Der akute Vernunftnotstand gefährdet die Demokratie

Es hat eine furchtbare Tragik, dass ausgerechnet die CDU dem Vernunftnotstand breiten Raum gönnt und ihn kräftig füttert, schreibt Martin Lohmann.

Was vor allem in der Christlich-Demokratischen Union abgeht, ist weit mehr als ein Parteiengezänk oder gar eine Parteienkrise. Es ist mental gefährlich, bedroht die Demokratie und damit die Freiheit aller und darf nicht unterschätzt werden. Und dabei geht es nur vordergründig um die Machtfrage in einer einzigen Partei, der zwar noch der Name „Volkspartei“ zugebilligt wird und die vor allem von Medien als „große“ Volkspartei – trotz aller systematisch eingefahrener immer größerer Wahlniederlagen – bezeichnet wird.

Aber an ihr lässt sich pars pro toto in besonders erschreckender Weise ablesen, warum es angesagt ist, im Blick auf Deutschland und seine Demokratie mit brennender Sorge für ein Wachwerden vieler Geister zu plädieren, ja, mit Mut und hörbarer Stimme dafür zu kämpfen. Doch dafür bedarf es des Mutes, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und ein Selbstdenken durch einen freien Blick und ein freies Erkennen zu gestatten. Dies zu fordern kann freilich nicht übersehen, dass der menschliche Geist gerade im Politischen offenbar ganz eigene Schwierigkeiten hat, sich aus Klischees und Selbstgestricktem zu befreien. Das setzt – so wissen wir – ein nicht allzu kleines Maß an Souveränität und Freiheit voraus.

Wenn ein Ex-EU-Parlamentarier offenbar mit Legitimation eines Bundesvorstandes einer „C“DU öffentlich und ohne Tadel von Kanzlerin und Parteichefin geradezu wütend sich der Sprache eines NS-Propagandaministers bedienen darf, um einer argumentativen, fairen und eventuell zu anspruchsvollen Auseinandersetzung durch eindeutiges Nazi-Sprech auszuweichen, dann markiert dies einen gefährlichen Mentalzustand und verrät ein eklatantes Maß an Demokratieverachtung. Es deutet aber zugleich auf eine Entwicklung hin, die bereits vorher – fahrlässig oder bewusst – zugelassen und produziert worden ist.

Nicht erst heute ist die Nazikeule, die perfiderweise gar von denen geschwungen wird, die nachweislich durch ihr Nazi-Sprech verraten, wes Geistes Kind sie letztlich sind, bedenklich gedankenlos – und wohl auch ganz gezielt – salonfähig geworden. Es ist doch kein Zufall, dass wegen einiger höchst zweifelhafter Personen und deren demokratieschädigender Sprache von den vermeintlichen Demokraten auf der anderen Seite ganze Gruppen pauschal als Nazi beschimpft und diskreditiert werden.

Obwohl jeder einigermaßen gebildete Geist noch weiß, dass Dämonisierungen, Verunglimpfungen und erst recht pauschale Diskreditierungen letztlich dämonisch sind und jedem intellektuellen Anspruch der Fairness und der Differenzierung schmerzhaft widersprechen, werden genau diese Mechanismen im politischen Spektrum von einigen Seiten seit Jahren angewandt. Den demokratischen Konsens zielsicher zerstörend. Den Dialog und die Auseinandersetzung wohlfeil vergiftend. Und letztlich im Dienste wirklicher Nazis! Gleichsam als mentale Handlanger. Denn nichts nützt dem menschenverachtenden Nazi mehr als die immer wieder geschwungene Nazikeule gegen jeden, der nicht links oder linksextrem ist. Warum? Weil die undifferenzierte Diffamierung unterschwellig vermittelt, dass Nazi-sein doch eigentlich etwas ganz Normales sei – was es niemals wieder werden darf! Wer jeden Nicht-Linken einen Nazi schimpft, verhöhnt letztlich sogar die Opfer des Nationalsozialismus. Und daher gehört die Nazikeule weder in die Hände von Dummen oder vermeintlichen Nazigegnern, wenn diese durch undifferenzierten und durch gute Argumente und Überzeugungen Überforderte das Geschäft der Nazis betreiben. Die darin liegende Verharmlosung der Nazi-Verbrechen ist nicht nur gefährlich, sie auch widerwärtig.

Wer, weil er sich möglicherweise von den Grundsätzen der CDU innerlich weit entfernt hat, überzeugte christliche Demokraten, die wie in der WerteUnion auf dem Boden der CDU und einer Politik aus christlicher Verantwortung jeden Extremismus rechts wie links ablehnen, als „Krebsgeschwür” bezeichnen, bezeichnet eigentlich auch Konrad Adenauer als „Krebsgeschwür”, das herausgeschnitten werden müsse. Und wer so redet, sagt viel über seine überbordender Menschenverachtung wie über seine Verachtung von Freiheit, Demokratie, Verantwortung, Respekt, Vielfalt und Toleranz. Das vielfache beredte Schweigen der Medien zu solchen Entgleisungen ist ebenfalls besorgniserregend. Sie ist jedenfalls kein Indiz für einen Qualitätsjournalismus, der im Kern unabhängig, frei und verantwortungsbewusst sein sollte.

Warum eigentlich, so fragt man sich dann, arbeiten CDU-Spitze und Medien faktisch kooperierend irgendwie mit der AfD zusammen, wenn es darum geht, den berechtigten, demokratischen und christlich-konservativ fundierten Argumenten der WerteUnion (WU) auszuweichen? Diese hat übrigens den Unvereinbarkeitsbeschluss, den der CDU-Parteitag beschlossen hatte, ihrerseits bekräftigt – und hält sich daran: Keine Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgerin Die Linke und mit der AfD. Doch was die WU angeht, kennt man auch im Adenauerhaus in Berlin keine Skrupel, mit den Blauen gemeinsame Front zu machen.

Wie kommt es – um ein Beispiel zu nennen – dazu, dass der Kölner Stadt-Anzeiger ganzseitig „berichtet“, es gebe Geheimtreffen der WU mit der AfD? Gab es die – im Blick auf die WerteUnion – vielleicht virtuell mit CDU-Leuten? Und warum haben die Journalisten die offensichtlich gegen die WU und alle seit Tagen transportierten Kontaminationen so passende AfD-Story erst gar nicht der Recherche unterzogen? Warum wurde diese Fakestory einfach prominent platziert gedruckt? Ist das nicht eine fatale Zusammenarbeit von „Qualitäts“-Journalisten mit der AfD? Ist das nicht eigentlich Haltungsjournalismus im Dienst der AfD?

Jetzt fehlte nur noch die Hyperintelligenz eines den Rechtsstaat nicht verstandenen kurzzeitigen Ex-Generalsekretärs der CDU, der nolens-polenz erklärt, die WerteUnion müsse beweisen, dass es keine Geheimtreffen mit der AfD gegeben habe. Wer so denkt, macht sich übrigens ebenfalls zum Handlanger der AfD – trotz aller parteilicher Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Denn er bedient die Interessen einer Partei, die selbstverständlich ein Interesse daran hat und haben muss, dass nur ja nichts Konservatives mehr Platz haben kann in einer auf links gedrehten Union. Bloß: Wie soll die WU etwas beweisen, was es definitiv gar nicht gab und gibt?

Die pauschale Nazikeule gegen alles und jeden offenbart einen unglaublichen Vernunftnotstand in Deutschland. Inzwischen ist es ja weithin so, dass es schon existenzbedrohende Konsequenzen haben kann, wenn jemand einem Mitglied – oder Wähler – einer pauschal verurteilten Partei die Hand reicht, mit ihm spricht oder gar aus vorparteilichen Zeiten mit ihm befreundet ist. Darf man jemanden von der AfD noch grüßen – fragen sich manche schon. All das zeigt das Maß an mentaler Superinfizierung. Selbst ganz normale politische Forderungen scheinen nicht mehr formuliert werden zu dürfen, wenn sie bereits von den „Falschen“ formuliert wurden. Das ist dann rasch Nazi- oder AfD-Sprech. Und so etwas geht überhaupt nicht. Bleibt nur zu hoffen, dass ein „Falscher“ nicht eines Tages mal sagt, er trinke gerne Rotwein und zwei plus zwei seien vier. Wer dürfte dann noch straffrei behaupten, er liebe Rotwein! Und müsste man dann nicht das System der Mathematik umgehend ändern?

Es hat eine furchtbare Tragik, dass ausgerechnet die CDU dem Vernunftnotstand breiten Raum gönnt und ihn kräftig füttert. Viel Zeit bleibt nicht, angesichts der horrenden Deformationserscheinungen für Demokratie und Freiheit einer in Bonn gewachsenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung ein Ende zu bereiten. Nicht nur Adenauer scheint im Grabe zu rotieren. Auch ein Vordenker der Aufklärung namens Voltaire wäre fassungslos, wenn er sehen müsste, wie noch nicht einmal sein minimales Credo einen Sitz im Leben deutscher Politik und deutscher Medien zu haben scheint. Dieser alles andere als christlich Überzeugte wusste noch: Solange ich lebe, werde ich deine Meinung bekämpfen; aber noch mehr werde ich dafür kämpfen, dass du sie sagen darfst.

Wenn die Sprache verrohen „darf“, wenn Christdemokraten wie ein Ex-EU-Parlamentarier – sekundiert von anderen – gegen christliche Demokraten die NS-Hass-Sprache brutal gewaltverbal feuern „darf“ und von „Krebsgeschwüren“, die rücksichtslos herausgeschnitten werden sollten, redet, der betreibt nicht zuletzt vorbereitende Kollaboration mit Linksradikalen und Menschenverächtern, die einen ehrenamtlich tätigen WU-Vorsitzenden und dessen Familie mit Hass und Gewalt bedrohen. Warum klemmt da der absolut notwendige Protest der CDU- und CSU-Spitze? Warum sind sie nicht sofort zur Solidarität mit dem Bedrohten bereit und in der Lage?

Vielleicht ist es ein Traum, vielleicht aber eine Vision mit nicht ganz unrealistischer Kraft, sich vorzustellen, dass gerade christliche Demokraten keine panische Angst vor Erkenntnis, Dialog, Kritik, Fairness, Demokratie und Freiheit haben. Für viele gilt hier und jetzt: Zeit, vom Schlafe aufzustehen. Es geht um Grundsätzliches. Es geht um die Zukunft. Die Zukunft aller.


Martin Lohmann ist Theologe, Historiker und Publizist.

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Kommentare ( 41 )

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Dr. Friedrich Walter
4 Jahre her

Früher sagte man: „Was ist der Unterschied zwischen Christentum und Sozialismus“? Antwort: „Das Christentum predigt die Armut, der Sozialismus verwirklicht sie“!
Heute kann man sagen: „Die AfD predigt die Abschaffung der Demokratie, die CDU verwirklicht es…“!

Kristallo
4 Jahre her

Ein sehr guter Beitrag Herr Lohmann, wenngleich Sie die AfD zu schlecht wegkommen lassen.
Ein Verhängnis, dass sich ausgerechnet Kirche und CDU von diesem Standpunkt der Vernunft und Wahrheit bedroht fühlen und deswegen erbittert bekämpfen.
Aber das hat Tradition, auch Christus wurde letztlich ermordet, weil er die Wahrheit sagte.

moorwald
4 Jahre her

Nehmen wir an, Deutschland befinde sich auf dem Wege in eine neue Art von Totalitarismus. Kann man dem mit Appellen an die „Vernunft“ abhelfen? Natürlich kann man sagen, was da in Thüringen abläuft, fügt der Demokratie schweren Schaden zu, ist also höcht unvernünftig. Und die Demokratie wollen doch alle bewahren. Aber vor allen vernünftigen oder pragmatischen Überlegungen geht es um das Menschenbild, das die Mächtigen haben. Es geht also um Ethik. Die Zeiten, da die christliche Lehre unverrückbare Maßstäbe lieferte, sind endgültig vorbei. Man braucht sich nur den Zustand der großen Kirchen anzusehen. Die einen wälzen noch immer das so… Mehr

ugartner
4 Jahre her

Passend dazu wird jetzt die Propaganda-Zwangsabgabe erhöht.

Gisela Fimiani
4 Jahre her

Ein vortrefflicher, aufrüttelnder Beitrag, Herr Lohmann, dem ich mich von ganzem Herzen anschließen möchte. Unsere Menschlichkeit und unsere Demokratie gehen zu Schanden, weil Parteisoldaten, denen der aufgeklärte Geist, sowie die menschliche Achtung, als auch jedes Verantwortungsbewußtsein fremd zu sind. Falls vorhanden, haben sie ihren „einigermaßen gebildeten Geist“ der Partei und ihrer Karriere geopfert. Inzwischen entledigen sich die Parteien ihres Souveräns, denn die Entwicklungen im Land weisen darauf hin, dass sie nach dem neuen Prinzip: L‘ÉTAT, C‘EST NOUS, handeln und denken. Demokratieverachtung führt zwangsläufig zu Bürger- und Menschenverachtung. Es erfüllt mit Grauen, dass es offenbar einen eklatanten Mangel an Menschen zu… Mehr

W. Mueller
4 Jahre her

Letztlich ist die politische Einordnung von Aktionen, die Mitbürger, Mitwähler, Mitbewerber und Andersdenkende systematisch ausgrenzt, diffamiert, systematisch abwertet und schlussendlich dann das Menschsein abspricht, unerheblich.

Die Methoden sind das Problem und leider allzu bekannt aus der deutschen Geschichte, mal von Rechtsextremen, mal von Linksextremen, grundfalsch immer.

dabovobis
4 Jahre her

Lieber Herr Lohmann, schade, dass Sie die Chance, sich auf der grandiosen TichysEinblick-Plattform zu profilieren, gründlich vertan haben. Zum einen machen Satzbau, Gedankenverschachtelung und Wiederholungen das Lesen streckenweise mühsam. Zum zweiten wird man als Leser offenbar bewusst im Unklaren darüber gelassen, was Ihre tatsächliche Position ist. Symptomatisch schreiben Sie von „christlichen Demokraten“, wenn Sie die WerteUnion meinen, offensichtlich, um der Union nicht zu weh zu tun und sich an dem großen Namen „Christdemokraten“ CDU doch noch irgendwie wärmen zu können. Ein bisschen mehr Mut möchte man Ihnen wünschen, den Sie übrigens eingangs ja selbst einfordern: „… warum es angesagt ist,… Mehr

Chloepfts
4 Jahre her

Wer in dieser BRD, also „auf dem Gebiet eines untergegangenen Staates“ (Kornblum), einigermaßen ungestört Kritik üben möchte muß unbedingt darauf achten, daß er sich nicht der Gefahr aussetzt, also kein einziges Duftmolekül aussendet, als Nazi, rechts, rechtsradikal, fremdenfeindlich usw. bezeichnet zu werden. Das bedeudete den sozialen Tod. Mancher Politiker hat das erfahren, vor allem solche aus der CDSU.
So gesehen muß man gedanklich etwas weiter greifen um zu verstehen warum gelegentliche Strenge oder gar Absenz das eigene Wirken nicht hindert sondern fördert.
In diesem Land kann nur von besonderen Bedingungen ausgegangen werden und deshalb ist’s geboten sich demgemäß zu verhalten.

Chloepfts
4 Jahre her

Das alles ist nur der Beweis, daß in der BRD, um aktuell zu bleiben, der Bürger eine Zipfelmütze trägt und er diese braucht um Wärme am Kopf zu spüren. Flankierend zu dieser Mütze, die ja auch wirklich nicht ihm wesensfremd ist, kommt noch das Wirken der Umerziehung und die Schande, sozusagen ein Problembär zu sein. Somit wird die Zipfelmütze zu einer Art Fluchtpunkt des eigenen Unwohlseins, welches innerseelisch sich abspielt, um dann dort eventuell auftretenden Kopfschmerz wegzuwärmen. Verständlich, und vielleicht beabsichtigt, und so hat der BRD-Bürger eine ziemliche Herkulesaufgabe vor sich, nämlich sich zu befreien von lastendem Drucke, also eine… Mehr

wietel
4 Jahre her

Demokratie schließt in einer Gesellschaftsstruktur (ob Dorf, Stadt oder Land) alle Menschen ein, nicht nur eine Partei! Und in der Causa Thüringen wird der Vernunftsnotstand überdeutlich, daß die Thüringen-CDU nicht dem Land dient, nicht einmal der Partei, sondern ausschließlich den Karriere- und Existenzinteressen der dortigen Abgeordneten dient. Erschwerend kommt hinzu, daß wir Menschen durch eine Jahrhundertlüge von der normalen Vernunft abgedrängt in Unwissenheit gebracht wurden. Der Wählerzuspruch zur CDU wird sich mit jedem Tag und auch langfristig eklatant reduzieren. Zu überdeutlich treten örtliche Privatinteressen im Zusammenhang mit den bewußt verzögerten Neuwahlen auf. Das vergißt ein Wähler nicht und noch schlimmer,… Mehr

honky tonk
4 Jahre her
Antworten an  wietel

Und jetzt?