Strahlende Sieger sehen anders aus

CDU/CSU betrachten sich als große Sieger der EU-Wahl. Ein strahlender Sieger ist die Union gleichwohl nicht. Die Union konnte die Ströme der erdrutschartigen Verluste der Rot-Grünen nicht auf die eigenen Mühlen lenken.

picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

CDU/CSU betrachten sich als große Sieger der EU-Wahl. 30,0 Prozent hat die Union eingefahren: 23.7 Prozent CDU plus 6.3 Prozent – umgerechnet auf das Bundesgebiet – die CSU. In der Summe ist das ein Plus an 1.1 Prozent gegenüber der Wahl von 2019. Ja, die Union ist der Sieger, zumal sie im Rahmen der EVP die größte Fraktion im EU-Parlament stellen wird.

Ein strahlender Sieger ist die Union gleichwohl nicht. Relativer (!) Sieger ist sie angesichts von in der Summe 25.8 Prozent für die grünen und roten Ampel-isten (SPD 13.9 und Grüne 11,9) und deren Absturz von in der Summe 10.5 Prozent gegenüber 2019 (SPD minus 1.9; Grüne minus 8.6 Prozent).

Die Frage aller Fragen

Warum konnte die Union die Ströme dieser erdrutschartigen Verluste der Rot-Grünen nicht auf die eigenen Mühlen lenken?

Erstens: Die Union wird von vielen Wählern nicht wirklich als knallharte Opposition im Bundestag gesehen. Hier ist zu viel Kompromisslerei im Spiel – und zu viel Schielen auf die Grünen, die man ja vielleicht für eine andere, unionsgeführte Koalition brauchen könnte. Und das nicht nur im Bundestag: Zwei CDU-Landeschefs (Hendrik Wüst in NRW und Daniel Günther in Schleswig-Holstein) werden ohnehin eher als Chefs grün-grün-woker Koalitionen wahrgenommen. Da weiß der Wähler: Wähle ich CDU, dann bekomme ich „grün“. Das aber wollen viele potenzielle Unionswähler nicht. Es reicht ja schon, dass die ergrünte Unionsfrontfrau von der Leyen ein Verbrenner-Aus für 2035 durchziehen und für einen „Green Deal“ Billionen verpulvern will.

Zweitens: CDU/CSU-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen ist für viele Wähler der Inbegriff des Bürokratiemonsters Brüssel und intransparenter Geschäfte, siehe etwa die nicht aufgeklärten Milliardengeschäfte mit Pfizer. Und sie ist Inbegriff des Abbaus nationalstaatlicher Souveränität, die übrigens einzig Garant für Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit sein kann. Von der Leyen wird wahrgenommen als Fortsetzung Merkel’scher Politik auf EU-Ebene, und sie ist vielen Wählern als sich selbst gestelzt inszenierende Pseudo-Staatschefin suspekt. Kurz: Von der Leyen war die absolut falsche Spitzenkandidatin. Man konnte sie übrigens nicht wählen und deshalb nicht einmal bewusst nicht wählen. Dass die CSU und die CSU-Spitzen Markus Söder und Manfred Weber das mitgemacht haben, ihr 36 Stunden vor Öffnung der Wahllokale in München beim Wahlkampfabschluss noch eine große Bühne boten, hat Wähler abgeschreckt. Manfred Weber, 2019 bereits Spitzenkandidat und dann von Macron und Merkel abserviert, hat das am 9. Juni 2024 hautnah zu spüren bekommen. Seine CSU verlor in seinem Heimatbezirk Niederbayern gegenüber 2019 ganze 8,2 Prozent (von 53.4 auf 45.2 Prozent).

Drittens: CDU/CSU haben es nicht verstanden, potenzielle AfD-Wähler zu gewinnen. Das hätte nach dem Desaster der AfD mit ihren beiden Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron möglich sein müssen. So aber ging die AfD mit 15.9 Prozent und einem Plus von 4.9 Prozent als zweitstärkste Partei durchs Ziel. CDU/CSU verharren damit – von sich selbst inszeniert – eingekerkert in ihrer Brandmauer-Wagenburg, die implizit alle realen oder potenziellen AfD-Wähler wie Nazis betrachtet.

Fazit für die Union?

Erstens: CDU-Chef Merz kann das 30-Prozent-Ergebnis nicht als Riesenvotum für die eigene Kanzlerschaft betrachten. Denn eigentlich ist er bestenfalls mit einem blauen Auge davongekommen. Merke: Es ist ein dürftiges Plus von 1.1 Prozent gegenüber 2019 und dem Ergebnis der damaligen Merkel-Union. Und das – noch einmal – nach dem allseits desaströsen Erscheinungsbild der Ampel seit fast dreißig Monaten. Nun müsste – was immer diese abgegriffene, nichtsagende Vokabel zum Ausdruck bringen soll – endlich auch in der CDU/CSU Aufarbeitung angesagt sein. Nicht als Blabla, sondern als Aufarbeitung im Stil dessen, was Zigtausende vom Hochwasser Geschädigte jetzt tun: Altes Mobiliar raus und das Haus wieder trockenkriegen!

Zweitens: Die Union, wenn sie denn – selbst verschuldet – an Ursula von der Leyen nicht mehr vorbeikommt, muss im EU-Parlament Koalitionen mit EU-Kritikern eingehen können. Auch wenn das einem Macron und einem Scholz nicht schmecken mag. Aber die haben mit den katastrophalen nationalen Ergebnissen ihrer Parteien ohnehin gezeigt bekommen, wo Ende der Fahnenstange ist. An der Wendigkeit und am Ehrgeiz der Ursula von der Leyen dürfte es nicht scheitern.

Drittens: Im Hintergrund lauert nach wie vor ein Kandidat Markus Söder. Die von seiner CSU bzw. Manfred Weber in Bayern eingefahrenen 39.7 Prozent sind allerdings alles andere als berauschend (ein Minus gegen 2019 von 1.0 Prozent). Zum Vergleich: Söders CSU hatte bei der Bundestagswahl 2021 31.7 Prozent und bei der Landtagswahl 2023 37.0 Prozent erzielt. Aber auch die aktuell 39.7 Prozent zeigen, dass die CSU ihr Potenzial nicht ausgeschöpft hat. Siehe allein die Tatsache, dass die Freien Wähler 2023 bei der Landtagswahl auf 15.8 Prozent kamen, jetzt bei der EU-Wahl auf 6.8 Prozent. Die Umlenkung dieser Differenz von 9 Prozent auf CSU-Mühlen ist gescheitert.

Viertens: Die Union ist gut beraten, die Kandidaten-Frage noch vor der Sommerpause zu beantworten. CDU/CSU brauchen jemanden, der ab sofort aus dieser Position heraus auf Fundamentalattacke machen kann. Ohne Rücksicht auf Mitkonkurrenten und ohne Rücksicht auf mögliche Koalitionspartner.

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Kommentare ( 33 )

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1 Monat her

30% fürs Nichtstun, Scheinopponieren und Mitverschlimmbessern.
Unfassbar …
Nix, aber auch gar nix wird sich mit dieser Merzel-Union im Lande zum Guten ändern.

Logiker
1 Monat her

Das Potential und der Wille für notwendige Reformen und Veränderungen im Lande bei einem Regierungswechsel von der Ampel zu einer CDU-geführten Regierung ist in etwa so groß wie seinerzeit beim Regierungswechsel von Breshnew zu Andropow.

Jens Frisch
1 Monat her

Es gibt drei politische Fragen die zeigen, ob man in der Opposition und auf der Seite der Mehrheitsmeinung in Deutschland:
*Migration, insbesondere aus islamischen Ländern
*Gendern inklusive Sprachverstümmelung
*Krieg in der Ukraine und Frieden mit Russland

Soweit ich das mitbekommen habe ist die Union in allen drei Fragen stramm auf Regierungskurs.

Kantkopf
1 Monat her

„CDU/CSU brauchen jemanden, der ab sofort aus dieser Position heraus auf Fundamentalattacke machen kann.“ Genau, Fundamentalattacke. Wie damals 2016 gegen ihre Vorsitzende in punkto doppelte Staatsbürgerschaft. Unsere Duracell-Häschen werden’s schon richten!

Franz O
1 Monat her

Das ist alles relativ debattierbar. Ich finde das Ergebnis ernüchternd angesichts dessen, was die Union mit von der Leyen alles so an grün-roter orwellscher Klientelpolitik in Brüssel treibt. Die Union lebt von ihren Stammwählern mit Alter 60+. Entgegen eigentlich logischen Vermutungen, dass diese Gruppe tendenziell konservativer agieren müsste, ist diese Wählergruppe für die AfD unerreichbar an der Urne. Long-Tagesschau. Die SPD hat diese Wähler auch, aber sie hat viel weniger in der Fläche von diesem Wählerklientel. Die Long-Tagesschau-Rentner sind der größte Wasserkopf demographisch und deswegen bleibt alles wie immer. Hoffnung macht die Jugend. Aber die sind leider die kleinste Altersgruppe… Mehr

Klausmai
1 Monat her
Antworten an  Franz O

Das stimmt so nicht.Ich war ein Stammwähler.Das ist 10 Jahre her.Ich bin 84 Jahre alt, dass diese Union Frau Merkel noch prämieren will und für mehrere hunderttausend Euro ein Büro bezahlt,wer will das verstehen? Soll man weinen,soll man schreien? Eine Frau die an der Misere Deutschlands Schuld ist.Da wird ein Merz ,Wüst oder Günther nichts ändern.Deutschland geht einer unsicheren Zukunft entgegen.Schade ich glaube nicht mehr an Deutschland.

hansgunther
1 Monat her

Die „Brandmauer“ muß weg. Merz muß weg! Freiheit für den gesunden Menschenverstand. Der Wille der Mehrheit wird zur demokratischen Pflicht. Ideologie ist kein Programm, sondern Volksverdummung zu Gunsten der Verpeilten!

Wilhelm Roepke
1 Monat her

Herr Kraus irrt. Die Union ist eine linksgrüne Veranstaltung seit Merkel und daran hat sich nichts geändert. Sie ist bloß weniger grün als das Original und darum wurde das Original vom Wähler härter angefasst. Außerdem regiert sie im Bund gerade nicht mit und das hilft auch. Das eigentliche Problem sind die Mainstreammedien, die alle neuen Parteien verunglimpfen, und die können täglich durch die Kündigung von Abonnements, Entscheidungen am Zeitungskiosk, Änderung des Internetkonsums oder Leserbriefe geändert werden. Und da reagiert das Wahlvolk leider träge wie ein Eisberg und vor allem träger als Frankreich. Aber es reagiert. Mit jedem Messerstich und mit… Mehr

Kassandra
1 Monat her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Hier hat es wieder jemanden „getroffen“ – und der mit Tötungsabsicht ist auf der Flucht: https://www.bild.de/regional/saarland/saarbruecken-messermann-sticht-fahrgast-in-regiozug-nieder-666741241ddc6a0605e946eb

imapact
1 Monat her

Woher nimmt der sehr geschätzte Herr Kraus denn die Hoffnung, daß sich bei der CDU irgendetwas ändern könnte? Nicht vergessen, die CDU unter Merz hat die Konservativen, die Werteunion, erfolgreich aus der Partei verjagt; der untadelige Hans-Georg Maaßen wurde mit dem Parteiausschluß bedroht, während eine Figur wie Haldenwang ganz selbstverständlich sein Parteibuch behalten kann. Merz hat kein Rückgrat, Wüst ist ein grünes U-Boot und Söder ein prinzipienloser Opportunist – und alle drei werden mit SPD und/oder koalieren.

alter weisser Mann
1 Monat her
Antworten an  imapact

Auf was als CDU sollen die Alten Herren bei TE denn sonst hoffen, wenn sie nicht ihr Leben in die Tonne treten wollen.

Logiker
1 Monat her
Antworten an  alter weisser Mann

Viele Ossis haben nach der Wende ihre systemtreuen Lebenslügen erkannt bzw. vorgeführt bekommen.

Den Wessis steht das noch bevor.
Man scheint es zu ahnen und begibt sich in eine Abwehr- und Reformstarre.

Hausmeister
1 Monat her
Antworten an  Logiker

Da haben Sie völlig Recht und ich finde, dass dieser Komplex der Nicht-Anerkennung der eigenen Lebenslüge viel zu wenig beleuchtet wird. Umso weiter links die Leute angesiedelt sind umso verfestigter ist diese und ehe die Leute sich dies eingestehen, halten sie lieben daran fest bis in den Untergang. Sie müssten sich ja eingestehen, dass sie sich z. B. bzgl. der AfD haben aufs entsprechende Gleis haben setzen und sich eben haben manipulieren lassen. Über diese Schatten zu springen ist einfach nicht drin. Auch im Osten. Ich kann mir vorstellen, dass das Medienleute auch noch viel stärker betrifft, da ihre vormalige… Mehr

rainer erich
1 Monat her

Wahlfazit : 1.Es aendert sich sehr wenig bis nichts, jedenfalls nichts, was diese EU und das Wirken ihrer Funktionäre betrifft. Einige Autoren stellten dies bereits zutreffend fest. “ Verschiebungen“ dieser Art sind irrelevant, denn an den Interessen und der Ausrichtung aendert sich nichts. Die Damen Le Pen und Meloni werden mit vdL dealen, zu Lasten Sch’lands. Fuer Le Pen und Meloni geht es ausschliesslich und wie gehabt um nationale Interessen und die Alimentation. Fuer vdL um ihre Macht. Substanzielle politische Aenderungen oder gar eine Neuausrichtung sind weder erwünscht , noch systemisch moeglich. 2. Auch wenn sich das “ rechts“ Narrativ… Mehr

JamesBond
1 Monat her

Die Union ist die “ Willkommenspartei“, dazu schreibt der Focus heute: „Nach dem neuen EU-System muss jeder Migrant künftig an den Außengrenzen strikt kontrolliert und registriert werden.“
Dann werden die Illegalen vielleicht endlich mal so kontrolliert, wie das mit uns Selbstständigen seit Jahrzehnten immer schlimmer praktiziert wird. Selbst der Soli gilt noch obwohl Verfassungswidrig und GEZ zahlen müssen wir privat und auch nochmal für die Firmenbüros – absurd.
Wer glaubt das es mit Merz als Kanzler besser wird, der träumt. Die Verbindungen zu Blackrock bestehen sicher weiter und dann ist der Mittelstand wieder auf der Verliererstrasse.