Tichys Ausblick Talk: Hungern und Frieren für die Ukraine?

Roland Tichy und Achim Winter begrüßen bei „Tichys Ausblick“ den Volkswirt Professor Ulrich Blum, die China-Expertin Alexandra Cavelius und den Landwirt und Bauernvertreter Anthony Lee.

 

Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine und die Sanktionen gegen sein Regime haben globale wirtschaftliche Auswirkungen. Auch in Deutschland spürt man diese längst. Steil steigende Energiepreise, teilweise leere Regale nach Hamsterkäufen, schon ist von Nahrungsmittelknappheit die Rede. Die weltpolitischen Gewichte verschieben sich. China tritt als neue globale Macht auf den Plan: zunächst als  Rückhalt für Russland – aber auch als indirekt Geschädigter der Sanktionen.

In der heutigen Sendung der Talkshow Tichys Ausblick diskutieren:

Der Volkswirtschafts-Professor Ulrich Blum ist Spezialist für das Thema Wirtschaftskrieg. Er beschreibt die Schwächen Russlands, und warum Gas weiter fließen muss, er schildert die Stärken, aber auch Schwächen Chinas, das abhängig vom Handel mit dem Westen ist. China werde seine Macht über das in jedem Fall geschwächte Russland ausdehnen – aber möglicherweise auch Putin zum Einlenken bewegen: Zu verheerend sind die Schäden des Krieges und der Sanktionen auch für China.

Die China-Kennerin Alexandra Cavelius hat gerade ein Buch über den Umgang mit der Uiguren in China geschrieben. Russland und China wollen, so Cavelius, eine neue Weltordnung erzwingen. Das chinesische System der totalen Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung werde jetzt erkennbar auch in Russland ausgerollt.

Landwirt und Bauernvertreter Anthony Lee erklärt, welche Gefahren jetzt für die Lebensmittelversorgung drohen – nicht nur wegen des Krieges in der Ukraine, sondern auch wegen Fehlentscheidungen der deutschen Politik. In der Landwirtschaft drohe eine Wiederholung des Energiedebakels: So wie Kraftwerke mutwillig zerstört wurden, gerät auch die Versorgung mit Getreide, Öl und Fleisch in Gefahr, weil die Politik wirtschaftliche Grundlagen zerstört.

Putins bester Freund

Moderator Roland Tichy beginnt die Diskussion mit der Frage nach der Rolle Chinas in diesem Konflikt. China-Expertin Cavelius sieht Xi Jinping als zentrale Figur: „Er bezeichnet sich selbst als ‚besten Freund Putins‘.“ Sie geht davon aus, dass Xi vermutlich eingeweiht war in die russischen Invasionsvorbereitungen – die Chinesen wären darauf bedacht gewesen, den Krieg erst nach der Winterolympiade zu beginnen. Die enge Verbundenheit Russlands und Chinas sieht Cavelius hierbei auch darin begründet, dass China plant, Taiwan zu erobern.

Sie geht allerdings davon aus, dass man mit einem Blitzkrieg in der Ukraine gerechnet habe: „Sie haben sich verkalkuliert.“ Auch wenn die russisch-chinesischen Beziehungen auch heute noch von gegenseitigem Misstrauen geprägt wären, sieht Cavelius doch eine Gemeinsamkeit darin, dass beide Nationen von einem Großreich und einem Weltmachtstatus träumen und eine neue Weltordnung anstreben.

„Glaube, dass man die Ukraine innerhalb der nächsten 24 Monate nicht besiegen kann“

Volkswirt Blum beschreibt, dass bereits die Besetzung der Krim und die Unterstützung der Separatisten im Donbass „mit immensen wirtschaftlichen Mitteln lanciert“ worden sei. Die Vorlage hierzu habe der russische General Gerasimov gegeben, als er 2013 in einer Rede davon sprach, dass der moderne Krieg ein anderer Krieg sei, mit ökonomischen, informellen und kognitiven Mitteln, die vor allem auf die nicht-militärische Destabilisierung eines Landes abzielen. „Überraschend ist [insofern], dass Putin sich doch entschieden hat, die militärische Keule zu nehmen und nicht die Ukraine vor allem über ökonomische und geheimdienstliche Maßnahmen zu destabilisieren“, so Blum.

Zu den wirtschaftlichen Sanktionen des Westens sagt Blum: „Der Westen hat im Prinzip zwei Nuklearbomben gezündet. Das eine ist SWIFT und das zweite ist die totale Blockade der ausländischen Devisenschätze der russischen Föderation.“ Das Ziel sei „letztendlich das Vernichten von russischem Produktionspotenzial, um die Kriegsführung mit nicht-militärischen Mitteln zu unterbinden.“

Roland Tichy wirft die Frage in den Raum, ob nicht Europa eigentlich mehr unter den Sanktionen leiden werde. Blum meint, dass eine Sanktion, sofern sie glaubhaft sein wolle, auch einem selbst wehtun muss. „Man muss Putin einen furchtbar erschreckenden Erwartungshorizont aufbauen, damit er einknickt.“ So etwas könne zum Beispiel die Androhung sein, den Import von russischem Gas mit jedem Kriegsmonat um fünf Prozent zu reduzieren.

Blum ist für Die Ukraine relativ optimistisch: „Ich glaube, dass man die Ukraine innerhalb der nächsten 24 Monate nicht besiegen kann. […] Die russischen Kräfte sind zu schwach, um eine dauerhafte Okkupationsarmee zu stellen.“ Allerdings rechnet er damit, dass die Wirtschaft die Folgen einigermaßen abfangen kann: „Ich glaube aber auch, dass das Weltwirtschaftssystem flexibler ist.“

„Es zeigt sich tatsächlich, dass die Führung in Peking nervös ist“

Russland und die Ukraine zusammen produzieren zusammen etwa ein Viertel des Getreides auf der Welt. Lee antwortet auf die Frage, ob auch hierzulande Verknappung droht: „Nein, damit müssen wir nicht rechnen, denn die Verknappung ist schon längst da. Die war auch schon vor der Krise da. Das versuchen wir schon seit über zwei Jahren an die Politik heranzutragen.“

So kritisiert Lee, dass die Ernährung in Deutschland in den letzten fünf Jahren auf Kante genäht worden sei, weil man die Landwirte mit Vorgaben und Regularien drangsaliere: „Landwirte in Deutschland rennen immer nur vor Barrieren und werden mit Auflagen bombardiert.“ In Bezug auf die weltweite Weizenversorgung sagt Lee: „Die Situation ist fatal.“ Ukrainische Weizenexporte gebe es bald nicht mehr, dazu komme der Exportstopp aus Russland. Europa werde damit „klarkommen“, aber womöglich könnten sich nordafrikanische Staaten den Weizen bald nicht mehr leisten.

Cavelius weist darauf hin, dass Xi Jinping bereits vor Kriegsbeginn riesige Getreidemengen (100 bis 300 Millionen Tonnen) gelagert hat. „China hat den Getreidemarkt leer gekauft und Preise so hochgetrieben, dass es den armen Ländern schwer gefallen ist, selbst Vorräte einzukaufen. Wenn Länder dann in Not geraten, wird Xi Jinping ihnen Getreide verkaufen“, so Cavelius. Sie sieht hierfür vor allem taktische Gründe: Ärmere Länder sollen dann vor allem Dankbarkeit gegenüber China empfinden.

Die Führung in Peking sei zwar nervös, weil Wirtschaftskriege auch die eigene Wirtschaft schwächten und das KP-Regime befürchte, Legitimation zu verlieren, so Cavelius. China habe allerdings auch dadurch gewonnen, dass Russland sich in völlige Abhängigkeit von China begeben hat: „Putin hat sein Volk an China verkauft. Und die Frage ist, ob die Russen rechtzeitig aufwachen.“

Bei Tichys Ausblick werden diese Fragen diskutiert – fachkundig und nüchtern: Droht jetzt eine globale Hungerkatastrophe? Wer geht aus diesem Konflikt als Gewinner, wer als Verlierer hervor? Und wie teuer wird das Ganze für uns?



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Kommentare ( 28 )

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caesar4441
2 Jahre her

Das Ukraine Problem könnte in wenigen Stunden gelöst sein ,wenn – wie es der israelische PM Bennett dem Komiker geraten hat – der Komiker die weiße Fahne hißt.Damit könnte der ukrainischen Bevölkerung viel Leid und viele Tote erspart werden.Für einen Stellvertreterkrieg auf ukrainischem Boden sollten sich die Ukrainer zu schade sein.

Sonny
2 Jahre her

Um mal Bezug auf die Titelüberschrift zu nehmen:
Nein. Ich bin nicht mehr bereit, für die Dämlichkeit von auch nur einem einzigen Politiker in der Welt zu frieren oder zu hungern oder zu verarmen.
Diese Sch…-Slogans, in denen eine Pseudo-Solidarität eingefordert wird, können sie sich sonstwohin stecken. Zumal sie sowieso nur deren eigenen Dilettantismus verschleiern sollen.

Cethegus
2 Jahre her

Entscheidender Satz in dieser Runde: DIe Politik vertritt nicht mehr die Interessen des Landes!
Mehr braucht man über die aktuellen Politiker auch nicht zu wissen.

Albert Pflueger
2 Jahre her

Volle Zustimmung! Mir fehlen nur im letzten Satz die Anführungszeichen beim Wort „Patriarchat“.

MartinLa
2 Jahre her

Ulrich Blum meinte, dass Putin sich von der Energiewende bedroht sieht, – wenn sie gelingt – dass seine Vorräte an fössilen Brennstoffen nichts mehr wert seien. Nur weiß Putin aber, dass die Energiewende nicht funktionieren kann. Gerade die Hirnlose Energiewende macht Putin stark, denn die Länder verirren sich in Ideologie. Schon vor dem Krieg zogen die Preise für Kohle und Erdöl an … und jetzt sind sie auf Rekordniveau. Der Krieg mag für Putin sehr teuer sein, aber ein Teil kommt ja durch die hohen Preise wieder rein. Gehen wir davon aus, dass ein kostenorientierter Preis eine kleine Gewinnmarge hat. Jeder… Mehr

Elki
2 Jahre her

Die Lebensgrundlage und Zukunft der deutschen Bevölkerung und auch Deutschlands beschreibt der Bauernvertreter Lee und wenn sich diese Gesellschaft nicht bequemt, sich dahinter zu stellen, wird sie es spüren, wenn es zu spät ist. Auch die anderen Einschätzungen sind interessant, aber mit Ausnahme von Hungersnöten außerhalb Europas und deren Folgen eher nachvollgend

Hieronymus Bosch
2 Jahre her

Hungern und Frieren für die Ukraine? Ohne mich! Warum soll ich ständig meine Geldbörse für das Chaos herhalten, das die Politik verrichtet! Im Ahrtal ein Desaster, bei der jetzigen Flüchtlings-Epidemie das nächste! N. Faeser ein Totalausfall; Habeck ein „Schwätzer vor dem Herrn“; Baerbock ein Milchmädchengesicht, Lindner ein Extremschulden-Macher! Habe ich noch jemanden vergessen?

Albert Pflueger
2 Jahre her
Antworten an  Hieronymus Bosch

Es wird wohl eher ein Hungern und Frieren WEGEN des Kriegs um die Ukraine werden!

Michael Theren
2 Jahre her

eine objektive Betrachtung des Krieges (im Hinblick auf eine schnelles Ende) wäre eine dringende Notwendigkeit.
Nachdem sich die „russische Propagandalüge“ von mind. 16 Biowaffenlaboren in der Ukraine nun allerdings als eine von Mrs. Nuland vor dem US-Senat bestätigte Wahrheit herausgestellt hat, hat die Ukraine für mich ihre Unschuld verloren….zumindest müssen Fragen gestellt werden…

martin ruehle
2 Jahre her

Eine ganz ausgezeichnete Talk-Runde Herr Tichy – in jeder Hinsicht!
Ausgesprochen informativ aufgrund der fachlich fundierten und präzise vorgetragenen Analysen Ihrer Gäste. Unaufgeregt im Duktus und dennoch alarmierend in der Sache.
Es sind solche kritisch-analytischen Diskussionen, die im deutschen Staatsfunk schon lange nicht mehr zu finden sind, aber dringend gebraucht werden, um den ideologischen Unfug des grün-roten Zeitgeistes aus den Köpfen zu vertreiben.
Sehr bedauerlich, dass diese Runde bereits nach gut 50 Minuten beendet war, sie verdient unbedingt eine Fortsetzung !

h.milde
2 Jahre her

Wieder mal eine sehr informative und spannende Sendung. Danke TA dafür. Sehr gut und interessant was auch Herr Lee da berichtet, aber in einem, denke ich täuscht er sich: bevor der angebliche „Realo“ Miles & More Cemmi, lieber wieder Hafer als Hanf anzubauen „erlaubt“, friert eher die Hölle zu. Ein nächster Holodomor 2.0 würde so, wenn nicht akut vernunftbedingt(!) gegengesteuert wird, kommen. Die betroffenen Menschen in diesen Ländern würden aber auch erkennen, daß dieses in Wahrheit ein verkapptes neues Herrenmenschendenken ist, beruhend auf mastubierter moralischer Überheblichkeit und inter-nationalsozialistischer Ideologie, also ein quasi Gut-Neokolonialismus 2.0 mit amtsgeschäftlichen Kirchensegen versehen. Die so… Mehr