Jahr.“

Für die Zahl der 40.000 Toten nennt sie keine Quelle. Es gibt auch keine. Die Angabe ist frei erfunden. Halbwegs verlässliche Angaben über Gewaltopfer in Afghanistan sammelt seit Jahren die UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan). Nach ihren Angaben kamen in dem mittelasiatischen Land vom 1. Januar bis 30. September 2018 insgesamt 2.798 Menschen gewaltsam ums Leben, 5.252 wurden verletzt.

Im Jahr 2014 – ebenfalls Januar bis September – hatte die Zahl nach Angaben der Organisation den höchsten Stand seit 2009 erreicht (2.865 Tote). Mit dieser Todesrate gehört der Staat mit seinen 35,5 Millionen Einwohnern sicherlich zu den gefährlichen Ländern weltweit. Aber nie in den vergangenen zehn Jahren erreichte die Zahl auch nur annähernd die von Roth erfundene Größenordnung.

Nach der Statistik des „Institute for Health Metrics and Evaluation“ rangiert Afghanistan nach Durchschnittswerten von 1990 bis 2016 in der Mordrate pro 100.000 Einwohner weltweit auf Platz 11. (Die ersten vier Plätze nehmen El Salvador, Venezuela, Guatemala und Kolumbien ein.)

„Abschiebungen nach Afghanistan sind unter keinen Umständen zu verantworten“, schreibt Roth auf Facebook weiter: „Sie untergraben de facto internationales Völkerrecht.“

Einschlägiges Völkerrecht ist hier das „Abkommen zur Rechtsstellung von Flüchtlingen“ von 1951, das die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts bildet. In Artikel 33 heißt es:

„Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.

2. Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“

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Für verurteilte Straftäter und islamistische Gefährder ist die Ausweisung nach Afghanistan also völkerrechtlich jederzeit möglich. Gegen sie spräche auch bei einer gefährlicheren Lage in dem Land nichts. Auch diese Behauptung Roths führt also in die Irre.

Tausende Tote erfindet Claudia Roth nicht zum ersten Mal. Zum zweiten Jahrestag des Reaktorunfalls von Fukushima dichtete sie 2013 auf Facebook mit politischem Kalkül:

„Heute vor zwei Jahren ereignete sich die verheerende Atom-Katastrophe von Fukushima, die nach Tschernobyl ein weiteres Mal eine ganze Region und mit ihr die ganze Welt in den atomaren Abgrund blicken ließ. Insgesamt starben bei der Katastrophe in Japan 16.000 Menschen, mehr als 2.700 gelten immer noch als vermisst. Hunderttausende Menschen leben heute fernab ihrer verstrahlten Heimat. Unsere Gedanken sind heute bei den Opfern und ihren Familien.Die Katastrophe von Fukushima hat uns einmal mehr gezeigt, wie unkontrollierbar und tödlich die Hochrisikotechnologie Atom ist. Wir müssen deshalb alles daran setzen, den Atomausstieg in Deutschland, aber auch in Europa und weltweit so schnell wie möglich umzusetzen und die Energiewende voranzubringen.“

Damit suggerierte sie eine gewaltige Zahl von Opfern einer Atomkatastrophe, indem sie rund 16.000 Tote des Tsunamis einfach zu Fukushima-Toten umschrieb, um ein Argument für den damals wichtigsten grünen Programmpunkt zu finden. Bis heute liegt die Zahl der Strahlentoten durch Fukushima bei Null.

Über den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán sagte Roth übrigens im April 2018 im Fernsehsender Phoenix:

“Er hat eine widerwärtige, abscheuliche Kampagne gefahren, Ängste geschürt, hat die Gesellschaft gespalten und Lügen verbreitet.”


Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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Kommentare ( 182 )

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Ronald M. Hahn
4 Jahre her

Wenn die Taliban gewonnen haben… herrscht dann Frieden in Afghanistan? Kann man die Jungs, die jetzt bei uns rumsitzen und Kaffee trinken, dann nach Hause schicken? Oder werden die über Nacht alle schwul und dürfen bleiben, damit sich Frau Roth und ihren Sozialarbeit studiert habenden Schwestern im Geiste (vermutlich ohne Abschluss) ein neues berufliches Betätigungsfeld eröffnet, das der Malocher ausm Ruhrgebiet mit seinem Steuergeld finanzieren darf?

Bummi
4 Jahre her

Aufgrund ihrer sagenhaften Aussagen wurde die Dame Vizepräsident des Bundestages. Alles richtig gemacht. Die Kandidatin der AfD sollte sich ein Beispiel nehmen…wer lügt wird gewählt.

H.H.
4 Jahre her

Frau Roth hat auch damals flugs alle Toten durch den Tsunami zu Fukushima-Reaktor-Unfalltote umdeklariert.

Hadrian17
5 Jahre her

Mir ist schon lange unbegreiflich, dass es keine Qualitätskriterien für politisch Verantwortliche gibt. Wer als gewählter Volksvertreter mit Fakten spielt, gar „alternative“ Fakten darstellt um sein politisches Weltbild zu schützen und den Staat und damit die Verfassung verächtlich macht, indem … nun dieser „Protestmarsch“ ist hinlänglich bekannt, man braucht ihn nicht ständig zu wiederholen, dürfte doch eigentlich kein Repräsentant einer „pluralistischen Meinung“ sein. Und, wie in diesem Fall, noch eine Parlamentsfunktion ausüben … . Der Schaden, welcher der Demokratie so zugefügt wird, ist wohl als immens zu bezeichnen. Das Thema müsste also anders, demokratiekompatibel, angefasst werden. Hier sollte die Dame… Mehr

ehill
5 Jahre her

Was nützt es, C.R. der Lüge zu überführen, es nützt auch nichts, diese Person endlich aus dem ihr vom Intellekt und vom politischen Verstand und der Befähigung nicht zu stehenden Amt zu entfernen. Wir haben ein viel größeres Problem ganz oben und dieses Problem bedroht zunehmend unser gesamtes Land. Auch ganz oben werden immer hemmungsloser Tatsachen verdreht, unliebsame Personen entfernt, Wahrheiten unterdrückt, schwachsinnige Umweltpolitik betrieben, das Grundgesetz mit schweren Stiefeln getreten, massenhaft Milliarden verschleudert, die Zukunft unseres Landes massiv bedroht. Wenn an einer Stelle endlich eine Neubesetzung erfolgt, werden solche Lachnummern wie C.R. und viele andere gleichen Kalibers einfach verschwinden.

Contra Merkl
5 Jahre her

In Hessen gab es nahezu eine Verdoppelung auf 36 Badetote in 2018, dazu im Vorjahr nur 19. Dieses Land ist ganz gefährlich, insbesondere für Asylanten. Das sind meist Nichtschwimmer, die sehen wie andere Baden gehen. Wollen das nachmachen und ertrinken. Wäre Ihnen in ihrer Heimat nicht passiert, da gibt es schlicht nicht so viel Gewässer. Es kommen auch hier im Land immer wieder Menschen auf der Arbeit um oder haben Unfälle. Deswegen können aber nicht alle Zuhause bleiben, weil Sie eine gefährliche Arbeit haben. Das ist dann eine Sache der Arbeitssicherheit. Und was es in Afghanistan etc . für Meinungsverschiedenheiten… Mehr

Klaus Weber
5 Jahre her

Frau Roth sollte zur Kenntnis nehmen: Auf Dauer muss man abgelehnte Asylbewerber ungeachtet der Herkunftsländer generell abschieben. Die andere Alternative wäre, sie erst gar nicht mehr herein zu lassen! Jede andere Handlungsweise macht auf Dauer unseren Sozialstaat handlungsunfähig und zerstört die innere Sicherheit mit unabsehbaren Folgen. Ich verstehe nicht, warum niemand, außer der AFD, diese Banalität laut und deutlich ausspricht. Sind die etablierten Parteien so vernagelt oder planen Sie den Selbstmord?

5 Jahre her

Claudia Roth ist wohl das beste Beispiel dafür, wie ein Politiker nicht agieren sollte.
Frau Roth vereint in sich folgende Eigenschaften:
Überheblichkeit
Arroganz
Falschheit
Dummheit
und vieles andere mehr.
Dagegen steht auf der positiven Seite nahezu nichts.
Es erhebt sich die Frage, wie sie Bundestagsviezepräsidentin werden konnte. Zum Glück gab es genügend Gegenstimmen bzw. Enthaltungen.
Wo jedoch eine solche Frau ein derartiges Amt begleiten kann ist von der Politik nicht viel zu erwarten.
Diese Frau und die Politik der Grünen ist einfach nur populistisch und zum schämen.
Leider hat Deutschland viele Politikerinnen und Politiker von solchem Schlag.

MartinLa
5 Jahre her

Es kommt eben immer darauf an, wer die Lizenz für Lügen und üble Propaganda hat. Claudia Roth ist weder die einzige mit diesem Anspruch, noch ist sie selbsternannte Königin der Fake News. Eine ganze Partei und Medienschaffende weit darüber hinaus haben ihr Carte Blanche erteilt. Sie kann jeden Unsinn ungestraft verbreiten.

WU-Mitglied
5 Jahre her

PROPAGANDA ist der Fachbegriff. Dieses „framing“-Blabla gibt dem ganzen nur einen seriösen Anstrich.