Reichsbürger-Prozess: Wie ein Betrugsgeflecht zum Terror-Spektakel aufgeblasen wird

Vor genau einem Jahr zeichnete Tichys Einblick den Reichsbürger-Prozess als Gerichtsposse aus Wahn, Geldgeschichten und künstlich aufgepumptem Terror-Narrativ. Jetzt beschreibt die WELT denselben Befund und bestätigt damit TE.

picture alliance/dpa/dpa Pool | Boris Roessler
Hauptangeklagter Heinrich der XIII. Prinz Reuß kommt in den Verhandlungssaal im Oberlandesgericht Frankfurt, 21.05.2025

In einem Beitrag bei WELT zeichnet die renommierte Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen aktuell ein Bild des Frankfurter „Reichsbürger“-Verfahrens, das mit der offiziellen Erzählung vom „Abgrund terroristischer Bedrohung“ schwer zusammengeht. Neun Angeklagte sitzen seit Jahren in Untersuchungshaft, ohne dass sie jemals bewaffnet ein Gebäude gestürmt, Menschen verletzt, Geiseln genommen oder getötet hätten. Verhandelt wird nicht über konkrete Taten, sondern über das, was als „abstraktes Gefährdungsdelikt“ gilt: über Szenarien, die theoretisch hätten eintreten können sollen.

Am 1. Dezember 2024 hatte Tichys Einblick denselben Komplex bereits als Gerichtsposse beschrieben und die Frage gestellt: Handelt es sich hier wirklich um Terroristen – oder eher um Betrüger und Betrogene? Damals wie heute steht dieselbe Konstruktion vor Gericht: ein angeblicher „militärischer Arm“ aus Ex-Soldaten, ein „politischer Arm“ um Heinrich XIII. Prinz Reuß und ein „esoterischer Arm“ mit Heilsversprechen und Verschwörungsmythen. Die neuen Schilderungen aus Frankfurt wirken wie eine nachträgliche Bestätigung vieler jener frühen Zweifel.

Innenministerin Nancy Faeser hatte unmittelbar nach den Razzien von einem „Abgrund terroristischer Bedrohung“ gesprochen und die „mutmaßliche terroristische Vereinigung“ als von „gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben“ bezeichnet, dankte den Sicherheitsbehörden für ihren „gefährlichen Einsatz zum Schutz unserer Demokratie“.

Tichys Einblick spottete angesichts der damals schon bekannten Figuren und ihres Alters über einen „Operettenputsch“ und – mit Blick auf die Rädelsführer – über einen „Rollator-Putsch“.

Die Bundesanwaltschaft hat Hochverrat und die Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt, organisiert in einem rekordverdächtigen Mammutverfahren mit rund 900.000 Seiten Akten. Ungewöhnlich ist, dass an drei Standorten zugleich verhandelt wird – in München, Stuttgart und Frankfurt – , obwohl die Strafprozessordnung einen einheitlichen Gerichtsstandort vorsieht. Das wirft praktische und rechtliche Probleme auf: Wer sorgt dafür, dass eine belastende Aussage aus München im Frankfurter Verfahren überhaupt zur Kenntnis der dortigen Verteidiger gelangt? Und was geschieht, wenn ein Angeklagter an einem Ort als Beschuldigter spricht, an einem anderen Ort aber als Zeuge geführt werden müsste – mit völlig anderen Rechten und Pflichten? Und Verhandlungen vor Land- und Oberlandesgerichten werden nicht protokolliert.

Der angebliche „militärische Arm“ soll laut Anklage Waffen in größerer Zahl gehortet haben und nach einem erfolgreichen Umsturz durch eine mysteriöse „Allianz“ landesweit bewaffnete „Heimatschutzkompanien“ aufstellen wollen. In der Waffenliste, die sich bei den Akten befindet, tauchen entsprechende Waffen indes nicht auf. Parallel dazu attestiert die Anklage dem „politischen Arm“ um Prinz Reuß, bereits eine Art Schattenregierung gebildet zu haben, die nach dem Putsch die Macht hätte übernehmen sollen. Schon früh zeigte sich jedoch, dass die verschiedenen Gruppen eher lose nebeneinander her agierten und es an einer straffen Führung fehlte.

Der Kern des Geschehens liegt in einer Phantasiewelt, die beide Texte fast deckungsgleich beschreiben: Im Zentrum steht die Erzählung von einer übermächtigen „Allianz“, die überall in Europa über Hunderttausende, teils eine Million Kämpfer verfüge, Regierungen „abschalten“ und nach dem Zusammenbruch der bestehenden Ordnung die Macht an den politischen Arm um Prinz Reuß übergeben sollte. Dazu gehört der Glaube an unterirdische Anlagen („Dumbs“), in denen Kinder gefangen gehalten, gefoltert und getötet werden, um aus ihrem Blut eine Art Lebenselixier zu gewinnen.

Genau hier stoßen die Beobachtungen der WELT-Reportage von Gisela Friedrichsen mit den früheren Recherchen von Tichys Einblick zusammen: Beide zeichnen das Bild von Leuten, die nicht nur an phantastische Geschichten glauben, sondern auf ihrer Grundlage hohe Summen bewegen. Mit auf der Anklagebank sitzt unter anderem der Oberst a.D. Max Eder, 66, ein früherer Bundeswehr-Offizier, der im Kosovo und in Afghanistan eingesetzt war und im Nato-Hauptquartier in Brüssel diente. Er berichtet, er habe sich hoch verschuldet und sein Haus verkauft, um die angebliche Befreiungsaktion bei Basel zu finanzieren.

Friedrichsen schildert weitere Angeklagte – darunter die „gutherzige“ und wohlhabende Johanna F. –, die nach Überzeugung der Verteidigung sechsstellige Beträge für die Rettung dieser angeblich in den Dumbs eingesperrten Kinder überwiesen habe. Auch Prinz Reuß will 50.000 Euro beigesteuert haben. Tichys Einblick hatte schon zuvor beschrieben, wie Mitglieder des militärischen und esoterischen Arms mit ihren Schauergeschichten die zahlenden „Ratsmitglieder“ des politischen Arms zur Kasse baten.

Die TE-Analyse ging damals einen Schritt weiter: Alle Schilderungen über Kämpfe in unterirdischen Stollen, direkten Kontakt zu Offizieren der „Allianz“ und deren bereits in Europa stationierte Kämpfer seien „denkgesetzlich unwahr“ und damit Lügen. Wer aber lügt, um an Geld zu kommen, werde im Strafrecht als Betrüger bezeichnet. In dieser Logik sind die zahlenden Teile des politischen Arms – mitsamt ihrem angeblichen Rädelsführer – gerade nicht die Drahtzieher, sondern selbst Betrogene. Die Frage „Kann nun ein Betrogener zugleich Rädelsführer sein?“ zielte bereits 2024 auf das Herzstück der Anklage.

Friedrichsens Prozessbericht greift dieselbe Linie auf, ohne sie explizit so zu benennen. Er stellt die Frage „Wer hat den Schwindel inszeniert? Wohin floss das Geld?“ und schildert Eder als jemanden, der heute sagt: „Ich hätte vielleicht skeptischer sein müssen.“ Der Eindruck drängt sich auf, dass im Hintergrund Personen agierten, die mit der „Allianz“-Legende und den „Dumbs“ Geld einsammelten – während andere, die heute als mutmaßliche Terroristen im Hochsicherheitstrakt sitzen, einem Täuschungsmanöver aufgesessen sein könnten.

Juristisch wird das alles unter dem § 129a StGB verhandelt, dem klassischen „RAF-Paragrafen“. Er ist bewusst so angelegt, dass es für eine Strafbarkeit genügt, wenn eine Vereinigung strukturell in der Lage wäre, „erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ zu schaffen, indem sie einen verfestigten Willen zu entsprechenden Taten hat – unabhängig davon, ob sie materiell-technisch überhaupt in der Lage wäre, sie auszuführen.

Tichys Einblick veranschaulichte diese Logik damals mit einem zugespitzten Beispiel: Wenn Menschen behaupten, sie könnten die Sonne auf die Erde stürzen und nach der Vernichtung der halben Menschheit die Weltherrschaft übernehmen, ließe sich das nach § 129a anklagen – ganz gleich, wie absurd die Behauptung ist und völlig unabhängig davon, ob sie physikalisch möglich wäre. Genau hier setzt nun auch die Kritik in Frankfurt an: Ein Verteidiger von Prinz Reuß erinnert den Senat immer wieder daran, dass die „Allianz“ und die unterirdischen Tatorte gar nicht existieren; es könne „nicht mal abstrakt“ zu den behaupteten Terrorakten gekommen sein. Ein anderer Anwalt spricht von einer „Ruine einer Anklage“.

Friedrichsen beschreibt, wie dieser von einer Justizsprecherin als „größter Terrorprozess der Nachkriegszeit“ angekündigte Komplex zunehmend zerfasert: Termine fallen aus, Richter werden krank, zwei Angeklagte sind bereits verstorben, ein erster Haftbefehl wurde bereits mit der Begründung aufgehoben, dass die zu erwartende Strafe in keiner Relation mehr zur Länge der Untersuchungshaft stünde. Das Verfahren zieht sich dahin – doch an der Untersuchungshaft der restlichen Angeklagten hält man unerbittlich fest. Tichys Einblick hatte bereits ein Jahr zuvor gewarnt, dass sich der „Reichsbürgerprozess“ unter diesen Voraussetzungen zur Gerichtsposse entwickeln könnte.

Ein Jahr und rund hundert Verhandlungstage später stehen sich diese beiden Linien gegenüber: Hier die große Staats-Erzählung vom gefährlichen Umsturzprojekt, dort die immer wieder bestätigten Hinweise auf ein Gemisch aus Wahn, Geldgeschichten, Schwindel und Leichtgläubigkeit.

Was gestern in der WELT geschildert wurde, fügt sich auffällig in das Bild, das Tichys Einblick am 1. Dezember 2024 gezeichnet hatte: weniger eine straff organisierte Terrortruppe, als ein unübersichtliches Geflecht aus Betrügern und Betrogenen – und eine Justiz, die mit dem Instrumentarium des RAF-Zeitalters versucht, dieses Geflecht in ein Terror-Narrativ zu pressen.

Ob am Ende ein Terrorurteil, ein Betrugskomplex oder eine „Ruine einer Anklage“ bleibt, ist weiter offen.

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Kommentare ( 45 )

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DuMeineGuete
10 Tage her

900.000 Seiten Akten. Verhaftung der „Reichsbürger“ Ende 2022. Boom von ChatGPT im November 2022 mit Trainingsdaten bis September 2021. Man spricht doch bei der KI von teilweise starken Halluzinationen, gerade in der Anfangszeit… Alles Zufall? Vielleicht.

Vielleicht fällt die Anklageschrift jetzt auf 9 Seiten in Schriftgröße 60 zusammen? 😉

Last edited 10 Tage her by DuMeineGuete
Jens Frisch
11 Tage her

„(Der RAF Paragraph) ist bewusst so angelegt, dass es für eine Strafbarkeit genügt, wenn eine Vereinigung strukturell in der Lage wäre, „erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ zu schaffen, indem sie einen verfestigten Willen zu entsprechenden Taten hat“

Nach dieser Logik gehört der Islam generell verboten.

stebu
11 Tage her

Ein „abstraktes Gefährdungsdelikt“ sollte in der realen Justiz eigentlich als Paradox gelten. Denn was zwar theoretisch hätte, aber realiter nicht eingetreten ist, kann in einem Rechtsstaat nicht Gegenstand einer gerichtlichen Verhandlung sein. Nicht einmal der Versuch diese abstrakten Gefährdungen auszulösen ist den Angeklagten nachweisbar. Diese „virtuelle Rechtssprechung“ wird der deutschen Justiz irgendwann mal auf die Füße fallen.

Manfred_Hbg
11 Tage her

Zitat: „Was gestern in der WELT geschildert wurde, fügt sich auffällig in das Bild, das Tichys Einblick am 1. Dezember 2024 gezeichnet hatte: …..“ > Ich will ja nun keine Pferde verrückt machen oder den Eindruck vermitteln das ich an Verfolgungswahn oder so am leiden bin. Doch gerade was WELT und deren teilweisen Meldungen und Berichterstattungen betrifft, da hatte ich bei denen schon weit mehr als nur einmal den Eindruck gehabt, dass sich deren Meldungen und Berichterstattungen vereinzelnd sehr TE-lastig/-ähnlich anhören würden und das ich deshalb den Eindruck und Gedanke bekommen habe, dass sie bei WELT hin und wieder irgenwelche… Mehr

Juergen Waldmann
11 Tage her

Der Staat hat zu viele Beamte in den Szeuerbehörden . Vor 15 Jahren gab ich einem Studenten eine kleine Wohnung 57 qm zur Miete . Nach 7,5 Jahren und 15 Semestern zog der Student aus . Voriges Jahr mahnte mich das Finanzamt , ich solle Mieterhöhung beim Studenten schriftlich nachvordern . Ich habe noch nie eine Miete erhöht , der Vater vom Studenten , der die Miete zahlte , hatte insgeamt 3X freiwillig die Miete selbst um je 10 Euro erhöht . Mein Steuerberater hat das dem Finanzamt angegeben , die Erhöhung wurde also gemeldet . Das Finanzamt meint aber… Mehr

Peter Gramm
11 Tage her

Deutsche Justiz und Rechtsstaat. Aus eigener, jahrzehntelanger, leidvoller Erfahrung kann ich sagen …da passt irgendwas überhaupt nicht zusammen….Die dadurch angerichteten Schäden haben die Betroffenen entschädigungslos zu tragen.

Sanijo
11 Tage her

Die Angeklagten sind freizulassen und die Ankläger samt allen Hintermännern lebenslang einsperren!

Dr.KoVo
11 Tage her

Den Staat haben Faeser und Konsorten längst delegimiert. Auf der Anklagebank sitzen eben gerade die falschen Menschen. Beschuldigt wegen Gedankenverbrechen. 1984 ist jetzt.

November Man
11 Tage her

Heute kann man lesen 300 Polizisten und Spezialkräfte gehen gegen Bandidos vor. Es liefen Ermittlungen gegen 21 Beschuldigte. Zur Festnahme der harmlosen, einzelnen angeblichen Mitglieder, der heute so genannten Prinz Reuß-Rollator-Gruppe oder so, hat man 3000 Polizisten, plus Spezialkräfte und natürlich das deutsche Propagandafernsehen mit mehreren Teams gebraucht. Dafür wurden für die Verhandlungen extra Hochsicherheitstrakte gebaut. Während die gemeingefährliche rotgrüne Antifa frei herumläuft und auf unseren Straßen tobt. Ja es ist richtig, dieser Staat und sein Justizapparat macht sich jeden Tag lächerlicher.

PaulKehl
11 Tage her
Antworten an  November Man

Wie ein blanker Zufall fand die Razzia bei Prinz Reuß und seinen Verschwörern am 07.12.2022 statt. Am 05.12.2022 hatte ein Mohammedaner den Mord an dem jungen Mädchen in Illerkirchberg begangen. Fortan war nicht mehr hiervon die Rede, sondern von den bei den Verschwörern des März beschlagnahmten Streitflegeln, Arkebusen und Hellebarden.

Teide
11 Tage her

Das dritte Weihnachten in Untersuchungshaft. Alle Angeklagten sind 70 oder Älter. In Berlin gibt es Fälle, in denen verurteilte Straftäter – darunter auch wegen Mordes Verurteilte – aufgrund von Überlastung der Justiz oder Fehlern bei der Verwaltung der Haftbefehle vorübergehend auf freiem Fuß blieben, bis die Haftbefehle vollstreckt wurden. Nicht so bei diesem politischem Schauprozess.

https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/08/haftbefehle-nicht-vollstreckt-moerder-urteile-berlin.html