Kiel: Neuer Oberbürgermeister ist der Grüne Samet Yilmaz

Der Grüne Samet Yilmaz gewann die Stichwahl mit 54,1 Prozent gegen den früheren Tagesschau-Sprecher Gerrit Derkowski mit 45,9 Prozent. Für Derkowski endet sein kurzer Anlauf, der im ersten Wahlgang vielversprechend begann. Da lag er mit Unterstützung von CDU und FDP vorne.

picture alliance/dpa | Frank Molter
Samet Yilmaz (l, Bündnis90/Die Grünen) und Gerrit Derkowski, Kiel, 07.12.2025

Der Grüne Samet Yilmaz gewann die Stichwahl mit 54,1 Prozent gegen den früheren Tagesschau-Sprecher Gerrit Derkowski, der 45,9 Prozent erreichte. Die OB-Wahl in der Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein hätte ein unspektakulärer kommunaler Urnengang werden können: ein populärer Ex-Tagesschau-Sprecher gegen einen Landesbeamten der Grünen in einer klassisch linksgrünen Stadt.

Doch wenige Wochen vor der Stichwahl verdichtete sich die Lage zur politischen Belastungsprobe – für die Grünen, für das Innenministerium Schleswig-Holsteins und letztlich auch für das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen.

Trotz aller Turbulenzen setzte sich Samet Yilmaz (Grüne) am Sonntag deutlich durch. Derkowski, der im ersten Wahlgang noch vorne gelegen hatte, konnte den Vorsprung nicht halten. Zum ersten Mal wurde ein Grüner in der Stadt zum OB gewählt, in der traditionell SPD- oder CDU-Kandidaten auf den OB-Sessel gehievt worden waren.

Brisant wurde der Wahlkampf, als der SPIEGEL enthüllte, dass Yilmaz kurz zuvor seinen Posten im Innenministerium verloren hatte – und zwar nicht irgendeinen, sondern eine hochsensible Führungsrolle im Verfassungsschutzreferat für Extremismus mit Auslandsbezug. Yilmaz war dort zuständig für die Analyse türkischer Extremistenszenen, darunter die rechtsextremen „Grauen Wölfe“ und die PKK sowie islamistischen Extremismus und PKK-Strukturen.

Doch ausgerechnet Yilmaz soll – so berichten mehrere Behördenquellen – beim Kieler „Türkischen Tag“ im Juni aktiv Hilfe geleistet haben, einer Veranstaltung, die seit Jahren im Landesverfassungsschutzbericht als Bühne der „Grauen Wölfe“ aufgeführt wird. Yilmaz habe sich nach Darstellung von Insidern „mit Nachdruck“ dafür eingesetzt, dass die Abbauarbeiten des Festes trotz fehlender Genehmigung verlängert werden sollten. Nicht dienstlich, sondern als Kommunalpolitiker. Am Ende scheiterte das Vorhaben – doch im Innenministerium schrillten die Alarmglocken.

Eine Sicherheitsüberprüfung soll Zweifel an der „Zuverlässigkeit“ des Beamten ergeben haben. Konsequenz: Yilmaz wurde aus dem Verfassungsschutz abgezogen und versetzt. Die Hintergründe bleiben nebulös – Yilmaz schweigt, das Ministerium schweigt, die Grünen sprechen von einer „bedauerlichen Vermischung von Ämtern“.
Für den Wahlkampf war die Affäre ein Schockmoment. Ein Verfassungsschützer, der mit einem ultranationalistischen Fest in Verbindung gebracht wird – und gleichzeitig Oberbürgermeister werden möchte.

Doch das störte im heute tiefgrünen Kiel kaum, Yilmaz gewann die Stichwahl dennoch. Die Stadt stellt seit Jahren eine der zuverlässigsten grünen Hochburgen des Nordens. Die Ratsfraktion ist die stärkste, das politische Milieu akademisch und staatstragend. Kandidat Derkowski dagegen brachte als Ex-Tagesschau-Gesicht offenkundig wenig Parteigeruch mit. CDU und FDP unterstützten ihn zwar, aber nur halbherzig.

Erstaunlich, dass ein aussichtsloses Projekt wie eine Stadtbahn ein Gewicht bekam. Derkowski hielt das Milliardenprojekt für ein finanzielles Abenteuer und wollte mehr Busse und Fähren. Yilmaz dagegen bezeichnete es als „Gamechanger“. Doch in der Hochschul- und Verwaltungsstadt verfängt ein Begriff umso stärker, je utopischer er ist. Langweilig sind eher konservative Haushaltswarnungen.

Ungeklärt ist bislang, wie ein hochrangiger Verfassungsschützer in der Nähe extremistischer Akteure sein kann – und darüber wird weder im Innenministerium noch durch die Grünen öffentlich Klarheit geschaffen?

Der Vorwurf, ein „grüner“ Verfassungsschützer unterstützt indirekt ein rechtsextrem beeinflusstes Event, ist schwer zu kommunizieren. Die Grünen stellten den Vorgang als „Missverständnis“ dar, die CDU zögerte, ihn offensiv zu thematisieren. Am Ende überdeckte das klassische Wahlkampfmuster die Affäre: Mobilität, Klimapolitik, Urbanität – Modethemen der Bobos, mit denen Kiel seit Jahren grün tickt. Wenn die politische Erzählung („Narrativ“) stimmt, dann ist fast alles andere gleichgültig.

Kiel ist die Stadt, in der einst Matrosen den Mut hatten, gegen die Obrigkeit aufzustehen und einen Kurswechsel zu erzwingen. 1918 begann hier der Aufstand gegen Befehle, die niemand verstand – und gegen eine politische Führung, die den Bezug zur Realität verloren hatte. Heute stellt die Stadt, in der einst die Obrigkeit stürzte, nicht einmal mehr die naheliegenden Fragen, sondern wählt Kandidaten mitsamt offenen Fragen ins Rathaus.

Ganz zu schweigen vom Ausdruck des tiefsten Misstrauens gegenüber unkontrollierter staatlicher Macht, für die der Kieler Matrosenaufstand auch steht – Grüne heute sind so staatsgläubig, dass es die tapferen Matrosen heute grauste.
Wo vor hundert Jahren Mut zur spontanen Auflehnung herrschte, gibt es heute eine erstaunliche Untertänigkeit, Realität und Widersprüche zu übersehen. Die Matrosen waren mutig – die Kieler sind müde.

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Kommentare ( 66 )

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Lore
1 Tag her

Eine Sicherheitsüberprüfung soll Zweifel an der „Zuverlässigkeit“ des Beamten ergeben haben. Konsequenz: Yilmaz wurde aus dem Verfassungsschutz abgezogen und versetzt.“ Bei anderen gibt es nicht mal Nachweise, die werden wegen Hörensagen nicht zur Wahl zugelassen…“Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ wie schon Orwell sagte

Dr. Thomas Schimpff
1 Tag her

Ich folge den Kassandra-Rufen nicht. Messen wir den zukünftigen Kieler OB einfach an seinen Taten.

Auch wenns er die Ausnahme ist. Auch die Grünen haben schon kommunal vernünftige Leute aufgestellt. Bspw. die (ehemaligen) (Ober-)Bürgermeister der Taunus-Städte Bad Homburg und Friedrichsdorf.

Was an den kolportierten Vorwürfen dran ist? Keine Ahnung, war nicht dabei Lustig nur, dass der Artikel sich des Lügels auch Hamburg als Kronzeuge bedient.

PaulKehl
1 Tag her
Antworten an  Dr. Thomas Schimpff

Für mich sind Verfassungsschützler generell windige Gestalten und schon deshalb nicht als Politiker geeignet. Den Sermon zu den Wölfen spare ich mir. Schon aus dem wiki folgt die übliche Migrafolklore aus dem osmanischen Milieu. Dann Studium der Politik- und der Islamwissenschaft. Das ganze Erdogan-Programm. Der Mann genießt bei mir keinen Vertrauensvorschuß. Ich halte ihn für hochgradig gefährlich, zumal in dem Schurkenstaat S-H. – Gugeln Sie mal Ahmed Abouteb, der als Bürgermeister von Rotterdam sehr erfolgreich war und vor allem gegen die Migrantenmafia aufgetreten ist. In seinem wiki kein Wort zu seinem Dasein als diskriminiertes Flüchtlingskind.

Tomas Kuttich
1 Tag her

Naja, Tagesschau-Sprecher. Das hat er nur sporadisch auf tagesschau24 gemacht. Bekannt ist er uns Schleswig-Holsteinern als Moderator des Schleswig-Holstein-Magazins. Ja, der Wahlausgang ist eine Katastrophe, aber Derkowski wäre auch nicht besser gewesen…

karlotto
1 Tag her

Was für ein Land ,die 5 Kolonne und alle Jubeln.
Unfähig, in ihrer Heimat für Tolleranz, Diplomatie, Humanismus zu sorgen , machen sie hier Politik.

Harry Hirsch
1 Tag her

Warum sollte sich eine völlig ruinierte Stadt auch politisch von sich selbst abgrenzen? Da kommt zusammen, was zusammen gehört. Das gilt mittlerweile für so ziemlich jede westdeutsche Großstadt. Rettung sehe ich maximal noch für den Osten, doch dazu müsste dort bald eine deutliche Wende her, sonst ist es auch dort zu spät.

Last edited 1 Tag her by Harry Hirsch
Verzeihtnix
1 Tag her

Vom „sicheren Hafen Kiel“ zum „gesicherten Shithole Kiel“ ist es halt nur ein kleiner Schritt. Der wurde jetzt vollzogen.

Last edited 1 Tag her by Verzeihtnix
Sanijo
1 Tag her

Das nenne ich Unterwanderung! In einen Rechtsstaat dürften Menschen mit Migrationshintergrund in gar keiner Deutschen Partei und auch keine Beamte, Polizisten und schon gar nicht Bürgermeister oder Oberbürgermeister werden!

Montesquieu
1 Tag her

Sie wollen es halt so – zivilisatorische Apoptose. Zuerst das urbane Milieu. Dann der Rest.

Schmidtrotluff
1 Tag her

Ich wünsche allen westdeutschen Städten grüne Bürgermeister. Das wird das ultimative Konjunkturprogramm für Ostdeutschland, Polen, Tschechien und Ungarn. Dann ist auch die Aufnahme der Ukraine in die EU kein Problem mehr, weil sich die Lebensverhältnisse angeglichen haben.

Leroy
1 Tag her

In diesem Blinddarm von Deutschland ( S-Holstein) halte ich nichts für unmöglich….und darauf gebe ich mein Ehrenwort.