Während ein deutscher General klagt, dass im Pentagon niemand mehr ans Telefon geht, verspottet Moskau den Kanzler und die USA warnen offen vor Europas „zivilisatorischer Auslöschung“. Merz wird zur Randfigur, Berlin zum Risikofaktor und Trump baut längst eine neue Sicherheitsordnung ohne Westeuropa. Die EU und Deutschland haben sich selbst ins Aus manövriert.
picture alliance / ZUMAPRESS.com | Kristina Kormilitsyna
Die Bundeswehr erreicht im Pentagon niemanden mehr. Generalleutnant Christian Freuding, seit Oktober Inspekteur des Heeres, berichtet im US-Magazin The Atlantic von einem dramatischen Zusammenbruch der Kommunikation mit Washington. Was früher jederzeit möglich war – direkter Kontakt zu US-Verteidigungsbeamten – sei heute „total abgeschnitten“.
Generalleutnant Freuding beschreibt in dem Interview eine deutliche Verschlechterung der Kommunikation mit den amerikanischen NATO-Partnern. Keiner will mehr mit ihm sprechen.
Dann veröffentlichte der Spiegel die Abschrift eines geheimen Telefonates von Merz mit Selensky. In dem soll er seinen „europäischen Freunden“ verraten haben, Selensky müsse in den nächsten Tagen extrem vorsichtig sein. Und Amerika spiele offensichtlich Spielchen mit den Europäern. Wer wohl dies an den Spiegel durchgestochen hat?
Zuguterletzt warnen die USA in ihrer neuen Sicherheitsstrategie vor einer zivilisatorischen Auslöschung Europas. Einige europäische Regierungen würden grundlegende demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien mit den Füßen treten, um die Opposition zu unterdrücken, heißt es darin ziemlich deutlich. Außerdem wolle sich US-Präsident Donald Trump massiv in Europas innenpolitische Angelegenheiten einmischen und den Widerstand gegen die EU fördern. Europa befinde sich nicht nur im wirtschaftlichen Niedergang.
Außerdem gab es noch eine saftige Backpfeife für Kanzler Merz von dem russischen Unterhändler Dmitrieff.
Starke Worte in kurzer Zeit
Für Fritz Goergen, TE-Urgestein und promovierter Historiker, früherer FDP-Bundesgeschäftsführer und „radikaler Liberaler“ (Dahrendorf), ist das keine Überraschung. „Der Herr Generalleutnant hat die letzten zehn Jahre verschlafen“, sagt Goergen im Gespräch mit dem TE Wecker. Nicht erst unter Trump, sondern schon weit vor dessen zweiter Amtszeit hätten viele NATO-Partner festgestellt, dass Washington sie zunehmend ignoriert. Spanien war das erste Beispiel: Sozialistische Regierungen wurden nicht mehr zu vertraulichen NATO-Runden eingeladen. Dieses Misstrauen habe sich ausgebreitet, „bis am Ende nur noch die Briten den Draht hatten“. Doch auch dieser sei inzwischen abgerissen.
Der Grund: Der politische und kulturelle Wandel in den westlichen Staaten, der Aufstieg identitätspolitischer Strömungen und eine sicherheitspolitische Orientierungslosigkeit in Europa. „Die Briten haben sich an ihre neuen muslimischen Wählerschichten angebiedert und damit für Washington ihre strategische Verlässlichkeit verspielt.“
Für Goergen hat der tieferliegende Umbruch jedoch einen Namen: Donald Trump. Er habe dem „alten Diplomatentum“ den Abschied gegeben. Für Trump sei Außenpolitik kein langsamer Prozess mehr, kein Ritual aus Positionspapieren und Jahreskonferenzen. „Trump ist ein Dealmaker. Er nutzt Zölle, Sanktionen und Druck wie Werkzeuge, um Regierungen zu Entscheidungen zu bewegen.“
Das zeige sich besonders in seiner aktuellen Diplomatie: Trumps Unterhändler Stephen Witkoff und Jared Kushner verhandeln direkt mit Wladimir Putin – Geschäftsleute unter sich. „Sie sprechen Kaufmannssprache“, sagt Goergen. Nicht ideologisch, nicht militärisch. Lösungen entstünden nicht mehr auf NATO-Gipfeln, sondern in bilateralen Gesprächen von Personen, die Ergebnisse erzielen wollen.
„Es häufen sich die Anzeichen dafür“, so Goergen, „dass Trump und seine Leute mit dieser Strategie, „wir machen Deals statt die alten diplomatischen jahrelangen Konferenzserien zu führen, bei denen es am Ende nach so und so vielen Jahren genauso ausschaut wie am Anfang“, im internationalen Verkehr aufhören. Auch wenn er sich im nächsten Jahr, wie jetzt vereinbart, mit dem Präsidenten und gleichzeitig KP-Chef Chinas trifft. Er besucht ihn zuerst in Peking und dann ein halbes Jahr später kommt der Chinese zu ihm nach Amerika, im Zweifelsfall nach Mar-a-Lago. Auch die Beiden werden auf dieser Ebene verhandeln und Lösungen finden und nicht sich gegenseitig wie bisher mit militärischen Drohungen überhäufen.
Das mag als Hintergrundgeräusch immer wieder mal auftauchen, wie das jetzt ja auch bei Putin der Fall war, der schon kurz vor dem Besuch von Witkoff in Moskau wieder gedroht hat, was Russland alles militärisch aufbieten und erreichen könnte, sollte sich Europa einbilden, mit ihm Krieg führen zu wollen. Aber das ist nur Hintergrundgeräusch. In Wahrheit bahnen sich auch da große geschäftliche Deals an.“
Währenddessen erlebt Europa eine Serie von Demütigungen: Die Veröffentlichung des geleakten Telefonats von Kanzler Friedrich Merz mit Selenskyj mündete in einem scharfen Spott des russischen Chefunterhändlers Dmitrijew. Merz sei „nicht im Spiel“, habe „nichts mehr zu sagen“ und verkörpere „Kriegstreiberei“.
„Sie haben sich durch Kriegstreiberei, die Torpedierung des Friedens, unrealistische Vorschläge, den Selbstmord der westlichen Zivilisation, Migration und dickköpfige Dummheit selbst disqualifiziert“, so Kirill Alexandrowitsch Dmitrijew wörtlich. „Du bist aus dem Spiel und hast ja jetzt nichts mehr zu sagen.“
Eine kräftigere Ohrfeige kann Merz kaum verpasst bekommen. Für Goergen ist das mehr als eine persönliche Ohrfeige – es ist ein Urteil über Westeuropa insgesamt. Denn in den Jahren seit 1990 habe der Kontinent seine sicherheitspolitischen Grundlagen verfallen lassen: abrüstende Armeen, marode Infrastruktur, instabile Energieversorgung, politisches Wunschdenken. „Westeuropa hat sich selbst aus dem internationalen Dialog herauskatapultiert.“
Die USA hingegen ziehen Konsequenzen. In ihrer neuen nationalen Sicherheitsstrategie diagnostiziert die Regierung Trump die Gefahr einer „zivilisatorischen Auslöschung Europas“ sowohl kulturell, ökonomisch als auch vor allem demografisch. Gleichzeitig kündigen die USA an, sich künftig stärker in europäische Angelegenheiten einzumischen und den Widerstand gegen die EU zu fördern. Sie wollen ihren alten Bündnispartner offensichtlich nicht einfach fallen lassen, denn es sei für sie angenehmer, mit Leuten auf der anderen Seite des Atlantiks zu reden, die ihre „Sprache“ sprechen und gemeinsame christliche Grundlagen haben.
Doch eine militärische Grundsicherung baut sich Trump längst unabhängig von Brüssel auf: eine strategische Achse von Polen über das Baltikum bis nach Finnland und Schweden. Eine Linie, die nach einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine wohl noch erweitert werde. „Eine schlagkräftige Ostfront, mit der die USA im Ernstfall arbeiten können – ohne Westeuropa.“
Deutschland dagegen droht innerlich zu zerfallen. Hunderttausende junge Leistungsträger wandern jährlich aus, während unqualifizierte Migranten die Sozialsysteme belasten. „Ein negativer Austausch“, sagt Goergen. Wie lange das gutgeht? „Niemand weiß es. Aber jede solche Entwicklung kippt irgendwann – und dann meist chaotisch.“
Bleibt am Ende: Europa ist nicht mehr Akteur, sondern Zuschauer. Und der letzte Staat, der sich der neuen Realität stellen wird, sagt Goergen, sei Deutschland.

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