Vertrauenswürdige Löschpartner von Twitter

Abgesehen davon, dass sich Maas und Co. ihre "vertrauenswürdigen Löschpartner" selbst gebastelt haben, schaut eigentlich niemand durch im Löschgewerbe. Neben immer mehr Twitter-Nutzern trifft es jetzt auch erste Politiker und Journalisten.

© Leon Neal/AFP/Getty Images

Eliyah Havemann ist der Sohn von Wolf Biermann. Atheistisch, feministisch und links erzogen, ist er zum Judentum konvertiert. Sein Großvater war Dagobert Biermann und wurde als Jude in Auschwitz ermordet. Seine Frau schreibt vor wenigen Stunden auf Twitter: „Mein Mann @EliyahHavemann wurde auf @TwitterDE geblockt wegen folgendem Post! Unfassbar!“ Was folgt, ist ein Screen eines Posts ihres Mannes mit einem Mordaufruf gegenüber Mördern. Also eine Art Forderung des Vollzugs der Todesstrafe. Blättert man ein wenig im Kontext, stellt sich heraus, dass es hier wohl um eine historische/theologische Diskussion ging, nicht um lebende Personen. Wenn er diesen einen Tweet löscht, darf er wieder zwitschern. Seine Frau schreibt: „Er ist zu stolz. Weigert sich, es zu löschen.“

Nun weiß man nicht, wie viel Zeit Twitter investiert, um nach Meldungen einzelne Tweets zu löschen, in der Sichtbarkeit einzuschränken oder nicht. Und man weiß auch nicht, wer es mit welcher Kompetenz erledigt. In diesem einen Fall hätte es schon einer tiefergehenden Recherche gebraucht, um zu erkennen, dass hier möglicherweise kein Löschgrund vorliegt. Eliyah schrieb: „Die müssen wir töten. Aber nicht, weil sie andersgläubig sind, sondern weil sie hinterhältige Mörder waren.“

— Thomas Ney (@neythomas) June 24, 2017

Andere Fälle sind eindeutiger gegen den User gerichtet. Und sie häufen sich angeblich. Bild.de meldet: „Twitter sperrt kritische Politiker-Tweets“. Und fragt nach: „Wegen Maas Gesetz?“ Gesperrt wurde beispielsweise ein kritischer Tweet von FDP-Politiker und Vorsitzendem der Liberalen Flüchtlingshilfe e.V. Tobias Huch. Der Tobias Huch, der seit Jahren immer wieder massiv bedroht wird. Nutzer in Deutschland können seinen Tweet nun nicht länger sehen. Huch twitterte: „Wenn eine Anti-Israel-Demo an Ramadan ist, sind die Straßen voll bei 35 Grad im Schatten und man brüllt ‚Juden ins Gas!‘ #nichtmituns“. Wichtig ist hier wohl: Die Denunziation kann zunächst auch von anderen Usern kommen und Twitter USA sperrt oder löscht dann im Schnellverfahren. Und die lesen bei Havemann nur „töten“ und bei Huch „ins Gas“.

„Tobias Huch zu BILD: „Mein Fall zeigt deutlich, was beim geplanten NetzDG auf uns zukommt: Eine legale Meinung wird kriminalisiert. Die Abschaffung unserer Meinungsfreiheit. Kampf gegen Hass wird zu ‚Hate-Speech‘ erklärt. Pervers!“

Der Fall des FDP-Politikers kann als Bestätigung der Hauptsorge der Kritiker gesehen werden: Die Algorithmen der sozialen Netzwerke löschen massenhaft Inhalte – in vorauseilendem Gehorsam vor dem Gesetz, aus Angst vor Bußgeldern.“

Nun gibt es allerdings neuerdings deutsche Premiumpartner von Twitter, die es besser verstehen sollten. Kennengelernt hat man sich in der Task Force gegen „Hass-Kriminalität“ bei Heiko Maas. Möglicherweise werden hier Meldelisten über den großen Teich geschickt. Wie lang sind diese Listen? Kilometer? Oder nur 20 Namen im Monat oder überhaupt niemand? Niemand außerhalb dieses Vorgangs weiß es genau. Nur bei Facebook ist klar, dass es von Berlin aus geht, von einer Bertelsmann-Tochter mit etlichen hundert Mitarbeitern.

„Willkommen bei Twitter!“, begrüßt der US-amerikanische Mikrobloggingdienst der Twitter Inc. seine deutschen Nutzer. Idee ist, sich „mit Freunden und anderen faszinierenden Leuten“ zu verbinden. Nun häufen sich Meldungen, dass das nicht mehr so einfach geht.

Vorzeigbare Maßstäbe kann Twitter nicht haben, sonst wären Vorgänge wie diese hier nicht erklärbar.

Schwer nachvollziehen lässt sich, ob es sich dabei um eine Zunahme von Einschränkungen und Löschungen handelt. Ebenso, wie sich eine Löschzentrale in Deutschland nicht so leicht ausfindig machen lässt. Läuft das ausschließlich als Meldung von Deutschland aus in die Twitter-Löschzentrale in den USA? Nach der neuen Fassung NetzDG können sich Netzwerke zusammentun und Dritte mit Löschaufgaben beauftragen. Facebook hat seine Löschabteilung mittlerweile an Partner der Bertelsmannstiftung weitergereicht, die von Berlin aus löscht und neuerdings auch eine Zweigstelle in Nordafrika unterhalten soll, die sich dort angeblich vorwiegend mit islamistischen Beleidigungen befasst und entsprechend löscht.

Nun gibt es eine aus dem englischen übersetzte Support-Seite für Inhaber gelöschter Accounts, ebenso, wie man die Twitter-Verhaltensregeln einsehen kann.

Vera Lengsfeld erklärt
Kahane und Friends: Das Leben der anderen
Zusammengefasst kann jeder deutsche Twitter-Nutzer andere Nutzer per Nachricht in die USA melden, was dann zu einer Überprüfung führen soll. So weit, so unklar, so unbekannt, welche Experten am Twitter-Hauptsitz in San Francisco oder wo auch immer diese wohl gigantische Menge an Meldungen bearbeitet.

Wer also ist die neue Gedankenpolizei und gibt es sie wirklich? Oder alles nur eine Schlamperei aus Unkenntnis und Zeitdruck?

Lange Zeit Praxis bei Twitter war es, bei weiterreichenden staatlichen Löschanträgen insbesondere inklusive Herausgabe der persönlichen Daten der User den Beschluss eines amerikanischen Richters zu verlangen. Damit berief sich Twitter auf die durch die amerikanische Verfassung garantierte Meinungsfreiheit. Erst 2012 wurde zum ersten Mal ein ganzes Twitter-Konto in einem einzelnen Land gesperrt. Twitter sperrte auf Anfrage der Polizei Hannover das Konto einer Neonazi-Gruppierung, die in Deutschland bereits verboten wurde. Die Sperrung allerdings war ausschließlich in Deutschland aktiv – in anderen Ländern ließ sich das Konto nach wie vor aufrufen.

Mittlerweile nennt Twitter selbst in einem so genannten SafetyCenter Partner in Deutschland, auf die es deutsche User verweist, wenn es um Löschungen und Sperrungen geht. Unter dem Unterpunkt: „Unsere vertrauenswürdigen Partner“ erklärt Twitter, mit Fachleuten vieler Organisation zusammenzuarbeiten. Dadurch erhalte man „wirkkontinuierliche Rückmeldungen“ zu den eingerichteten Sicherheitsmechanismen und könne sich schneller an sich ändernde Bedrohungen anpassen.

Wer oder was aber bedroht Twitter oder seine User? Den nicht repräsentativen Meldungen von Gelöschten nachforschend, betrifft es aktuell vornehmlich Accounts, die durch islamkritische Tweet-Inhalte aufgefallen sind und gemeldet wurden. Twitter selbst unterteilt Bedrohungen in vier Kategorien: Geistige Gesundheit, Allgemeine Sicherheit, Kinderschutz und Beleidigungen.

Umkehr tut not
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Für jedes teilnehmende Land sind vertrauenswürdige Partner und ihre Adressen verlinkt. So auch für Deutschland. Für Bedrohung eins bis drei sind das in der Reihenfolge ihres Auftretens die deutsche Telefonseelsorge, die deutsche Freiwillige Selbstkontrolle der Multimedia Dienstanbieter und Jugendschutz.net. Immer verknüpft mit der Bitte, Verstöße weiterhin bei Twitter, also in den USA zu melden oder eben zusätzlich noch bei den Genannten um Hilfe zu ersuchen: „Bei diesen Ressourcen findest Du zusätzliche Hilfe.“ Vorweggenommen: Die genannten Institutionen haben neuerdings ihnen extra zugewiesene Verbindungsleute bei Twitter, also eine Art heißen Draht.

Bei Punkt vier, den „Beleidigungen“ wird es umfangreicher, da führt Twitter gleich drei vertrauenswürdige Partner an: Die „Amadeu Antonio Stiftung“, „Laut gegen Nazis“ und „Netz gegen Nazis“. Das allerdings ist Vielfalt durch Einfalt, denn auch die beiden zuletzt Genannten sind Partner oder Projekte dieser Stiftung.

Pikant hier, dass die angegebenen Links nicht funktionieren oder auf eine tote Seite verweisen, dann eine französischsprachige, die mit dem angegebenen Ort nur entfernt zu tun hat und bei „Netz gegen Nazis“ auf eine Unterseite der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Titel „belltower news“ verweist.

Wer sich beschwert über Beleidigungen, wird also von Twitter nicht etwa an eine ausgelagerte Twitter-Beschwerdestelle der vertrauenswürdigen Partner verwiesen, sondern zweimal falsch geleitet und einmal an die Belltower.News (Untertitel: Netz für digitale Zivilgesellschaft) dem Watchblog der Amadeu Antonio Stiftung, der tatsächlich vormals unter „Netz gegen Nazis“ bekannt war und im April 2017 umbenannt wurde, nachdem Medien dem Watchblog Oberflächlichkeit und Kontraproduktivität bescheinigten – die WeLT titelte: „Nutzloses Netz gegen Nazis“,
– und einer der Autoren der Seite, Burkhard Schröder befand gar: „Das alles wirkt wie Moraltheologie.“

Soweit also zu einem wenig hilfreichen Angebot der twitter Inc. in Sachen Unterstützung bei Meldung von „Beleidigungen“. Wer wirklich beleidigt wird, der muss nun darauf hoffen, dass er von einem Nazi beleidigt wurde, dann wird die Stiftung möglicherweise aktiv und leitet an Twitter über einen direkteren Kanal weiter, als er dem einfachen User zur Verfügung steht.

Nur welche Auffassung hat die Stiftung, wer nun Nazi sei und wer nicht? Denn bei „Netz gegen Nazis“ wurden schon CDU-Mitglieder mit Twitter-Account nazifiziert. Das fiel unangenehm auf, sodass sich Amadeu Antonio Stiftung entschloss, das Netz einfach umzubenennen. Schade nur, dass Twitter noch nicht mitbekommen hat, dass ihr vertrauenswürdiger Partner seinen Namen geändert hat, um wieder etwas vertrauenswürdiger zu erscheinen, was zwischenzeitlich mindestens vakant erschien. Bei Twitter steht weiterhin unter „vertrauenswürdigen Partnern“ das „Netz gegen Nazis“.

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Sehen wir uns kurz noch den Twitter-Unterpunkt in Sachen Bedrohungen an, den „Kinderschutz“ und den dort angegebenen verlässlichen Partner Jugendschutz.net. Die beschäftigen sich tatsächlich mal mit Twitter selbst in Form eines „Recherchebericht Twitter“ und der Frage nach dem aktuellen Stand der „Löschung rechtswidriger Hassbeiträge bei Twitter“. Jugenschutz.net war ebenfalls Teilnehmer der Task Force von Heiko Maas, die Google, Twitter und Facebook eingeladen hatte, zusammen am Tisch zu sitzen, zusammen mit der Stiftung der ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin Kahane.

Twitter hatte sich also der Einfachheit halber seine „vertrauenswürdigen Partner“ aus diesem Stuhlkreis mit Minister, Ex-Stasi und anderen zusammengesammelt oder sie wurden dem Unternehmen dringend empfohlen. Und im Bericht von Jugendschutz.net heißt es nun stolz über einen heißen Draht direkt in die Twitter Lösch- und Sperrzentrale:

„Jugenschutz.net hat die Möglichkeit, Verstöße an einen direkten Ansprechpartner per E-Mail zu übermitteln. In den meisten Fällen kann dies in Form einer Liste geschehen, die alle relevanten Informationen (z.B. Fundstelle, Beschreibung des Verstoßes) enthält.“

Wenn also Twitter seinen vertrauenswürdigen Partnern zugesteht, per Liste Lösch- und Sperranträge einzureichen, dann darf man davon ausgehen, dass die auf diesen schwarzen Listen stehenden Accounts auch ungeprüft gelöscht oder gesperrt werden. So macht man das ja, wenn man Vertrauen auf eine berechtigte Grundlage stellt oder eben einfach nur auf eine Arbeitserleichterung in Sachen Löschen und Sperren hofft.

Eine gewisse Klientel gesperrter Twitter-User, denen noch eine Begründung für ihren Ausschluss bei Twitter fehlt, haben also jetzt beste Chancen, sich zu rehabilitieren, indem sie einmal ihr Verhältnis zur z.B. Agenda der Kahane-Stiftung überprüfen. Am besten im Vorfeld einer Sperre, dann kann man seine eigene Haltung noch passabel angleichen und so einer möglichen Löschung oder Sperrung erfolgreich entgegenwirken. Viel Erfolg!

Mit einer Einrichtung ist Twitter möglicherweise dabei, sich selbst ein gewaltiges Bein zu stellen:Shadowban – oder auch Stealth Banning – ist das heimliche Einschränken der Reichweite eines Twitter-Nutzers. Twitter möchte damit offenbar automatisiert Spam, Hass u.ä. bekämpfen. Eigentlich ein guter Ansatz. Aber: Durch fehlerhafte Algorithmen sind davon auch immer mehr unschuldige Twitterer betroffen – und zwar weltweit!“ Am Ende senkt das die Reichweite, also die Auflage von Twitter: ein Anti-Geschäftsmodell.

Getroffen hat der „Shadowban“ auch jüngst Alexander Will, der als Autor für die Nordwest Zeitung schreibt, die führende Tageszeitung in Nordwest-Niedersachsen. Wen als nächstes?

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