#BoycottGermany – Und zahlst Du nicht willig, so brauch ich Twitter

Dem Herrn sei’s gedankt, dass man in diesen Tagen nicht wieder die USA boykottieren muss, werden sich viele Aktivisten denken. Sonst wüsste man ja gar nicht, wie man überhaupt kommunizieren sollte, so ganz ohne diese ur-amerikanischen Erfindungen wie Twitter. Wer in Deutschland kennt schon das chinesische WeChat – und gibt es überhaupt eine Alternative zu Twitter und Facebook? Und wenn ja, versteht man mich da? Insofern schaut die westliche Welt wieder wie gebannt auf Twitter, wo der Hashtag des Tages #BoycottGermany die Hexenverbrennungs-Trends anführt.

Was fällt den Deutschen auch ein? Wollen Sicherheiten für Kredite. Pah. Sowas. Diese Nazis. 50 Mrd Euro an Sicherheiten. Wo doch jeder weiss, der zuletzt mal durch Athen gefahren ist: Das könnte schwierig werden. Baufällig, fast überall, wo man auch hinschaut, schon diese Akropolis: Baufällig. Was unmittelbar zu der Frage führt: Verflucht noch eins: WO IST DIE KOHLE DER LETZTEN JAHRE HINGEFLOSSEN? In die Infrastruktur? Fehlanzeige. Ins Gesundheitssystem? Fehlanzeige. Ins Sozialsystem? Fehlanzeige, aber wird schon wärmer. In Beamtenpensionen und in ein hoch ineffizientes System? Wärmer. In Politikergehälter, die dank Euro hoch bleiben können? Noch wärmer. Auf Konten reicher Reeder*, die ihre Einkommen nicht versteuern und einiger Beamter im Ausland? Heiß. Noch immer nicht wurden Konten der reichsten Griechen in der Schweiz oder in Übersee zur zumindest teilweisen Tilgung griechischer Schulden herangezogen. Alleine im Januar 2015 waren 27 Milliarden Euro Kapitalabflüsse aus Griechenland zu verzeichnen.

Und weil die griechische Politik nicht in der Lage ist, Steuern zu erheben, Finanzbeamte bedroht werden, wenn sie versuchen, diese einzutreiben, eine geplante Entsendung von 165 deutschen Finanzbeamten aufgrund von „Einmischung in griechische Hoheitsaufgaben“ gestoppt wird, wird eben weiter bei der EU gequengelt. Abkassiert. Beschimpft. Auf’s unflätigste beleidigt. Und neuerdings zum Boykott deutscher Produkte aufgerufen. Ein Tweet, der von Panos Kammenos, dem griechischen Verteidigungsminister, geteilt wird, ist z.B. dieser hier:

PanosKamenosTweet

Ein Tweet, den Alexander Neubauer vom Spiegel sehr treffend mit „Geld ist aber willkommen“ kommentiert.

Sehr gut beschreibt Patrick Bernau das Wirken in sozialen Medien anhand des Beispiels Schweigespirale auf FAZ.net:

„Gerade die intelligenten und kosmopolitischen Europäer verstehen die englischen Beiträge, die Blogs und die Tweets. Viele von ihnen fallen der Schweigespirale ebenfalls anheim. So kommt es, dass die Amerikaner die Europäer nicht verstehen. Und die Europäer selbst einander auch nicht.“

Deutsch ist einfach schuldig. Sich dagegen zu wehren heißt, sich freiwillig in die Nazi-Ecke zu stellen und sich ein Hakenkreuz an’s virtuelle Revers zu stecken. Das macht die Beschimpfungen gefahrlos und den Beschimpften sprachlos. James Kirkup beschreibt im Telegraph:

„Arguing with Twitter hashtags is like urinating into a hurricane, and a particularly stupid and self-righteous hurricane at that. But sometimes, you just have to do these things anway, and dry yourself off afterwards. So here goes: no, this is not a coup.“

Anbei einige Auswüchse der letzten Tage, Aufrufe, nicht mehr beim bösen Deutschen zu kaufen. Dem Nazi. Dem Zerstörer Europas.

Es ist tatsächlich bitter. Am Ende zahlen die Deutschen. Immer. Ob nun mit Geld. Oder mit dem letzten bisschen ihnen noch gebliebenen und versteckten Stolzes, den sie trotz aller Leistungen und aller Errungenschaften aus dem Schrank holen, abstauben, anprobieren aber niemals behalten, geschweige denn zeigen dürfen. Und wenn alles nicht klappt: Die Nazi-Keule. Die funktioniert immer.

Es gibt nur eine Steigerung: Stellen wir uns mal vor, die Deutschen würden nicht mehr nach Kreta reisen wollen. Dann müsste man einen Boykott boykottieren. Aber nein, das wollen wir lieber nicht tun. Das wäre ja – echt deutsch eben.

* = erfreut sich auch in Deutschland großer Beliebtheit – Stichwort Tonnagebesteuerung, 1998 eingeführt von der rot-grünen Bundesregierung zur „Stärkung des Schiffahrtstandortes Deutschlands“ durch Senkung des deutschen Steuerniveaus auf ein internationales Niveau

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