Die Bundestagspräsidentin traut dem Bundestag nicht

Der Bürgerrat soll es richten, was der Bundestag nicht schafft: nah beim Bürger sein und Vertrauen wiederherstellen. Dass das eigentlich die Aufgabe des Parlaments durch vernünftige Gesetzgebung sein müsste, ist wohl zu viel verlangt.

IMAGO / Christian Spicker

In Deutschland herrscht die Gegenteil-Politik. Der Bundewirtschaftsminister sorgt für weniger Wohlstand. Die Außenministerin betreibt Weltinnenpolitik. Und die Parlamentspräsidentin agiert gegen das Parlament.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat angekündigt, dass der Bundestag bis Juli die Einsetzung eines Bürgerrats beschließen werde. Sie bezeichnet das Vorhaben als „persönliches Anliegen“. Ein zufällig ausgeloster Rat könne „Brücken bauen“. Die Bürger fänden sich nicht mehr in den parlamentarischen Debatten wieder.

Mit der letzten Bestandsaufnahme hat Bas sogar Recht. Ob das die Einführung eines Bürgerrats rechtfertigt, bleibt dagegen fraglich. Ein neues Gremium kann kaum die Lösung sein, wenn ein altes nicht mehr funktioniert. Statt zu hinterfragen, ob nicht womöglich in der parlamentarischen Kultur etwas schiefläuft, entzündet das Parlament die Nebelkerze Bürgerrat. Sie gibt damit zugleich zu: der Bürgerrat ist auf die Schwäche des Parlaments zurückzuführen. Ihres Parlaments.

Schon seit viel zu langer Zeit begreift sich das Parlament nicht als Korrektiv, sondern als Erfüllungsgehilfe der jeweiligen Bundesregierung. Die parlamentarische Republik ist de facto eine Kanzlerrepublik. Wenn die Regierungsfraktionen nur noch dazu da sind, den Regierungswillen durchzusetzen und selbst Teile der Opposition diese alternativlos unterstützen, dann ist die Erosion der parlamentarischen Kultur und des Vertrauens in das Parlament nur eine Frage der Zeit.

Wer wundert sich da noch über Selbstaufgabe? Der Forderung von Bewegungen aus der Klima-Szene, die Beschlüsse eines solchen Rats verbindlich zu machen, kommt das Parlament zwar nicht nach; es soll lediglich bei Vorschlägen bleiben. Dass die Vorbereitung dieses Rats in den Händen des Vereins „Mehr Demokratie“, des Instituts für Partizipatives Gestalten, sowie den Unternehmen Ifok und Nexus liegen soll, macht dagegen hellhörig. Der Staat beauftragt NGO und Firmen damit, mehr Bürgernähe zu organisieren.

Ifok gehört zur Cadmus Group. Deren Hauptanteilseigner ist CI Capital Partners aus den USA. Wie günstig ist es, dass die Organisation von Bürgerräten von einem ausländischen Unternehmen übernommen wird? Sind Interessenkonflikte langfristig damit nicht ein Problem? Müsste der Bundestag bei einem nach Aussagen so wichtigen Prozess, der keine „Alibiveranstaltung“ (Bas) sein dürfte, mehr Transparenz bezüglich des Auftragnehmers schaffen?

Beim Verein „Mehr Demokratie“ ergibt sich ein differenziertes Bild. Dass die Mitglieder des Bundesvorstandes politisch eher links der Mitte stehen, sollte nicht verwundern, da basisdemokratische Ideale in Deutschland historisch ein Phänomen des linksliberalen Spektrums sind. Ein Vorstandsmitglied ist Parteimitglied der Grünen, ein anderes ist bei Attac aktiv.

Es wäre allerdings ungerecht, den Vertretern ihren Einsatz für die direkte Demokratie nicht abnehmen zu wollen; Ralf-Uwe Beck, der dem Vorstand angehört, hat etwa am Tag nach dem Brexit-Referendum betont, dass nicht weniger, sondern mehr Volksabstimmungen förderlich seien. „So wenig wie ein Spiegel verantwortlich ist für das, was er abbildet, so wenig ist die direkte Demokratie für den Zustand einer Gesellschaft verantwortlich“, schrieb Beck damals im Cicero und betonte, dass man nach einer Wahl schließlich auch nicht das Wahlrecht abschaffe, weil einem das Ergebnis nicht passt. Das ist mehr demokratische Reife als so mancher gewählter Parteipolitiker aufbringt. Der Verein hat überdies das kürzlich verabschiedete Wahlgesetz und die Abschaffung der Grundmandatsklausel kritisiert.

160 Personen sollen bei einem Verfahren, das einen möglichst guten Querschnitt der Gesellschaft sichert, ausgelost werden. Zusätzlich werden sie von Experten beraten – womit es bereits ein Korrektiv in diesem Gremium gibt. An mehreren Tagen sollen sie 40 Stunden lang gemeinsam oder in Kleingruppen diskutieren und die Vorschläge abstimmen. Wenn es sich demnach um eine Räterepublik handeln sollte, dann um eine betreute. Auf das Los kann man keinen Einfluss nehmen,s ehr wohl aber, wer die Ausgelosten berät.

Die Einführung des Bürgerrats sagt damit deutlich weniger über eine mögliche Übernahme von außen durch NGOs aus. Sie ist vielmehr Symptom eines nach Legitimation ringenden Parlamentes, das auf Biegen und Brechen versucht, Vertrauen zu gewinnen, obwohl es als direkte Vertretung des Souveräns diese Legitimation a priori haben müsste. Nicht nur das Vertrauen in die Demokratie erodiert. Sondern auch das Vertrauen des Bundestags in sich selbst.

3 Millionen Euro hat der Bundestag für die Errichtung des diesjährigen Bürgerrats bewilligt, weitere 3 Millionen stehen für Folgeräte bereit. Auch hier der alte Wunsch der Bundesrepublik, jedes Problem mit Geld bewältigen zu wollen. Alles ist käuflich – auch die Demokratie? Dass ein ordentliches Wahlrechtsgesetz mehr Vertrauen schaffen würde, als ein teuer zusammengestellter Bürgerrat, das wäre dann doch zu utopisch. Dabei bräuchte es für vernünftige Gesetze nur einen vernünftigen Bundestag.

Doch die Bundestagspräsidentin vertraut dem Bundestag nicht. Vielleicht zu Recht. Wer sich Richtung Volksabstimmung und direkte Demokratie bewegt, sollte allerdings wissen, dass dazu nicht nur das Losverfahren gehört, sondern auch der athenische Ostrakismos. Heißt: das Scherbengericht, mit dem der Bürger die Möglichkeit hat, ungeliebte Politiker elegant in die Wüste zu schicken. Eine solche Institution wäre zur Wiedersherstellung des Vertrauens in die Demokratie weitaus förderlicher als jeder Bürgerrat.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 60 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

60 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Micky Maus
11 Monate her

Sollte es tatsächlich wahr sein, dass die Bundestagspräsidentin etwas merkt und dem Bundestag nicht traut, hat sie soviel Mut dazu zu stehen?

Pellenzer
11 Monate her

Dieses Parlament ist das aller letzte, zum einen zu aufgebläht (die 30mal größere USA kommen mit 400 Abgeordneten aus) zum anderen sitzen dort Leute die gar nicht gewählt, z.T. absolut unfähig sind. Das Vertrauen der Bürger in diesen Bundestag geht gegen null. Ist es doch nur noch ein Versorgungs-Parlament für verdiente Partei-Soldaten, die in der freien Wirtschaft nicht überleben würden. Man kann anzweifeln ob die Parlamentarische Form der Politik überhaupt die richtige ist. Für mich nicht.

AnSi
11 Monate her

Ist das nicht das, was die „Allerletzte Generation“ will? Eine Räterepublik? Jetzt auf einmal kommt die Bas daher und hat auch diese Idee? Welches Vögelchen hat ihr denn das gezwitschert und warum springt sie auf diesen Zug und setzt das um? Wer hat sie bezahlt?

Ernst K.
11 Monate her

Ein Bürgerrat ist nicht demokratisch legitimiert und deshalb ungeeignet für die Herstellung von mehr Bürgernähe.

Vielmehr sollte man es den Abgeordneten erleichtern, nach ihrem Gewissen bzw. zugunsten ihrer Wähler zu votieren, d.h. ausschließlich geheim und frei, ohne persönliches Risiko.
Namentliche, öffentliche Abstimmungen bzw. Fraktionszwang nämlich degradieren unsere Abgeordneten zu Erfüllungsgehilfen der Regierung bzw. der Parteien, müssen sie bei abweichendem Votum doch mit Nachteilen rechnen.

Ernst K.
11 Monate her

Um mehr Bürgernähe herzustellen, brauchte es im Bundestag vor allem ein Verbot der namentlichen, öffentlichen Abstimmung bzw. des Fraktionszwanges. Dadurch würden viele Parlamentarier nach ihrem Gewissen, dem sie lt. GG verpflichtet sind, anstatt nach Parteiräson abstimmen. Gibt es keine Partei, die diesen Vorschlag ins Parlament, natürlich zur geheimen Abstimmung, einbringen könnte? Einen Bürgerrat halte ich für gefährlich, da sog. Räte die Demokratie aushöhlen und Kräften zu Macht verhelfen, die nicht demokratisch legitimiert sind und nur selten Gutes im Schilde führen. Die zig Mio. Opfer der Sowjetherrschaft unter Lenin und Stalin sollten Grund genug sein, von einer solchen Entwicklung Abstand zu… Mehr

Helfen.heilen.80
11 Monate her

Es gäbe preisgünstigere Möglichkeiten, verschiedene Dissonanzen in der Gesellschaft zu überwinden. Der Klassiker dürfte eine Steigerung des Meinungsaustausches sein. Leider fällt jedoch auf, dass „Haltungsjournalismus“ gefragt ist wie nie. Ebenso gehört die Korrektur im Bereich der social media, der „unausgesprochene Konsens“ in den Diskussionsrunden und die 92%-Rot-rot-grün Anhängerschaft bei den Journalisten weiter zur gelebten Praxis. Der Meinungskorridor wird neuen „Regelungen“ unterworfen, die nach den Maßstäben der BRD möglicherweise nicht unbedingt dem Bestimmtheitsgebot zu entsprechen scheinen. Es macht weiterhin nicht den Eindruck, als herrsche rege Gesprächsbereitschaft zu den Fragen, an denen sich die Meinungen hauptsächlich entzweien: Corona, Impfung, Ostkrieg, Energieverteuerung als… Mehr

Carl22
11 Monate her

Die Bürger fänden sich nicht mehr in den parlamentarischen Debatten wieder – sagt Frau Bas. Um es ganz genau zu sagen: 4.800.000 Wähler der AfD finden sich in der parlamentarischen Debatte des Bundestags zwar repräsentiert, haben aber rein gar nichts zu melden, weil die Altparteien in ihnen eine unberührbare Kaste sehen. Merkwürdig, dass die Frau Bundestagspräsidentin davon noch nichts mitbekommen haben will – oder ist das gar der Mißstand,den sie beheben will?. Alle die ach so anständigen, aufrechten Demokraten im Bundestag sch…..n den lieben langen Tag auf ihre Kollegen von der AfD, und damit auch auf deren Wähler. Solange sich das… Mehr

F. Hoffmann
11 Monate her

“160 Personen sollen bei einem Verfahren, das einen möglichst guten Querschnitt der Gesellschaft sichert, ausgelost werden.“ Also meines Wissens werden 20000 ausgelost und davon 160 je nach ihrer gesellschaftlichen Repräsentanz (nach welchen Kriterien auch immer) ausgewählt. Die nächste Beeinflussbarkeit liegt bereits in der Themenstellung. „Lockdown oder nicht“ wäre etwas anderes als „Wie gestalten wir den Lockdown“. Dann die Auswahl der beratenden Experten. Bleiben wir bei obigen Themen. Ein Beratung z. B. durch Drosten, Brinkmann, Montgomery u.ä. ergäbe vermutlich ein anderes Ergebnis als eine Beratung durch Streeck, Stöhr, Ioannidis, etc.. Das Ganze ist also ganz gut in eine bestimmte Richtung lenkbar.… Mehr

Last edited 11 Monate her by F. Hoffmann
MfS-HN-182366
11 Monate her

Pardon, ich habe die Nichtwähler nicht berücksichtigt, wem die vertrauen oder nicht, kann ich nur vermuten.

MfS-HN-182366
11 Monate her

160 „ausgeloste“ Personen(!):“ An mehreren Tagen sollen sie 40 Stunden lang gemeinsam oder in Kleingruppen diskutieren und die Vorschläge abstimmen.“
Wenn du nicht mehr weiter weisst, bilde einen Arbeitskreis!!!
In dieser linksgrünen Republik könnte ja durch Zufall ein AfDler ausgelost werden. Was dann? Dann wird gemerkelt und heraus kommt, dass die Grünen sich durchsetzen.