Warum Angela Merkel Bundespräsidentin werden muss

Eine Warnung, Mahnung und Vorerinnerung aus sehr gegebenem Anlass, damit später keine Klagen kommen.

imago Images/IPON

Über Angela Merkel heißt es von den Verteidigern ihrer Corona-Strategie, die sich im Großen und Ganzen als Katastrophe erweist, sie, Merkel, habe aber schon im Spätsommer vor dem Unheil gewarnt, das im Winter über das Land kommen werde. Unheil kann man im Großen und Ganzen als einen Sammelbegriff für die weitgehende Lahmlegung des öffentlichen Lebens, eine sehr hohe Sterbezahl in den Alten- und Pflegeheimen, das EU-Versagen bei der Impfstoffbestellung, die ökonomischen Verheerungen und die vielleicht irreparablen Schäden in einer ganzen Schülergeneration verstehen.

Mit anderen Worten: das schlechteste aus allen Welten. Warum Deutschland erst am 16. November 2020 seine Grenze nach Tschechien schloss, obwohl dort die Infektionszahlen im November die höchsten in ganz Europa waren, warum Altenheime erst ab 13. Dezember immer noch löchrig, aber immer durch Schnelltests geschützt wurden, vorher aber überhaupt nicht, warum Hilfen für zwangsstillgelegte Händler und Gastronomen auch im Februar 2021 nur kleckerweise ankommen – das alles müsste ein Untersuchungsausschuss des Bundestages aufklären.

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Aber dieser Ausschuss wird, wenn dort gerechte Leute sitzen, auch zu dem Urteil finden: Gewarnt hat Merkel. Im Warnen macht ihr niemand etwas vor, auch und gerade, wenn es sich um eine Warnung vor der Bundesregierung und deren angeschlossenen Ministerpräsidenten handelt. Vermutlich gibt es weltweit keine zweite Führungsperson, die sich so gut aufs Warnen versteht wie die Kanzlerin.

Sollte tatsächlich ein Untersuchungsausschuss tagen, dann wird die Warnkanzlerin a. D. vermutlich darauf hinweisen, dass für fast alles die Kommunen, die Landkreise, die Bundesländer, die EU, die Pharmaindustrie, ihr Kanzleramtsminister und das Virus selbst zuständig waren und nur für einen ganz schmalen Bereich – das Warnen nämlich – sie selbst.

Über die Impfstoffbestellung der EU spricht sie vor diesem Gremium möglicherweise in Sätzen respektive Zungen wie der CDU-Europapolitiker Daniel Caspary, der bei Plasberg zu den dilettantisch ausgehandelten Lieferverträgen kürzlich einen Gedanken zum Aufbewahren vortrug, der sich auf der dialektischen Hochebene eines Karl Valentin bewegt:

„Egal ob da drinsteht, man muss sich bemühen, oder man hat einen festen Liefertag: In beiden Fällen hat man einen festen Liefertag, und wenn man’s nicht hinkriegt, kann man nicht liefern.“

Wer noch tiefer ins Merkel-Archiv steigt, findet Warnsätze von ihr, die so luzide klingen, als hätte sie schon am Anfang die späte Angela Merkel vorgeahnt. Bei Hegel findet sich das seltene Wort Vorerinnerung. Auf dem Katholikentag in Mannheim 2012 mahnte beziehungsweise vorerinnerte sie:

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu einer Nation werden mit Leuten, die alle vor dem Fernseher sitzen und genau wissen, wer wie Fußball spielen muss, aber selbst nicht mehr in der Lage sind, einen Ball vor sich her zu schieben.“

Diesen Typus in Deutschland, der monatelang das Corona-Versagen von Trump bis Boris Johnson und eigentlich weltweit geißelte, während im eigenen Beritt in Großen und Ganzen nichts schieflief, sah sie wirklich früher kommen als jeder andere.

Neben dem Warnen versteht sie sich auch auf das Mahnen wie sonst keiner aus der Konkurrenz. In ihrer Rede zum virtuellen Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2021 erklärte Merkel, Deutschland, das habe Corona schonungslos offengelegt, sei digital noch nicht optimal aufgestellt.

Gut, dass endlich mal jemand den kurzgebissenen Fingernagel in die Wunde legt.
Noch wichtiger und richtiger war ihre Warnung vor einer lächerlichen Energiepolitik, ausgesprochen auf dem Katholikentag – warum eigentlich immer dort? – im Jahr 2008:

„Deutschland macht sich lächerlich, wenn es sich dadurch ein gutes Gewissen machen will, dass Atom- und Kohlekraftwerke stillgelegt werden und gleichzeitig Strom, der aus denselben Energieträgern erzeugt worden ist, aus den Nachbarländern importiert wird.“

Irgendwo findet sich bei ihr wahrscheinlich auch die Warnung vor einem Blackout: „Wir müssen aufpassen, dass nicht irgendwann das Licht ausgeht.“
Gesichert ist jedenfalls ihre Warnung vor einer grenzenlosen Zuwanderungspolitik, ausgesprochen auf dem CDU-Parteitag 2003: „Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur weil wir im Zusammenhang mit der Zuwanderung auf die Gefahr von Parallelgesellschaften aufmerksam machen. Das, liebe Freunde, ist der Gipfel der Verlogenheit, und eine solche Scheinheiligkeit wird vor den Menschen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen.“

Warnen & Mahnen ist eigentlich das Metier des Bundespräsidenten. Toxische Naturen könnten jetzt meinen, Deutschland hätte schon seit Jahren eine Bundespräsidentin, die in dieser Eigenschaft nur noch nicht ausreichend gewürdigt wird. Aber lautete Merkels Prinzip nicht auch, aus Illegalität Legalität beziehungsweise das Unpassende passend zu machen? Am 23. Mai 2022 findet die nächste Bundespräsidentenwahl statt. Angela Dorothea Merkel wäre dann frei für eine neue Aufgabe beziehungsweise für die Fortsetzung des Kassenknüllers „Die Wandermahnerin“.

Gewiss, öffentliches Reden liegt ihr nicht so. Aber das fällt nach fünf Jahren Steinmeier wirklich keinem mehr auf.

Ich möchte also die Möglichkeit andeuten beziehungsweise sagen, dass wir aufpassen müssen.

Nicht, dass dann jemand behauptet, das hätte doch niemand ahnen können.

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Kommentare ( 38 )

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Anti-Merkel
3 Jahre her

Merkel wird nur dann Bundespräsidentin, wenn es eine Verfassungsänderung gibt, die der Bundespräsidentin ähnliche Befugnisse gibt wie dem US-Präsidenten…
Ansonsten lässt sie sich lieber zur UN-Generalsekretärin ernennen.

Mr.Bolp
3 Jahre her

„Gut, dass endlich mal jemand den kurzgebissenen Fingernagel in die Wunde legt.“ Köstlich. Traurig ist nur wie nachhaltig Merkel die Pseudomahnerin das Amt des Bundeskanzlers beschädigt hat, und das Klima in Deutschland vergiftet hat. Sie ist der typische Karrierist, der groß darin ist mit der Ellenbogenmentalität bis nach oben zu kommen. Jetzt da sie aber da ist wo sie hin will, spielt sie seit Jahren ein und die selbe Klaviatur, buckelt nach oben, tritt nach unten, externalisiert was das Zeug hält, bleibt vage und unverbindlich, steht für nix, lässt sich mit allem befüllen, jetzt sind es halt Corona und der… Mehr

Theos Meinungsfreiheit
3 Jahre her

Diese Idee hat einen gewissen Charme: Jemanden völlig unfähig dahindaddeln lassen und danach hoch- und wegloben.

So wie Frau von der Leyen als ultimative Bundeswehrvernichtungsmachine zur EU-Kommissionspräsidentin wegloben … wo sie noch viel mehr Schaden und diesen vor allem für noch viel mehr Menschen anrichten kann.

Boudicca
3 Jahre her

Bitte niemanden auf falsche Idee bringen, sonst wird aus Spaß bitterer Ernst.

Fred Schneider
3 Jahre her

Es hat sich mal jemand „vorerinnert“ und allen ernstes behauptet, Angela Merkel habe noch eine große Zukunft hinter sich.

moorwald
3 Jahre her

Eigentlich sollte eine Regierungschefin ja regieren und nicht bloß mahnen und warnen. Dafür halten wir uns einen Bundespräsidenten. Aber es ist natürlich sehr geschickt: Mit Mahnen und Warnen liegt man immer richtig. Man ist dann statt verantwortlich Handelnde nur Beobachterin. Merkel beherrscht das Kunststück, zu regieren und gleichzeitig nicht haftbar zu sein. Wenn es schiefgeht, kann sie jederzeit ihre Mahnungen und Warnungen aus der Mottenkiste hervorholen. Aus diesen Mahnungen und Warnungen, die oft ganz gut begründet und vernünftig sind, folgt: nichts. Erkenntnis und politisches Handeln bleiben streng getrennt. Das ist das eigentliche Kennzeichen der Herrschaft à la Merkel. Sie ist… Mehr

Louie
3 Jahre her

„[…] sie, Merkel, habe aber schon im Spätsommer vor dem Unheil gewarnt“ Nein! Früh gewarnt haben Leute im Frühjahr während der ersten Welle. Historiker, die auf Verläufe vergangener Epidemien verwiesen, aus denen hervorgeht, dass zweite Wellen eher der Normalfall als die Regel sind. Virologen, die darauf hinwiesen, dass im Winter Erreger besser gedeihen und Epidemiologen, die auch die gesellschaftliche Gruppendynamik berücksichtigten. Zeit genug für die Exekutive unter Leitung von Frau Merkel auf gigantische Expertise etlicher Institutionen und Experten zurückzugreifen, um Konzepte zu entwickeln. Dies wäre Bestandteil des Koordinierungs- und Beratungsauftrags gewesen, den die Bundesregierung im föderalen System hat. Festzustellen, dass… Mehr

Thorsten
3 Jahre her

Merkel muss zur UNO – Bundespräsident kommt ihrem Ego, Anspruch und Gestaltungswillen nicht gerecht.
Und dann wäre sie ja wieder „unter“ UvD Leyen …

Tizian
3 Jahre her

Ja, man kann dieses absurde Theater dieser und anderer verantwortlichen Personen nicht glauben, wenn man es nicht in Abständen immer mal wieder real vorgeführt bekäme. Völlig krank und kaputt.

EndemitdemWahnsinn
3 Jahre her
Antworten an  Tizian

Noch weniger glauben kann man, dass solche Personen, die nachweislich Lügen verbreiten und das totale Gegenteil machen von dem, was sie mal behaupteten, immer noch gewählt werden.

G23
3 Jahre her
Antworten an  EndemitdemWahnsinn

Auch wenn ich mich wiederhole:
Solange das Bier im Kühlschrank kalt ist, diese Lieferkette nicht unterbrochen wird und die nächste Verblödungsshow im TV pünktlich beginnt wird der deutsche Michel den Allerwertesten nicht aus dem Sessel bewegen.

Sonny
3 Jahre her

Wenn man sich Deutschlands Rentenzahlungen und aktuelle Anpanagen für Bundespräsidenten so anschaut, braucht steinmeier keine Angst haben, seinen Job an die Hosenanzugsträgerin zu verlieren. Im Gegenteil, dann würde auch für ihn das lästige „vor das Volk treten“ entfallen.
Und überhaupt: Wozu noch Bundespräsidenten?