Telegram-Gründer Durov warnt vor totalitärem Kontrollstaat – und nennt EU beim Namen

Telegram-Gründer Pavel Durov warnt in eindringlichen Worten: Die EU macht das Netz zum Überwachungsapparat, die Meinungsfreiheit schwindet, Kritik wird kriminalisiert. „Eine dunkle, dystopische Welt rückt schnell näher – während wir schlafen.“

IMAGO - Collage: TE

Es ist ein düsterer, fast verzweifelter Appell, den Pavel Durov, Gründer des Messengerdienstes Telegram, am Freitag veröffentlicht hat. „Ich werde 41, aber mir ist nicht nach Feiern zumute“, beginnt er und erklärt, warum: „Unserer Generation läuft die Zeit davon, um das freie Internet zu retten, das uns von unseren Vätern hinterlassen wurde.“

Durov meint damit nicht nur ein technisches Protokoll, sondern einen zivilisatorischen Wert. Ein Versprechen. Das Versprechen eines freien Informationsaustauschs, einer digitalen Öffentlichkeit ohne Zensur, ohne Überwachung, ohne ideologische Filter. Was daraus geworden ist, beschreibt er sehr präzise.

Our generation is running out of time to save the free Internet built for us by our fathers.

What was once the promise of the free exchange of information is being turned into the ultimate tool of control.

Once-free countries…

— Pavel Durov (@durov) October 9, 2025

Durov meint damit keine fernen Diktaturen – er meint Europa

In der EU, so Durov, nähere man sich mit rasanter Geschwindigkeit einem digitalen Polizeistaat – mit allem, was dazugehört: digitale Ausweispflicht in Großbritannien, das geplante massenhafte Scannen privater Nachrichten in der EU. Und dann nennt er drei Staaten exemplarisch: Deutschland, Großbritannien, Frankreich. Dort, so Durov, würden Kritiker verfolgt, Bürger wegen Tweets eingesperrt, Technologieführer kriminalisiert, wenn sie es wagen, sich auf die Seite von Freiheit und Privatsphäre zu schlagen.

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Was ihn besonders entsetzt: Dass dies alles geschehe, während die Mehrheit der Bürger schläft. Während sie sich einreden lässt, all das diene dem Kinderschutz, dem Fortschritt, der Demokratie. Tatsächlich ist der Anlass von Durovs Warnung konkret. Die EU arbeitet weiter an der sogenannten „Verordnung zur Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch“. Hinter dem wohlmeinenden Titel verbirgt sich ein Gesetz, das Plattformen wie Telegram, Signal oder WhatsApp zur automatischen Durchleuchtung aller privaten Nachrichten zwingen würde – auf Bilder, Videos, Links, Schlüsselwörter. Betroffen wären alle. Ausgenommen: Polizei, Militär, Geheimdienste.

Ein entsprechender Kompromissvorschlag wurde im September im EU-Rat verhandelt. Zwölf Staaten stimmten zu, acht dagegen, sieben enthielten sich. Eine Entscheidung wurde auf Dezember vertagt. Doch die Richtung ist klar. Die Chatkontrolle lebt und wird von Frankreich, Dänemark, Spanien, Schweden und auch Italien vorangetrieben. Auch wenn Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) zuletzt erklärte, selbst bei schwersten Verbrechen dürften fundamentale Grundrechte nicht angetastet werden – das letzte Wort ist hierbei noch lange nicht gesprochen.

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Durovs Diagnose ist so klar wie vernichtend: „Eine dunkle, dystopische Welt kommt mit großen Schritten, während wir schlafen.“ Unsere Generation, so sagt er, „läuft Gefahr, in die Geschichte einzugehen als die letzte, die Freiheiten hatte – und sie sich hat nehmen lassen“. Was ihn besonders umtreibt: Die moralische Umkehrung des Diskurses. Man habe uns eingeredet, der größte Kampf unserer Zeit sei nicht die Verteidigung von Freiheit, Souveränität, Tradition und Markt, sondern deren Zerstörung. Das sei der Weg in den kollektiven Selbstmord: moralisch, intellektuell, wirtschaftlich, und, wie Durov sagt, am Ende biologisch.

Durov gilt als einer der wenigen Technologie-Unternehmer mit Prinzipien. Als einer, die sich offen gegen die zunehmend autoritäre Transformation westlicher Demokratien stellen. Einer, der nicht schweigt, wenn die Meinungsfreiheit zum Sicherheitsrisiko erklärt wird.

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Die Mahnungen Durovs bekommen noch mehr Gewicht, wenn man sich vergegenwärtigt, was er selbst durchmachen musste. Im August 2024 wurde der Telegram-Gründer bei seiner Ankunft in Frankreich unter fragwürdigen Vorwänden festgenommen. Ihm wurden unter anderem „ungenügende Moderation“ und „fehlende Kooperation mit Behörden“ vorgeworfen; Begriffe, wie gemacht für Gummiparagrafen. Drei Tage saß er in Polizeigewahrsam, dann kam er unter gerichtliche Aufsicht. Frankreich verweigerte ihm zeitweise sogar die Ausreise, während das Verfahren lief.

Was dann geschah, beschreibt Durov selbst als Erpressung: Französische Geheimdienstvertreter, so berichtet er, forderten die Löschung bestimmter oppositioneller Telegram-Kanäle in Moldawien und boten im Gegenzug wohlwollende Justizentscheidungen in seinem Verfahren an. Ein politischer Kuhhandel, der zeigt, wie eng Überwachung, Zensur und staatliche Willkür in Europa inzwischen verzahnt sind. Der Druck auf Durov zielte nicht auf Rechtsstaatlichkeit, sondern auf seine politische Gefügigkeit.

Der Fall ist ein Menetekel: Wer sich der neuen digitalen Orthodoxie widersetzt, muss mit der geballten staatlichen Repression rechnen. Nicht in Russland. Nein, in EU-Staaten. Ob über Chatkontrolle, fragwürdige Strafverfahren oder informelle Erpressung, das Ziel ist immer dasselbe: Einschüchtern, unterwerfen, mundtot machen. Europa spielt dabei längst nicht mehr nur mit – es steht munter mit an der Spitze.

In Brüssel, Berlin und Paris dürfte Durovs Botschaft auf taube Ohren stoßen. Dort reibt man sich an der Vision eines offenen Netzes. Was nicht kontrolliert werden kann, gilt als gefährlich. Wer Verschlüsselung verteidigt, wird als Mittäter von Kriminellen abgestempelt. Wer Plattformen wie Telegram nutzt, steht unter Generalverdacht. Und wer sich dem widersetzt, wird kriminalisiert.

Was das mit Freiheit zu tun haben soll, wird die Geschichte klären müssen. Wenn es dann noch jemand aufschreiben darf.

Durovs Text im Wortlaut:

„Ich werde 41, aber mir ist nicht nach Feiern zumute.

Unsere Generation läuft die Zeit davon, um das freie Internet zu retten, das unsere Väter für uns aufgebaut haben.

Was einst das Versprechen des freien Austauschs von Informationen war, wird gerade zum ultimativen Kontrollinstrument umfunktioniert.

Einst freie Länder führen dystopische Maßnahmen ein – etwa digitale Identitäten (Großbritannien), Online-Altersverifikationen (Australien) und das massenhafte Scannen privater Nachrichten (EU).

In Deutschland wird jeder verfolgt, der es wagt, Beamte im Internet zu kritisieren. In Großbritannien werden Tausende für ihre Tweets inhaftiert. In Frankreich werden Technologieführer strafrechtlich verfolgt, weil sie Freiheit und Privatsphäre verteidigen.

Eine düstere, dystopische Welt kommt mit großen Schritten – während wir schlafen. Unsere Generation läuft Gefahr, in die Geschichte einzugehen als die letzte, die Freiheiten hatte – und sie sich hat nehmen lassen.
Uns wurde eine Lüge aufgetischt.

Man hat uns glauben gemacht, der größte Kampf unserer Generation bestehe darin, alles zu zerstören, was unsere Vorfahren uns hinterlassen haben: Tradition, Privatsphäre, Souveränität, den freien Markt und die Meinungsfreiheit.

Indem wir das Erbe unserer Vorfahren verraten haben, haben wir uns selbst auf einen Pfad der Selbstzerstörung geführt – moralisch, intellektuell, wirtschaftlich und am Ende biologisch.

Also nein, ich werde heute nicht feiern. Mir läuft die Zeit davon. UNS läuft die Zeit davon.“

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