Bremen könnte zum sichtbaren Wendepunkt für die Grünen werden

Die Bremer wählen am kommenden Sonntag ihre Bürgerschaft. Eine Woche vor der Wahl zeichnet sich ab, dass sich in der Stadt nichts ändern wird – aber für die Grünen könnte die Wahl zum sichtbaren Wendepunkt werden.

IMAGO / Eckhard Stengel
Grünen-Wahlplakat zur Bremer Bürgerschaftswahl am 14. Mai 2023 mit Spitzenkandidatin Maike Schaefer

Für die vielen, die es noch nicht gehört haben: Der Bremer Bürgermeister heißt Andreas Bovenschulte. Dem Sozialdemokraten kann man vorwerfen, dass er farblos ist – aber für Bremen bedeutet er einen Fortschritt. Das liegt an seinen Vorgängern, zuletzt Carsten Sieling. Auch ein Sozialdemokrat, aber in der Partei ein radikaler Linksausleger.

Im Bildungsmonitor belegt Bremen laut Statistischem Bundesamt den letzten Platz. Auch ein Verdienst des ehemaligen Senators Willy Lemke, über dessen Bedeutung als Manager von Werder Bremen Otto Rehhagel einst meinte: Einer müsse halt die Post öffnen. Im langfristigen Vergleich des Bruttoinlandproduktes steht Bremen auf dem letzten Platz der Bundesländer, hat aber unter Bovenschulte zuletzt aufgeholt – steht die Sonne tief, wirft ein Zwerg auch lange Schatten.

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Dieses Prinzip gilt auch für die Grünen. Diese haben zuletzt Niederlagen eingefahren, die sie aber relativieren konnten: Zwar schnitten sie in den Landtagswahlen schlechter ab, als in den Umfragen vorausgesagt, aber Umfragen sind Umfragen und im Vergleich zu den jeweiligen Wahlen davor legten sie eher zu. Aber eben das liegt an dem Prinzip: Steht die Sonne tief, wirft ein Zwerg auch lange Schatten.

Im Januar 2018 wählten die Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock zu ihren neuen Vorsitzenden. Sie ersetzten Cem Özdemir und Simone Peter. Die Saarländerin machte erst in ihrem Heimatverband Karriere – unter dem skandalträchtigen Hubert Ulrich. Dann verhalf ihr eine Kombination aus verlorener Wahl, Ratlosigkeit und Frauenquote 2013 zum Vorsitz der Grünen. In dem Amt blieb Peter blass. An ihren besseren Tagen. Wenn sie auffiel, dann negativ. Etwa als sie der Kölner Polizei Rassismus vorwarf, weil diese eine zweite Silvesternacht mit Massen-Vergewaltigungen erfolgreich verhindert hatte. Frauenrechte sind grünen Frauen immer nur wichtig, wenn diese sie zu Diäten und „Chefinnensessel“ bringen.

Als Peter und Özdemir weg waren, erlebten die Grünen einen Aufschwung. Zum einen klammerten die beiden neuen Vorsitzenden jedes heikle Thema aus und vermieden so negative Schlagzeilen. Zum anderen wusste sich vor allem Habeck medial geschickt zu verkaufen. Dabei kam der Partei zugute, dass die große Mehrheit der deutschen Medien sich immer stärker zu „Haltungsjournalismus“ und damit zu grüner Parteinahme bekannte. Darunter ARD und ZDF, die mit 8,5 Milliarden Euro Zwangsgebühren im Jahr gepampert werden. Der Hype um Greta Thunberg und Fridays for Future tat ein Übriges dazu.

Unter Habeck und Baerbock begann ein Siegeszug, der den Grünen bei nahezu jeder Wahl einen satten Zugewinn bescherte. Die Bundestagswahl war der erste Knick in dieser Erfolgskurve: Lange sah es so aus, als ob die Grünen die nächste Kanzlerin stellen könnten. Doch dann verbaerbockte Annalena den Wahlkampf und die Partei landete nur auf Platz drei – auch wenn ein satter Zugewinn die relative Niederlage abkühlte.

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Die Wahl in Bremen ist nun die erste des neuen Zyklus, nachdem Habeck und Baerbock einen Hype ausgelöst hatten. 2019 holten die Grünen in Bremen 17,4 Prozent. Die jüngsten Umfragen sehen sie gut 4 Prozentpunkte schwächer. Mutmaßlich landen sie abgeschlagen auf Platz drei. Im Wahlkampf zeigt sich, dass die Zeiten von Habeck als Lokomotive vorbei sind. Kommt er vor Ort, muss er mit „Hau ab“-Rufen leben, was für die Partei zur Last wird – ebenso wie seine Politik: Heizungsverbot, Gasumlage, Atomausstieg trotz Energieknappheit …

Vielmehr als Nordrhein-Westfalen und sogar als Hamburg ist Bremen die sozialdemokratische Hochburg schlechthin. Die SPD stellt dort seit 1945 ununterbrochen den Bürgermeister. Doch 2019 gab es ein Novum: Zum ersten Mal wurde die CDU die stärkste Partei, mit 26,7 Prozent. Die SPD holte nur noch 24,9 Prozent. Vier Jahre vorher lag die SPD noch mehr als zehn Prozentpunkte vor der CDU.

Die jüngsten Umfragen sehen die SPD wieder als stärkste Partei bei knapp 30 Prozent. Die CDU folgt drei Prozentpunkte dahinter. Kommt das so, wäre es eher ein relativer Wahlsieg, eine Normalisierung unter dem normalen Bürgermeister Andreas Bovenschulte – nach linken Lautsprechern wie Carsten Sieling. Als Bestätigung ihrer Arbeit in Bremen, im Bund und weltweit werden die Sozen es trotzdem feiern.

Verändern wird sich in Bremen kaum etwas. Rot-Grün hat eine strukturelle Mehrheit. Ob sie noch einen dritten Partner brauchen, hängt davon ab, ob und wie stark FDP, AfD, Linke und eine vierte Partei in die Bürgerschaft einziehen. Denn in Bremen gibt es zwei Besonderheiten. Die eine ist das Wahlrecht. Erreicht eine Partei in Bremerhaven fünf Prozent, zieht sie in die Bürgerschaft ein, auch wenn sie stadtweit an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.

Die zweite Besonderheit hat die AfD verursacht. Die hat zwei Wahllisten eingereicht und wurde deswegen von der Wahlleitung nur für Bremerhaven zugelassen. Die Partei hat bereits angekündigt, die Wahl anfechten zu wollen. So oder so könnte aber vorläufig eine vierte Partei profitieren. Die „Bürger in Wut“. Die sitzen bisher aufgrund der Bremerhaven-Regel in der Bürgerschaft und könnten nun in ganz Bremen auf mehr als fünf Prozent kommen. Nach der Wahl ist eine Fusion zwischen den lokal agierenden „Bürger in Wut“ und dem bundesweit auftretenden „Bündnis Deutschland“ angedacht.

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Kommentare ( 43 )

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Deutscher
11 Monate her

Wie verlässlich grüne Wahlplakate sind, wissen wir seit „Keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete“.

Mausi
11 Monate her

https://www.heute.at/s/schweizer-alpenpass-nach-2000-jahren-wieder-aufgetaucht-100222299
Solange wir uns die Rückkehr zu alter Wärme als schädlichen Klimawandel verkaufen lassen, wird sich überhaupt nichts ändern.

LanR
11 Monate her

Gestern Nachmittag erschien auf dem RND ein Loblieb auf Habeck mit dem Titel „Trotz Heizungsstreit und Trauzeugen-Affäre – Warum Robert Habeck ein guter Politiker ist“.Ich war mental noch nicht stark genug mir den Artikel/Kommentar komplett durchzulesen.
Aus Sicht der Grünen würd ich sagen: „Läuft doch“

ketzerlehrling
11 Monate her

Die Grünen sind vorgewarnt, also wird entsprechend „ausgezählt“. Wo liegt das Problem und im Notfall wird mit einer Minderheit regiert, es bleibt immer, wie es ist. Es sei, denn die dumme Bevölkerung entschließt sich endlich zum Handeln.

Falk
11 Monate her
Antworten an  ketzerlehrling

Absolut richtig!! Zumal es absolut egal ist ob nun Rot, dunkel Rot, Grün, Schwarz, Gelb…, in welcher Konstellation auch immer… Das Ergebnis ist das selbe!

Ernst K.
11 Monate her
Antworten an  ketzerlehrling

Ich erinnere mich, daß vor ein paar Jahren ein Fall von Wahlmanipulation in Bremen vor Gericht kam. Der Täter zeigte sich von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt – vielleicht nur die Spitze des Eisberges, getreu dem Motto: Die Wahl entscheiden die Zähler, nicht die Wähler.

a.bayer
11 Monate her

Auch in den kumulierten Sonntagsfragen des Institutes DAWUM liegen die Grünen mittlerweile hinter der AfD, aber immer noch ca. 1% über ihrem Wahlergebnis von 2021. Seit dem vergangenen August haben die Grünen etwa 9% verloren. Der Umfrageverlauf zeigt, dass dieser Prozess zumindest seit dem Herbst sehr langsam erfolgt und keineswegs absturzmäßig vor sich geht. Nun wird es, neben den bekannten unbelehrbaren Verhaltensoriginellen, eine Menge Energiewende-Profiteure geben. Aber entscheidend scheint mir zu sein, dass Grünen-Wähler deshalb grün wählen, weil sie zu den „Guten“ gehören wollen. Und sich einzugestehen, dass man sich hier gründlich geirrt hat, ist ein Prozess, der dauert. Das… Mehr

Brotfresser
11 Monate her
Antworten an  a.bayer

Ich habe Verwandtschaft im „Veddel“, in Nähe des Stadions. Es ist amüsant, zu sehen, wie viele dort grün wählen, um zu den „Guten“ zu gehören, und grundsätzlich gegen Autos sind, aber ihr SUV am liebsten direkt vor dem Haus parken!

Moderner Ablaßhandel (Die Seele in den Himmel springt, sobald die Glocke des Lastenrades des Nachbarn klingt!)

Grüne Doppelmoral in Reinstform!

elly
11 Monate her

„Im Bundestagswahlkampf 2021 kam Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen ins Straucheln. Die Partei legt sich nun dennoch fest: Auch bei der nächsten Wahl will sie das Kanzleramt ins Visier nehmen.“
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundestagswahl-2025-gruene-bereiten-kanzlerkandidatur-vor-18876896.html
Bleibt zu hoffen, dass die Bremer Wähler und Wählerinnen ein deutliches Signal aussenden. Nichtwählen heißt Grüne wählen.

Klaus M.
11 Monate her
Antworten an  elly

Für Deutschland war es 2021 ein Glück im Unglück, dass die Grünen mit Baerbock die falsche Kandidatin hatten. Wäre Habeck von seiner Partei als Kanzlerkandidat nominiert worden, säße er jetzt im Kanzleramt.

Elisabeth D.
11 Monate her
Antworten an  Klaus M.

Als Wirtschaftsminister ist er auch ein Desaster, ebenso wie Baerbock als Außenministerin.

Ernst K.
11 Monate her
Antworten an  elly

„Nichtwählen heißt Grüne wählen.“

Genauso ist es. Oder wie es einst ein amerikanischer Präsident formulierte: ‚Schlechte Kandidaten werden von guten Bürgern gewählt, die nicht zur Wahl gehen.‘

Mugge
11 Monate her

Unter Habeck und Baerbock begann ein Siegeszug, der den Grünen bei nahezu jeder Wahl einen satten Zugewinn bescherte

Was schwer nachvollziehbar ist, da alleine schon die sich früh abzeichnende besondere Verwendung sprachlicher Mittel einer Annalena Baerbock auf kommendes hinzuweisen vermochte.

Autour
11 Monate her

Umfragen sehen sie gut 4 Prozentpunkte schwächer Also bei 4 Punkten von einem Wendepunkt zu sprechen, ist dann doch schon sehr sehr weit hergeholt! Gerade in einer Stadtwahl! Bei 55-60% Wahlbeteiligung, da reicht es ja schon wenn 2 Grüne krank sind und schon sind es 0,5 Punkte weniger… nein es ist erschreckend, dass die Grünen für ihre Politik nicht abgestraft werden sondern weiter stabil bleiben! Zu den Listen der AfD kann man nur sagen, wenn es so einfach ist, eine Partei von der Wahl auszuschliessen, könnte man ja anfangen Wahllisten der Einheitsparteien einzureichen… dann hat man bald nur noch eine… Mehr

Brotfresser
11 Monate her
Antworten an  Autour

Mich persönlich würde mal brennend interessieren, ob und in welchem Ausmaß V-Leute von „Haltungsmecki“ Haldenwangs (hier gelesen und für gut befunden!) Verfassungsschutz bei den Zwistigkeiten, Querelen und Parallel-Listen der AFD (hier und anderswo) ihre Finger im Spiel haben!?
Das ist doch mal eine Verschwörungstheorie, die ihren Namen verdient! Oder?
Andererseits wissen wir aber ja auch, wie die Piraten, sobald sie dem Establishment gefährlich wurden, von innen heraus zersetzt wurden …

Ali Mente
11 Monate her

Ob 17,4 oder 13,4 %, die Grünen dominieren ihre jeweiligen Koalitionspartner nach belieben. Und in einem Land, in dem eine ehemalige SED-FDJ Funktionärin, trotz 100% Versagens im Amt, vier mal gewählt wurde, da brauchen sich auch ausgemachte und ausgelachte Stümper keine Sorgen über größere Verluste zu machen. Armes Deutschland kann man da nur noch sagen!

Timur Andre
11 Monate her
Antworten an  Ali Mente

Die Grünen haben mächtige Verbündete, die weit in die Redaktionen eingreifen können, lukrative Posten vergeben, und auch einige von anderen Parteien eingebunden haben: WEF, Young Global Leaders

Anti-Merkel
11 Monate her

Ich befürchte, das wird ein Wendepunkt in die falsche Richtung. Die Ergebnisse der Grün*innen sind (möglicherweise wegen Wahlbetrug?) fast immer besser als ihre Umfrageergebnisse. Dank Lügenmedien erfährt die normale Bevölkerung kaum, für was diese Partei heute wirklich steht. Wahrscheinlich haben viel mehr Leute das Baerbock-Wahlplakat „Keine Rüstungsexporte in Kriegsgebiete“ gesehen, als von einer halbwegs neutralen Quelle über ihre Kriegstreiberei gehört haben. Dass es Wissenschaftler gibt, die der „CO2 verbrennt uns alle“-Theorie nicht zustimmen, hat wohl auch noch fast niemand gehört. Und dass Baerbock dumm ist, darf man ja unter Androhung von 10000€ Strafe nicht mehr glauben. Und dazu kommt, dass… Mehr