Linker Antisemitismus

Die Grenzen zwischen Israelkritik und Antisemitismus sind fließend. Der linke Antisemitismus spielt genau mit dieser Grauzone. Vordergründig gibt sich der linke Antisemitismus als Meinungsvielfalt im Namen des demokratischen Diskurses. Doch bei genauem Hinsehen wird seine subtile und manipulative antisemitische Agenda sichtbar.

IMAGO

Der linke Antisemitismus gibt sich israelkritsch. Sicherlich ist Israelkritik wichtig und berechtigt. Israel als pluralistische Demokratie von orthodoxen Juden über die Regenbogen-Community bis hin zu arabischen Parteien in der Knesset lebt von der Streitkultur, lebt von Kritik, Gegenkritik und Weiterentwicklung. Und doch gibt es Alarmsignale, wenn sich berechtigte Israelkritik in destruktiven Antisemitismus verwandelt.

Erstens: Antisemitische Israelkritik misst mit zweierlei Maß.
Man kann nicht Israel einen „Apartheidsstaat“ nennen, wenn man nicht mindestens genauso Gaza oder andere muslimische Länder „Apartheidsregime“ nennt. In Israel gibt es 2,1 Millionen Araber mit israelischem Pass (ca. 21 Prozent der Gesamtbevölkerung). Sie haben das aktive und passive Wahlrecht. Abgesehen von den sicherheitsrelevanten Bereichen leben sie gleichberechtigt in Israel. Gaza und andere muslimische Staaten dagegen sind bewusst und staatsgewollt „judenrein“, was wohl weit mehr der Apartheid entspricht.

Zweitens: Antisemitische Israelkritik argumentiert nicht rational-reflektiert, sondern manipuliert mit antisemitischen Unterstellungen.
Die Tagesschau spricht von „Vergeltungsschlägen Israels“ (zum Beispiel am 10. Oktober 2023). Damit unterstellt man Israel, dass es dem Land bei seinen Militärschlägen nicht um die Zerstörung der Hamas-Infrastruktur oder um Abschreckung gegenüber weiteren Gräueltaten gehe. Der Begriff „Vergeltung“ suggeriert, dass Israel aus niederen Rachegefühlen handelt. Vielleicht spielen im Hintergrund antijudastische Vorurteile mit, nach denen das Alte Testament einen Gott der Rache und Vergeltung vertrete gegenüber dem neutestamentlichen Gott der Liebe und Barmherzigkeit. Aus diesem antisemitischen Ressentiment heraus wird verständlich, warum viele Medien in dieser Woche leichtfertig und ungeprüft die Hamas-Propaganda übernommen haben, dass Israel mit Raketen ein Krankenhaus in Gaza angegriffen habe.

Drittens: Antisemitische Israelkritik jongliert mit vorschnellen Verschwörungsspekulationen.
So schreibt Albrecht Müller in den „Nachdenkseiten“ (10.10.2023): „Man kann davon ausgehen, dass Israel die Vorbereitung auf die Angriffe aus dem Gazastreifen wahrgenommen hat. Israel hat diese Vorbereitungen und dann auch die palästinensische Militäraktion vermutlich hingenommen, um nach den Angriffen einen weltweit publizierten und akzeptieren Grund dafür zu haben, im Gazastreifen aufzuräumen.“ Erstaunlich ist, dass Albrecht Müller die bestialischen Terrorakte der Hamas vom 7. Oktober 2023 als „Militäraktion“ adelt. Erstaunlich ist ebenso, dass Albrecht Müller es überhaupt nicht für nötig hält, seine wilden Spekulationen mit auch nur einem einzigen Beweis zu unterfüttern. Wenn Albrecht Müller seine wilden Hypothesen mit Fakten und Geheimdienst-Zitaten belegen könnte, wenn er belegen könnte, dass die Israelis über den Angriff informiert waren und sich auch der Größe und Tragweite des Angriffs wirklich bewusst waren, und wenn Albrecht Müller dann belegen könnte, dass Netanjahu sehenden Auges aus polit-taktischen Gründen die 1300 toten Israelis in Kauf genommen hat, um seine Macht zu stärken, dann wäre sein Artikel wahrlich gute und berechtigte Israelkritik, dann wäre sein Kommentar eine weltbewegende Recherche.

Wenn es aber lediglich seine Phantasien sind, wie er sich die Sache vom linken Elfenbeinturm aus mit allerlei Vorurteilen zusammenreimt, dann erinnert mich das an die Denke der rechten Antisemiten, die nach 1945 behauptet haben, die Zionisten ständen selber hinter dem Holocaust-Narrativ, um damit die Gründung des Staates Israel voranzutreiben. Nichts gegen eine gewagte Arbeitshypothese, in der man seinen niederen Gefühlen gegen die vermeintlich rechtsradikale Regierung Israels mit ihren vermeintlichen „ethnischen Säuberungen“ (Albrecht Müller) einmal ungezügelt freien Lauf lassen kann. Aber das sollte man nicht unbedingt ungeprüft veröffentlichen. Und das sollte man erst recht nicht als Analyse oder als „Israelkritik“ verkaufen.

In ihrer Anfälligkeit für antisemitische Verschwörungsspekulationen scheinen die linken den rechten Antisemiten in nichts nachzustehen. Es scheint eine unwiderstehliche Versuchung für Antisemiten zu sein, alle Angriffe auf Juden reflexartig als selbstverschuldet herbeizuschwabulieren. Für Antisemiten steht von vornherein fest: Die Juden sind die heimtückischen Täter, selbst wenn sie als Opfer am Boden liegen.

Die Grenzen zwischen Israelkritik und Antisemitismus sind fließend. Der linke Antisemitismus spielt genau mit dieser Grauzone. Vordergründig gibt sich der linke Antisemitismus als Meinungsvielfalt im Namen des demokratischen Diskurses. Doch bei genauem Hinsehen wird seine subtile und manipulative antisemitische Agenda sichtbar.

Zum Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland gehörte seit 1949 die Auseinandersetzung mit den Gräueltaten des Holocaust. Diese deutsche Leitkultur bricht zusammen in dem neuen multikulturellen „Wir-schaffen-das-Deutschland“ mit seinem größeren Anteil an Muslimen. Eine öffentlichkeitswirksame Phalanx aus linken, rechten und muslimischen Antisemiten formiert sich. In Zukunft wird es dann wohl auch in den Sonntagsreden heißen, was mittlerweile schon längst gängige politische Praxis ist: „Deutschland steht an der Seite Palästinas und Israels.“ Damit können unter dem Banner der Menschenrechte und des Völkerrechts muslimisch-faschistische Terrorgruppen hofiert werden, die Israel das Existenzrecht absprechen. Die Geschichte des deutschen Antisemitismus schreibt schon jetzt an einem neuen Kapitel.


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Kommentare ( 33 )

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verblichene Rose
6 Monate her

Zitat: …Sicherlich ist Israelkritik wichtig und berechtigt…  Tja, da sind wir dann auch schon beim zweitwichtigsten Problem angekommen, denn seit wann darf man denn als normal denkender DEUTSCHER Mensch keine Kritik mehr äussern? Hört sich daher für mich wie Denkverbot an, oder? Nun gibt es aber noch das zweite „Problem“, um welches sich nicht nur linksverblendete Kritiker kümmern sollten, sondern vielleicht auch die Juden, die in meinen Augen kein „Volk“ darstellen, sondern lediglich einem Glauben anhängen. Schliesslich heissen Deutsche in ihrer überwiegenden Anzahl ja auch nicht Christen, sondern Deutsche! Würden sich daher Menschen wieder (?) vor Augen halten, dass man… Mehr

Last edited 6 Monate her by verblichene Rose
Helfen.heilen.80
6 Monate her

Ich denke, bei offenbar sehr vielen migrierten Palästina/Gaza-Symphatisanten kann man von offenem Antisemitismus sprechen. Hier scheint er archaisch, dogmatisch, ideologisch. Die vorgetragene Abneigung übersteigt jede Rationalisierbarkeit. Der Furor der Hausherren und -Damen scheint mir andersgeartet zu sein: vielleicht träfe hier eher „sekundärer Anti-Zionismus“ zu. Die Aktuelle Linke hat, unschwer zu erkennen, den alten „Klassenkampf“ in die moderne Zeit übertragen. Die Kerndifferenzen sind die gleichen geblieben: Oben gegen Unten. Die Besitzenden gegen die Mittellosen. Der erhoffte Sturz der „Ausbeuter“-Klasse. Für diese Primitiv-Prosa gibt es nun ein neues Röckchen, ein Framing, neues wording, aber es dreht sich immer noch alles um „Gerechtigkeit“… Mehr

Last edited 6 Monate her by Helfen.heilen.80
Marcel Seiler
6 Monate her

Vielen Dank an den Autor Zorn!

Der Antisemitismus hat eine tiefe psychologische Wurzel. Appelle auf der kognitiven Ebene (etwa: Mahnungen, Gedenken an den Holokaust, Hinweis auf Israel als einzige Demokratie in der Gegend, Hinweis auf Unmenschlichkeit der Palästinenser usw.) fruchten deshalb nichts. Welcher Art diese tiefe Wurzel des Antisemitismus ist und was dagegen helfen würde, weiß ich leider auch nicht. Hat jemand eine Idee?

Mausi
6 Monate her

Vielleicht vereinfache ich die Sache ja zu sehr: Antisemitismus geht gar nicht. Anti Israel geht gegen den einzigen demokratischen Staat im Nahen Osten. Geht gegen die Staatsraison, die es nicht erst seit AM gibt. Israel geht m. E. sehr besonnen gegen die Hamas vor. Sie wollen keinen totalen Krieg. Den „Rest“ im Inneren Israels nehme ich zur Kenntnis, aber es steht nur Israel zu, seine inneren Konflikte zu lösen. Zudem bitte im Auge behalten: Die Argumente beider Seiten auflisten und es dem Einzelnen zu überlassen, wie er die Argumente gewichtet, ist etwas anderes als Kritik. Für eine Diktatur gilt anderes.… Mehr

Last edited 6 Monate her by Mausi
L.Ulbrich
6 Monate her

Info für Christen: Psalm 83

Retlapsneklow
6 Monate her

Gestern habe ich eine Publikation im Internet gelesen, die mein Bild über Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nochmal geändert hat. Das Wesentlichste daran: Juden und Araber standen sich anfangs wohlwollend gegenüber. Die Juden waren willkommen. Es ist eine ausführliche Beschreibung über seine Entstehung von Anfang an. Im großen Ganzen kannte ich die Eckpunkte, nicht jedoch die vielen Details, die hineingespielt haben. Ich werde jetzt nicht die ziemlich lange Publikation vortragen, während wir heute wissen, dass sich das Wohlwollen ins Gegenteil verkehrt hat. Es ist enttäuschend und ernüchternd, wie es dazu kommen konnte, obwohl die Hauptbeteiligten es selber nicht wollten.… Mehr

verblichene Rose
6 Monate her
Antworten an  Retlapsneklow

Kommt mir so vor, als würden Sie vom heutigen Deutschland schreiben. NIEMAND hätte nämlich gedacht, dass „Gäste“ die Gastgeber umbringen! Aber so ist das nunmal heute im gastfreundlichstem Land der Welt! Nun, den Umkehrschluss darf man heute in Israel beobachten! Und trotz meiner womöglich hier widersprüchlichen Gedankenäusserungen wäre ich heute lieber Israeli als Deutscher! Und das auch dann, wenn ich als Auswanderer den „übrig Gebliebenen“ überlassen würde, mich zu alimentieren. Wenn Sie hier Israelkritik entdecken, rahmen Sie es sich ein und hängen sich diese an Ihre Wand. Eines noch: Religion ist etwas für Leute, die nicht verinnerlicht haben, dereinst sterben… Mehr

Trump-Knarrenbauer
6 Monate her

„Die Geschichte des deutschen Antisemitismus schreibt schon jetzt an einem neuen Kapitel.“ Das ist das eigentlich Furchtbare daran! Ich schäme mich täglich mehr für mein Land, das eigentlich schon lange (auch aus vielen anderen Gründen) nicht mehr mein Land ist. Ich bin 54 und NIE hätte ich gedacht, dass ich einmal solch widerwärtige Entwicklungen miterleben muss … Ich dachte immer, das „nie wieder“ gilt für ALLE Beteiligten und zu allen Zeiten und für alle Situationen. Leider wohl falsch gedacht … Wer nicht für Israel in dieser aktuellen (!) Situation ist, ist gegen Israel! Jegliche Relativierungen, Einschränkungen, Rechtfertigungen (…) verbieten sich… Mehr

T. Pratchett
6 Monate her

Die Artikel des Autors hätte wohl vor Jahren so ähnlich zum Angriff auf Pearl Harbour oder zum Zwischenfall im Golf von Tonking (Vietnamkrieg), oder zur Massenvernichtungswaffen-Annahme im Irak (Irakkrieg), geschrieben werden können. Nachdem was man heute über diese früheren angeblichen Kriegsgründe weiß, sehe ich die Aussage von Albrecht Müller als eine bedenkenswerte Möglichkeit an. Laut Aussagen israelischer Militärs, konnte nicht einmal eine Katze oder gar Schabe sich den Grenzeinrichtungen unbemerkt nähern, da fragt man sich schon, wie dieser verachtenswerte Angriff der Hamas offensichtlich über Monate unbemerkt vorbereitet werden konnte. Zudem gab es nachweislich Warnungen an die israelische Regierung von ägyptischer… Mehr

achijah
6 Monate her
Antworten an  T. Pratchett

Lesen Sie bitte mein Vorwort noch einmal genau nach. Ich werfe Albrecht Müller nicht seine spekulative Hypothese vor. Hypothesenbildung ist frei. Aber er muss sie belegen. Man kann nicht jede Spekulation darum für wahr ausgeben, weil frühere Spekulationen auch schon mal wahr waren. Das wäre das Ende der Vernunft. Sie argumentieren auf dem Niveau der Hexenverfolgungen: Diesmal ist es eine Hexe, weil sich bei früheren Hexen auch Spekulationen bewahrheitet haben.

T. Pratchett
6 Monate her
Antworten an  achijah

Ich habe mit keinem Wort behauptet, die Hypothese von Müller ist wahr, weil frühere Spekulationen sich als wahr erwiesen haben! Ihr Vergleich mit den Hexen ist deshalb völlig absurd. Ich weise lediglich darauf hin, dass es wert ist, sich damit zu befassen.

achijah
6 Monate her
Antworten an  T. Pratchett

Natürlich muss man sich mit dieser Verschwörungsspekulation befassen, allein schon da sie sehr weit verbreitet ist. – Argumentativ abwägend dazu: Prof Rieck: „Hat Israel die Hamas absichtlich eindringen lassen?“ (Youtube)

Klemens Neurat
6 Monate her

Das passt! Denn die Nationalsozialisten vor 80-90 Jahren waren auch schon Linke. Es ist Tradition, das Sozialisten antisemitische Tendenzen aufweisen.
Dass Nazis als rechts bezeichnet werden hängt mit dem Wortteil „National“ zusammen. Das Wortteil „sozialisten“ weist darauf hin, dass die Nazis auch links waren.
„Linker Antisemitismus“ ist also kein Widerspruch.
Und – diese Feststellung weist auf mehrere andere Widersprüche in unserem Land hin, z.B. Deutschlands Kampf gegen rechts. Man sollte sich fragen gegen was da gekämpft wird. Gegen Antisemitismus jedenfalls nicht.

Sancho
6 Monate her

Der linke, woke Antisemitismus ist nicht neu.
Es gibt ihn schon seit Jahrzehnten. Er versteckt sich immer
hinter der „Israel-Kritik“, er war internalisiert und wird mit
vordergründigem Altruismus kompensiert. Das führt dann
dazu, dass selbst Massenmord blindlings relativiert wird.
Wie weit das schon gediehen ist, kann man an amerikanischen
Universitäten besichtigen. Es wird zwar die Öffentlichkeit, die
Bürger, nicht informiert, aber in den deutschen Unis wurden
schon immer, mit Zeitverzögerung, deren Narrative
übernommen.
Schauen Sie sich auf YT den herzzerreißenden Appell an
alle Eltern von Professor Shai Davidai an! Es ist eine Schande,
was an den (Unis) USA vorgeht.