Wie die Corona-Gefahr unterschätzt und verschleppt wurde

Jens Spahns Umgang mit der aufziehenden Corona-Krise zeigt die Folgen der geistigen Quarantäne, in die sich die deutsche Politik begeben hat: Die Gefahr wird verharmlost, die eigene Kompetenz überschätzt und dann werden "soziale Medien" für Panikmache gescholten - bis zum Ausbruch des Chaos.

imago Images/Jens Schicke

22.01.20, SZ: Die Gefahr für Deutschland durch das Coronavirus werde von Fachleuten momentan als „sehr gering“ eingeschätzt, sagte ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn

24.01.20, Tagesschau: Bislang gibt es keinen Corona-Verdachtsfall in Europa. Für Deutschland mahnt Gesundheitsminister Spahn umsichtige Reaktionen an – und lobt die Informationspolitik der chinesischen Regierung.

27.01.20, RP Online: Spahn: Deutschland ist gut vorbereitet

28.01.20, ZDF: Spahn ruft zu Gelassenheit auf

28.01.20, MDR: Spahn weitet Meldepflicht aus

29.01.20, RTL: Gesundheitsminister Jens Spahn zu Coronavirus: „Kein Anlass zu Unruhe oder unnötigem Alarmismus

29.01.20, Tagesspiegel: Laut Jens Spahn geht vom Virus nur eine „geringe“ Gefahr aus, bei der Eindämmung vertraut er auf das Robert-Koch-Institut. Die letzte „Krisensimulation“ liegt drei Jahre zurück, eine Software zur zentralen Erfassung von Verdachtsfällen gibt es nicht. Unterdessen gibt es neue Fälle in Bayern.

29.01.20, Berliner Morgenpost: Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erreichen die Fake News rund um Corona derartige Ausmaße, dass er nun davor warnt: „Gerade in sozialen Medien sind viele mit ganz eigenen Interessen unterwegs, die Bürgerinnen und Bürger verunsichern wollen“, sagte Spahn den Fernsehsendern RTL und n-tv.

30.01.20, Bild, Frage Bild: „“Macht es Sinn, Mundschutz zu tragen“
Antwort Spahn: „Ein Mundschutz ist nicht notwendig, weil der Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist.“ Bedeutet: Eine Maske bietet keinen zusätzlichen Schutz.“

31.01.20, Abendblatt: Gesundheitsminister Jens Spahn warnt wegen des Corona Virus vor Panikmache

2.02.20, Zeit: Jens Spahn will Falschmeldungen zum Corona Virus entgegenwirken (Artikel mittlerweile gelöscht)

5.02.20, Welt: Bundesminister Spahn macht sich in Germersheim ein Bild von der Quarantäne-Station für das Corona Virus. Er sieht eine „dynamische Lage“ und will sich mit den europäischen Partnern abstimmen. In Germersheim gab es erst einmal Entwarnung.

12.02.20, BGzA: Spahn sieht Zahlen aus China zum Coronavirus-Verlauf kritisch: „Das ist alles auf sehr, sehr dünnem Eis“

12.02.20, Stern: Spahn sieht Coronavirus-Situation in Deutschland “unter Kontrolle”

12.02.20, ZDF: Spahn zum Virus in Deutschland – Corona-Lage ist „unter Kontrolle“

13.02.20, Manager Magazin: Wegen des Coronavirus werden in der EU Engpässe bei Arzneimitteln und Schutzkleidung befürchtet. In China würden wichtige Wirkstoffe produziert, die für viele Medikamente nötig seien, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag bei einem Sondertreffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel.

24.02.20, SZ: Spahn sieht Ansteckungsgefahr in Deutschland. (…) In der Bundesrepublik sei es jedoch noch möglich, Betroffene zu isolieren, zu behandeln und ihre Kontaktpersonen zu ermitteln, sagte Spahn.

25.02.20, Welt: Spahn unterschätzt das Coronavirus, glaubt ein Virologe

26.02.20, Bild: GESUNDHEITSMINISTER SPAHN SCHLÄGT ALARM
Deutschland „am Beginn einer Coronavirus-Epidemie“

26.02.20, SZ: Gesundheitsminister Jens Spahn erwartet eine deutlich stärkere Verbreitung des Virus. „Wir befinden uns am Beginn einer Corona-Epidemie in Deutschland“, sagte Spahn am Mittwoch in Berlin

27.02.20, Tagesschau: Spahn und Seehofer zum Corona-Virus: Krisenstab nimmt Arbeit auf

27.02.20, Spiegel: Auch Spahn spricht von einer neuen Lage angesichts der wachsenden Zahl von Infektionen. Es müsse damit gerechnet werden, dass sich die Epidemie auch in Deutschland ausbreite, sagt der Gesundheitsminister.

2.03.20, FAZ: SPAHN ÜBER DAS CORONAVIRUS Grenzschließung und Event-Absagen nicht verhältnismäßig

4.03.20, Focus Online: Spahn räumt Nachholbedarf bei Corona-Tests ein

4.03.20, Bundesgesundheitsminister: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich am 6. März 2020 mit den EU-Gesundheitsministern beim EPSCO-Sonderrat über die Eindämmung des Corona Virus und die Arzneimittelversorgung während der Pandemie ausgetauscht. „In dieser Situation können wir alle voneinander lernen“, so Spahn in Brüssel.

9.03.20, Stern: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat alle Bürger dazu aufgerufen, daran mitzuwirken, die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen. Ziel müsse es sein, „die Dynamik zu verlangsamen“, sagte der CDU-Politiker am Montag in Berlin. „Wir müssen den Ausbruch verlangsamen, damit unser Gesundheitssystem weiter funktionieren kann“, betonte er. „Dazu brauchen wir die gesamte Gesellschaft. Wir brauchen jeden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin.“

Am 11.3. tritt erstmals die Bundeskanzlerin vor die Presse. Die Kollegen und Kolleginnen dort fühlen sich sichtbar geschmeichelt, die Kanzlerin schäkert darüber, die Journalisten sollten sich nicht ins Gesicht fassen um die Verbreitung des Virus zu vermeiden. Zu dem Zeitpunkt beginnt Italien, das gesamte öffentliche Leben einzuschränken. Deutschland debattiert darüber, ob einzelne Bundesligaspiele ausfällen könnten. Die Ministerpräsidenten der Länder können sich nicht über eine gemeinsame Entscheidung zum Schließen der Schule einigen, allerdings beschließen sie eine Erhöhung der Rundfunkgebühren.

Am 12.3. treten Kanzlerin und die Vertreter der Bundesländer vor die Journalisten; erst jetzt wird der Ernst der Krise thematisiert. Heftig kritisiert Bundesfinanzminister Olaf Scholz US-Präsident Donald Trump, der einseitig die Einreise aus Europa unterbunden hat. Grenzen seien nicht geeignet, das Virus fernzuhalten. Statt sich um die Probleme seines Landes zu kümmern, denke Trump wohl, dass er ein Virus so bekämpfen könne, „wie irgendwelche Leute, die eine andere als die US-Staatsbürgerschaft haben“. Längst hat Österreich den Bahnverkehr aus Italien blockiert, Tschechien riegelt die Grenze nach Deutschland ab. Viele Medien konzentrieren sich in ihren Berichten lieber darauf, dass die Bundeskanzlerin sich so sympathisch mit „Tschö und see you“ vom bayerischen Ministerpräsidenten verabschiedet habe.

Am 13.3. erklärt die WHO Europa zum neuen Epizentrum der Krise, die in China abflaue. Erst jetzt scheint der wahre Umfang der Krise im politischen Bewusstsein angekommen. Ein umfangreiches Programm an Wirtschaftshilfen wird verabschiedet; eine Lösung für fehlende Desinfektionsmittel fehlt weiter. Die ZDF-Nachrichten dokumentieren die aufziehende Wirtschaftskrise am Beispiel eines schwul-lesbischen Clubs in Berlin, der unter Besucherschwund leidet.

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Kommentare ( 132 )

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harald_mueller
4 Jahre her

Sie können ja gern sagen, dass Sie persönlich der Meinung sind, man hätte anders reagieren sollen aus diesen und jenen Gründen. Aber die Strategie lässt sich seriös erst in ein paar Monaten bewerten, wenn man wirklich sagen kann was das richtige vorgehen war oder gewesen wäre. Und natürlich muss auch Jens Spahn seine Strategie konstant anpassen. Was hätte es denn genutzt Mitte Feburar alles dicht zu machen? Das wäre unverhältnismäßig gewesen. Das wäre ein völlig unnötiger wirtschaftlicher Schaden gewesen. Denn sobald die Maßnahmen reduziert werden, steigen die Infektionszahlen wieder, weil dieses Virus extrem ansteckend zu sein scheint und nicht damit… Mehr

WGroeer
4 Jahre her

Die Illner-Sendung vom 30.01.2020 mit Dr. Johannes Wimmer fehlt noch immer in der Zusammenstellung. https://www.youtube.com/watch?v=YtA5OTroqcg „Wir haben so viel Dusel momentan und soviel Glück…“ Außerhalb der chinesischen Problemprovinz Hubei leben über 1,3 Mrd. Menschen. Davon haben sich ca. 13000 infiziert und nur ca. 120 Tote. Allein die NATO-Länder Europas sind derzeit bei 51000 Infizierten und 2300 Toten. Auch wenn die Ausrufung des WHO-Notstandes an diesem Tag noch nicht erfolgte, Im Spiegelartikel vom 22.01. sind die notwendigen Maßnahmen klar aufgezeichnet! https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/neues-coronavirus-was-bedeutet-der-internationale-gesundheitsnotstand-a-8663a068-ee02-4f0b-840b-c899d06e24a1 Welche Maßnahmen sind möglich? Denkbar sind zum Beispiel: Quarantänemaßnahmen, Grenzschließungen und Einschränkungen im internationalen Reiseverkehr. Auch die Regierungspartei SPD hat… Mehr

eswird
4 Jahre her

Im neuesten Focus wird Jens Spahn durch sein besonnenes Handeln zum Gewinner der Corona Krise erklärt, vom Chefredakteur persönlich. Ohne Tichy und die Qualität der Berichterstattung wäre die Welt noch wesentlich dunkler als sie es ohnehin schon ist.

GermanMichel
4 Jahre her

Selbst wenn Spahn ein Totalversager in völliger Ignoranz wäre, seine Berater sind es nicht (promovierte Virologen mit jahrzehntelanger Praxiserfahrung).

Wie immer ist die Unterstellung, es handelt sich um reine Unfähigkeit, eine ausgeprägte Beschönigung der tatsächlichen Situation.

Denn wenn Spahn’s (Nicht)Handeln Resultat eines bewussten Abwägungsprozesses ist, dann müsste er angesichts der erwarteten Opferzahlen noch ganz anders als „nur“ ein Totalversager bewertet werden.

Hoffnungslos
4 Jahre her

Da werden die Gebühren, sprich Steuern für die Öffentlich Rechtlichen erhöht und die Diäten der Berliner Abgeordneten sogar mal eben um ganze 58 % . Dafür gibt es zu wenig Desinfektionsmittel und zu wenig Schutzanzüge für das medizinische Personal. Man muss eben Prioritäten setzen. Die Flughäfen und Grenzen bleiben nach wie vor sperrangelweit offen, dafür schließen Schulen und Kitas. Aber Frau Merkel und ihre Freunde wollen ja auch die ganze Welt retten, oder das, was sie dafür halten. Und unsere Linksalternativen träumen derweil vom chinesischen Überwachungsstaat.

Beat.Buenzli
4 Jahre her

Es gibt Leser und auch Wähler, die durch die Handlungsweise von Spahn ihn als nächsten Kanzler sehen, das sehe ich nicht. Ich sehe, dass es viel zu lang gedauert hat bis Deutschland wach wurde, dass die Grenzen unverändert nicht geschlossen sind, dass Schulen weiter lehren, dass es den Krankenhäusern an Allem mangelt, dass das Gesundheitssystem erst ganz langsam auf Fahrt kommt. Ich sehe Spahn nicht als Retter, er ist Schuldiger der zugelassen hat, dass unser Gesundheitssystem so im Argen ist.

Heimatland
4 Jahre her
Antworten an  Beat.Buenzli

Entschuldigung , aber er ist doch der ideale Nachfolger für die grökaz, erst alles aussitzen und wenn es nicht klappt, dann ist es jetzt einfach so

EndemitdemWahnsinn
4 Jahre her
Antworten an  Heimatland

Genau, ein konsequentes Handeln sehe ich da außerdem absolut nicht. Ich höre nur hier und da ein bißchen (dummes) Geschwafel, was man machen sollte oder könnte usw., keine konkreten Maßnahmen und dafür gibt es natürlich auch noch großes Lob an allen Ecken und Enden von den Medien. Was die Regierung macht, könnte jeder Ungebildete mit halbwegs gesundem Verstand genauso, wahrscheinlich sogar besser machen, abgesehen davon dass jeder einzelne mündige Bürger schon aus Eigenverantwortung gewisse empfohlene Regeln von sich aus ganz selbstverständlich einhalten würde. Aber die meisten Deutschen brauchen eben einen starken „Führer“, der ihnen irgendwelche Anweisungen gibt bzw. eine Gehirnwäsche… Mehr

grenzenlos
4 Jahre her

Diese Chronologie des Versagens eines Ministers sollte erweitert werden zu einer Synopsis deutscher Hybris: erst in der Gegenüberstellung der Vorgänge in China und Italien, den Äußerungen der zuständigen Experten und Verantwortlichen in Deutschland und den Wortmeldungen und „Aktivitäten“ von Gesundheitsminister und Kanzlerin (und zwar Tag für Tag seit dem Ausbruch der Pandemie in Wuhan) würde das wirkliche Ausmaß des Versagens unserer politischen „Elite“ zeigen.
Für die Kanzlerin sollte es dann eigentlich nur noch eine Konsequenz geben.

Dietesheim
4 Jahre her
Antworten an  grenzenlos

Konsequenz und Verantwortung? Sie weiß gar nicht, was das ist.

Fulbert
4 Jahre her

Chronik einer Massenhysterie. Eindrucksvoll zu erfahren, wie kollektive Psychosen entstehen. Was zuletzt im Mittelalter moeglich schien, kehrt wieder. Und am Himnel stoßen schon die apokalyptischen Reiter ins Horn….Ein Zeichen, ein Zeichen!

Wolff-Simon
4 Jahre her

Deutschland in der Corona-Krise – gelebte Realsatire!

KoelnerJeck
4 Jahre her

Politik ist ein Wettbewerb der Gauner (Hans-Hermnn Hoppe). Politiker sind alles Schwätzer, die noch nie in ihrem Leben etwas auf die Reihe bekommen haben. Wieso sollten die eine Krise managen können?

Wer von denen kommt aus der Privatwirtschaft? Wer hat Führungsverantwortung übernommen?

Wer sich auf andere verläßt, der ist verlassen. Die Politik ist das Problem und nicht die Lösung!