Das Abi-Motto: Wehret den Anfängen!

Der dumme Wortwitz einiger Gießener Abiturienten sorgt für Aufregung, Schnappatmung, und selbstverständlich für viel "persönliches Entsetzen". Echte Radikalisierung wird hingegen gern übersehen, wenn sie nicht aus der politisch vorgesehenen Richtung kommt. Von Thilo Schneider

picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Angefangen hat es ganz harmlos, so, wie die Dinge meist anfangen: Die Abschlussklasse der Gießener Liebigschule verabredete sich auf einem anonymen Portal, um den „Abi-Streich“ (Sie kennen das: Dem unbeliebtesten Lehrer wurde damals die Ente oder der R4 umgedreht oder die Türschlösser verklebt oder sonst irgendwas „Lustiges“) zu planen und diesem natürlich auch ein Motto zu geben. Und wie das so ist, wenn ein Haufen End-Teenies zusammensitzt, wird’s beim gemeinsamen No-Brainstorming dann gern schon einmal dämlich. Also, irgendein Wortspiel mit „Abi“ wäre natürlich lustig. Man hätte beispielsweise „Abi und los“ oder „TrAbifahrt“ oder „Abiszess am Hintern“ oder so etwas in der Art nehmen können. An der Kasseler Herderschule haben sich die kommenden Ärzte und Rechtsanwälte das kreuzbiedere Motto „Abiversum. Wir greifen nach den Sternen“ gegeben. Gähn.

In Gießen lief die Sache allerdings etwas aus dem Ruder und in dem seltsamen ABIstimmungsportal tauchten dann Vorschläge wie „Abi macht frei“ oder, ganz verwegen, „Abi Akbar – Explosiv durchs Abi“ auf. Aber damit nicht genug: Gewonnen hat in der anonymen Abfrage der Spruch: „„NSDAbi – verbrennt den Duden“. Nicht schön. Also, obwohl eine derartige Losung oder Lösung von einem kreativen Standpunkt aus gesehen durchaus „interessant“ ist, dürfte jedem Beteiligten und jeder Beteiligter und jedens Beteiligtens klar gewesen sein, dass derartiger Mist natürlich nicht in Frage kommt. Da hätten die komplette höhere ABILdungsanstalt ebenso wie die Synapsen der anwesenden Lehrerschaft gebrannt. Und nicht nur buchstäblich, sondern wortwörtlich. Das war ein wirklich saublöder Witz. Wie ihn vielleicht die etwas schwächeren Schüler eines eher lässigen hessischen Abis aus purer Lust an dümmlicher Provokation loslassen würden.

Aber genau diese Provokation einiger MinderABImittelten hat funktioniert, denn: Irgendjemand hat die obskuren Vorschläge der Presse gepetzt und die halbe Republik hat Schnappatmung bekommen. „»Nazi«-Spruch: Gewähltes Abi-Motto sorgt für »Schock« an Gießener Liebigschule“ stellt der geschockte Kays Al-Khanak (kein Scherz, der heißt wirklich so) für die ebenfalls zutiefst geschockte Gießener Allgemeine fest. „Skandal am Gymnasium: Schüler wählten ‚NSDAbi‘ als Abi-Motto“ titelt die BILD entsetzt.

Selbstverständlich werden wegen der ABIdioten stante pede auch Polizei und Staatsanwaltschaft in Bewegung gesetzt, denn wer heute saudumme Parolen als Abi-Motto vorschlägt, der überfällt auch in 20 Jahren Polen, nur weil er an der Kunstschule nicht angenommen wurde. Oder so.

Nun könnte man es bei dem ABILödsinn bewenden lassen, eine Anzeige wegen Volksverhetzung und ein paar Tagessätze und gemeinnützige Arbeit sollten einen soliden Lern- und Erziehungseffekt haben. Die Dummen sind mit ihrem Freizeit-Abi sowieso schon gestraft, wenn sie im Laufe ihres Lebens auf einen bayerischen Realschüler treffen und von dem dann bildungsmäßig an die Wand gepinnt werden. Das lässt sich jeden Tag auf X schön anschauen. Nicht jedoch so in unserer aufgeregten Republik, in der jeden Moment der Gottseibeiuns um die Ecke biegen kann. Wehret den Anfängen! Außer, wenn sogenannte „Palästinenser“ die Anfänger sind. Dann gelten antisemitische Parolen als Folklore. Gut, von „denen“ kennt man das ja. Aber von unseren braven Gymnasiasten?

„Nazi-Parole als Abi-Motto: ‚Gießen ist kein Einzelfall‘“, stellt die Hessisch/Niedersächsische Allgemeine mit Sitz in Kassel erschrocken fest. Liebigschule in Gießen: „NS-Sprüche weder ein Scherz noch eine unreife Aktion“, raunt die FAZ vor sich und ihre Leser hin.

Via Tagesschau stellt das „Demokratiezentrum Hessen“, das seine staatliche Förderung von beispielsweise im Jahr 2021 rund 2,8 Millionen Euro ja auch irgendwie rechtfertigen muss, fest, dass das dumme Geschwätz einiger Schwachmaten von den Lümmeln in der letzten Bank ein „Fanal dafür ist, wie sehr wir abgestumpft sind“. Der Leiter dieses lustigen Demokratieeinkaufszentrums ist Dr. phil. Reiner Becker, der selbstverständlich pflichtschuldig „persönlich entsetzt“ war, als ihn der Hessische Rundfunk interviewt und natürlich auch gleich brav einen Bogen zur AfD geschlagen hat.

Natürlich muss nicht nur „die Schule den Vorfall aufarbeiten“, sondern irgendeine obskure „Schulgemeinschaft“ gleich mit. Die können jetzt lernen, wie „man zukünftig präventiv damit umgeht“.

Während Greta Thunberg und ihre neuen „palästinensischen Freunde“ rote Dreiecke an Häuser schmieren und Unis zerlegen, werden die Kollegen von Dr. phil. Reiner Becker dann demnächst vor den Abschlussklassen stehen und gemeinsam und auf Augenhöhe lustige Wortspiele mit „Abi“ üben, damit hier nicht noch einmal eine Kanaille mit „Abi für Deutschland“ oder „ABIfD“ um die Ecke kommt? Dabei gerät bei Dr. phil. Reiner Becker völlig aus dem Blick, dass sich Farid aus Marokko, Hassan aus dem Libanon und Emre aus der Türkei eher rudimentär für deutsche Befindlichkeiten im Allgemeinen und den Holocaust im Besonderen interessieren.

Wie wär’ es mit „Free ABILestine“?

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Kommentare ( 28 )

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Helfen.heilen.80
1 Monat her

Wird nicht Problemlösungskompetenz landläufig u.a. daran bemessen, zwischen tatsächlicher und vermeintlicher Gefahr unterscheiden zu können? Jetzt stellt sich wirklich die Frage, ob diese „Abiturienten“ die „Gefährder von morgen“ sind, die demokratische, rechtsstaatliche Grundordnung und offene Gesellschaft nächstens ins Wanken bringen? Vielleicht. Gut, dass schnell reagiert wurde. Oder kommen beim direkten Vergleich aktueller gesellschaftlicher Dynamiken und v.a. staatsgefährdender Radikalismen noch andere Phänomene in Frage? Wie priorisiert man in diesem Fall? Könnte es helfen, die Todesopfer und Verletzte zu zählen, oder führt das in die Irre? Kann man anhand von Todesopfern überhaupt einen sinnvollen Rückschluss auf eine Bedrohung ziehen, offenbar ist dieses… Mehr

Klaus Uhltzscht
1 Monat her

Das gefährlichste Codewort der Nazis ist das deutsche Wort „Spargel“. Damit verständigen sie sich untereinander, daß auch in der Nazizeit zwölfmal Spargelzeit herrschte.
Das Perfide daran ist, daß dieser Fakt völlig unbedeutend daherzukommen scheint. Aber der Bundesstaatssicherheitsschutz weiß Bescheid: Er könnte etwas bedeuten!

Harry Hirsch
1 Monat her

Ich kann darin nichts Verbotenes erkennen ohne darin etwas Verbotenes hineinzuinterpretieren. Da Richter aber nicht interpretieren sollen, sondern die Fakten bewerten, sollte man sämtliche für den Fall eingesetze Kapazitäten lieber für die wirklich Kriminellen einsetzen. Weder die Buchstabenreihe „NSDAbi“ noch „Verbrennt den Duden“ ist illegal. Vielleicht sollten die Beschuldigten in solchen Fällen viel häufiger Anzeigen wegen Paragraph 344 StGB einreichen um dem linken Strafverfolgungswahn Einhalt zu gebieten.
P.S. Bei den „Guten“ gehen ganz andere Losungen als Kunst- und Satirefreiheit durch.

Last edited 1 Monat her by Harry Hirsch
Stefferl
1 Monat her

Meine Empfehlung wäre, 5 Mottos vorzuschlagen, aus denen dann jeder Jahrgang eines auswählen darf. Der Einfachheit halber werden die dann durchnummeriert.
Also:
Motto Nr. 1
Motto Nr. 2
Motto Nr. 3
Motto Nr. 4
Motto Nr. 5
Dann kann man auf die T-Shirts einfach die Mottonummer drucken. Aber bitte nicht in arabischen Zahlen, denn das wäre eine kulturelle Aneignung.

Micci
1 Monat her

Natürlich muss sowas maximal aufgebauscht werden.

Ohne permanenten „Kampf gegen“ (wenn auch imaginiertes) „Rechts“ hätten doch SPD, Grüne und Linke nicht das Allergeringste vorzuweisen, abgesehen von der Vernichtung eines bis dato erfolgreichen Industrielandes.

Janosik
1 Monat her

Der Witz war vlt blöd oder auch nicht, nur Humor gibt es in unterschiedlichen Formen und nicht alle immer lachen. Das ist nun mal so. Wenn der blöde deutsche Wächter das nicht ertragen kann, sollte er Frau Bosetti in den Knast schicken, weil sie für mein eigenes Geld mit dem Nazispruch („Blinddarm der Gesellschaft“) beglückt hat und das für Millionen ins Häuser geschickt wurde. Der Fall Bosetti ist nur aus 2 Grunden problematisch: die Volksverhetzung so wie man das üblicherweise definiert, ist hier vorhanden und somit ist die Aussage strafbar, wurde aber nicht bestraft. Ein andere Aspekt ist: Frau Bosetti… Mehr

M.E.S.
1 Monat her

Vielleicht lohnt es sich, in der Pennälerzeit eines Dr. phil. oder der Redakteure der MM zu stöbern und die Fundstücke öffentlich zu machen. Zu meiner Pennälerzeit jedenfalls hätten die Pädagogen höchstens den Kopf geschüttelt, und die damaligen Pennäler säßen heute als gute Steuerzahler in ihren Büros.

Last edited 1 Monat her by M.E.S.
MisterX
1 Monat her

Ich musste wirklich lachen und fand die Vorschläge durchaus kreativ. Würde man in Medien und Politik auch nur einen Hauch von Realitätssinn haben, wäre klar gewesen, dass den Urhebern klar sein musste, dass man das so nicht machen kann. Da sieht man wieder wie spießig und rückwärtsgewandt Politik und Medien mittelweise sind, dass sie einen offentlichen Scherz nicht als diesen erkennen. Junge Leute machen eben Blödsinn, mit oder ohne Abitur. Für mich jedenfalls weitaus weniger „böse“ als mit Pflastersteinen auf Politzisten zu werfen und ganze Stadtteile in Schutt und Asche zu legen, wie diverse Politik-„Eliten“. Der Fehler der Abiturienten waren… Mehr

Last edited 1 Monat her by MisterX
Michael M.
1 Monat her

Was für ein Käse soll das denn bitte sein?!
Einen halbwegs normal tickenden Menschen interessiert so ein Kasperl-Schmarrn nicht die Bohne und wenn so ein Mist ganz prominent in der Blöd-Zeitung, der SZ, FAZ und den sonstigen üblichen verdächtigen Käseblättern hochgepuscht wird, dann ist das der eindeutige Beweis, dass ich mit dieser Einschätzung absolut richtig liege 😉.

Last edited 1 Monat her by Michael M.
Michael Palusch
1 Monat her

„eine Anzeige wegen Volksverhetzung und ein paar Tagessätze und gemeinnützige Arbeit sollten einen soliden Lern- und Erziehungseffekt haben.“
Das „Motto“ mag alles Mögliche sein, geschmacklos, dämlich, provokant, infantil, geschichtsvergessen, aber was soll daran volksverhetzend sein?
Wen könnte man damit wogegen aufhetzen?
Zu solchen reflexartigen Reaktionen kommt es eben, wenn die ewige Schuld ganz tief in Unterbewußtsein verankert ist.
Dann, wenn man schon ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn einmal monatlich der 18. auf dem Kalenderblatt erscheint oder man auf irgendeinem Preisschild der 88 gewahr wird.

Last edited 1 Monat her by Michael Palusch