Ein Trojaner made in Dresden

Es gibt Bürger, die selbst und zu Wenigen etwas tun wollen, statt sich irgendwo anzuschließen - wie 28 Dresdner, die vor dem Kulturpalast ein trojanisches Pferd aufstellen.

Wahre Kunst kommt nicht von können, sondern müssen. Das Kunstwerk, dass am Wochenende in Dresden der Öffentlichkeit unter dem Motto „Kunst ist frei“ präsentiert wird, ist dafür ein schönes Beispiel. Künstler sind die, die es erschaffen haben, ja keine. Höchstens in ihren Berufen. Viele der 28 „Dresdner Bürger und Bürgerinnen“, aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten und Berufen, sind Selbstständige. Die aber alle schon von Anfang an eines verband: Das dringende Bedürfnis, ihr Innerstes nach außen zu kehren. Um ihre wahren Gefühle und Ansichten über uns und unser Land endlich einmal raus zu lassen. Am besten so, dass sie nicht mehr zu übersehen sind.

Die Idee dafür hatte Rene Jahn, 52, ein Dresdner, der sich schon seit Jahren gegen die Missstände in unserem Land engagiert. So sprach sich Anfang 2018 schnell herum, was er als nächstes plante: Vor dem Kulturpalast ein trojanisches Pferd aufstellen.

Weil die Geschichte vom blinden Reinfall auf eine böse List seinen Gefühlszustand am besten symbolisierte. Auch das Lebensgefühl seiner Mitstreiter traf er damit schon auf den ersten Planungstreffen. In ihrer Presserklärung zur Premiere erklären sie auch warum:

Der Mythos vom trojanischen Pferd zieht eine bildhafte Parallele zu unserer besorgniserregenden Gegenwart. Ein Sinnbild für Leichtgläubigkeit und die Verwehrung von demokratischer Mitbestimmung in existenziellen Fragen. Ein Großteil der Trojaner, unter anderem der Priester Laokoon warnten den König Priamos. „Das Pferd bringe den Untergang Trojas“. Entgegen aller Warnungen wurde es auf Befehl des Königs dennoch in die Stadt gezogen. In der Nacht kletterten die Soldaten aus dem Pferd, öffneten die Stadttore und zerstörten Troja.

Daran soll das Kunstwerk vor dem Kulturpalast erinnern. Damit wir nicht den gleichen Fehler begehen und gutgläubig etwas vertrauen, das danach Verderben bringt. Offen sind die Grenzen ja schon. Ganz ohne, dass die Bürger und Bürgerinnen Dresdens oder Deutschlands gefragt wurden. Oder werden. Höchstens zur Wahl. Aber danach werden die Probleme nur immer noch größer. Das Gefühl, bei existenziellen Fragen ausgeschlossen zu sein, haben so in unserem Land nicht nur die 28 Bürger und Bürgerinnen Dresdens. Aber sie sind die ersten, die sich dagegen als Künstler wehren.

Was in Deutschland nicht einfach so geht. Weil ein Kunstwerk für die Öffentlichkeit anzumelden hier alleine schon ein Kunststück ist. Vom Ordnungsamt, dem Denkmalamt, dem Verkehrsamt, jeder redet und entscheidet mit. Rene Jahn, nach seinen Erfahrungen:

Da muss man an alles denken. Von der Sicherheitsbeleuchtung der Absperrungen bis zur Statik des Kunstwerks.

Das kostet Zeit, die der Kunst verloren geht. Immerhin ist es heute aber möglich. In den Zeiten, in denen die meisten der 28 Neukünstler groß geworden sind, war das ganz anders. Alleine die Idee, eine Skulptur vor dem Kulturpalast aufzustellen, um damit gegen die herrschenden politisch und gesellschaftlichen Zustände zu protestieren, war in der DDR schon ein Verbrechen. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Obwohl sich viele von ihnen schon länger wieder an sie erinnert fühlen. Auch das war ein Grund für sie, bei dem Projekt mitzumachen. Rene Jahn:

Wie damals erlebt man, dass man gemaßregelt wird, was man sagen darf und was man nicht sagen darf. Kritik ist unerwünscht, stattdessen Belehrung von oben.

Dafür sind sie 1989 aber nicht auf die Straße gegangen. Sondern dafür, ihr Leben ab jetzt selbst in die Hände zu nehmen. Persönlich. Wie politisch. Das hatten sie mit dem Sturz der Mauer erreicht und an diese Erfahrung hat sie Rene Jahn wieder erinnert. Obwohl auch das nicht so einfach war:

„Eine Einstellung, die ich in den letzten Jahren viel zu oft getroffen habe, ist: Man kann doch sowieso nichts mehr machen.“

Aber was in einer Diktatur möglich war, kann in einer Demokratie erst recht gelingen. Also ließen sich die 28 Männer und Frauen im Januar 2018 auf die Idee ein und wurden über Nacht Künstler.

Oder besser, nach Feierabend. Auch das erinnerte sie an die Zeiten der Wende. Revolution war erst nach der Arbeit. Und, auch wie damals musste aus Nichts viel gemacht werden. In einer Werkhalle, die von Unterstützern des Projektes gestellt wurde. An dessen Anfang ein Modell stand.

Das langsam, Block für Block, immer größer wurde.

Rene Jahn:

Einmalig was dort in den letzten 6 Wochen geleistet wurde. Ohne jede Hilfe, immer nach Feierabend und am Wochenende. Und alles komplett mit eigenem Geld finanziert. Auch das ganze Material ist komplett privat gestellt.

Angetrieben von der Erfahrung, schon einmal erfolgreich Widerstand geleistet zu haben, bauten und bastelten sie das Werk zusammen, mit dem sie sich öffentlich wieder einmischen wollen. Zum Glück sind unter den Selbstständigen auch Bauunternehmer, die sich mit etwas Größerem schon auskannten. Groß sollte das Kunstwerk ja von Anfang an sein. Sonst hätten sie auch einfach eine Unterschriftenaktion starten können, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.

Am Ende ist das Ergebnis 5 Meter hoch und 500 Kilo schwer. Wie beindruckend das ist, merkten sie aber erst, als sie sich selbst davorstellten.

Danach war ihnen zum ersten Mal bewusst, dass sie alle zusammen wirklich etwas erschaffen haben. Etwas, das ihre Gefühle, Ängste, Hoffnungen und Wünsche so zum Ausdruck bringt, wie sie sie tagtäglich erleben. Echte Kunst eben:

Kontrovers, zum Nachdenken anregend und mit dem Herzen fühlend, was nicht nur unsere Dresdner Bürgerschaft wirklich beschäftigt.

Auch die in ganz Deutschland. In dem sind sie jetzt eine Stimme mehr, die gegen die aktuelle Politik protestiert. Allerdings ohne sich dabei von anderen beeinflussen zu lassen. Das ist ihnen wichtig. Rene Jahn:

Wir sind komplett überparteilich. Das lassen wir uns auch nicht nehmen.

Nur so können sie glaubwürdig sein. Sogar ein Vorbild, denn:

Das Projekt zeigt, dass Bürger Politik machen können. Ohne Politiker. Na klar geht das. Du musst es nur machen.

Mit ihren wiederentdeckten Stärken sind sie sich jetzt sogar sicher, dass das erst der Anfang war:

Nächstes Jahr sind in Dresden Stadtratswahl. Dort wollen ein paar von uns antreten. Als überparteiliche Kandidaten, die eine eigene Stadtratsfraktion bilden könnten.

Um den Protest von der Straße in die Parlamente zu bringen. Nicht nur in Dresden. Gegenüber TE verrät Rene Jahn:

Unter dem Motto ‚Kunst ist frei‘, soll das Kunstwerk nach der Premiere quer durch Deutschland auf Reisen gehen. Wir wollen damit gleichberechtigter Teil eines öffentlich geführten Diskurses werden.

Mit dem Ziel:

Einer Entwicklung entschieden entgegenzutreten, die unser Land, unsere Tradition und unsere Kultur zerstört. Wir möchten in Frieden leben, in dieser Stadt, in diesem Land mit all Jenen, die unsere Kultur und unseren Glauben wertschätzen.

Das ist die Botschaft des Kunstwerks und jeder, der sie anders oder gar nicht sieht, ist darin so frei wie die Kunst selbst. Die ist immer dann am wahrsten, wenn dahinter der dringende Wunsch steht, sich auszudrücken, um sich einzubringen. Und, wie gesagt, das trojanische Pferd aus Dresden ist dafür ein gutes Beispiel. Das musste einfach sein.


Torsten Preuß ist Journalist und Schriftsteller.

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Kommentare ( 77 )

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baucis
5 Jahre her

Eine beeindruckende Aktion: mutig, authentisch, unabhängig und ohne abstoßende Anmaßung. Gelebte liberale Demokratie.

Angelico Oberlauf
5 Jahre her

Ich sehe schon Max (Dieter) Moors Beitrag in TTT vor meinem geistigen Auge. „Eine Kunst, die eines Arno Brekers würdig wäre……., alles Nazis ausser ich……,was Kunst ist, bestimme immer noch ich“.

Gero Hatz
5 Jahre her

Erst diese Erklärung 2018, jetzt das Dresdner Pferd. Irgendwie hat Heiko in seinem Job als Zensurminister versagt, denn diese beiden Aktionen beinhalten Regierungskritik, die ja eigentlich verboten ist.

Brigitte Hesse
5 Jahre her
Antworten an  Gero Hatz

Ich weiß nicht, ob Heiko da einen Paragraphen findet? Wir müssen nur hartnäckig sein und wir müssen viele sein. Ich hätte bis 1989 auch nicht geglaubt, dass die Mauer einmal fällt. Unvorstellbar! Dann bin ich mit auf die Straße gegangen, ein bisschen spät, aber doch, weil ich Angst hatte. Herr Gauck vornweg, denn es war in Rostock. Herr Gauck ist nun im Ruhestand, ich weiß nicht, ob er zufrieden ist.! Wir kennen uns nicht. Ich bin im Unruhestand. Ich habe Angst um mein Land, um meine Heimat. Wenn sie einmal ein anderes Land sein sollte, mit einer anderen Kultur, die… Mehr

Hans Ecke
5 Jahre her
Antworten an  Brigitte Hesse

Gauck vorneweg… echt jetzt? Erst im November ’89, als der Drops gelutscht war, oder? Vorher hatte er doch der Opposition die Kirchentüren verrammelt.

Ali
5 Jahre her

Eine tolle Aktion. Genau das richtige Vorgehen auch in Erinnerung an die aufgestellten hässlichen Busse oder Kardinal Wölkis Flüchtlinksboot.

Das trojanische Pferd hat weltweit Symbolchsrskter, jeder versteht die Botschaft. Wirklich Genial!!!

baucis
5 Jahre her
Antworten an  Ali

Ich schließe mich Ihrem Kommentar an. „Genial“ ist wohl zutreffend!

volker peschke
5 Jahre her

Bitte wo und wie kann ich das Schöne finanziell unterstützen!

giesemann
5 Jahre her

Timeo Arabos et dona ferentes – auch wenn – oder weil(?) – die Geschenke junge Männer sind. Und nicht junge Frauen, die genau diesen jungen Männern entfliehen wollen und hier bei uns Schutz suchen. Zur Vermeidung von Zwangsheirat, Gebärzwang etc.
Näheres bei „sabatina-ev.de“ und internet, unter Sabatina James. Oder „malala.org“ und internet“malala fund“. Und viele andere websites mehr.
(Malala Yousafzai, Friedensnobelpreis 2014).

Nachdenkerin
5 Jahre her
Antworten an  giesemann

„dona ferentes“? Die „Flüchtlinge“ bekommen doch sogar noch von uns das Geschenk der Vollversorgung. Wir sind sogar noch dümmer als weiland die Bürger Trojas.
Die Aktion der 28 Dresdner ist toll. Ich hoffe, diese Aktion, die erklaerung2018.de und viele Demos in Deutschland sind endlich der Startpunkt für einen breiten bürgerlichen Protest gegen Merkel.

Giesemann
5 Jahre her
Antworten an  Nachdenkerin

Ja , die Dütschen sind dumm, dass se die Schweine beißen – dummerweise laufen die Schweine nicht frei rum … .
Die Erklärung habe ich vor ein paar Tagen unterschrieben, machen wir weiter so und die merkeln sich aus. Aber es ist noch nichts gewonnen, der Kampf, ein veritabler Kulturkampf geht weiter.

franzjägerdresden
5 Jahre her

Frau Bewosch kommt zum Arzt. „Herr Doktor, alle ignorieren mich!“
„Der nächste bitte!“

62er_Jahrgang
5 Jahre her

Dann scheint ja die Indoktrination vor ÖR u. MSM bei Ihnen richtig gewirkt zu haben.
Empfehle ihnen die Foren bei Zeit, Süddeutsche, Tagesspiegel etc.
Da bekommen Sie auch weniger Daumen runter.

Eysel
5 Jahre her

Großartig, Glückwunsch zu der Aktion!

Nur leider und wie bei so vielen Aktionen: WEN erreicht dieser Protest???
Am ehesten genau DIE die er am wenigsten betrifft.
Die nicht Wenigen die er am ehesten betrifft gehen achselzuckend vorbei.

Stelo
5 Jahre her

Dann sind Sie in guter Gesellschaft all derjenigen, die die künstlerische Aussage nicht verstehen wollen oder nicht verstehen können.