Die Ampel unterliegt im Kampf gegen die Realität

Der größte Gegner der Ampel ist die Realität. Sie schnappt sich ein Herzensanliegen der Ampel nach dem anderen – und führt es gnadenlos vor. Derzeit unterliegt das Bürgergeld im Kampf gegen die Realität.

IMAGO / Screenprint: Youtube – Collage: TE
Der große französische Schauspieler Louis de Funès verstarb bereits vor 41 Jahren. Doch ein „GiF“ macht ihn auch einer jüngeren Generation vertraut. Darin führt er einen schon legendär gewordenen Dialog: „Nein?“ „Doch.“ „Ohh!“. Diesen Ausschnitt verlinken Nutzer als Kommentar in Beiträgen der sozialen Netzwerke, in denen jemand zu einer Erkenntnis kommt, die vor ihm schon viele andere hatten.

So wie Hubertus Heil (SPD). Der Arbeitsminister hat jüngst festgestellt, dass es manche zum Nichtstun anreizt, wenn der Staat ihnen dafür 563 Euro im Monat zahlt, dazu eine beheizte Wohnung gratis überlässt und obendrein noch ein paar Vergünstigungen drauflegt. „Nein?“ „Doch.“ „Ohh!“ Der Arbeitsminister will jetzt Langzeitarbeitslose sanktionieren, die das Rundumsorglos-Paket der Bundesregierung partout nicht gegen morgens aufstehen und eigenes Geld verdienen eintauschen wollen.

Die Reaktionen waren erwartbar: Die Jusos haben rebelliert. Schließlich ist das ihr Job. Die Sozialverbände haben von der vermeintlichen Härte gesprochen, von jemandem zu verlangen, für sein Geld arbeiten zu gehen. Schließlich ist das ihr Job. Und die üblichen Medien haben Kommentare geschrieben und versendet, dass ja das Bürgergeld gar nicht so bequem sei, wie immer getan werde, und eine nur sehr, sehr, sehr kleine Minderheit es sich in der sozialen Hängematte bequem mache. Schließlich verstehen diese Medien so ihren Job.

Eigentlich hatte die Ampel das Bürgergeld anders verkauft. Es sollte den Empfängern die Schmach und den Druck nehmen, der Hartz IV für sie bedeutet habe. Derart befreit würden sie das Los der Arbeitslosigkeit abwerfen und in die Jobs drängen. Nun. Wie soll man sagen …? Das passiert nicht. Branchen, in denen schlecht gezahlt und hart gearbeitet wird, melden stattdessen Kündigungswellen von Arbeitnehmern. „Nein?“ „Doch.“ „Ohh.“

Die Berliner Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) hat eine Studie in Auftrag gegeben. Die besagt: Wenn sich Betrieb und Arbeitnehmer derzeit trennen, liegt das zu 54 Prozent daran, dass der Arbeitnehmer kündigt. Nur in 20 Prozent der Fälle entlasse ihn der Betrieb. Der größte Teil des Rests ist auf den Renteneintritt zurückzuführen.

Dieser Abwanderungswille zeigt Folgen. So melden etwa die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), im vergangenen Jahr seien 83 ihrer Busfahrer in Rente gegangen. Aber 250 Fahrer hätten sie „aus anderen Gründen“ verlassen. Deswegen haben die BVG zum 10. Dezember den Fahrplan ausdünnen müssen. Zuvor waren offiziell zwar mehr Busse gefahren – aber immer öfters ausgefallen. Nun hofft die BVG, wenigstens das stark reduzierte Angebot zuverlässig durchziehen zu können.

Wer die Langzeitarbeitslosigkeit in Richtung Job verlassen will, der lebt eigentlich in blendenden Zeiten. Die BVG sucht nach eigenen Angaben 500 neue Mitarbeiter – allein im Busbereich. Die Arbeit dort ist allerdings nicht gerade attraktiv: Das Sitzen schlägt vielen auf den Rücken. Wer am Steuer sitzt, muss auch mit den Fahrgästen klarkommen, die Berlin halt so zu bieten hat. Mittlerweile drohen den Fahrern tätliche Übergriffe. Angesichts dieser Belastung ist die Bezahlung auch nicht gerade attraktiv. Dass die Kündigungswelle aber etwas mit dem erhöhten Bürgergeld zu tun habe, sagen weder Politik noch Medien oder staatsnahe Unternehmen wie die BVG. Doch die Realität drängt sich immer mehr in den politischen Raum – egal, wie entschlossen die dort Stehenden sind, diese böse Realität zu übersehen.

Wer im Bürgergeld bleibt, für den lohnt es sich nicht einmal, etwas dazu zu verdienen. Also außerhalb der Schwarzarbeit. Das hat das Münchener Ifo-Institut im Auftrag von Heils Arbeitsministerium herausgefunden. Von einem Euro blieben den Betroffenen nur 20 Cent. Zudem sei das Geflecht aus Bürgergeld, Kindergrundsicherung, Wohngeld und Kinderzuschlägen so kompliziert, dass es fast niemand mehr durchschaue.

Die Idee der Ampel wird somit ad absurdum geführt: Sie hatte vor, ein System zu schaffen, das unschuldig in Not Geratenen hilft, andere aber zum Arbeiten anhält. Geschaffen hat die Ampel indes ein System, in dem Bedürftige sich nicht die vollen Leistungen sichern können. Wer aber sich im Bürgergeld einrichtet und dafür genug Energie entwickelt, dem bietet die Politik der Ampel reichlich Wege, sich Zusatzverdienste zu schaffen. 563 Euro und eine beheizte Wohnung gratis sind ja noch nicht Anreiz genug, nicht zu arbeiten.

Was passiert nun? Wann wird Arbeitsminister Hubertus Heil arbeitsunwillige Empfänger von Bürgergeld dazu anhalten, Arbeit anzunehmen? Und wie? Das war eine rhetorische Frage. Die Antwortet lautet: gar nicht. Hubertus Heil ist das sozialdemokratische Pendant zu Horst Seehofer (CSU): Er blinkt rechts und biegt links ab. Wer unzufrieden darüber ist, dass er arbeiten geht, um Arbeitsunwilligen ein schönes Leben zu finanzieren, der hat in Heil jetzt jemanden, der es genauso sieht wie er. Das muss genügen. Von der Ampel zu erwarten, Missstände abzuschaffen, ist zu viel verlangt. Es ist schon Arbeit genug, sie zum Eingestehen zu bringen.

Apropos: rechts blinken und links abbiegen. Oder sich von der eigenen Politik verbal distanzieren, sie aber trotzdem durchziehen. FDP-Chef Christian Lindner hat sich Hubertus Heil angeschlossen. Auch er findet, dass der Staat arbeitsunwillige Empfänger von Bürgergeld sanktionieren müsse. Das ist der sicherste Hinweis darauf, dass genau das nicht passieren wird. Unter der Politiker-Generation Heil und Lindner ist es üblich geworden, zu glauben, es genüge, mit den Wählern die Abneigung der Missstände zu teilen. Dann müsse man sie nicht abschaffen. Die Missstände. Am Wahlabend kommt dann die Realität und sagt, dass es nicht so ist. Die Reaktion von SPD und FDP darauf: „Nein?“ „Doch.“ „Ohh!“

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Kommentare ( 102 )

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Endlich Frei
3 Monate her

563 Euro sind das Resultat von Inflation – ein vergleichender Blick in die Supermarktregale 2024 und 2020 offenbart, dass die Empfänger dieses Geldes heute keineswegs mehr im Einkaufswagen liegen haben als vor einigen Jahren – eher im Gegenteil: Es bleibt ein lausiges Almosen. Das „Heizen“ heute zum Luxus verklärt wird, ist direkte Folge fehlgeleiteter Wählerschaften. Und die Kosten grünbunter Politik kann man schwer autochthonen SGB-II-Empfängern ankreiden. Problematisch erscheinen mir eher soziale Neuerungen wie die „Kindergrundsicherung“ – erst sie führen zu absurden Zuständen. Ein Problem bzgl. der „Arbeitswilligkeit“ scheint mir eher zu sein, dass die oft sehr verunsicherten SGB-II-Empfänger sich radikal… Mehr

Ohanse
3 Monate her
Antworten an  Endlich Frei

Nein, es ist kein Almosen. Ein Almosen wird freiwillig gegeben. Das Bürgergeld wird aus zwangsweise abgepressten Steuermitteln gezahlt. Das ist mehr wie die Verteilung der Beute unter Räubern und Komplizen.

Don Didi
3 Monate her
Antworten an  Endlich Frei

Das Bürgergeld von 563€ sind ja nur das Taschengeld. Miete wird bezahlt, Strom wird bezahlt, Heizung wird bezahlt. Waschmaschine sowieso, Kühlschrank auch. TV gehört wie Internet zu den Grundrechten, wird ebenfalls bezahlt. Das iPad kriegen die „Bedürftigen“ über ihre Kinder von der Schule gestellt. Seriöse Kleidung ist nicht nötig, die benötigen nur Berufstätige, PKW ist nicht nötig, benötigen ebenfalls nur Berufstätige, nur die müssen ja irgendwohin zum Arbeiten. Deutschlandticket zahlt ebenfalls der Steuerzahler, Eintritt in Schwimmbad, Theater, Museum etc. ist für lau oder stark reduziert, da kommen gegenüber einem Malergesellen oder einer Friseuse schon hunderte Euro Ersparnis zusammen. Zuzahlung bei… Mehr

Erich Schmidt
3 Monate her

Ich wundere mich täglich, dass meine Zeitung noch morgens im Briefkasten liegt. Wenn ich mir überlege, ich müsste morgens um 3 Uhr aufstehen und für Almosen Zeitungen austragen, wüsste ich nicht, warum ich nicht einfach liegenbleibe und Bürgergeld beantragen sollte. Ich glaube kaum, dass Zeitungsausträger am Monatsende mehr haben, als Bürgergeldempfänger.
Selbst wenn, sie mehr haben, ist immer noch die Frage: Wie viel mehr?

H. Priess
3 Monate her

Warum bekommen Menschen, die gar keine Bürger des Staates sind, eigentlich Bürgergeld? Man muß der Realität ins Auge sehen, es ist eine Migrantenstillhalteprämie um die Leute bei der Stange zu halten und für Ruhe im Land sorgen soll. Die Möglichkeiten der Sanktionen gab es bei der Sozialhilfe, Hartz4 und jetzt Bürgergeld aber 90% aller Sanktionen die vor Gericht landeten wurden als überzogen oder nicht Rechtskonform zurück gewiesen. Als ich das alles las dachte ich mir, was soll eine Sachbearbeiterin denn machen wenn vor ihr der vollbärtige Mohamed, 20 Jahre, Statur eines Preisboxers, sitzt der Deutsch in Wort und Schrift nur… Mehr

Juergen Schmidt
3 Monate her

Aber es kann ihnen ja egal sein. Die Regierung hat sich vollständig von der Realität abgekoppelt, und es reicht ja, wenn die Staatsmedien die Regierungsarbeit lobt und feiert, und Erfolge am laufenden Band herbeilügt.
In der DDR war es ja auch so, dass auf dem Titel des »Neuen Deutschland« das ZK für die 105%-Übererfüllung der Fünfjahrespläne gepriesen und gefeiert wurde, während draußen im Lande die Bürger zehn Jahre auf die Zuteilung ihres Trabbis warteten.
So geht eben Sozialismus. Die Lüge regiert, und der Niedergang passiert halt, bestmöglich kaschiert.

Freigeistiger
3 Monate her

Viele jüngere, vitale und durchaus arbeitsfähige Bürger beziehen in Deutschland inzwischen Bürgergeld und der Anteil jener mit Migrationshintergrund wächst besonders stark. Im Ergebnis werden dem Arbeitsmarkt bzw. der Wirtschaft immer mehr Arbeitskräfte entzogen bzw. vorenthalten, während die staatlichen Alimentierungskosten explodieren. So manche, die Bürgergeld beziehen, sind keineswegs arbeitsscheu und dann wird bei Möglichkeit schwarz „draufgesattelt“. Das sorgt natürlich für Unmut bei den regulären, mit hohen Steuern und Abgaben belasteten Arbeitnehmern. Die politisch Verantwortlichen gewinnen vielleicht Wähler bei den vom Staat Abhängigen, verlieren aber noch mehr bei den nicht Abhängigen, die den ganzen Laden mit ihrer Arbeit und ihren Steuern am… Mehr

Don Didi
3 Monate her
Antworten an  Freigeistiger

Das sind 2 Ziele mit einer Klappe. Heranziehen von Wählerpotential (Migranten, staatlich Alimentierte, die wählen links, weil sie nur so ihre Versorgung aufrecht erhalten) und die Zerstörung der deutschen Wirtschaftskraft (schon immer ein Ziel der Kommunisten, vor allem der Grünen).

Jack
3 Monate her

Ich finde die neue ‚Realität“ ist, dass sich die ursprünglich gedachte TEMPORÄRE Unterstützung vom Staat = der Steuerzahler für viele, zu einem dauerhaften Lebensmodell gewandelt hat. Das ist doch das große Problem, welches durch die Deindustrialisierung wahrscheinlich noch verstärkt werden wird. Mit dem Ergebnis, dass die noch arbeitende Bevölkerung weiter mit höheren Abgaben rechnen muss und sich Erwerbseinkommen und Sozialeinkommen langfristig weiter annähern werden.

Last edited 3 Monate her by Jack
Ralph Martin
3 Monate her

Im Wettstreit des Wunschdenkens mit der Wirklichkeit gewinnt immer die Wirklichkeit.
Unternehmer wissen das, Offiziere wissen das, Geschichtsstudenten wissen das und viele viel mehr wissen das.
Menschen die mit inhaltsleeren Gerede Parteikarriere gemacht haben, wissen das nicht.

Don Didi
3 Monate her
Antworten an  Ralph Martin

Ja, die Wirklichkeit gewinnt.
Die Frage ist, wann und zu welchem Preis.
Ich denke, wir können uns nicht leisten, das abzuwarten.

Johannes R. Brecher
3 Monate her

Schon in der Steinzeit hat man die Höhle nur bei Hunger, Durst und Kälte verlassen (war ja draußen auch zu gefährlich). Mein Gott, die Grundbedürfnisse abgesichert und dann noch etwas „Nachbarschaftshilfe“ gegen die Langeweile, was will man mehr. Zumal die Politik durch ihre erschaffenen Zukunftsaussichten die Leck mich am A….Stimmung fördert. Die Zauberformel für einen jungen, gesunden Menschen heißt nicht Bedarfsabdeckung, sondern Notwendigkeit einer geregelten Arbeit, sonst kommt die gähnende Leere um die Ecke, Herr Heil.

Juergen P. Schneider
3 Monate her

Wer zum Missbrauch einlädt, der wird ihn erhalten. Die Menschen sind nun einmal so, wie sie sind und nicht so, wie sie sein sollten. Jeder, der lange genug auf unserer schönen Erde gelebt und sein Auskommen selbst erarbeitet hat, weiß das. Als weltfremder Politblasenbewohner kann man dies natürlich nicht wissen, obwohl man ja selbst zu den leistungslosen Abzockern gehört. Allerdings kann man als Politclown doch etwas höhere Beträge einsacken auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung.

tiptoppinguin
3 Monate her

Die vier Hauptfeinde des Sozialismus waren Frühling, Herbst und Winter. Bei der Ampel kommt auch noch die Realität als Feind ums Eck.
Fazit: „Viel Feind, viel Ehr!“