Der Populismus ist zurück

Wie die Wahlergebnisse in verschiedenen Ländern zeigen, wehren sich viele europäische Wähler nach wie vor gegen ein fernes Establishment. Von Frank Furedi

IMAGO / YAY Images

Ich sitze in einer Bar am Place du Luxembourg in Brüssel, in der Nähe des Europäischen Parlaments. Meine beiden Tischnachbarn sind politische Berater, die mit Vertretern der Mainstream-konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) zusammenarbeiten. Was ich zu sagen habe, gefällt ihnen gar nicht.

Ich verweise auf den bemerkenswerten Erfolg der Bauern-Bürger-Bewegung (BoerBurgerBeweging, BBB) bei den niederländischen Provinzwahlen im vorletzten Monat. Diese agrarpolitische Bewegung kam aus dem Nichts und ist jetzt so populär, dass sie mehr als doppelt so viele Sitze in den Provinzen gewonnen hat wie die zweitstärkste Partei bei dieser Wahl. Mit einem Mal ist die BBB auf dem besten Weg, die größte Fraktion im niederländischen Senat zu werden, wenn dieser Ende des Monats von den Provinzparlamenten berufen wird.

Dann komme ich auf den Aufstieg der Finnenpartei in Finnland zu sprechen. Bei den Parlamentswahlen Anfang April belegte diese Partei (ehemals: Wahre Finnen) den zweiten Platz, und ihre Vorsitzende, Riikka Purra, erhielt mehr Stimmen in den Wahlkreisen als alle anderen Parteivorsitzenden. Der hohe Prozentsatz junger Menschen, die für die Finnenpartei gestimmt haben, deutet darauf hin, dass sich der Populismus entgegen der landläufigen Meinung nicht auf ältere Wähler beschränkt.

Ich merke, dass meine Trinkkumpanen die Nase voll haben, und widerstehe der Versuchung, sie daran zu erinnern, dass im nahe gelegenen Flandern – nur einen Steinwurf von uns entfernt – die separatistische Partei Vlaams Belang derzeit an der Spitze der Umfragen steht. Ich erwähne auch nicht die Tatsache, dass die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in den Umfragen jetzt deutlich vorne liegt. Ich sage nichts über die Schwedendemokraten, die bei den Wahlen in Schweden im vergangenen September die zweitstärkste Partei wurden. Ich wage es auch nicht, sie daran zu erinnern, dass die populistische Partei Fratelli d’Italia bei den jüngsten Wahlen in Italien im selben Monat den höchsten Stimmenanteil aller Parteien erhalten hat. Es hat keinen Sinn, Salz in diese offene existenzielle Wunde zu streuen.

Was ich ihnen jedoch sagen möchte, ist, dass ihre Freunde von der EVP Gefahr laufen, den Bezug zur politischen Realität zu verlieren. Da sie sich die Vorurteile der Mainstream-Medien zu eigen gemacht haben, neigen sie dazu, den Populismus lediglich als Geißel der politischen zu betrachten. Oft hat es den Anschein, als wollten die etablierten Parteien diese aufstrebenden Parteien und ihre Wähler unter Quarantäne stellen und sie daran hindern, am politischen Leben teilzunehmen. Die EVP möchte, genau wie ihre Mitte-Rechts- und grünen Vettern in der EU, eine Welt ohne Populisten schaffen.

Dies war während und kurz nach der Corona-Pandemie deutlich zu sehen. Die etablierten politischen Parteien und ihre Freunde in den Medien hofften, dass die meisten Menschen so viel Angst vor der Pandemie haben würden, dass sie radikale Bewegungen ablehnen und stattdessen den ‚vernünftigen‘, technokratischen Einheitsbrei unterstützen würden.

„Der Populismus ist ein Opfer der Pandemie geworden“, erklärte die Times im Januar 2022. „The Great Reset: Die Unterstützung für populistische Politik ist während der Corona-Pandemie weltweit ‚zusammengebrochen´“, titelte SciTechDaily etwa zur gleichen Zeit. „Populistische Politik hat während der Pandemie weltweit an Unterstützung verloren“, behauptete CNBC im Januar letzten Jahres und atmete hörbar auf.

Die zahlreichen Berichte über den Niedergang des Populismus haben sich als reines Wunschdenken erwiesen. Bevor ich erklären kann, warum die Bewegungen, die das alte politische Establishment in ganz Europa in Frage stellen, nicht verschwinden werden, dreht sich eine meiner Tischnachbarn zu mir um, zeigt mir mit dem Finger ins Gesicht und ruft: „Sind Sie wirklich ein Populist, oder?“ Sie scheint zu erwarten, dass ich abwehrend reagiere und mich vom P-Wort distanziere. Als ich auf ihre Frage hin nicke, fragt sie, wie ein gebildeter Autor und ehemaliger Universitätsprofessor wie ich mich überhaupt als Populist bezeichnen könne.

Meine Antwort ist einfach: „Ich bin ein Populist, weil ich an die Demokratie und an die Fähigkeit der Menschen glaube, die richtigen Entscheidungen zu treffen.“ Ich versuche darauf hinzuweisen, dass die Feindseligkeit meiner Gesprächspartner gegenüber dem, was sie als „Populismus“ bezeichnen, durch ihre psychologische Distanz zum Leben der arbeitenden Bevölkerung erklärt werden kann. Ich wende ein, dass der Antipopulismus in einigen Fällen ein Symptom der Demosphobie ist – der Angst vor dem Demos oder dem Volk. Sie schauen mich ungläubig an. Ich merke, dass ich nicht zu ihnen durchdringen kann.

Wir sind in eine Sackgasse geraten. Meiner Meinung nach liegt das an der Kluft, die zwischen der Weltsicht der globalistisch orientierten Eliten und dem Verständnis der großen Mehrheit der Menschen für ihre missliche Lage klafft. Meine Gesprächspartner glauben, dass ich „die Komplexität der Welt des 21. Jahrhunderts einfach nicht verstehe.“ Vermeintlich zeugt mein Engagement für die Volks- und nationale Souveränität von mangelnder Kultiviertheit und offenbart meine Unfähigkeit, mit der Zeit Schritt zu halten. Obwohl sie es nicht aussprechen, sehen sie in meiner Unterstützung für den Populismus wohl den Beweis dafür, dass ich ein Chauvinist, wenn nicht sogar ein Fremdenfeind bin. Zum Glück sind sie zu höflich, um mich als „rechtsextrem“ zu beschimpfen, zumindest in meiner Gegenwart.

Trotz derartiger Meinungsverschiedenheiten bin ich entschlossen, solche Gespräche fortzusetzen, um sicherzustellen, dass mehr Menschen aus der Brüsseler Echokammer ausbrechen können. Seit ich in Brüssel arbeite, werde ich immer wieder daran erinnert, dass die meisten Eurokraten ausschließlich in dieser Echokammer leben und alle außerhalb dieser Kammer als unaufgeklärt und rückständig betrachten. Diese souveränitätsfeindliche Technokratie, die nach außen hin arrogant, aber nach innen hin psychologisch unsicher ist, stellt selbst eine Bedrohung für die Demokratie und den Geist, der sie trägt, dar. Die globalistische Sichtweise der Eurokraten verhöhnt instinktiv die nationale Kultur und die traditionellen Werte. Sie betrachten Patriotismus und Loyalität gegenüber der Nation mit tiefer Verachtung. Wenn es nach ihnen ginge, wären die Werte, die das Fundament der europäischen Zivilisation bilden, in Gefahr. Gegenwärtig ist das einzige Hindernis, das diesem globalistischen Projekt im Wege steht, der Aufstieg des Populismus in verschiedenen Nationen.

Viele der mit dem Populismus verbundenen Haltungen spiegeln das wider, was die politische Philosophin Hannah Arendt als Suche nach vorpolitischer Autorität bezeichnet. Aus diesem Grund sind die Familie, das Zuhause, die Solidarität der Gemeinschaft und die Nation für die populistische Bewegung so wichtig. Dieses Streben nach Sinnstiftung durch vorpolitische Solidarität kommt häufig durch die Bejahung des traditionellen Familien- und Gemeinschaftslebens, der Religion und des Patriotismus zum Ausdruck. Dieser Versuch, die Grundlagen der politischen Moral neu auszurichten, steht im direkten Gegensatz zu den postmodernen kulturellen Normen, die in der Brüsseler Blase vorherrschen.

Sollte das populistische Projekt weiter an Boden gewinnen und es gelingen, die jüngeren Generationen zu beeinflussen, dann besteht das Potenzial für etwas Neues und Spannendes. Dies wird nicht spontan geschehen. Diese neuen Bewegungen sind noch in der Findungsphase. Sie müssen ihre Ideale erst noch in eine strategische Vision verwandeln. Sie müssen die Sehnsucht der Menschen nach Solidarität und Gemeinschaft noch mit einer zukunftsorientierten politischen Perspektive verbinden.

All dies steht, wie die populistische Bewegung selbst, erst am Anfang.


Dieser Artikel ist zuerst beim britischen Online-Magazin Spiked erschienen.

Frank Furedi ist geschäftsführender Direktor des Think-Tanks MCC-Brussels, Autor zahlreicher Bücher und politischer Kommentator der Gegenwart. Mehr von Frank Furedi lesen Sie in den aktuellen Büchern „Die sortierte Gesellschaft- Zur Kritik der Identitätspolitik“ und „Sag was du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“.

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Kommentare ( 27 )

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27 Comments
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Fui Fujicato
11 Monate her

Wieso sollen wir als Staatsbürger & Souverän kontinuierlich irgendwelche langwierigen politischen Entwicklungen abwarten, wenn in den EU-Verträgen der absolute Vorrang nationalen Rechts aller EU-Staaten vereinbart worden ist ??? Schritt 1 in Deutschland wäre die Ausübung des (gemäß GG Art.20/Abs.4) vorgesehenen Widerstandsrechts des Staatsbürgers & Souveräns gegen die – gegen den Staatsbürger & Souverän inzwischen absolut totalitäre & übergriffige EU-, NATO-, NGO-, UN-, UNO-, US-, WEF-, WHO, Lobbyisten- & Blockpar-teien-Nomenklatura !!! Dies gilt insbesondere, wenn man die wahren Interessen der Strippenzieher der Verkehrs-, Klima-, Industrie-, Energie- & CO²-Wende berücksichtigt !!! Hier bereichern sich Finanzinvestitionsfirmen – im Interesse von Finanzinvestoren + Multi-Milliardären… Mehr

Wilhelm Roepke
11 Monate her

Die Frage lässt sich ziemlich leicht komprimieren: Ist die Begrenzung von Einwanderung rechtsextrem – ja oder nein? Wenn man so etwas bejaht, kann man die Staatlichkeit gleich aufgeben. Dann soll man es aber auch offen kommunizieren, dass die Abschaffung des Nationalstaates erklärtes Ziel ist.

mr.kruck
11 Monate her

Die Brüsseler Herrschaften in ihrer Blase denken also ernsthaft konträr zur Realität, es wären die Werte, die das Fundament der europäischen Zivilisation bilden, in Gefahr durch jene, die zum einen die Basis bilden durch die Familie, ihre Kultur und die Arbeit, deren Ertrag letztlich diese ganzen Technokraten, seltsamerweise mit Marxistischer Ideologie behaftet, finanzieren, und zum anderen das Volk sind, deren Vertreter im Geiste sie eigentlich sein sollten. Kompliziert, ja Lösung: Weg mit dem ganzen autoritären Brüsseler Sumpf aus Korruption und Vorteilsnahme, mit diesem teuren, aber effektiv völlig Unproduktiven und daher Nutzlosen Gebilde der vor allem sich selbst Versorger. Währungsunion Ok,… Mehr

thinkSelf
11 Monate her

„Die EVP möchte, genau wie ihre Mitte-Rechts- und grünen Vettern in der EU, eine Welt ohne Populisten schaffen.“ Das ist eine ziemlich niedliche Umschreibung für das Ziel der Errichtung eines feudalfaschistischen Regimes. „Meiner Meinung nach liegt das an der Kluft, die zwischen der Weltsicht der globalistisch orientierten Eliten und dem Verständnis der großen Mehrheit der Menschen für ihre missliche Lage klafft.“ Die „Kluft“ hat nichts mit „Weltsichten“ zu tun, sodern einfach damit das der charkterlich verkommene Teil der Bevölkerung (vulgo „Elite“) wie schon immer versucht die totale Herrschaft über die Massen zu gewinnen um ihre sadistischen Triebe ungehemmt ausleben zu… Mehr

HGV
11 Monate her

Due EU hat sich ihr Grab eigentlich selbst gegraben. In ihrem Wahn möglichst viele Länder zu integrieren, hat man eigene Grundsätze verraten. Das ist ein Prozess, der schon vor vielen Jahren begonnen hat und mit der Ukraine seinen hoffentlich finalen Abschluss findet, indem man diese Korrupten Länder im Osten Europas und Neu-Osteuropa außen vor lässt. Dazu kommt eine autokratische ökosozialistische Politik, die in der Ära Merkel begonnen hat und mit der Ernennung von Ursula v.d.L. hoffentlich ihren Abschluss findet. Da wird belogen und betrogen, da werden Geschäfte gemacht und der Bürger mit Vorschriften drangsaliert. Europa wird mit Migranten geflutet, als… Mehr

Maunzz
11 Monate her

„Sollte das populistische Projekt weiter an Boden gewinnen und es gelingen, die jüngeren Generationen zu beeinflussen, dann besteht das Potenzial für etwas Neues und Spannendes.“ – Ab hier bin ich anderer Meinung. Spannend ja, Neues nein. Zivilisation ist überreif für neue weltumspannende Kriege. Menschheit kann nicht ewig in Frieden leben. Das macht auf Dauer stumpf und langweilt. Man sieht die albernsten Prioritäten wie Identitätshopping, exzessive Gefühlsverletzungsmanie, Kulturaneignungsgeblödel, künstliche Spracheinschränkungen und -verrenkungen, Naturschutz, weil Natur schwach, edel und immer gut sei usw.

H.H.
11 Monate her

De Gaulles „Europa der Vaterländer“ contra „Vielvölkerstaat Europa“.
Wann hat ein Vielvölkerstaat jemals gut getan? UDSSR, Jugoslawien? Aber auch Spanien oder Belgien sind einer Betrachtung wert. Und gewiß auch die Ukraine. Die EU will den Vielvölkerstaat Europa und damit ein Ziel anstreben, das von vornherein dem Wiederzerfall ausgesetzt sein wird – ab Tag Eins. Möge es dazu erst gar nicht kommen!

Biskaborn
11 Monate her

Sehr interessanter Artikel! Diese EU Bürokraten leben einfach zu gut in ihrer abgeschotteten Welt, da stören Bürger und Parteien mit abweichenden Zielen und Idealen nur. Das Hauptproblem der „Populisten“, also der konservativen Parteien in der EU , die AfD würde ich der Aufzählung im Artikel hinzuzählen, ist ihre offensichtliche Uneinigkeit. Sie könnten etwas bewegen , verändern, nur in ihrer Zersplitterung, ihren Egoismen wird das nicht gelingen! Der unsägliche Moloch EU wird also bleiben wie er ist, zum Nachteil der Völker Europas!

Homer J. Simpson
11 Monate her

Ich finde es gruselig, dass das Wort Populist negativ behaftet ist. Es wird dafür verwendet, konservative Strömungen zu delegitimieren und in Ecken zu stellen, in denen sie nichts zu suchen haben. Klappt in Deutschland bis heute perfekt. Und so hat das Wort Populist fast was vom Terrorist. Und so macht man einen großen Bogen darum. Zum Glück wird das Ausland wach, ist es doch noch nicht so weit indoktriniert wie die Deutschen. Und so werden wir die nötigen Korrekturen, die „Ent-grün-rot-ifizierung“ durch Impulse von außen erfahren weil wir selbst die Geister die wir riefen nicht mehr loswerden. Man darf also… Mehr

Fui Fujicato
11 Monate her
Antworten an  Homer J. Simpson

Ich hätte da eine Idee … Wir treiben EU-weit alle Asylanten, Flüchtilanten, Migranten, etc., p.p., zusammen & deportieren diese – peu a peu – in die USA, die durch ihre weltweit verursachten politischen Umstürze + Stellvertreterkriege – allein im Interesse ihrer imperalistischen Vorherrschaft – diese Situation erst herbeigeführt haben !!! Sollen die Verursacher der Völkerwanderung doch sehen, wie ihr Staat + ihr – so gut wie nicht vorhandenes – Sozialsystem mit den – bisher in allen EU-Staaten überwiegend fürstlich alimentierten – Islamisten zurechtkommen !!! Da werden dann – über kurz oder lang – wohl die Nachkommen der europäischen Auswanderer in… Mehr

Die Wahrheit
11 Monate her

Finnische Nachrichten – heute aktuell – Die Koalition, Basic Finns, RKP und Christdemokraten versuchen, eine neue Regierung zu bilden. Für DEUTSCHLAND würde das so klingen. Die CDU & AfD haben heute begonnen über die neue Regierung zu verhandeln. Erstens wird das nicht geschehen und Zweitens ist die CDU mehr Grün als Christdemokratisch. Also begrabt die Hoffnung für Deutschland ganz schnell. Und nachdem der Habeck-Graichen Clan aus Deutschland eine No-go-Wirtschafts-Area gemacht hat, gibt es da nichts mehr aufzubauen.