Betreute Anarchie. Von wem die Deutschen lernen sollten

Weit und breit ist niemand zu erkennen, dem die Mehrheit der Deutschen ihr Land noch guten Gewissens anvertraut sehen wollten. Dies ist der größte Mangel hinter all den anderen Mängeln.

Resignation darf nicht die Antwort sein auf die Zerstörung der ökonomischen und kulturellen Fundamente des Landes. Zeit, sich zu wehren!

I.

Kindermund tut Wahrheit kund. Vielleicht traf Annalena deshalb das Zauberwort: Volksaufstand. Auch noch im Plural! Wenn das Gas ausbleibt im Winter „dann können wir als Deutschland überhaupt gar keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind“. Ja, es könnte bei aller „Überspitzung“ (Baerbock) so kommen. Hoffentlich kommt es nicht so. Aber wenn womöglich auch noch der Strom ausfällt, das Ersparte entwertet und alles teurer wird, dann bitte! Allerdings wird dann wahrscheinlich nur der erste Teil des Satzes wahr. Denn mit Volksaufständen haben es die Deutschen nicht so. Der bisher letzte wurde 1953 in der DDR niedergeschlagen.

II.

Herr Habeck findet schon ein wenig ungewohnten Protestgeschrei in Bayreuth nicht mehr hinreichend demokratisch. Mit erhobenem Zeigefinger befindet er, die Deutschen müssten lernen, mit Krisen umzugehen. Krisen, die wesentlich seiner eigenen Ideologie zu verdanken sind. Den anschwellenden Protest der AfD und ihren Sympathisanten zuzuschreiben, funktioniert nicht mehr. Die Mitte der Gesellschaft ist erfasst vom Niedergang, und es spricht sich herum, dass nicht allein Putin oder das Schicksal dafür verantwortlich sind.

III.

Der grüne Ministerpräsident Kretschmann legte nach: Er warnte wegen der „Gasnotlage“ vor den „Fliehkräften“ der Gesellschaft. Und jetzt kommt’s: Ohne „Patriotismus“, sagte er, wäre die Krise wohl nicht zu bewältigen. Das ist wirklich komisch. Ausgerechnet die Partei, die von Patriotismus nie etwas gehalten hat, will sich vom Patriotismus retten lassen. Man nennt das Offenbarungseid.

IV.

Nun ist Patriotismus in der Geschichte immer wieder missbraucht worden. Die nun Patriotismus als Mittel der Disziplinierung ausrufen, verstehen unter Patriotismus nichts anderes als das Akzeptieren des Regierungskurses. Es sind immer nur die Mächtigen, die zu Geschlossenheit auffordern. Das ist nicht anders unter der grünen Flagge der Klimapropheten. Nur wer ihr folgt, ist Patriot, behaupten diejenigen, die zur großen Transformation angetreten sind. Gegner werden zu Staatsfeinden deklariert. Das ist generell nichts Neues, in einer Demokratie aber schon. Wenn Kretschmann vor „Fliehkräften“ und einer „Spaltung der Gesellschaft“ warnt, und mahnt, diese dürfe sich nicht „auseinanderdividieren“ lassen, meint er nichts anderes als: wir bleiben stur auf Linie; die Spalter sind immer die anderen, nämlich die, die kuschen, zahlen und dazu noch nicken sollen.

V.

Die zunehmende Penetranz der grünen Pädagogen könnte ein Zeichen dafür sein, dass sie die Nerven verlieren. Ausgerechnet diejenigen, die den Zerfall der Gesellschaft besorgen, fordern noch mehr Konformismus. Diejenigen, die konsequent Wohlstand vernichten, klagen Staatstreue ein. Die grünen Oberlehrer haben neuerdings vor der Verächtlichmachung des Staates Angst, obwohl sie doch diesem Staat jahrzehntelang mit Verachtung begegneten, solange, bis sie ihn endlich in ihren eigenen Händen hielten. Die Bürger erst zu entmündigen und dann von ihnen Mündigkeit einzufordern, ist die infame Methode von Feinden der offenen Gesellschaft.

VI.

Zu den vielen Ängsten der Deutschen ist eine neue hinzu gekommen. Die traditionelle Sehnsucht nach Führung, von der bis zuletzt die Kanzlerversagerin Merkel zehrte, ist einer ausgeprägten Angst vor Führung gewichen. Weit und breit ist niemand zu erkennen, dem die Mehrheit der Deutschen ihr Land noch guten Gewissens anvertraut sehen wollten. Dies ist der größte Mangel hinter all den anderen Mängeln.

VII.

Rechtfertigt das Ausmaß des Vertrauensverlustes bereits Aufruhr? Bisher erregten allenfalls ein paar tausend „Wutbürger“ die Abscheu der Obrigkeit. Noch füllt kein Volk der Welt seine Steuererklärungen penibler aus als das deutsche. Kaum jemand geht über eine rote Ampel, nicht mal auf der Flucht. Ein wenig mehr Anarchie wäre nicht zu verachten und dem geduldigen Erstarren im Niedergang vorzuziehen. Nur ist es eben so, dass in Deutschland selbst Anarchie nur als betreute Anarchie denkbar ist. Der Zustand dieses Landes ist nicht mehr weit davon entfernt. Nichts funktioniert. Seit 1945 war das Versagen der politischen Klasse noch nie so offenkundig. Staatsgläubigkeit ist eine deutsche Krankheit. Sie gilt es zu kurieren. Deshalb tut Unruhe Not! Es wird Zeit für zivilen Ungehorsam. Darin sind die, die das Volk gängeln, erfahrener als das Volk.

VIII.

Denn es hat schon einmal geklappt. Auch damals, vor mehr als einem halben Jahrhundert, fing es mit der Einsicht an: „Wir sind nur eine kleine, radikale Minderheit.“ So klein ist die Minderheit nicht, der man zurufen möchte: Macht kaputt, was euch kaputt macht! Nur so radikal wie damals ist sie noch nicht. Die Bundesrepublik benötigt wieder eine Kulturrevolution. Wer sich von der grünen Ideologie befreien möchte, sollte aufhören, die Achtundsechziger zu verteufeln, und lieber von ihnen lernen. Die Kretschmänner müssen mit ihren eigenen Waffen geschlagen, die Parteien umgedreht werden, so wie die Achtundsechziger einst die Parteien umdrehten. Es bleibt nichts anderes übrig, als den langen Marsch durch die Institutionen zu wiederholen. Nur diesmal unter anderen, liberalen und bürgerlichen Vorzeichen. Auf einen Erlöser zu warten ist sinnlos. Erlösen kann sich dieses Volk nur selbst. Die grünen Volkserzieher sollen schlottern. Es wäre der Anfang einer Wende zum Besseren.

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Kommentare ( 101 )

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Schwabenwilli
1 Jahr her

“ Und jetzt kommt’s: Ohne „Patriotismus“, sagte er, wäre die Krise wohl nicht zu bewältigen.“

Wenn der Altmaoist Kretschmann das Wort Patriotismus in den Mund nimmt, dann muss die Düse gewaltig gehen.

StefanZ
1 Jahr her

Ich denke eher, alle Horrorszenarien müssten im Winter eintreten. Gasnotstand und frieren, weiter steigende Inflation und Energiepreise, Blackouts, inklusive Plünderungen und marodierender Horden, Ausgangssperren und Lockdowns wegen Corona etc.. Dann vielleicht, wird ein größerer Teil der Bevölkerung seine Entrüstung und Unzufriedenheit kundtun. Letzlich wird es aber wohl am Ende nur der ultimative Beweis, für die extrem steigende Gefahr von „Rechts“ sein. Die Jünger, der einzig wahren Klimareligion, werden diese Menschen dann in die ewige Verdammnis stoßen. Klappe zu, Deutschland…
PS: Die Deutschen, konnten noch nie etwas lernen, sie wussten doch scbon immer alles besser.

Last edited 1 Jahr her by StefanZ
thea
1 Jahr her

Von wem die Deutschen lernen sollten? – Von der erfolgreichen Kampagne von Vote Leave für das Brexit-Referendum.

Axel Fachtan
1 Jahr her

Patriotismus hätte bedeutet
rechtzeitig die Zuwanderung in die Sozialsysteme zu stoppen.
Wo war da Merkel ? Wo die Regierung ? Wo die Opposition ?
Bei der Krankenversicherung zahlt der Staat jetzt mindestens 10 Milliarden weniger ein, als durch Hartz IV Empfänger an Kosten verursacht wird.
Rechnet mal die Zugewanderten seit 2015 raus. Bleibt dann noch ein Defizit ?

Axel Fachtan
1 Jahr her

Die größte Lüge der Politik ist die Erklärung „W I R regeln das für Euch!“ Das Volk wird so entmündigt. Und Frau Fester und Co opfern sich für das Volk. Zu Preisen, die sie im Studium oder Praktikum niemals erzielen könnten. Die kriegen nichts mehr geregelt. Das ist die Wahrheit. Und wer nichts mehr geregelt kriegt, darf nicht so bezahlt werden, als würde er was gebacken kriegen. Wiederaufbau nach dem verlorenen Krieg. Damals war Politik noch pragmatisch und leistungsfähig. Merkel und die anderen Wasserträger der Grünen organisieren jetzt Armut für alle Außer für sich selbst. Wer soll den Geisteskranken weiter… Mehr

Axel Fachtan
1 Jahr her

Der letzte wurde 1953 in Berlin niedergeschlagen ?
1989/1990 zählt nicht ?
Keine Abstimmung mit den Füßen ?
Keine Montagsdemonstrationen am Leipziger Ring und anderswo ?

lube
1 Jahr her

Warten wir mal ab bis der Ami bei uns einen Regimechange wünscht.Unsere Kohle wird gebraucht. Derzeit steuern wir auf die Insolvenz zu.

thea
1 Jahr her

Herr Herles, Sie schreiben: „Es bleibt nichts anderes übrig, als den langen Marsch durch die Institutionen zu wiederholen. Nur diesmal unter anderen, liberalen und bürgerlichen Vorzeichen.“—Schöne Idee, wird bloß nicht funktionieren. Denn die Erfinder des langen Marsches sind nicht so dumm, wie die freiheitlich demokratische Gesellschaft es war, und sie werden es nicht zulassen, dass dieses Instrument gegen sie selber verwendet wird. Da müssen wir uns schon was Neues, Unerwartetes einfallen lassen. Was wir von den Erfindern des langen Marsches lernen können, ist das realistischere Menschenbild: Die wissen, wie die Mehrheit der Menschen tickt und knüpfen daran an und haben… Mehr

Dieter Rose
1 Jahr her
Antworten an  thea

Die Institutionen sind inzwischen mit Grünsympatisanten aufgefüllt worden, die alle mit goldenem Handschlag zu verabschieden, würde wohl zu teuer werden . . .

Maunzz
1 Jahr her

„Der Untertan“ von Heinrich Mann ist eine ideale Lektüre. Über einhundert Jahre alt, aber Parallelen sind zu allen Gesellschaftsordnungen erkennbar. Allerdings nur für Leser, die Literatur lesen können.

Freigeistiger
1 Jahr her

Meines Erachtens hätte Sahra Wagenknecht noch am ehesten das intellektuelle und charakterliche Format, Deutschland aus der multiplen Krise zu führen. Einen zweiten jahrzehntelangen Marsch durch die Institutionen wird es nicht geben, weil die demokratischen Voraussetzungen spätestens seit dem Corona-Regime nicht mehr gegeben sind. Die durchmarschierten Linken und Grünen sind nicht bereit, Macht, Positionen und Privilegien freiwillig jemals wieder aufzugeben, ihre Interessen und Ideologie zielen klar auf autoritäre bis totalitäre Verhältnisse. Das Corona-Diktat soll mit dem Klima-Diktat verschmolzen werden, was einen übermächtigen und -griffigen Staat bedeutet, der seine Bürger ihrer Freiheit beraubt. Es bleiben wohl nur Unterwerfung oder eine bürgerlich-liberale Revolution.… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Freigeistiger