Wirtschaftsweise warnen Merz und Klingbeil vor der Konsumfalle

Die Wirtschaftsweisen sind sich uneins in der Bewertung der Schuldenpolitik von Friedrich Merz und Lars Klingbeil. Einig ist sich der Expertenrat nur in einer Warnung: Tappt die Regierung in die Konsumfalle, statt in die Infrastruktur zu investieren, verliert Deutschland an Wirtschaftskraft.

Einzelne Worte im Journalismus haben ihre Konjunktur. Etwa der Begriff der “Zusätzlichkeit”. Der spielte nach den Hartz-Reformen unter Kanzler Gerd Schröder (SPD) eine gewisse Rolle. Rot-Grün hatte Arbeitgebern ermöglicht, billige “Ein-Euro-Jobber“ einzustellen, die sich im Wesentlichen von Hartz-IV ernährten. Aber diese Jobs mussten “zusätzlich” sein. Das heißt: Sie durften nicht zu der regulären Wirtschaft in Konkurrenz treten, die mit ihrer Arbeit Sozialversicherungspflichtige finanzieren. Das funktionierte nicht. Vor allem die in Deutschland mächtige und skrupellose Sozialindustrie missbrauchte die Ein-Euro-Jobs, um Kneipen, Läden, Handwerkern oder Trödlern Konkurrenz zu machen. Nach einer Studie des Gewerkschaftsbundes DGB gab knapp die Hälfte der befragten Ein-Euro-Jobber an, die gleiche Arbeit wie regulär beschäftigte Kollegen zu verrichten. Das Image der Ein-Euro-Jobs war so schlecht, dass die Politik nicht mehr wollte, dass sie so genannt werden – und sie öffentlich auch nicht mehr bewarb. Damit verschwand auch der Begriff der “Zusätzlichkeit” aus der Berichterstattung

Nun ist er zurück. Der Sachverständigenrat für die Wirtschaft hat diesen in der aktuellen Debatte um die Schuldenpolitik der schwarz-roten Bundesregierung gesetzt. Die “Wirtschaftsweisen” messen ihm entscheidende Bedeutung für die Zukunft der deutschen Wirtschaftskraft bei. Die Regierung Friedrich Merz (CDU) hat sich selbst neuen finanziellen Spielraum verschafft, indem sie die Schuldenbremse in der Verfassung aufgeweicht hat – und sich so zusätzliche Schulden von bis zu einer Billion Euro ermöglicht. Nutzt die Regierung diesen Spielraum wie versprochen für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur, so sind die Wirtschaftsweisen überzeugt, kann sie die deutsche Wirtschaftskraft bis zur nächsten Wahl im Jahr 2029 um über fünf Prozent erhöhen. Gibt die Regierung das Geld aber für Konsumausgaben aus, schrumpfe die Wirtschaftskraft in dieser Zeit sogar.

Die strukturelle Wirtschaftskraft wohlgemerkt. Nicht das aktuelle Wachstum. In diesem Bereich machen die Wirtschaftsweisen das Gleiche wie die Bundesregierung und die EU: Sie geben optimistische Prognosen ab, die sie dann später nach unten korrigieren müssen. Entgegen der bisherigen Aussage der Weisen wachse die deutsche Wirtschaft dieses Jahr nicht, sondern stagniere. Aber nächstes Jahr gehe die Fahrt los mit einem Wachstum von 1,0 Prozent. Nach der Prognose ist vor der Korrektur. Veronika Grimm, die Sprecherin des Expertenrats, hofft auf staatliche Investitionen in die Bau- und Rüstungswirtschaft, um diesen Wachstums-Effekt nächstes Jahr zu erreichen.

Wobei der Bereich der Verteidigung zeigt, auf welch dünnem Fundament das Versprechen der schwarz-roten Regierung auf Zusätzlichkeit steht. Das “Sondervermögen” für “Investitionen in die Infrastruktur” haben Merz und sein Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) auf 500 Milliarden Euro begrenzt. Für die Verteidigung wollen sie unbegrenzt viel Geld ausgeben. “Whatever it takes”, wie es Merz ausdrückt.

Für die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier zeigt sich da ein erster Riss in der Argumentationskette: Eigentlich gehöre die Verteidigung zu den Kernaufgaben des Bundes und müsste folglich aus dem Kernhaushalt bezahlt werden. Doch die Argumentation von Merz und Klingbeil lasse darauf schließen, dass sie den Aufwuchs in den Verteidigungsausgaben ausschließlich über Schulden zahlen wollen. Auch Ausgaben für den Verteidigungsbereich seien Konsumausgaben, argumentiert Malmendier: “Wenn wir Verteidigung nicht aus dem Haushalt bezahlen können, leisten wir uns im konsumtiven Bereich zu viel.”

Diesen konsumtiven Bereich werden Merz und Klingbeil mit dem neuen Schuldengeld füttern, fürchtet Malmendier. Als Beispiele nennt sie die geplante Senkung der Gastrosteuer, die Mütterrente oder die Subventionierung des Agrardiesels. Das Geld, das Schwarzrot an die Länder und in den Klimafonds geben will, stehe noch gar nicht unter klaren Regeln, die sicherstellen, dass es für Zusätzlichkeit ausgegeben wird. Deswegen fordert Malmendier, dass es eben diese klaren Regeln für den Kernhaushalt geben muss, wie hoch darin die Investitionsausgaben sein müssen. So will die Weise verhindern, dass Merz und Klingbeil etwa den Straßenbau künftig nur noch über das Schuldenpaket bezahlen, um dann das im regulären Haushalt frei gewordene Geld für Konsumausgaben zu verheizen. Etwa für das Bürgergeld.

Die Schuldenbremse ist nationales Recht. Union und SPD konnten sie daher – mit Hilfe von Grünen und Linken – aufweichen. Doch es gibt auch auf EU-Ebene Schuldengrenzen. Um die Stabilität des Euro nicht zu gefährden, dürfen sich die Mitgliedsstaaten nicht um mehr als 60 Prozent ihres Bruttoinlandproduktes verschulden. Schon jetzt steht Deutschland bei 62,5 Prozent, wie die Deutsche Bundesbank mitteilt. Die Folgen der anstehenden Schuldenorgie von Merz und Klingbeil sind da noch nicht eingerechnet.

Entsprechend waren die Wirtschaftsweisen in ihren Einschätzungen uneinig. Einige wollten der Bundesregierung sagen, wie heikel es wäre, wenn Deutschland bewusst noch viel stärker als ohnehin gegen die Stabilitätskriterien des Euro verstoßen würde. Andere aus dem Beraterteam der Bundesregierung sichern ihre Beraterposition damit ab, dass sie der Regierung sagen, das schon ok sei, was die so mache.

Noch hat die Bundesrepublik nicht mal für das laufende Jahr einen Haushalt. Den will Finanzminister Klingbeil nächsten Monat einbringen, im September soll der Bundestag diesen dann beschließen. Folglich muss es noch etwas von Spekulation haben, sich zu fragen, ob die Bundesregierung das zusätzliche Schuldengeld tatsächlich für Zusätzlichkeit ausgibt – oder einfach nur konsumtive Lieblingsprojekte puscht. Dass Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) die rot-grünen NGOs noch stärker pampern will mit Geld aus den Töpfen der “Demokratieförderung”, zeigt, dass Sparwille in Berlin noch nicht heimisch ist. Oder Problembewusstsein.

Ein tiefergehender Blick bestätigt diese Tendenz. Etwa ein Blick auf die bisherigen Ausgaben für Verkehrswege. Das Kernstück einer jeden Infrastruktur. Da liegen jetzt die endgültigen Zahlen für 2023 vor. Demnach gab die Ampel in dem Jahr rund zehn Milliarden Euro für den Bau und die Erhaltung von Schienen aus. Für die Fernstraßen des Bundes waren es zwölf Milliarden Euro – neun Milliarden Euro davon waren reine Investitionen. Für die Wasserstraßen gab die Ampel im Jahr 2023 immerhin noch anderthalb Milliarden Euro aus. Zusammen kommen also Ausgaben für Verkehrswege in Höhe von rund 24 Milliarden Euro. Ganz ohne “Sondervermögen” und bei (halbwegs) ernst gemeinter Schuldenbremse.

Schon bei dieser Ausgabenhöhe hatte der damalige Verkehrsminister Volker Wissing – erst FDP, dann parteilos – Probleme, diese Projekte umzusetzen. Nicht nur wegen der Finanzierung. Um diese Bauvorhaben zu planen, umzusetzen und zu kontrollieren, braucht es eine gewisse Zahl an Fachkräften in den Verwaltungen des Bundes und der Länder, die etwa den Autobahnbau vor Ort praktisch umsetzen. Von diesen Fachkräften standen Wissing in manchen Projekten zu wenige zur Verfügung.

Wissings Nachfolger Patrick Schnieder (CDU), ebenfalls aus Rheinland-Pfalz, kann jetzt mehr Geld beanspruchen. Zumindest die Wirtschaftsweisen hätte er auf seiner Seite. Denn Ausgaben in seinem Bereich erfüllen am ehesten das Kriterium der Zusätzlichkeit. Doch das Problem mit den fehlenden Fachkräften in der Verwaltung existiert ja nun einmal weiter. Würde Schnieder pro Jahr 50, 80 oder 100 Milliarden Euro für Verkehrswege ausgeben, würde sich dieses Fachkräfteproblem umso dramatischer auswirken.

Falls. Denn genau an dieser Stelle droht Schwarz-Rot in die Konsumfalle zu treten, vor der sie ihre Berater warnen. Wenn Klingbeil die Ausgaben für Verkehrswege künftig übers “Sondervermögen” bezahlt, weil sie eindeutig die Kriterien der Zusätzlichkeit erfüllen. Aber wenn dann gleichzeitig die Ausgaben für Verkehrswege aus dem regulären Haushalt wegfallen oder der Minister sie nicht mehr abruft. Dann stünde das Geld nämlich für Konsumausgaben bereit: Sei es die Mütterrente, das Bürgergeld oder die staatliche Finanzierung von NGOs.

Als es um die Ein-Euro-Jobs ging, haben nur wenige tapfere Journalisten darauf hingewiesen, dass die Zusätzlichkeit eingehalten werden müsse. Einsame Warner in der Wüste. Am Ende musste sogar die Agentur für Arbeit eingestehen, dass mit dem Instrument vier Prozent der regulären Jobs verdrängt worden seien. Eine ähnliche “Erfolgsbilanz” droht der Zusätzlichkeit, wenn es um die Frage geht, ob Schwarz-Rot die massive Verschuldung für Investitionen ausgibt – oder für Konsum verballert. Es hängt viel davon ab, sagen zumindest die Wirtschaftsweisen: fünf Prozent höhere Wirtschaftskraft. Deutschland braucht diese Stärkung dringend. Etwa um Aufgaben zu finanzieren, die sich aus der Alterung der Gesellschaft ergeben. Oder ein Schrumpfen der Wirtschaftskraft. Dann schlittert das Land angesichts der besagten Aufgaben in eine soziale Katastrophe, die sich heute nur eine Minderheit ausmalen kann.

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Kommentare ( 35 )

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Edwin
1 Monat her

Aus den letzten beiden Weltkriegen wissen wir, dass die Ausgaben in die Rüstung Konsumausgaben waren. Warum gibt man Geld für die Rüstung aus? Damit man in einem Verteidigungs- oder Angriffskrieg die Rüstungsgüter einsetzen kann. In einem solchen Krieg werden diese Güter zerstört, also „verbraucht „. Für das ausgegebene Geld gibt es also keinen Gegenwert mehr. Das ist der große Unterschied zu Investitionen, deren Güter langlebig sind und damit einen nachhaltigen Nutzen für die Menschen haben, die hierfür das Geld ausgegeben haben. Das können naturgemäß nur zivile Infrastrukturprojekte sein.

Deutscher
1 Monat her

Wie wird man eigentlich „Wirtschaftsweiser“? Kann man das lernen oder sich dazu wählen lassen?

Ganz ehrlich: Egal, was die sagen – für mich sind die so irrelevant und illegitim wie der „Ethikrat“.

Nibelung
1 Monat her

Das erste Quartal 2025 haben sie dem Anschein nach schon frisiert, damit es nicht so schrecklich aussieht und über Schiebereien sogar noch einen kleinen Zuwachs ausweisen können, denn wer kann denn schon den Rechenschaftsbericht im Einzelfall überprüfen und muß dann zwangsläufig ihren buchhalterischen Tricks Glauben schenken und da sollten mal die Blauen reinsehen dürfen und deshalb hält man sie auch vom Haushaltsausschuß und anderen fern, damit die nichts mitkriegen, wie die Amtierenden ihre Zahlen verbiegen, denn Papier ist ja bekanntlich geduldigt und die Lügen können erst aufgedeckt werden, wenn man sie von ihren Entscheidungsbefugnissen erlöst und man vollen Einblick in… Mehr

Die Wahrheit
1 Monat her

Wohin geht die Fahrt? Noch tiefer? Den allermeisten Deutschen gehts doch Super. Auto-Haus-Urlaub. Das dauert noch – bis Sie im Nirgendwo Sozialismus landen.

Nibelung
1 Monat her
Antworten an  Die Wahrheit

Ist Haus und Auto Eigentum wäre es ja noch etwas länger auszuhalten, solange der Geldgeber nicht die Hypothek oder den KFZ-Brief besitzt und der Urlaub auf Pump ist auch nicht nach außen zu sehen und kann nur noch gehalten werden, wenn beide eine gute Position besitzen, was schneller weg sein kann als man glaubt und damit könnte der Abstieg rasch beginnen und das kann über Nacht geschehen und ab da beginnt der Überlebenskampf was derzeit noch nicht feststellbar ist aber tendenziell nach unten zeigt, von denen abgesehen, die überhaupt nichts stört, weil sie schon materiell vorgesorgt haben und einfach wegdüsen,… Mehr

Innere Unruhe
1 Monat her

„Tappt die Regierung in die Konsumfalle, statt in die Infrastruktur zu investieren, verliert Deutschland an Wirtschaftskraft.“
Migration IST Konsum. Das Geld, was die Asylanten verheizen und verfrühstücken ist weg. Von Zahnspangen für deren Kinder, Kurse für deren Frauen werden wir nicht reich.
Migration – die Ausgaben dafür – müssen aufhören. Es kann nicht sein, dass illegal Eingereiste legale Girokonten haben und legal mit meinem Steuergeld an der Kasse einkaufen dürfen.

Elmar
1 Monat her

Investieren lohnt sich nur, wenn es für die durch die Investitionen erzeugten Waren Absatzmöglichkeiten gibt. Eine funktionierende Volkswirtschaft braucht daher sowohl Investitionen als auch Konsum. Einseitige Festlegungen sind völliger Schwachsinn. In die Infrastruktur kann man übrigens nur dann investieren, wenn es Unternehmen gibt, die sich damit beschäftigen. Die sind aber wegen jahrelangem Nichterhalten und Nichtinvestieren ziemlich rar geworden. Was nicht gebraucht wird sind Weise, welche die Weisheit mit dem Schaumlöffel gefressen haben.

giesemann
1 Monat her

Zur Wirtschaftskraft: Patent Index 2024 | epo.org, mal reingucken. Zitat: Geographic origin of applicationsFilings from European applicants remained high (+0.3%), achieving a share of the total of 43.3% in 2024. German applicants continue to lead the way, with 12.6% of the total. Significant increases were seen from Ireland (+4.4%), Switzerland (+3.2), UK (+3.1%), Spain (+3.0%) and Finland (2.7%). Overall, the top five countries of origin were the United States (-0.8%), which accounts for almost a quarter of all applications, followed by Germany (+0.4%), Japan (-2.4%), P.R. China (+0.5%) and R. Korea (+4.2%). Switzerland remained the country with the most patent applications… Mehr

Mattes H
1 Monat her

Da fehlt mir nur noch M. Fratscher als Oberökonom mit seiner immer danebenliegenden Meinung . Dann ist alles komplett.

R.Baehr
1 Monat her

Wirtschaftsweise?? Das sind keine Weisen, sondern komplett ahnungslose und völlig fehl am Platze; oder wie sonst ist zu erklären, das sie die Ursachen überall sehen, aber nicht bei den Verantwortlichen in Berlin. Mit diesen in der Regierung ist der Weg in den Untergang schon festgeschrieben, so weit das Auge reicht, Dillettanten, Träumer und Realitätsverweigerer, man muss sich nur die Regierungsbank einmal genau betrachten, völlig sinnlos, noch an Besserung hier im Land mit diesen Geistesgrößen zu glauben.

Leroy
1 Monat her

Allein das Bild der beiden Omis genügt um zu wissen, dass die beiden garantiert wenig von Wirtschaft verstehen. Welche erfolgreiche Unternehmen haben sie bislang geführt? Quotentanten mit einer großen Hybris, mehr nicht.