Der Haltungsforscher

Die G20-Gewalttäter? „Unpolitisch“. Proteste gegen die Corona-Politik? Entfernen „Menschen von der Demokratie“. Wo immer ein Narrativ gestützt werden muss, steht Andreas Zick als wissenschaftlich verbrämter Stichwortgeber parat. Ein Einzelfall ist er nicht.

IMAGO / photothek

Nach den Demonstrationen gegen die Corona-Politik hatte Andreas Zick wieder einen seiner großen Medienauftritte. Der NDR befragte den Bielefelder Sozialpsychologen zu den Protesten. Das bedeutet in diesen Fällen: Nicht zu den Forderungen und Motiven der ziemlich bunt gemischten Demonstranten, erst recht nicht zur möglicher Kritikwürdigkeit der staatlichen Corona-Politik, also zur Frage, was an den Demonstrationen möglicherweise berechtigt sein könnte. Sondern es ging um die sozialpsychologische Ausleuchtung der Demonstranten. „Wir müssen davon ausgehen“, meinte Zick beim NDR (wobei nicht deutlich wurde, wer außer ihm hinter dem ‚Wir‘ steckt), „dass diese ‚Spaziergänge‘, dass diese Proteste eine Grundlage sind, Menschen von der Demokratie zu entfernen. Aber auch, dass sich in diesen Protesten neue extremistische Gruppen bilden. Das dürfen wir nicht unterschätzen.“

Belege für die Bildung von neuen extremistischen Gruppen gleich im Plural nannte er nicht. Demonstrationen als „Grundlage“, um „Menschen von der Demokratie zu entfernen“ – sie entfernen sich also nicht einmal selbst, sondern sind passive Figuren – für den Ausstoß solcher Sätze gibt es eigentlich das Verb schwurbeln. Zicks Sätze platzierte der ARD-Sender auf eine sogenannte Social-Media-Kachel, um dem „Konfliktforscher“ (NDR) eine möglichst große Reichweite zu verschaffen.

— NDR Info (@NDRinfo) January 3, 2022

Besonders Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kennen den Forscher aus Bielefeld mittlerweile als Universalanalytiker der jeweiligen Lage. Nach den linksextremen G-20-Krawallen in Hamburg 2017 mit Brandstiftungen und mehreren Hundert verletzten Polizisten klingelte die Tagesthemen-Redaktion Zick an, damit er das Geschehen einordnete. Sein Urteil lautete damals, „Ideologie“ spiele bei den Tätern, „kaum eine Rolle“. Auch damals schickte das Social Media-Team der ARD den Kernsatz ins Netz.

Damals, kurz vor dem Höhepunkt der Ausschreitungen und Brandstiftungen durfte Emily Laquer bei Dunja Hayali auftreten und der Polizei vorwerfen, sie habe „den Boden des Rechtsstaats verlassen“, während sie selbst auch auf Nachfrage jede Distanzierung von Gewalttaten ablehnte. Als dann am 7. und 8. Juli 2017 von Linksextremen Läden geplündert, Autos angezündet und Polizisten mit Steinen eingedeckt wurden, lautete das schnell zusammengebastelte politisch-mediale Narrativ im linken Lager, bei den Schwarzvermummten habe es sich um unpolitische Krawalltouristen gehandelt. Die Gewalttäter könnten überhaupt keine Linken gewesen sein, twitterte der damalige SPD-Vize Ralf Stegner in einer bestechenden Beweisführung, denn „Gewalt ist nicht links“.

Zick, damals von der ARD mit der Berufsbezeichnung „Gewaltforscher“ versehen, lieferte zur besten Sendezeit die nach Wissenschaft klingende Bestätigung, indem er einfach noch einmal evidenzfrei den Befund von Stegner wiederholte. Stegner wiederum twitterte dann Zicks Tagesthemen-Sätze als Bestätigung für seine Behauptung weiter.

Was Zick ohne Zweifel besitzt, ist ein untrügliches Gespür für rhetorische Einsätze, die ein Medium gerade von ihm braucht: im Fall der Hamburger Ausschreitungen eben die Bestätigung, dass hinter der systematischen Gewalt keine Ideologie steckte. Und im Jahr 2021 die sozialpsychologische Analyse, dass diejenigen, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen – ohne Steinwürfe, Brandstiftungen und Hunderte Verletzte – sich von der Demokratie entfernen und zumindest hier und da dem Extremismus entgegen ziehen.

Vor einiger Zeit prägte Norbert Bolz die Wendung „Gefälligkeitswissenschaftler“. Nicht in erster Linie wegen Zick selbst soll deshalb seine Wirkung hier nachgezeichnet werden, sondern vor allem zur Illustration des Bolz’schen Begriffs. Falls jemand in einer Diskussion nach einem konkreten Beispiel für wissenschaftsförmige Narrativbestätigung fragen sollte, bietet sich jedenfalls der Fall des Bielefelder Sozialpsychologen idealtypisch an.

Zick saß bis 2018 im Beirat der überwiegend mit Bundesmitteln finanzierten Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS), er gehört zum „Rat für Migration“, einem Zusammenschluss links stehender Wissenschaftler, finanziert von der Freudenberg-Stiftung, die auch zu den wichtigen Geldgebern der AAS zählt. Außerdem betreut er zusammen mit Kollegen die sogenannte „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, einer Befragung, mit der die SPD-nahe Stiftung seit Jahren versucht, eine Gefährdung der gesellschaftlichen Mitte von rechts nachzuweisen. An der Untersuchung mit dem Titel „Die geforderte Mitte“ aus dieser Reihe, die Zick 2021 federführend betreute, lässt sich die Arbeitsweise des Bielefelder Forschers besonders schön demonstrieren. Gefordert ist die Mitte einem Vorwort zu dem Papier zufolge, „Haltung zu zeigen, Positionen zu beziehen“. In einer Art Disclamer wehrt er gleich am Anfang die Frage ab, warum er sich bei der folgenden Befragung praktisch nur auf Rechtsradikalismus kapriziert.

„Das stimmt so nicht“, antwortet Zick der selbstgestellten Frage im Ton des Faktencheckers: „Wir weisen abwertende Einstellungen in dieser Studie für alle politischen Lager aus. Es ist aber in Deutschland nachweislich so, dass bspw. Populismus meist Rechtspopulismus ist. Außerdem glauben wir, auch mit Blick auf die Gewalt- und Hasstaten, Terrorakte und Todesopfer rechter Gewalt, dass diese Herausforderung die größere für Deutschland ist und das sehen auch die Befragten überwiegend so, wenn sie Rechtsextremismus als größte Bedrohung für Deutschland markieren.“

Natürlich stimmt es doch. Er und seine Kollegen weisen zwar in einzelnen Kategorien auch die Zustimmung beispielsweise zu antisemitischen Einstellungen im linken Spektrum aus. Aber sie stellen ihren Probanden nirgends auch nur eine Frage zu klassischen linkspopulistischen Positionen. Etwa: „Große Unternehmen wie BMW sollten in Kollektiveigentum überführt werden.“ Oder: „Jeder sollte maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt.“ In beiden Fällen handelt es sich übrigens um Originalzitate des SPD-Generalsekretärs aus dessen Zeit als Juso-Chef, die er bis jetzt nicht zurückgenommen hat.

Screenshot / ZDFheute

Und dem Spitzenpersonal ihres Auftraggebers möchten die Forscher selbstredend nicht zu nahetreten. In seinem Begleittext zu der „Mitte“-Untersuchung schreibt Zick:
„Vielleicht sitzt der Schock über die Hasswelle und die Entdeckung rechtsextremer Terrorgruppen, die unbehelligt in der Mitte untertauchen konnten und
 können, auch deshalb so tief.“ Welche rechtsextremen Terrorgruppen – also gleich mehrere – sich seiner Ansicht nach wie ein Fisch im Wasser in der bürgerlichen Mitte bewegen konnten, verrät er nicht. Aber gleich im Anschluss folgt eine Passage, die Zicks Wissenschaftsverständnis in Reinform zeigt.

„Die Zahl politisch motivierter Straftaten“, heißt es dort, „erreichte 2020 den höchsten Stand seit Beginn der Erfassung vor rund 20 Jahren, so berichtete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im März 2021. Von den mehr als 44.034 Straftaten im Hellfeld – das Dunkelfeld dürfte weitaus größer sein – waren 3.354 Gewaltdelikte, und damit hat auch die politisch motivierte Gewalt einen neuen Höchststand erreicht.“ Nach den vorausgegangenen Betonungen und Beteuerungen, dass es eigentlich nur Rechtspopulismus gibt, vor allem „rechte Gewalt“, die Demokratie herausfordert, und sich rechte Terrorgruppen im Schutz der Gesellschaftsmitte tummeln, verschwindet hier, bei der Erwähnung von Gewalttaten, urplötzlich jede Rechts-Links-Zuordnung.

Das macht den Blick auf die entsprechenden Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik umso interessanter. Danach gab es 2020 in Deutschland insgesamt 1092 Gewalttaten von rechts – und 1526 von links. Die Zahl der linksextremen Gewalttaten lag also nicht nur um über 50 Prozent höher als die von Rechtsaußen. Auch die Steigerungsraten lesen sich beeindruckend: Im Vergleich zum Vorjahr nahmen rechtsextreme Gewalttaten laut Bundesinnenministerium um 10,75 Prozent zu, linksextreme stiegen mit 45,06 Prozent mehr als viermal so stark an.  Zur Behauptung einer Demokratiebedrohung und Mitte-Korrumpierung vor allem von rechts fügt sich das natürlich schlecht. Darum lässt Zick diese Details in seinem „Mitte“-Werk einfach weg. Sein wichtigstes Prinzip lautet: Was nicht passt, wird passend gemacht.

Das gilt auch für seine Befragungsergebnisse. Schon die Fragen sind (nicht nur unter Zick, sondern in den „Mitte“-Untersuchungen der FES traditionell) so zugeschnitten, dass sich aus den Antworten möglichst eine sogenannte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit herauslesen lässt. Zum Thema Migration beispielsweise lauten die Suggestivfragen so: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“; „wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“ und „die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Befragte können nur zustimmen, ablehnen oder mit „teils, teils“ antworten. Eine Frage wie: „Migration sollte sich nach den Interessen des aufnehmenden Landes richten“ fehlt von vornherein.

Die Antworten in dem FES-Werk zu vielen Fragen, die auf eine harte extremistische Gesinnung zielen, fallen nicht besonders beeindruckend aus. Die Suggestion etwa, dass Deutschland einen „starken Führer“ braucht, liegt gerade bei 2,2 Prozent, zur Verharmlosung des Nationalsozialismus bei 1,4, zu eindeutig antisemitischen Suggestionsfragen bei 1,7 Prozent. Der Befund passt gut zu den Wahlergebnissen der NPD, aber nur schlecht zur Demokratiebedrohung von rechts, die angeblich bis in die Mitte reicht. Also mixt Zick diese Werte mit anderen.

„Der Aussage, ‚die Medien und die Politik stecken unter einer Decke‘, stimmt knapp ein Viertel der Befragten (24,2 %) zu“, heißt es in dem „Geforderte Mitte“-Werk. Nun muss sich jemand schon größte Mühe geben, um an dem Engtanz zumindest eines Teils der Medien mit der Regierung vorbeizusehen, von Politiker-Hintergrundrunden mit ausgewählten Hauptstadtjournalisten, der medialen Beschimpfung unbotmäßiger Bürger und Staatsgeldern für geneigte Journalistenzirkel wie die „Neuen Deutschen Medienmacher“ bis zu der dringenden Bitte von Verlegerverbänden um Mediensubventionen aus der Staatskasse. Sehr schön erklärte ein „Tagesspiegel“-Journalist vor einiger Zeit den harmonischen Gleichklang am Beispiel der Corona-Politik: „In der Coronakrise geht es um Leben und Tod. Wenn in derart existenziellen gesellschaftlichen Situationen das Gros der deutschen Journalisten moralisch ähnlich empfindet wie das Gros der Parlamentarier, dann hat das nichts mit freiwillig vollzogener Gleichschaltung zu tun, sondern ist Ausdruck einer Wertegemeinschaft.“

Desgleichen ein leitender Focus-Redakteur, der gerade Argo Nerd, einem Twitter-Publizisten, der meist kommentarlos Widersprüche und Wendungen in Politik und Medien einfach nur collagenhaft zitiert, vorwarf, er, Argo Nerd, sei eben vom „dialektischen Denken überfordert“.

Dass nur gut ein Viertel der Frage zustimmten, liegt möglicherweise an der pauschalen Formulierung, alle Medien steckten mit den Regierenden unter einer Decke. Was selbstverständlich nicht zutrifft. Es gibt schon einige Ausnahmen.

An einer Stelle stützt sich Zick auf eine wichtige Referenz – nämlich Zick – um deutlich zu machen, wo aus seiner Sicht die Probleme beginnen, egal ob in der Mitte oder speziell bei Medien: „Wie die Daten der Mitte-Studie 2018/19 zeigen, ist Elitenschelte (Elitenkritik) als eine Facette eines rechten Populismus zu verstehen (Zick et al. 2019).“ Elitenkritik war einmal ganz selbstverständlich die linke Domäne schlechthin in einer Zeit, als autoritäre Neolinke noch nicht an den Schaltstellen von Hochschulen, Instituten, vielen Medien und in den Regierungsparteien saßen. Weil Zick weiß, gegen wen sich Kritik richten sollte – und gegen wen besser nicht –, gehört er nicht nur zu den Auftragnehmern der Ebert-Stiftung, sondern eben auch zu den Einschätzern und Narrativ-Ingenieuren, die Redakteure des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und wohlmeinende Journalisten überhaupt gern anrufen. Ähnlich wie bei Persil weiß man, was man von ihm bekommt.

Zick gehörte beispielsweise zu den Gewährsleuten, die ein dpa-Journalist in seinem Stück zum fünften Jahrestag der Silvesterübergriffe von Köln im Januar 2021 breit zitierte. Dem dpa-Journalisten geht es weniger um die Opfer und das politisch-mediale Versagen, sondern um den „Sicherheits- und Fremdheitsdiskurs“ nach Köln. Diskurs, dazu kann der Erkenntnisvermittler aus Bielefeld immer etwas beitragen. „Nach Erkenntnissen des Sozialpsychologen Andreas Zick“, heißt es in dem dpa-Stück, „kam es dabei zu einer Überbetonung von Kriminalität durch Migranten, ‚die nicht übereinstimmte mit der Kriminalstatistik, insbesondere bei der Frage: Welche Gruppen sind anfällig für Straftaten?’“

Es wird zwar nicht klar, wer eigentlich die Kriminalität von Migranten nach den Kölner Übergriffen überbetont haben sollte, die ausschließlich von Migranten verübt worden waren. In der Kriminalstatistik lässt sich auch ganz allgemein nachlesen, dass vor allem Asylbewerber aus muslimischen Staaten überdurchschnittlich bei Sexualstraftaten und Körperverletzungen vertreten sind. Für einen Sozialpsychologen wäre die Frage nach den Gründen und der Reaktion von Politik und Medien eigentlich ein ergiebiges Thema. Für Zick nicht. Er zitiert stattdessen für dpa eine ältere „Mitte“-Untersuchung: „Umfragen hätten gezeigt, dass als Folge davon Polarisierungseffekte in der Bevölkerung eingetreten seien. So sei die Zustimmung zu dem Satz ‚Wir sollten stärker darauf achten, nicht von Migranten überrannt zu werden‘ von 28 Prozent im Jahr 2014 auf 42 Prozent 2016 gestiegen, so Zick.“

An praktisch allen Wortmeldungen des Forschers fällt auf, dass er sich immer nur für prozentuale Zustimmungen zu irgendetwas interessiert, aber nie, welche Beweggründe dahinterstehen. Und schon gar nicht für die Verantwortung politisch-medialer Entscheidungsträger.

Die Fernseh-Einspieler mit Zick laufen immer nach dem gleichen Muster ab: Der Moderator oder die Moderatorin stellt ein Thema vor, versieht es für die Zuschauer schon einmal mit einem entsprechenden Twist, und begrüßt dann Andreas Zick als Gewaltforscher, Konfliktforscher und/oder Sozialpsychologe (aber nie als Zuarbeiter der Ebert-Stiftung). Dann folgen Zicks Soundbites, eingebettet in autoritätsschaffende Wendungen wie „wir sehen“ und „wir wissen“, im Redefluss folgt Behauptung auf Behauptung, für die es nie einen Beleg gibt, höchstens einmal ein Zitat aus den eigenen Umfragen. Skeptische Nachfragen kommen nie vor. Dann ist die Zeit auch schon um. Vielen Dank nach Bielefeld.

Dieser Routine folgte auch die ZDF-„Kulturzeit“-Moderateurin, die Zick für einen Beitrag bemühte, in dem sie die Besetzung des Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 mit populistischen Bewegungen in Deutschland und vor allem der sehr kurzzeitigen Reichstagstreppen-Besetzung 2020 vorher engführen wollte. Im Fernsehen, so die ZDF-Frau, hätte man oder jedenfalls sie gesehen, wie Trump-Anhänger „bewaffnet ins Kapitol stürmen“. In Wirklichkeit trugen die Eindringlinge keine anderen Waffen als Mobiltelefone, und die meisten kamen ganz regulär durch die Eingangstür unter den Augen der Kapitol-Polizei. Aber auch für das, was die Redakteurin schilderte, gilt der Satz von Bernd Zeller: „Wer von diesen Bildern gehört hat, wird sie nie vergessen.“ Der bewaffnete Sturm auf den Parlamentssitz in Washington sollte also irgendwie mit dem Reichstagssturm in Beziehung gesetzt werden, der sich nur auf eine Außentreppe beschränkte. Für Zick stellte auch hier die Unterfütterung durch Stichworte kein Problem dar.

Screenshot / ZDF

Der Bielefelder erklärte, die populistische rechte Bewegung in Deutschland sei auch schon vor dem Amtsantritt von Angela Merkel „breit aufgestellt“ gewesen. Da ihm offenbar noch rechtzeitig einfällt, dass in Berlin etwas mehr als hundert Demonstranten nur kurz die Reichstagstreppe hinaufgerannt waren, um dort Handyfotos von sich zu schießen und nicht einmal den Versuch zu unternehmen, in das Gebäude einzudringen, schöpfte Zick die originelle Formulierung „nach der Reichstagsbesetzung dieser Treppe“. Um dann weiter von „Raumbesetzung“ zu reden. Wer Zick zum ersten Mal hört, den kann so etwas noch verwundern. Alle, die ihn etwas besser kennen, wissen: Frühere Sozialpsychologen haben die Realität nur interpretiert. Es kommt aber darauf an, eine neue Realität zu schaffen. Und in der sind eben Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen generell demokratiefern und potenziell extremistisch, G-20-Gewalttäter haben nichts mit Ideologie zu tun, das Schlimme an den Übergriffen von Köln waren Ressentiments gegen Migranten, und die Gesellschaftsmitte läuft seit Jahren Gefahr, von Rechtsaußen aufgerollt zu werden. Die Reichstagsbesetzung der Treppe ist also nur eine Zick’sche Wort- und Wirklichkeitsschöpfung von vielen.

Zick ist nicht allein. Er befindet sich in der Gesellschaft sehr ähnlicher Medienexperten, die jeweils auf einem bestimmten Feld mit wissenschaftlicher Aura und sehr ähnlicher Methodik bestätigen, was die anfragende Redaktion denkt. Für alle Fragen der Energieerzeugung steht Claudia Kemfert vom DIW zur Verfügung, deren Gebiet sich von der Vorhersage des billigen Stroms aus erneuerbaren Quellen über leitungsverstopfende Elektronen aus Kohle- und Atomkraftwerken bis zur Reichtumsbekämpfung im Namen des Klimas erstreckt.

Für alles, was Zick, Kemfert – und Karl Lauterbach natürlich – thematisch beim besten Willen nicht mehr abdecken können, ist Eckart von Hirschhausen zuständig, der Arzt, dem Wachstumsgegner vertrauen.

Für alle Genannten gilt, dass sie dem Narrativ, um das es gerade in einer Sendung geht, und überhaupt einem gerade in wohlmeinenden Zirkeln geltenden Narrativ niemals widersprechen würden. In der ZDF-Sendung zur bewaffneten Kapitolerstürmung und Reichstagsbesetzung nannte Zick ein Erkennungsmerkmal des populistischen und gefährlichen Milieus. Das, so Zick, „sucht sich Argumente, die zur eigenen Ideologie passen.“

Falls Sie auf solche Leute stoßen: Nehmen Sie die Warnung ernst. Halten Sie Abstand. Es handelt sich, um mit Eduard Zimmermann zu sprechen, leider um keine Einzelfälle.

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