Wenn die Chatkontrolle kommt: Signal-Chefin will Widerstand leisten – oder den EU-Markt verlassen

Mitte Oktober soll es zum Schwur im EU-Rat kommen. Doch was die Bundesregierung in der Sache will, weiß man noch immer nicht. Der Widerstand gegen eine umfassende Chatkontrolle für alle Nutzer wird größer. Neben Forschern und Wirtschaftsverbänden sehen sogar die juristischen Berater der EU das Projekt sehr kritisch.

picture alliance / abaca | Blondet Eliot/ABACA
Meredith Whittaker, Paris, 10.02.2025

Der Oktober wird zeigen, wo die Bundesregierung in Sachen Chatkontrolle steht. Bis zum 14. Oktober werden die zuständigen Ministerien entscheiden müssen, wie sie in dieser Frage im EU-Rat abstimmen. Früher stand die deutsche Stimme bei einem Nein, unter Schwarz-Rot wurde ein Vielleicht daraus. Folgt nun das Ja im Sauseschritt? Das könnte die Sperrminorität im Rat brechen, der in dieser Frage noch nicht mit einfachen Mehrheiten operiert. Aber aus der Bundesregierung hört man derzeit nichts zur eigenen Haltung. Innen-, Justiz- und Digitalminister schweigen die Presse an.

Doch nun hat die Chefin der Nachrichten-App Signal, Meredith Whittaker, angekündigt, dass das Unternehmen sich aus dem EU-Markt zurückziehen würde, sollte die Chatkontrolle kommen. Whittaker hatte einst 13 Jahre für Google gearbeitet und verließ das Unternehmen aus Protest gegen dessen Überwachungsaktivitäten. Die neuen Pläne der EU-Regenten findet Whittaker hoch bedenklich, fast lächerlich. Sie hält es für „magisches Denken“, wenn Politiker glauben, dass „man eine Hintertür schaffen kann, auf die nur die Guten Zugriff haben“.

Parlament drängt Rat zum Ja
EU stellt die Lauscher auf: Auf dem Weg zur absoluten Chatkontrolle
Der derzeit gehandelte Entwurf zur EU-Chatkontrolle sieht vor, dass die Anbieter von Nachrichten-Apps wie Whatsapp, Telegram oder eben Signal alle Nachrichten noch vor der Verschlüsselung durchsuchen sollen, um unter anderem Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs aufzufinden. Das würde die von einigen Apps angebotene Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufheben. Die staatlichen oder superstaatlichen Akteure in der EU würden über eine Vielzahl von Nachrichten informiert werden. Falsch positive „Treffer“ würden dabei ebenso gemeldet, wie falsch negative Nachrichten übersehen. Es wäre natürlich kein absoluter Schutz, aber gar keine sichere Privatsphäre mehr.

Und morgen oder übermorgen könnten staatliche Stellen sich neue, andere Anlässe zur umfassenden Online-Durchsuchung aller versendeten Inhalte ausdenken. In Großbritannien versucht man etwa auch Jugendliche vor „Werbung für Selbstmord“ zu schützen. Das klingt absurd, aber vielleicht hat es ja solche Fälle gegeben. Keir Starmer ist deshalb sogar für eine Einschränkung der Redefreiheit, er will also entsprechende Nachrichten unterdrücken, zensieren.

Verzweifelt gewollte Bürgerkontrolle
500 Forscher gegen EU-Chatkontrolle: Unwirksamer Kinderschutz, dafür schleichender Entzug von Grundrechten
Aber auch dieser Fall ist nur ein weiteres Beispiel für Meinungskontrolle. Bald könnte es um andere Themen gehen, etwa das Anschüren von Unruhen, die der Exekutive naturgemäß unwillkommen wären. Die heftige Reaktion der britischen Justiz darauf hat man gesehen. In Frankreich hatte der damalige EU-Kommissar Thierry Breton bereits ein ausführliches „Drehbuch“ für solche Fälle geschrieben. Ganze Apps wollte er stillegen lassen, wenn es durch sie und über sie zu Unruhen käme. Das wäre durch den Digital Services Act (DSA) möglich. Die EU-Chatkontrolle ist eine andere Seite derselben Medaille, durch sie könnte man im Bedarfsfall nach bestimmten Meinungsäußerungen suchen und diese den Strafbehörden mitteilen lassen.

Meredith Whittaker sagt für Signal: „Wenn wir vor die Wahl gestellt würden, entweder die Integrität unserer Verschlüsselung und unsere Datenschutzgarantien zu untergraben oder Europa zu verlassen, würden wir leider die Entscheidung treffen, den Markt zu verlassen.“ Daneben will Whittaker aber nach Wegen suchen, um etwaige Beschränkungen zu umgehen. „Aber letztendlich würden wir den Markt verlassen, bevor wir gefährliche Gesetze wie diese einhalten müssten“, meint sie abschließend.

Daneben haben mehr als 500 Wissenschaftler und Forscher gegen die geplante Chatkontrolle protestiert, ebenso speziell Sicherheitsforscher, Wirtschaftsverbände der Internetwirtschaft. Das Ausmaß des Protestes ist beachtlich, wie Netzpolitik berichtet: Der Deutsche Anwaltsverein warnt vor einem „massiven Eingriff in die Freiheitsrechte“, auch dem Rechtsausschuss des irischen Parlaments kritisiert den Entwurf angeblich mit deutlichen Worten und umfassend.

Nicht zuletzt hält der Juristische Dienst des EU-Rates selbst das Vorhaben für grundrechtswidrig, ebenso der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments. Und sogar aus dem Bereich der Kommission gibt es eine Bewertung, die vor den Plänen warnt. Erstaunlich, dann wären die EU-Regierenden tatsächlich drauf und dran, für etwas zu stimmen, dem sogar ihre eigenen Fachberater und Kommissionen widersprechen.

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Kommentare ( 38 )

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38 Comments
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Simplex
2 Monate her

Unter Putin oder unter EU-Stasi…….NSA hat man schon vergessen….

Michael W.
2 Monate her

Bitte geht und bietet den Usern VPN-Zugänge außerhalb der EU an. Aber nicht über Firmen, bei denen man eine zusätzliche Software installieren muss (außer es ist eure eigene!).

Rasparis
2 Monate her

Ausgerechnet die Brüsseler Brüder mit dem direkten Draht zu Dutroux -der Name des ehemaligen „€U“-Wettbewerbskommissars Van Miert, dann „plötzlich (eher noch jung) verstorben“, tauchte neben anderen „prominenten Persönlichkeiten“ in geleakten „Kundenlisten“, die die belgische StA beschlagnahmt hatte, auf- wollen also „Kinderpornographie“ im Internet bekämpfen. Erinnert stark an Adenauers Bonmot „John ist jeflohn…“.

Last edited 2 Monate her by Rasparis
LF
2 Monate her

Eine Frau mit Charakter, Wertesystem und Freiheitsliebe. Eigenschaften die ich in der deutschen Politik und EU Führungspolitk nicht ausmachen kann. 

Endlich Frei
2 Monate her

Chatkontrolle ist ein Teil einer umfassenden Meinungskontrolle, welche Diskussion und Kritik durch staatlichen Monolog ersetzen soll . Wir erleben das von Kindheit an in Form der Öffentlich-Rechtlichen Medien und viele haben sich daran derart gewöhnt, dass ihnen nicht mal die Skurilität in den Sinn kommt, mit der beispielsweise – wie jüngst geschehen – Maybrit Illner sich in einer ihrer Polit-Talks auf den US-Präsidenten einschießt, weil dieser „Kollegen“ von CNN bei Pressekonferenzen gerne die kalte Schulter zeigt. Ob denn die Gefahr eines CNN-Verbotes herrsche, fragt Illner Studiogäste – und sie scheint dabei gar nicht zu merken, dass diese ‚dramatische Entwicklung‘ in… Mehr

AM
2 Monate her

Es gibt eine einfache Lösung: XMPP. Das Ursprungsprotokoll von WhatsApp, Google Talk etc… Das einzige Problem – man muß sich so eine Art „Email-Adresse“ besorgen, also mein.name@provider.com, es geht nicht mal eben mit der Telefonnummer. Weil es so unbequem ist, hat es sich leider nicht allzuweit verbreitet. GMX/Web.de und Co hatten sogar bis vor 10 Jahren an jeder Email-Adresse automatisch einen XMPP-Account dranhängen, das wurde dann jedoch von heut auf morgen abgeschafft. Einige Anbieter gibt es noch, wie jabber.de und mailbox.org (kommt mit der Email wie früher bei GMX). Es handelt sich dabei um einen offenen Standard, wie Email, also… Mehr

Andreas Stueve
2 Monate her

Den lieben langen Tag sinnieren Brüsseler Bürohengste und – hengst*Innen darüber, den Europäern das Leben immer mehr zur Hölle zu machen. Gurken, Duschkopf, Staubsauger. Darüber konnte man noch schmunzeln. Heute geht es dagegen um die nackte Existenz. Massenmigration, Gesinnungsterror, drohende Immobilitaet, Massenelend durch Zerstörung der Volkswirtschaften, Massenimpfungen mit potenziell tödlichen Giften, die als Impfstoff verkauft werden. Latente Weltkriegsgefahr durch das Kriegsgeheul und die Provokationen gegen Russland durch impotente aber gewissenlose Verbrecher an der Spitze der meisten EU- Staaten. Gegenüber der “ EU“ war der kommunistische “ Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe “ ein Bund freier Völker. Lese ich das Kürzel EU,… Mehr

murphy
2 Monate her
Antworten an  Andreas Stueve

Auf Brüsseler EU-Lobby-Diktate gibt es nur eine Antwort:
schlechte Gesellschaft soll man meiden.
Wir sollte also dem Brüssler EU-Club den Rücken kehren, austreten.
Hat dieser Schritt England geschadet?
Schadet es Norwegen oder der Schweiz nicht unter den Wohltaten der EU zu leiden? Ein EU-Austritt Deutschlands ist überfällig.
Dabei können und sollten wir natürlich freundschaftliche und gute Beziehungen zu jeden pflegen, wo es ohne Selbstaufgabe möglich ist.

Gabriele Kremmel
2 Monate her

Chatkontrolle ist, als würde sich vor Internetzeiten in jeden privaten Raum, wo sich Menschen trafen ein IM dazu gesellt haben, der genau überwacht, was gesprochen wird.
Dass diese EU-Ausspionierung aller Bürger in Chats von Merkel befürwortet wird, wie sie eben wieder betonte, sagt sehr viel über sie selbst und über das Wesen der EU aus. Es ist ein Hybrid aus UdSSR, DDR und Sklaverei.

murphy
2 Monate her
Antworten an  Gabriele Kremmel

Wir müssen allerdings auch realisieren, dass es sowas bereits seit ca. 50 Jahren gibt. Und zwar unter dem Namen „Echelon“. Edward Snowden berichtete darüber (und über andere Spionage-Schweinereien). Ich wusste es durch dimme Zufälle einige Jahre früher. Siehe hier https://polpro.de/ tm23.php#20230514 
Nun will nicht nur die NSA sondern auch Brüssel mithorchen. Viel Spaß.
Normal ist: „Der Horcher an der Wand, hört nur die eigene Schand “ !

Wolfgang Schuckmann
2 Monate her

Wenn diesen Verfassungsbrechen kein Riegel vorgeschoben wird, ist Orewells “ 1984″ Realität. Aber es kommt noch etwas hinzu. Unsere Unternehmen verlieren den letzten Schutz vor Wirtschaftsspionage und Patentraub. Das Vorhaben ist so daneben, dass einem die Worte im Halse stecken bleiben. Es ist die schlimmst vorstellbare Dystopie. Ist auch im ersten Augenblick vom Grund her das Ansinnen richtig, so ist es in der Folge seiner Wirkung unvorstellbar. Diesen Leuten muss der Stecker gezogen werden und wenn eine Frau wie Whittaker als Chefin von Signal die Konsequenz ankündigt, ihr Engagement einzustellen und den Markt zu verlassen, dann sollte das niemand mit… Mehr

Rasparis
2 Monate her
Antworten an  Wolfgang Schuckmann

Wahrscheinlich läßt der Brüsseler Moloch schon seit Jahren alles abhören und sucht nun einen formal-legalen Vorwand, um die gespeicherten „Erkenntnisse“ gezielt gegen renitente „Bürger“ oder politische Gruppen und Parteien einzusetzen.Die „Steuerdisketten“ wollte der Schwarzgeldkofferer Schäuble ja auch von „Bankangestellten“ angekauft haben – war da was mit „Beweisverwertungsverbot“ ?
„Animal farm reloaded“.

Armbruster
2 Monate her

Die gleiche Situation wie beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz seinerzeit: der wissenschafzliche Dienst hatte schwerste Bedenken, da das Gesetz nicht verfassungskonform ist. Hat das die Verwalter „unserer Demokratie“ gestört/beeindruckt? Das Gesetz ist – in zwischenzeitlich verschärfter Form – gültig; mit Umkehr der Beweislast, mit wirksamer „Verurteilung“ & Bestrafung (Zensur/Löschen/Blockieren) durch nicht-staatliche Akteure …
Das damalige Umkippen unseres lieben Herrn Lindners, wurde ihm und seiner Partei von Vielen nicht vergessen – RIP FDP.
Sie werden es auch hier dirchziehen. doe EU hat nichts Demokratisches an sich.