Die Transformationspläne der Ampelkoalition: kein Opfer zu groß

Die FDP verabschiedet sich von Bürgerrechten, die Grünen trennen sich vom Naturschutz. Vielleicht räumen die Sozialdemokraten den Rest ab? Die Ampel macht in den ersten Tagen ihrer Regierung klar: Für die "große Transformation" bleibt kein Stein auf dem anderen.

IMAGO / Frank Ossenbrink

In den USA hat sich die Tradition etabliert, dass der neue Präsident nach Amtsantritt mit seinen „Executive Orders“ eine Richtlinie vorgibt. Donald Trump etwa hatte Abtreibungsorganisationen mit seiner Unterschrift den staatlichen Geldhahn zugedreht, Joe Biden machte das Dekret bei seinem Antritt sofort rückgängig. Deutschland kennt keine vergleichbaren Dekrete, die Zeichen setzen. Was bleibt, sind Äußerungen, sind Nachrichtenmeldungen, sind Symbole. Das erste Symbol der neuen Ampel ist eine Formlosigkeit, die allzu sehr an den Stil der abgetretenen Bundeskanzlerin erinnert. Scholz ruft von seinem Sitz ein „Ja“ als Annahme der Wahl durchs Plenum; die Politbürokratie vollführt die Regierungsübernahme in der spröden Atmosphäre des Formularabstempelns. Ein paar Blumen für ihn, ein paar Blumen für sie, eine Urkunde abgeholt und weiter im Geschehen. Nichts im Zeremoniell erinnert daran, dass sich etwas Neues ereignet hat. Merkel hätte auch ihr fünftes Kabinett vorstellen können, die Routine ist dieselbe.

Die Ampel ist daher zuerst nichts Neues. Kaum eine Personalie versprüht jugendlichen Esprit oder Charme; niemand weckt Hoffnungen auf Überraschungen oder das Unbekannte. Der Vorwurf, man solle der neuen Regierung doch Zeit geben – fairerweise die ersten 100 Tage – geht ins Leere, wenn Parteien und Personal seit Jahr und Tag das Alltagsgeschehen der Bundesrepublik dominieren. Sind FDP, Grüne und SPD frisch gegründete Parteien? Sind Habeck, Scholz, Baerbock und Lindner unbekannte Personalien? Sind Bündnisse aus Rot-Grün oder gar Ampelbündnisse auf Landesebene eine Neuheit? Das Neue, das die Ampel bringt, ist damit alt und erwartbar. Die Medien versuchen ihr Bestes, das mechanische Zahnrad deutscher Politik mit dem Zauber des Anfangs zu belegen, wenn sie schmachtend dem neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auf seinem E-Bike zuschauen, die Ernennungsurkunde auf dem Gepäckträger eingeklemmt.

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Wir haben es mit einer Koalition zu tun, die den „Fortschritt“ beschwört, obwohl der Fortschrittsglaube einer Mentalität des 18. Jahrhunderts entstammt und sich im Laufe des 20. Jahrhunderts erledigt hat. Zynisch könnte man einwenden, dass man von Leuten, die den „demokratischen Sozialismus“ immer noch für ein hippes Experiment, statt einen historischen Rohrkrepierer halten, nichts anderes erwarten sollte. Alle reden sie von den unverbesserlichen Konservativen, die sich nicht fortentwickeln wollen, und präsentieren Lösungen aus vergangenen Jahrhunderten. Es ist eine erheiternde Schizophrenie, aber leider sind es diese Ärzte, die das Leid der Republik kurieren sollen.

Bereits vor der Amtsübernahme häutete sich die FDP. Zuerst rühmte sie sich noch, in den Sondierungen durchgesetzt zu haben, keine Steuern zu erhöhen. Davon blieb bei den Koalitionsrunden nichts mehr übrig. In der Migrationsfrage kuschte sie nicht nur vor den Grünen, nein, Lindner begrüßte auch noch den Muezzin-Ruf über Köln als Recht, das aus der Religionsfreiheit herrühre. Beim Streit um die Impfpflicht dominierte plötzlich die Ansicht, dass es „falsch verstandene Freiheiten“ gäbe, dass sich ein „Vulgärliberalismus“ breitmache. Die FDP hielt nicht dagegen, sondern knickte stumm ein; vielsagend, handelte es sich doch bei den „falsch verstandenen Freiheiten“ um nichts weniger als die Grundrechte, die die Väter des Grundgesetzes als Abwehrrechte gegen den Staat in die Verfassung diktierten. Die FDP führt Rückzugsgefechte beim negativen Freiheitsbegriff (die Freiheit „wovon“), den positiven Freiheitsbegriff (die Freiheit „wozu“) hat sie offensichtlich bereits aufgegeben – das Pochen auf freie Fahrt ist letztlich auch nur eine Freiheit „von“ Beschränkungen. Lindners FDP gebührt das historische Verdienst, nicht während, sondern schon vor dem Regieren umgefallen zu sein. Der Journalist Richard Meusers äußerte den schönen Spruch, dass die Gelbphase bekanntlich die kürzeste Ampelphase sei.

Es ist deutlich einfacher, liberale Werte mithilfe einer liberalen Partei abzubauen, ähnlich, wie es nur die CDU sein konnte, die Wehrpflicht und Atomkraft abschaffte, dafür die „Ehe für alle“ einführte. Letzteres ist den „fortschrittlichen“ Kräften der Ampel bekannterweise nicht genug, sieht man auf das anberaumte Selbstbestimmungsgesetz, das Geschlecht zu einem bloßen Accessoire wie etwa eine Halskette oder einen Manschettenknopf herabwürdigt, den man je nach Gefühl auswechseln kann. Doch es ist die Pandemiepolitik, die zur Chiffre wird. Wer jahrelang von Freiheit und Eigenverantwortung redet, und nunmehr in der ersten Reihe etatistischer Positionen steht, macht sich nicht nur unglaubwürdig; eine liberale Partei, die nicht den Schutz der Grundrechte als Priorität setzt, macht sich schlicht überflüssig. Lindners FDP bleibt dabei nicht still, sondern sie legt fröhlich mit Hand an. Besser schlecht, als gar nicht regieren, scheint seine neue Devise zu sein.

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Die Grünen bekennen ebenfalls Farbe. Es ist eine Notiz, aber wieder eine symbolischer Natur: da spricht der frischgebackene Staatssekretär von Robert Habecks Gnaden davon, dass „sobald ein Rotmilan in einem Planungsgebiet auftaucht, kann dort im Prinzip nicht mehr gebaut werden“. Dass solche Regelung erst dem ökologischen Geist zu verdanken sind, stellt für Sven Giegold kein Paradoxon dar. Er weiß: „Wenn wir mit dem Ausbau der Erneuerbaren vorankommen wollen, ist die Änderung im Europäischen Naturschutzrecht notwendig.“

Naturzerstörung im Namen des Klimaschutzes ist eigentlich ein alter Hut. Es ist nur einer, über den kaum geredet wird. Wenn eine große Sache absolut gesetzt wird, geraten alle anderen Probleme zur Fußnote. Katrin Göring-Eckhardts berühmte Rede, die sich in einer Nachahmung des Heiligen Franz von Assisi an jede Biene, jeder Schmetterling und jeder Vogel wandte, um diesen zuzusichern, dass sich die Grünen für sie einsetzten, hatte eine Halbwertszeit von vier Jahren. Offenbar wird, was die Grünen sonst gerne leugnen: ihr Weltenrettungsreflex beruht auf keiner Demut vor der Größe und Schönheit der Schöpfung, sondern auf der Hybris, diese im Zweifel so zu korrigieren und zu schaffen, wie sie es selbst gerne hätten. Sie wissen nicht nur besser, wie andere Menschen leben sollen – sondern auch, wie man die Natur umgestalten muss, um sie zu retten. Der Juchtenkäfer wird bedeutungslos bei der feuchten Phantasie eines windkraftverspargelten Deutschlands, in dem es keinen Mindestabstand mehr zum nächsten Haus gibt. Hinter dieser Ideologie steckt keine verträumte Romantik einer Caspar-David-Friedrich-Landschaft, sondern eiskalter Wille zur Macht nach sozialistischem Muster.

Kein Opfer zu groß, will man sagen, sieht man auf die Transformationspläne der Ampelkoalition. Sicherheit in der Gesundheit, „Fortschritt“ in der Gesellschaft – ob im Familienbild oder mit einem „modernen“ Einwanderungsrecht, – oder eben Klimaschutz. Die Politik ordnet sich ohne Rücksicht auf Verluste den Leitlinien unter. Rote Linien kennt das Kabinett Scholz wohl tatsächlich keine. Die neue öko-soziale Marktwirtschaft ist nur ein Tarnname für den Öko-Sozialismus. Man würde der Ampel zu viel der Ehre antun, würde man es einen Bruch nennen. Es ist tatsächlich ein Fortschritt. Ein Fortschreiten, auf jahrelang eingetretenen Pfaden, denen Scholz nur nachgehen muss.

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Kommentare ( 59 )

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F.Peter
2 Jahre her

Nach dem Motto, wir machen alles anders, besser wirds dadurch nicht! Kopflose und sinnbefreite Politik von geistlosen Politikern, da ist nicht zu erwarten, dass sich außer dem Datum irgendetwas ändert! Es geht so weiter wie bisher, nur mit verschärftem Tempo – wie Udo Jürgens schon gesungen hat in seinem Lied „Tanz auf dem Vulkan“, der letzte macht das Licht aus!

sven69
2 Jahre her

Mal schauen was die Klimakiddies sagen in 10 Jahren, wenn der neue Arbeiter und Bauernstaat errichtet wurde. Vermutlich diesmal mit einer unsichtbaren Mauer drum herum. Keiner darf mehr ausreisen, wenn er vorher nicht mindestens 20 Booster im Chip stehen hat. Wobei – ohne Geld und Besitz hat man gar nicht die Möglichkeit. Derweil fahren die Bonzen von SPD, Grünen und FDP an den ehemals Freien vorbei und winken wohlwollend aus den Fenstern ihrer dicken Limousinen, ziehen die Vorhänge zu, damit sie das Elend nicht sehen müssen und schlürfen genüsslich am Champagner….

caesar4441
2 Jahre her

„…niemand weckt Hoffnungen auf Überraschungen“
Hoffnungen ist wohl etwas zu positiv.Die Überraschungen ,auf die legen selbst die ausgebufftesten Masochisten keinen Wert.Klaus Schwab :“Sie werden nichts besitzen“,nicht mal ein Stück Brot.
„kein Opfer zu groß“ ,es werden ja auch nur die Bürger geopfert,die müssen Verständnis dafür haben.Es muß ja die Welt gerettet werden.

Magdalena
2 Jahre her

Traurig finde ich, dass vor allem junge Menschen auf die Grünen hereinfallen und diese Funktionäre der Macht für die Retter der Natur und aller Lebewesen halten. Die FDP war und ist eine Wendehalspartei, auf die ebenfalls viele junge Wähler große Hoffnungen gesetzt haben. Lindner ist kein „last man standing“ (Roger Köppel), sondern ein Fähnchen im Wind. Ich gehe davon aus, dass die Ampel die zu erwartenden Stürme nicht überleben und insbesondere die FDP hinweggefegt werden wird.

Riffelblech
2 Jahre her

Wenn man den Artikel ein,zweimal durchliest ,kommt einem schon der Gedanke ,das die derzeit regierenden Parteien im Nachgang durchsetzen was die CDU unter Merkel begonnen hat , nämlich die komplette Umstellung des Hochtechnologiestaates D. zu einem bedeutungslosen Agrarstaat. Was würde das bedeuten ? D. fällt als Konkurrent für die USA, England ,Frankreich ,China und viele andere weg . Diese könnten ihre Produkte dann bei uns völlig frei anbieten ,haben wir doch nichts weiter als eine nicht funktionierende Energiewende ,ein paar Kartoffeln und Zuckerrüben. Wenn ein Staat mit seiner Regierung sehenden Auges einen solchen Weg beschreibt MUSS dahinter ein Masterplan stecken.… Mehr

Franz Guenter
2 Jahre her

„eiskalter Wille zur Macht nach sozialistischem Muster.“ Treffend formuliert. Sozialisten bleiben Sozialisten, egal welche Farbe. Nur die Macht zählt.

F.Peter
2 Jahre her
Antworten an  Franz Guenter

Die Farbe der Sozialisten – ob Nationalsozialisten, Internationalsozialisten u.a. – changiert immer zwischen rot, grün und braun!

Walter Eiden
2 Jahre her

„kein Opfer zu groß“! Genau das gilt es wörtlich zu nehmen! Und dabei sollten der Wörtlichnehmung keine Grenzen gesetzt werden. Das Planen und Begehen von Grausamkeiten kann unendeckt bleiben wenn die Vorstellungskraft von mangelnder Weitsicht getrübt ist.

Endlich Frei
2 Jahre her

Ich stelle immer wieder auf Reisen fest, dass etwa in Lateinamerika bereits heute Wohlstand und Lebensqualität für die qualifizierte Bevölkerung weit über dem liegt, was ein deutscher Arbeitnehmer daheim zu erwarten hat. Produktivitätsvorsprung und höhrere Gehälter werden komplett von ideologien-getriebenen Mehrausgaben, vollkommen überzogenen Immobilienpreisen (Stichwort EZB), Gutmenschentum (Weltsozial- und Weltgesundheitsamt Deutschland) sowie Energiepreiswahnsinn aufgefressen. Das ist auch der Grund, warum es so schwer ist, qualifizierte Arbeitnehmer aus diesen Ländern für Jobs in Deutschland zu begeistern bzw Doktoranten etc.. zum Bleiben in D zu animieren.

Endlich Frei
2 Jahre her

Keine Party ohne Finanzier. Und während Baerbock durch Europa jettet (…dabei stünden Züge zur Verfügung) und im Verbrenner-Konvoi durch Paris und Wahrschau gurkt, verkündet sie Selters für das Volk. Ein Volk, dass demnächst erleben wird, dass konventionelle Autos und Motoren für Asien, Lateinamerika und Afrika – sprich das Groh der Weltbevölkerung – künftig aus chinesischen, indischen und osteuropäischen Fabriken rollen werden mit der Folge, dass nicht nur Hundertausende Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen werden, Hightech-KowHow exportiert wird und – unvermeidlich – Millardenressourcen an Entwicklungsgeldern für den Standort Deutschland wegfallen werden. Genauso wie die Steuereinnahmen für Gutmenschentum und Weltenrettung aus und in… Mehr

thinkSelf
2 Jahre her

Der letzte Absatz trifft es perfekt. Es ist kein „Bruch“, sondern lediglich die konsequente Fortsetzung eines Weges der vor mehr als 20 Jahren beschritten wurde.
Es ist der Weg in den feudalfaschistoiden Elendsstaat. Und das ist genau das was die überwältigende Mehrheit der Bewohner dieses Landes mit Inbrunst erhofft und mit jeder Wahl erneut bestätigt. Geliefert wie bestellt.
Und da sage noch mal jemand, die Demokratie würde nicht funktionieren. Freiheit beinhaltet halt immer auch die Freiheit in den Untergang.