„Keine Experimente“ versus „Alles oder nichts“

Will die CDU in erster Linie stärkste Partei bleiben, ganz gleich, auf welch niedrigem Niveau, dann liegt die Fortsetzung der Merkel-Politik durch AKK nahe. In der Wirtschaftstheorie nennt man das Handeln nach der „Minumum-Regret-Regel“.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Ob Angela Merkel tatsächlich in diesem Jahr den CDU-Vorsitz abgeben wollte oder eher nach desaströsen Wahlergebnissen schnell die Kanzlerschaft für den Parteivorsitz zu retten versuchte? Wir werden es nie erfahren. Aber Merkel hat etwas ausgelöst, was sie dank ihrer charakteristischen Risikominimierungsierungsstrategie niemals geplant hätte: Die CDU hat plötzlich die doppelte Wahl – personell wie inhaltlich.

Nach vier von acht Regionalkonferenzen ist noch nicht entschieden, wer am Ende als Sieger dastehen wird: Merkels Wunschnachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer oder der Favorit derer, die im vergangenen Jahrzehnt unter der Sozialdemokratisierung ihrer Partei gelitten haben, Friedrich Merz, oder der junge Konservative Jens Spahn. Wobei der Zweikampf der beiden Spitzenreiter AKK und Merz unübersehbar ist: „Weiter so“ versus „back to the roots.“

Formal ist der Aufbruch gelungen

Durch Merkels Rückzug hat die Partei in jedem Fall gewonnen. Die CDU präsentiert sich offen und diskussionsfreudig. Im Gegensatz zur SPD versucht sie nicht, sich mit „Debattencamps“ und ähnlichem Marketing-Schickimicki als besonders „cool“ darzustellen. Sie macht vielmehr das Naheliegende: Die Parteimitglieder haben durch die Regionalkonferenzen und viele andere Veranstaltungen die Möglichkeit, sich in die Debatte um Führung und Richtung einzuschalten. Die endgültige Entscheidung trifft dann der Bundesparteitag – wie das Parteiengesetz es befiehlt.

Parteireform ist zweitrangig

Alle drei Kandidaten verkünden, sie wollten die Partei reformieren, den Einfluss der Mitglieder vergrößern, die Meinungsbildung nicht mehr in erster Linie von oben nach unten vorantreiben. Konkret werden sie jedoch nicht, was die Basis nicht zu stören scheint. Denn auch die rund 450.000 CDU-Mitglieder wissen, die wichtigsten Aufgaben der neuen Nummer 1 sind nicht ein neuer digitaler Auftritt oder verbindliche Frauenquoten im Ortsverein. Viel wichtiger: Einer aus dem Trio muss und wird Kanzler werden und das möglichst lange bleiben. Denn in einem ist die Partei konsequent: Machtperspektive geht vor Beschlusslagen-Treue a la SPD.

Wer immer die Merkel-Nachfolge im Kanzleramt antritt, wird ein schweres Erbe übernehmen. Denn die Zeiten einer stetig wachsenden Wirtschaft mit immer höheren Steuereinnahmen gehen ihrem Ende entgegen. Der nächste Kanzler wird nicht mehr so leicht mit Steuergeldern überall dort eingreifen können, wo es klemmt. Unsere Infrastruktur ist sanierungsbedürftig, die Digitalisierung lahmt und eine Schlüsselbranche wie die Automobilindustrie steuert gefährlich nahe am technologischen Abgrund entlang, um nur einige Herausforderungen zu nennen. Mindestens ebenso schlimm: Das vereinte EU-Europa wird immer mehr zum auseinanderdriftenden. Hierzu Konzepte anzubieten dürfte dem nächsten CDU-Kanzler schwerer fallen als irgendwelche Änderungen bei Hartz IV; sie wären für die Zukunft des Landes auch wichtiger.

AKK wäre „Merkel II“

Weil der Parteivorsitz für den Neuen oder die Neue nur ein Nebenamt sein wird, hat Jens Spahn in diesem Rennen keine Chance. Der 38ig-Jährige ist kein Sebastian Kurz und die CDU (noch) nicht so kaputt, wie es die Österreichische Volkspartei war. Spahn ist in den Augen der allermeisten CDU-Mitglieder wie der CDU-Wähler zur Zeit kein potentieller Kanzler. Deshalb hat die langjährige saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer zwei Wochen vor der Wahl die besten Karten. AKK steht für eine modifizierte Fortsetzung der Merkel-Politik, was von der Partei keinen Kurswechsel abverlangte. Eine „Merkel II“ wäre sozialpolitisch links genug, um dem Koalitionspartner SPD zu gefallen und „könnte“ sicher auch mit den Grünen.

Selbst unter Merkel-Anhängern gibt es freilich Skepsis, ob ihre Erfahrung als erfolgreiche Regierungschefin des Saarlands für die neue Aufgabe ausreichte. Da geben sich aber nicht wenige CDU-Politiker optimistisch. So wie „Kohls Mädchen“ es geschafft habe, werde auch „es Annegret“ es schaffen. Ganz abgesehen davon: Der Faktor Frau wiegt in einer sich bisweilen verkrampft zeitgeistig geben wollenden CDU inzwischen schwer.

Wer Merz wählt, wählt volles Risiko

Merz wäre zweifellos der unbequemere Vorsitzende. Er ist der Kandidat all derer in der CDU, die sich von Merkel als zu altmodisch, zu konservativ und zu wirtschaftsliberal ausgegrenzt fühlen. Nun war die CDU immer eine pragmatische und damit auch bewegliche Partei. Schon Adenauer wusste sich geschmeidig anzupassen, wenn „die Lage“ es erforderte. Helmut Kohl hat seine Politik ebenfalls ständig modifiziert. Anderenfalls wären er und die CDU nicht vier Mal im Bund gewählt worden. Hatte sich die CDU bis zur Bildung von Merkels erster großer Koalition im Jahr 2005 also durch Beweglichkeit ausgezeichnet, folgte im Laufe von 13 Regierungsjahren dann die neue Beliebigkeit. Die SPD konnte gar nicht so schnell klagen, wie ihr die CDU die Themen wegnahm.

Mit Merz würde das Profil der CDU schärfer: prinzipientreuer in der Marktwirtschaft, mit Betonung auf Erwirtschaften statt Verteilen, rechtstreuer in der Zuwanderungspolitik, standfester in der Gesellschaftspolitik. Die CDU-Basis und sehr viele Mandatsträger ahnen, dass das hart werden dürfte. Die Zeiten, in denen eine vielfach wenig profilierte CDU lau im medialen Mainstream mitschwimmen könnte, wären vorbei. Die meisten Medien, nicht zuletzt die öffentlich-rechtlichen, täten, was sie könnten, um die Merz-CDU in die Nähe der AfD zu rücken. Mit Merz müsste sich die CDU auf einen harten Kampf einstellen – und ein Durchbruch in die Region „ 35 Prozent plus“ wäre keineswegs gewiss. Passendes Motto für Merz: „Alles oder nichts.“

„Minimum-Regret-Regel“

Die CDU kann sich für Merz und damit für volles Risiko entscheiden. Wer die vielen AfD-Wähler nicht abschreiben will, wem es nicht reicht, unter drei oder vier 20-Prozent-Parteien wenigstens die größte zu sein, der kann nicht darauf setzen, dass die CDU mit einer neuen Merkel plötzlich wieder deutlich über die 30 Prozent komme. Der muss sich klar positionieren, der muss polarisieren, der muss bereit sein, notfalls unterzugehen. Das wäre die Merz-Lösung.

Will die CDU jedoch in erster Linie stärkste Partei bleiben, ganz gleich, auf welch niedrigem Niveau, dann liegt die Fortsetzung der Merkel-Politik durch AKK nahe. In der Wirtschaftstheorie nennt man das Handeln nach der „Minumum-Regret-Regel“. Mit anderen Worten. Entscheide dich so, dass du hinterher möglichst wenig bedauern musst. Für das AKK-Lager passte deshalb ein CDU-Klassiker als Wahlkampfslogan: „Keine Experimente“.

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Kommentare ( 100 )

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Ulrich
5 Jahre her

„Einer aus dem Trio muss und wird Kanzler werden und das möglichst lange bleiben.“
Das „möglichst lange“ ist das Grundübel. Bei Merkel hat genau das dazu geführt, jegliche Bodenhaftung zu verlieren und eine alternativlose Politik zu betreiben. Nicht umsonst stand hinter siegreichen römischen Feldherren beim Triumphzug ein Sklave, der ihm ständig zuflüsterte: „Respice post te, hominem te esse memento. (Sieh dich um; denke daran, dass auch du ein Mensch bist)“

Johann Thiel
5 Jahre her

Der Trump soll sich doch mit dem Putin ganz gut verstehen. Vielleicht schenkt der dem das ehemalige DDR-Gebiet zum Geburtstag zurück. Ich mach dann rüber.

Werner Geiselhart
5 Jahre her

Die Einheitsmedien in Deutschland bestimmen, wo es lang geht.
Und da hat Merz schon verloren: Millionär = Kapitalist = geht gar nicht.
Die Schlaftablette AKK Merkel V.2 wird als kongeniale Partnerin der bevorzugten Grünen von den Medien durchgepeitscht werden, man muss sich z.B. nur mal die t-online-Berichterstattung ansehen, keine Chance für Merz.
Diese Chance bekäme er nur, wenn er sich total verbiegen würde, sich von der Marktwirtschaft lossagen, die Energiewende forcieren und zur No Border Fraktion überlaufen würde.
Es wird sich also in der CDU nichts ändern, Chance vergeben.

w.feuster
5 Jahre her

Was das Land wirklich braucht, wäre ein Mann mit dem Kaliber von Trump.
Aber dazu bräuchte man erst mal ein anderes Volk, weil dieses lieber kollektiven Selbstmord vorzieht als irgend eine Veränderung.

linda levante
5 Jahre her
Antworten an  w.feuster

Trump ist einmalig, einmalig gut, einmalig Klasse. Das Beste, was wir auf der Weltbühne derzeit haben. Ich habe noch nie einen Politiker bewundert, aber Donald himmel ich an. Ich verehre ihn. Er bleibt der Stachel im verwesenden Fleisch Deutschlands und Europa. Ihn muss uns der liebe Gott geschickt haben. Endlich eine Führungspersönlichkeit, die in der Lage ist, den Kampf gegen dieses stinkende, linke Establishments aufzunehmen.

Donald ich liebe Dich.

Manfred Gimmler
5 Jahre her
Antworten an  linda levante

Jetzt übertreiben Sie aber, gnädige Frau.

linda levante
5 Jahre her
Antworten an  Manfred Gimmler

Nein, überhaupt nicht. Am liebsten würde ich noch mehr Positives über Donald schreiben, mache ich auch auf meinem Blog „Lindas Einblick“. Dort werden Sie zukünftig noch mehr Lobeshymnen auf „meinen“ Präsidenten finden. Seit es Trump gibt, liebe ich Amerika wieder. Er ist der friedlichste und vernünftigste Präsident, den Amerika je hatte. Lieber Herr Gimmler, geben Sie es zu, so ein kleines bisschen mögen Sie ihn doch auch und wenn nicht, wird er mit fortschreitender Amtszeit, die 8 Jahre sind ihm sicher, auch sicherlich Ihre Sympathien wecken. Er ist der einzige Hoffnungsträger der westlichen Welt, der weit und breit zu sehen… Mehr

A.N. Onym
5 Jahre her
Antworten an  w.feuster

Warten wir es ab.

Fundamentiert
5 Jahre her

Wer hätte gedacht das Sie AKK bevorzugen?! 😀 „Er ist der Kandidat all derer in der CDU, die sich von Merkel als zu altmodisch, zu konservativ und zu wirtschaftsliberal ausgegrenzt fühlen.“ – Ich dachte Sie wären CDU Mitglied, haben Sie noch nie Gespräche mit den jüngeren Mitgliedern und der JU geführt? Offensichtlich nicht sehr viel. Altmodisch wird eher Merkels und anschließend AKKs Politik wahrgenommen. Selbst unter Merkel-Anhängern weiß man das die CDU eine kleine Korrektur benötigt welche man unter AKK keineswegs bekommt. Wenn ich beurteilen müsste wo die Kandidaten inhaltlich stehen, wäre das Urteil wohl klar: Keiner konservativ, Merz und… Mehr

Regenpfeifer
5 Jahre her

Politik denkt kurzfristig. Leider! Dies wird wohl dazu führen, dass AKK das Rennen macht, denn nur so kann die CDU eine (mini-)GroKo zusammen bringen und anführen, wahrscheinlich sogar eine Jamaika-GroKo mit noch mehr inhaltlicher Beliebigkeit.
Aber mittelfristig wird ihr das auf die Füße fallen: Irgendwann schrumpft eine Mutti II auch die CDU in einstellige Prozentzahlen, und wie man am Beispiel der Spezialdemokraten sehen kann, geht das mitunter recht fix.

Thorsten
5 Jahre her
Antworten an  Regenpfeifer

AKK wird nur per Kenia ins Amt kommen. Wobei sie dann durch aus mit dem VIZE-Kanzler Psoten (sic) abgespeisst werden könnte.

An eine AfD-CDU Regierung wage ich im Bund noch nicht zu denken…

Tinu
5 Jahre her

Das AKK-Merz-Spahn-Theater ist insofern zu begrüssen, als es die Geschwindigkeit erhöht, mit der die CDU samt SPD unwiederbringlich den Bach runtergeht. Sic transit gloria mundi. (So vergeht die Herrlichkeit der Welt.)

ehill
5 Jahre her

Merkel wird nicht kampflos aufgeben und wird weder mit Friedrich Merz, noch Jens Spahn zusammenarbeiten wollen, denn das müsste sie zwangsweise als Bundeskanzlerin mit ihrem Parteivorsitzenden. Ob ihre Macht noch ausreicht, AKK durchzuboxen, bleibt abzuwarten. Auf der anderen Seite hat ein Friedrich Merz sich nicht wieder für die Politik entschieden, um nur den Parteivorsitz zu bekleiden. Es wird gewichtige Gründe geben, sich zu engagieren, es wird auch wichtige Hintergrundarbeit geben, dass der Parteivorsitz auch wieder mit dem des Bundeskanzlers zusammengeführt wird.

Wolfgang M
5 Jahre her

Helmut Kohl ist nicht immer wieder gewählt worden, weil er sich geschmeidig anzupassen wusste. Eigentlich konnte man sein Ende als Kanzler mit der Wahl 1990 kommen sehen. Dann kam die Wiedervereinigung. Die gab Kohl und der CDU einen neuen Schub für viele Jahre. Dass Kohl es 1998 nicht mehr schaffen würde, war auch vorauszusehen. Kohl sagte vor der Wahl, dass er für eine GroKo nicht zur Verfügung stände. Mehr wäre nicht drin gewesen. Die Stimmen reichten für die erste rot/grüne Regierung auf Bundesebene unter Schröder.

Beat.Buenzli
5 Jahre her

Bräuchte Deutschland eine zweite A.Merkel, wären die Umfragewerte der CDU nicht so in den Keller gegangen. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass die Unzufriedenheit mit Merkel die Ursache des schlechten Ergebnisses ist, damit stirbt der Ansatz Merkel 2.0 von AKK.