Nehammer für EU-Asylverfahren in Ruanda und gegen Ausnahmen für Frauen und Kinder

Bundeskanzler Karl Nehammer ist gegen Ausnahmen für Frauen und Kinder beim neuen EU-Asylsystem, wie von Berlin gefordert. Diese wären nach ihm ein Pullfaktor für die Kettenmigration. Daneben fordert Nehammer Asylzentren außerhalb Europas, etwa in Ruanda – und findet einen unerwarteten Fürsprecher.

Österreichischer Bundeskanzler Karl Nehammer, 18.08.2023, Salzburg

Noch ist nicht zu erwarten, dass die EU sehr bald zu einer Lösung des Asylproblems kommt. Nur hier und da zeigen sich richtige Ansätze, die allerdings noch eine Mehrheit im Staatenbund brauchen, um von allen durchgesetzt zu werden. Es sei denn, es müssten nicht mehr alle alles gleich machen, wofür es bald auch Beispiele geben könnte. So sah der letzte Entschluss-Entwurf des Rats vor, dass die einzelnen EU-Mitglieder selbst über sichere Drittstaaten in ihrem Umfeld entscheiden können. Angewendet wurde diese Lizenz freilich noch kaum. Sie könnte aber gerade im zentralen und westlichen Mittelmeer gute Dienste leisten. In der Ägäis gibt es schon entsprechende Regelungen, die zu einer Praxis der ausgeweiteten Zurückweisungen (die sogenannten Pushbacks) führen.

Nun geht es erneut um die schnellen Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, auch auf dem Gipfel im Juni beschlossen, die der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) als wegweisend ansieht. Allerdings sät er auch Zweifel an der Ernsthaftigkeit aller Partner in dieser Frage. Im Gespräch mit Welt am Sonntag fordert er von der deutschen Bundesregierung, die von ihr verlangten Ausnahmen zurückzunehmen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Berliner Ampel wollen, dass Frauen und Kinder von den Schnellverfahren, die Asylbeantrager ohne Chancen schon in der Nähe der EU-Außengrenze aussieben will, ausgenommen werden.

Frauen und Kinder als Teil der Kettenmigration

Für Nehammer ist diese Forderung „aus polizeilicher Sicht praxisfremd und letztlich auch kontraproduktiv“. Denn sie würde laut dem Bundeskanzler dazu führen, dass „künftig insbesondere Frauen mit Kindern von ihren Verwandten auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer geschickt und skrupellosen Schleppern hilflos ausgeliefert werden“. Nehammer befürchtet, dass diese Ausnahmeregelung „praktisch eine Einladung für Frauen mit Kindern“ wäre , „die illegale Migration nach Europa zu wagen – und im Falle einer Schutzgewährung, die gesamte Familie nachzuholen“.

Maßnahmen zur Sicherung der Außengrenzen
Nehammer verteidigt Gipfel mit Orbán und Vučić
Dieses Phänomen nennt man auch Kettenmigration: Ein Familienmitglied geht voran und zieht dann die anderen per Familienzusammenführung nach. Frauen und Kinder würden schlicht die Rolle der jungen Männer übernehmen, und das gab es auch tatsächlich schon innerhalb der EU, sicher auch an ihren Grenzen. Für Österreich kündigte Nehammer ein Veto gegen die Ausnahmeregelung an: „Österreich würde einer Ausnahmeregelung für Frauen mit Kindern in dieser Form nicht zustimmen.“

Bei den beschleunigten Verfahren an der Außengrenze geht es laut der Nachrichtenagentur dts um etwa 25 Prozent aller Migranten – kein zu vernachlässigender Anteil. Hier muss die Regelung also konsequent greifen, um wirklich abschreckende Wirkung auf chancenlose Asylbewerber auszuüben. Die Weichheit der Berliner Position spiegelt einen generellen Unwillen der Ampel zur konsequenten Asyl- und Migrationspolitik.

Gibt es wirklich keine EU-Mehrheit für ein Ruanda-Abkommen?

Die Fingerhakeleien zwischen Wien und Berlin zeigen es: Das neue EU-Asylsystem wird noch einige Zeit auf sich warten lassen. Mit einem Ergebnis ist erst ab Anfang 2024 zu rechnen. Die Wiener Regierung fordert daneben weiterhin, Asylverfahren künftig in Drittstaaten durchzuführen – was bisher keine Mehrheit im Rat der Staats- und Regierungschefs fand, obwohl die theoretisch und denklogisch vorhanden sein müsste. Die Osthälfte der Union müsste, gemessen an nationalen Wahlergebnissen und Regierungsprogrammen für den Vorschlag sein, dazu die „Mittelländer“ Dänemark und Italien, vielleicht (bald) die Niederlande. Es drängt sich also der Eindruck auf, dass zentrale Spieler die Sache blockieren, vermutlich mit „internationalen“ Rechtsvorwänden der Marke: Außerhalb Europas speien Furien Gift und Galle auf die Menschheit nieder. Ein Aufenthalt ist nicht zu empfehlen.

Nehammer verwies auf die Ruanda-Abkommen, die Großbritannien und auch Dänemark bereits weit vorangetrieben oder gar abgeschlossen haben. Österreich stehe in dieser Frage auch in der EU „nicht alleine da“. Der ÖVP-Kanzler stellte die Vorteile dieses Vorgehens dar: „In diesem Fall würden die Migranten erst gar nicht europäischen Boden betreten.“ Bei einem Ablehnungsbescheid könnten sie nicht mehr einfach „in der EU untertauchen oder in mehreren europäischen Ländern gleichzeitig Asylanträge stellen“.

Das sind schon bemerkenswerte Worte, die das EU-Versagen in Sachen Asyl vollkommen offenlegen: Asylbewerber können heute „in der EU untertauchen“ und immer wieder neue Asylanträge stellen, obwohl ja genau das von den EU-Regeln ausgeschlossen wird. Es ist das Erbe der Unordnungspolitik seit 2015. Nehammer will, das muss man ihm wie seinem Vorgänger Sebastian Kurz zugestehen, demgegenüber eine neue Seite aufschlagen. Er will so auch das „Geschäftsmodell der organisierten Kriminalität zerstören und den mörderischen Transport über das Mittelmeer beenden“.

Stamp: Verfahren in Drittländern gegen Tod in Wüste und Meer

In eine ähnliche Richtung weisen auch die Aussagen des Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP). Fühlt sich Stamp nun doch auch für Abschiebungen und ein strenges und gerechtes Asylsystem verantwortlich? Er hatte zuletzt die Erwartungen an von ihm ausgehandelte Migrationsabkommen gedämpft – dadurch würden nicht automatisch mehr Abschiebungen gelingen.

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Nun zeigt Stamp Alternativen zu seinem Wirken auf. „Ein tatsächlicher Wendepunkt wäre es, wenn es gelingt, dass die UNO durch UNHCR in Drittstaaten Asylverfahren übernehmen würde und nur noch anerkannte Flüchtlinge nach Europa kämen“, sagte er der Welt am Sonntag. „Das würde den Anreiz nehmen, sich in die Boote zu setzen. Allerdings muss darüber Konsens bestehen, dass alle, die sich nicht dem UN-Verfahren unterzogen haben, automatisch in ein oder mehrere Drittländer zurückgebracht werden.“ Eine solche Regelung sei die „Alternative zum derzeitigen Elend und Tod in Wüste und Meer“.

Aber dazu bräuchte man ein „Partnerland“. Eines wie Ruanda. Und da wird die Intervention eines Unerwarteten interessant. Gerald Knaus ist Direktor der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative und Advokat des Türkei-Abkommens, das angeblich die illegale Migration über die Türkei dämpfen sollte. Er gilt als einflussreicher Berater verschiedener Bundesregierungen seit Angela Merkel, auch der jetzigen. Laut dts sagte er nun: „Dass Asylverfahren auch in Drittstaaten geprüft werden sollen, steht im Koalitionsvertrag. Dazu müssen sich jetzt alle Ampel-Partner bekennen.“

Ampel-Berater Knaus: Ruanda oder Marokko könnten Verfahren durchführen

Die Vorstellung, dass Asylverfahren grundsätzlich nie ausgelagert werden dürfen, weil das gegen die Menschenrechte verstoße, hält Knaus für falsch und logisch nicht begründbar: „Die Vorstellung, dass ein afrikanisches Land, das Asylbewerber geordnet aufnehmen will, dazu niemals in der Lage sein soll, ist absurd. Natürlich könnte Ruanda, der Senegal oder auch Marokko ein sicherer Drittstaat für Asylwerber sein, wenn es will.“ Alles andere sei „umgekehrter Rassismus“.

Hier lohnt auch ein Blick nach London, wo die britische Regierung bereits einen fertigen Ruanda-Abkommen in der Tasche hat. Allerdings stellten sich die Gerichte des Königreichs quer. Derzeit liegt die Frage beim Obersten Gerichtshof (Supreme Court), dessen Entscheidung im Herbst erwartet wird. Bis dahin wird auch die Regierung der Konservativen mit weiteren Aktionen warten. Für die EU-Länder wäre erst recht mit entsprechenden Urteilen zu rechnen, etwa vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg oder auch vom Europarats-Gerichtshof in Straßburg (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte), der noch über die EU hinausgreift.

Gerald Knaus hält dennoch eine Ruanda-Lösung für denkbar, wenn nämlich der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) dort die Verantwortung für die Verfahren übernähme: „Deutschland sollte Ruanda und andere Staaten dabei unterstützen, ein sicherer Drittstaat zu werden.“

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Kommentare ( 25 )

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Rosalinde
8 Monate her

Der österreichische BK Nehammer ist eben dem deutschen BK Scholz intellektuell weit überlegen.

AlNamrood
8 Monate her

Auch er geht nicht weit genug. Wer Asyl beantragen will kann dies in einer deutschen Botschaft tun, das reicht völlig wenn man sich an Wort und Geist des Asylparagraphen hält.

what be must must be
8 Monate her

Jeder Migrant, egal, wie dumm und/oder faul, ist ein Wähler für die SPD und die Grünen. Stimme ist Stimme. Der Deal: wir (Grün/SPD) lassen jeden und alles rein und besorgen so schnell wie möglich die dt. Staatsbürgerschaft (sonst können die ja nicht wählen!). Dazu natürlich medizinische Vollversorgung, freie Wohnung, kostenlose Benutzung der Öffentlichen Verkehrsmittel, Taschengeld für Drogen bzw. Drogenhandel. Bezahlt wird das alles von der verblödeten dt. Steuerkartoffel. In Fischer/Cohn-Bendit-Deutsch hieß das vor 30 Jahren: „Wir müssen noch viele Mio Migranten nach Deutschland bringen. Dann müssen wir dafür sorgen, daß sie die dt. Staatsbürgeschaft erhalten. Mit den so gewonnenen Stimmen… Mehr

mr.kruck
8 Monate her

Alles nur Gelaber. Die Realität sieht so aus, dass Afrika weiter bevölkerungstechnisch explodiert. Es wird also alles noch viel schlimmer werden, denn mehr (arme)Menschen bedeuten mehr interne Konflikte und Wanderungsbewegungen, natürlich in Richtung der gelobten Länder. Wenn nicht endlich die Grenzen geschlossen werden, wird Europa überschwemmt mit Armutsflüchtlingen. Und die Erfahrung lehrt, nun sind se halt mal da, dann dürfen se halt auch bleiben. Good Bye Germany and Europe.

ulix vanraudt
8 Monate her

Die Politik muss endlich das Grundproblem angehen, das zur Migrationskrise geführt hat: Das Asylsystem ist zum Vehikel zur illegalen Zuwanderung verkommen und ein pull-Faktor. Diese Politik verhindert am Ende, Verfolgten iSd GFK zu helfen und ist unsozial. Die Reform muss beim EU-Asylrecht ansetzen, zB durch 1 Abschaffung des individuellen Asylrechts bzw zumind Einschränkung auf Menschen, die direkt aus dem Verfolgerstaat einreisen (vgl Art16a dtGG) 2 aliquote Beteiligung an UNHCR-Resettlement-Programmen (Maßstab: Bevölkerungszahl; Aufnahmekriterium: Erfüllung eines Anforderungskatalogs) 3 Fonds zur Unterstützung von Staaten, die massiv von Flucht betroffen sind 4 Ablösung der unkontrollierten Zuwanderung durch eine Politik der kontrollierten Einwanderung (Vorbild: AUS,CAN);… Mehr

Foxii
8 Monate her

Die FPÖ legt ein dringliches Thema auf den Tisch, Nehammer und seine Minister reagieren reflexartig mit Geschrei wie „Rechtsextremismus und Populismus“ und zwei Monate später bringt die ÖVP selbiges Thema und verkauft es als ihres. FPÖ-Kickl sagte schon im Sommergespräch, dass er nicht verraten werde, was er für die Nationalratswahl 2024 plant, denn „sonst wirft die ÖVP wieder die Kopiermaschine an. Die sind ja mittlerweile wie die Chinesen.“

Peter Kern
8 Monate her

Sehr lustig. Ohne Mitglied einer Partei zu sein und ohne politischen oder sogar religiösen Sendungsbewusstsein, weiß man mittlerweile doch genau, wenn man als Bürger und Wähler für blöd verkauft wird. Die ÖVP steht mit dem Rücken zur Wand, liegt weit hinter der ÖVP (und Nehammer hinter Kickl) und spätestens nächstes Jahr sind Wahlen. Mehr braucht dazu nicht gesagt werden. Ähnlich gelagert ist der Fall Aiwanger. Aiwanger wird zum bürgerlichen, konservativen sogar rechten Helden empor geschrieben, damit gewinnen die Freien Wähler und ihr Koalitionspartner und verliert die AfD. Liest und hört man über dieses Schmierentheater, dann bekommt man zuerst den Eindruck… Mehr

Waldorf
8 Monate her

Der Dreh- und Angelpunkt jeder Migrationsdebatte ist der Umgang mit Wirtschaftsmigration, die den absoluten Schwerpunkt dieser modernen Völkerwanderung ausmacht. Es sind Abertausende auf den Beinen, die offensichtlich weder politisch noch sonstwie verfolgt werden, die nicht von Krieg etc in ihrer Heimat betroffen sind und sich durch Migration einzig und alleine die Berbesserung der materiellen Basis für sich und die Familie erhoffen. Dass das natürlich kein unehrenhaftes Motiv ist, ist logisch und braucht nur wegen woker Hysteriker eine ausdrückliche Benennung. Auch auswandernde Deutsche, sei es in die Schweiz oder usa erhoffen sich regelmäßig eine wirtschaftliche Verbesserung, die ja auch oft eintritt.… Mehr

Last edited 8 Monate her by Waldorf
Fieselsteinchen
8 Monate her

Wahlkampfgetöse mit anschließendem Demenzprozess! Nichts wird passieren, man verringert den offensichtlichen Zustrom in viele kleine Strömchen, dem Durchschnittsdeppen (früher: Zahlbürger) ist es nicht so augenfällig. Wundern tut der sich nur immer wieder, wenn er mal in einer Großstadt zu Besuch ist und nicht weiß, ob das noch Wien, Berlin oder schon Timbuktu oder Kabul ist. Lag wahrscheinlich am Navi! Konsequent das australische Modell umsetzen, ohne Wenn und Aber! Die deutsche Regierung ist damit hoffnungslos unwillig. Jetzt werden schon die Zweitfrauen dieser Kerle mit ihren 5 und 9 Kindern nachgeholt, wieso nicht gleich die Drittfrauen. Ist doch diskriminierend. Hier arbeiten Faeser… Mehr

erwin16
8 Monate her

Wenn man die zur Zeit verstärkt gesendeten Berichte aus Afrika so sieht, mit dem Grundtenor…..bei uns ist alles toll und wir sind die Zukunft, fragt man sich wieso überhaupt noch ein aus welchen Gründen auch immer „Zuwanderer“ in Europa geduldet werden sollen.
Diese würde ich auf andere afrikanische Staaten verweisen, die vor Selbstbewusstsein kaum laufen können.
Das gleiche betrifft Indien usw.