Was Sozialdemokrat Felgentreu und Sacharow-Preisträgerin Tichanowskaja gemeinsam haben

Werte sind nur dann echt, wenn sie auch gelebt werden. Der Sozialdemokrat Felgentreu entschied sich für seine Überzeugungen und gegen seine Partei. Und damit wohl auch gegen seine Karriere.

imago images / Christian Spicker
Fritz Felgentreu

Zwei Meldungen beherrschten in dieser Woche neben vielen anderen das Nachrichtengeschehen. Zum Einen wurde die demokratische Opposition in Weißrussland mit dem Andrej Sacharow Preis für Menschenrechte des EU-Parlamentes geehrt; am gleichen Tag trat der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Felgentreu von diesem Posten zurück. Nicht wenige werden sich jetzt fragen, was hat denn das Eine mit dem Anderen zu tun? Bei einigem wenigen Nachdenken erschließt sich die Gemeinsamkeit. Beide Ereignisse stehen für den geistigen Zustand in der Bundesrepublik und darüber hinaus in Europa. Es geht um Werte.

Für die tapferen Frauen aus Belarus gab es für ihren mutigen Widerstand gegen das Regime des Diktators Lukaschenko viel Lob und vor allem warme Worte. In Deutschland genoß die einstige Präsidentschaftskandidatin der Opposition, Swetlana Tichanowskaja, angereist aus dem litauischen Exil, sogar die Ehre einer Audienz bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Ein Besuch im Kanzleramt war entgegen ursprünglichen Planungen nicht mehr genehm. Stattdessen sprang der protokollarisch auch zur ersten Garde gehörende Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble als Gesprächspartner ein. Und natürlich – auf keinen Fall zu vergessen – drückte Regierungssprecher Steffen Seibert mit entschlossenem Gesichtsausdruck die Solidarität mit und die Sympathie für die Opposition in Weißrussland aus. Auch bei der Preisverleihung in Straßburg dürfte es an verbalen Beistandsbekundungen nicht gefehlt haben. Das war es dann aber auch.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Die tapfere Frau aus einem der dunklen Teile Europas hatte freilich auf mehr gehofft. Nicht nur Verurteilungen des Vorgehens der weißrussischen Regierung, sondern handfeste Sanktionen gegen die Herrscher in Minsk. Auch um den Preis materieller Härten für die Bevölkerung, wie Tichanowskaja in Interviews mehrfach betonte. Doch die Vorgänge, die seit Monaten andauernden brutalen Menschenrechtsverletzungen in diesem kleinen, nicht einmal siebzig Flugminuten von uns entferntem Land, hätten dies allemal verdient. Über zehn Menschen sind seit Beginn der Proteste gegen die gefälschten Wahlen in den Zuchthäusern Lukaschenkos ums Leben gekommen. Über 30.000 wurden inhaftiert. Viele davon wurden gefoltert, vergewaltigt und misshandelt.

Eine besondere Spezialität der Omon-Sondereinheiten sei, so wird aus Minsk berichtet, das Brechen der Handwurzelknochen von Festgenommenen. In Zellen, die für vier Personen vorgesehen sind, werden bis zu 30 Gefangene zusammengepfercht. Ein besonderes Vergnügen bereite es den Wachmannschaften, die Klappe der Zellentür zu öffnen, um Tränengaspatronen hineinzuwerfen. Die hygienischen Verhältnisse bei nur einer Toilette und ohne fließendes Wasser kann man sich kaum vorstellen, die Phantasie eines zivilisierten Menschen verweigert sich. Schließlich bat die Frau die Bundesrepublik um eine großzügige Erteilung von Visa für Oppositionelle. Die Ausreise in den Westen sei für Viele die letzte und einzige Hoffnung.

Das Auswärtige Amt erklärte hierzu nüchtern, man habe die Botschaft in Minsk um besondere Prüfung zu einer der Situation angemessenen Behandlung der Visa-Frage aufgefordert. Tichanowskaja nahm das dankend zur Kenntnis, betonte aber gleichzeitig, dass die ganze Hoffnung der Menschen sich jetzt auf die USA richteten, und dass man sich von Joe Biden, nach dessen Amtseinführung im Januar tatkräftige Unterstützung erwarte. Was bei all dem niemand erwähnt, ist die schützende Hand des Zaren in Moskau über Lukaschenko und seine Clique.

Wesentlich lauter als die Verurteilung der Vorgänge in diesem „postkommunistischen“ Land war die Versicherung, dass der Westen keinesfalls etwaige Bestrebungen der Opposition für eine Hinwendung zur Europäischen Union oder gar der NATO unterstützen würde. Väterchen Putin darf nicht verärgert werden. Die einst von Breschnew in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts propagierte eingeschränkte Souveränität der Nachbarstaaten feiert Urstände und Westeuropa knickt ein. Ganz nebenbei ist es doch befremdlich, dass die ansonsten immer so schnell betroffenen und emotional aufgewühlten westlichen Linken nicht mal die Kraft zu einer kleinen Menschenkette um die weißrussische oder die russische Botschaft aufbringen, geschweige denn zu Betroffenheitsmärschen Tausender durch das Regierungsviertel unter dem Schutz der Polizei. Das laute moralische Tönen ist eben nur die eine Seite – wie es eben gerade passt.

Bewaffnete Drohnen
Der Krieg in Bergkarabach und die Konsequenzen für die Bundeswehr
Nun zu dem charakterstarken SPD-Politiker Felgentreu. Eigentlich hatte die schwarz-rote Koalition die Bewaffnung von Aufklärungs-Drohnen der Bundeswehr beschlossen. Doch bald beginnt ja der Bundestagswahlkampf. Grund für die SPD, plötzlich Nein zu sagen. Schließlich sei man ja eine Partei des Friedens und der Abrüstung. Da spielt es dann auch keine Rolle, dass Soldaten unserer Bundeswehr sich bei einem Raketenangriff der Taliban auf das Lager Kundus in Afghanistan unter einer Betondecke verkriechen mussten. Dabei hatte man die gegnerische Stellung lokalisiert, aber keine Möglichkeit, diese auszuschalten. Wie so oft und immer wieder musste man die US-Army um Hilfe bitten. Natürlich erschien nach kurzer Zeit eine Flotte amerikanischer Hubschrauber und Jäger, die dem Spuk ein schnelles Ende bereiteten.

Das muss aber nicht auf Dauer so sein. Es ist blamabel und schäbig, wie unsere Soldaten aus ideologischen Gründen einfach im Stich gelassen werden. So wie es ‚nur ein bißchen schwanger‘ bekanntlich nicht gibt, gibt es auch kein halbes militärisches Engagement. Wohlfeile Bekenntnisse zum Bündnis und neuer deutscher Souveränität verkommen so zu Worthülsen der Unglaubwürdigkeit. Das haben sie mit dem Verhalten gegenüber den vielen Heldinnen von Weißrussland gemeinsam. Werte sind nur dann echt, wenn sie auch gelebt werden. Der Sozialdemokrat Felgentreu entschied sich für seine Überzeugungen und gegen seine Partei. Und damit wohl auch gegen seine Karriere. Was bleibt, ist Hochachtung für das Eine und Verachtung für das Andere. Wozu wieder einmal das Wegducken von ARD, ZDF und Deutschlandfunk gehört.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 13 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

13 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
giesemann
3 Jahre her

Belarus ist fast halb so groß wie die BRD – also sooo klein nun auch wieder nicht. Aber für viele Geschäfte nicht so geeignet, während man am Hundukusch kuscht. TE zu „Was Sozialdemokrat Felgentreu ….“ vom 17-12-20
 

Deutscher
3 Jahre her

Sehe ich anders. Außerdem: Wieso kommen immer alle „Oppositionellen“ nach Deutschland und erwarten unseren Beistand? Helfen die uns etwa bei der Opposition gegen Merkel? Wo sind die „Aktivisten“ aus Weißrussland, aus Hong Kong, aus Russland, aus der Ukraine, aus Ungarn, aus China und sonstwo her, wenn in Deutschland Wahlen rückgängig gemacht, wenn Ermächtigungsgesetze durchgepeitscht, wenn oppositionelle (also nicht linke) Demonstrationen von der Polizei auseinandergeprügelt werden, wenn in den MSM nur noch Einheitsmeinung verbreitet wird? Mir ist völlig wurscht, was in Weißrussland ist. Das sind deren Probleme und sie müssen sie selber lösen. Und aus dem Exil heraus dem eigenen Volk… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Deutscher
Peter M3
3 Jahre her

Leider liefern die Rüstungsobbyisten keine Argumente, wofür die Bundeswehr Kampfdrohnen benötigen soll. „Zum Schutz“ der Truppe ist mir zu dünn. Und dann wird oft noch Afghanistan hinterhergeschoben. Dabei wird vergessen, dass die BW in AF zum einen gar nichts verloren hat und zum anderen dass dort der Einsatz von Kampfdrohnen klar ein aggressiver Akt wäre! Also wofür? Um einen Angriff auf DE durch Kampfdrohnen entgegenzuwirken? Wäre da eine Investition in die Flugabwehr nicht sinnvoller? Oder geht es darum einen potentiellen Angreifer den Nachschub abzuschneiden oder gar um einen schnellen Gegenschlag durchführen zu können? Diese Diskussion gehört in den öffentlichen Raum… Mehr

Adorfer
3 Jahre her

Okay, Entscheidungen wie die des Herr Felgentreu sind rar, dennoch in diesem Falle muß man alles im Großen und Ganzen sehen. Jede Mark für die sog. „Bundeswehr“ ist eigentlich eine zuviel. Ob mit oder ohne Drohnen. Einziger Pluspunkt, diese Spaßarmee macht niemanden Angst und ist, gottseidank, zu nichts fähig.

StefanB
3 Jahre her

„Werte sind nur dann echt, wenn sie auch gelebt werden.“

Die Linksgrünen „leben“ ihre Werte immer nur da, wo keine Gefahr für sie droht, weil sie die Gefahr entweder nur erfunden haben (Kampf gegen Rechts), oder ihnen der Kampf aus eigenen politischen oder politisch korrekten Gründen verwehrt ist (z.B. Weißrussland, Islam, Ausländerkriminalität, Genitalverstümmelung).
Besonders „tapfer“ kämpfen sie aber für ihre „Werte“, wenn sie die Staatsgewalt (= Polizei) z.B. mit Wasserwerfern gegen Andersdenkende für ihre Zwecke einsetzen können.
Linksgrüne sind erbärmliche Feiglinge.

Herr Schmidt
3 Jahre her

„Über zehn Menschen sind seit Beginn der Proteste gegen die gefälschten Wahlen in den Zuchthäusern Lukaschenkos ums Leben gekommen.“
In jedem Jahr seit 2015 gab es circa 1000 Fälle von Mord / Totschlag oder Versuch durch „Flüchtlinge“!!!! Also bis jetzt circa 5000 Fälle !!
Wieso wird dass nicht in dem Mittelpunkt gestellt, sondern ist, wenn überhaupt, nur eine Randthema?
Ja 10 in Weissrussland ums Leben gekommene Menschen ist schlimm, circa 2 pro Monat. Aber circa 80 Fälle von Mord / Totschlag oder Versuch durch „Flüchtlinge“ pro Monat in der BRD ist nicht erwähnenswert? Sollte das nicht wichtiger sein?

Amerikaner
3 Jahre her

SPD, Grüne und Linke sehen ENDLICH ihre Chance gekommen die Bundeswehr davon abzuhalten, Polen schon wieder zu überfallen. Das haben sie 39 nicht so ganz hinbekommen und jetzt wittern sie die Möglichkeit endlich den Tagesordnungspunkt „Nie wieder!“ auf ihrem Lebensplan abzuarbeiten. Spinner mit Komplexen, von denen man da regiert wird.

binweitweg
3 Jahre her
Antworten an  Amerikaner

Richtig- aber ich hoffe daß dann ganz viele am 26.September 21 ihren ganz persönlichen Tagesordnungspunkt- nämlich “ Nie wieder!“- diese Konsorten zu wählen -ganz oben auf ihre ganz persönliche Agenda gestellt haben- deutsche sind soo vergesslich !

Gisela Fimiani
3 Jahre her

Spricht die Gleichgültigkeit gegenüber den beschriebenen Ereignissen nicht Bände über eine „Demokratie“, die sich ihres Inhaltes, ihrer Werte zunehmend entleert und entledigt?

Andreas aus E.
3 Jahre her

Also zur Sache Felgentreu hat der Deutschlandfunk meines Erachtens (und ausnahmsweise) halbwegs ausgewogen berichtet. Es kam klar zur Sprache, daß er zurückgetreten sei, weil seine Partei nicht mitzog, potentielle Nachfolgerin habe gemeint, sie sei ja auch für die Bewaffnung, aber es sei ja noch Zeit für Beratungen usw., was auch von anderen Zitaten kommentiert wurde, sowohl beipflichtend als auch in dem Sinne, daß das nur Laviererei sei. Wie auch immer, hier war ich mit DLF mal halbwegs zufreden, Felgentreu hat auch meine Hochachtung für dieses Verhalten, Rest wird man sehen. Gänzlich anderer Ansicht bin ich in Hinblick auf Lukaschenko/Weißrußland. Das… Mehr

rsonnberg
3 Jahre her

„Was Sozialdemokrat Felgentreu und Sacharow-Preisträgerin Tichanowskaja gemeinsam haben“. Hat den jemand von ihnen gelesen, bevor er veröffentlicht wurde? Tatsächlich habe ich verblüfft kontrolliert, ob ich nicht falsch geklickt hatte und bei ARD und ZDF gelandet bin. Die gleiche Wortwahl, Behauptungen ohne Ende ohne Begründungen, ohne Hintergründe … Ich bin mit einer Weisrussin verheiratet, kenne mich in diesem Land ziemlich gut aus und bin deshalb ziemlich genau darüber informiert, was dort wirklich vorgeht. Lukaschenko ist kein Weisenknabe, seine Polizei schon gar nicht, das ist bekannt. Dennoch würde ich aber die Art und Weise, wie der Autor das, was in Weißrussland vorgeht,… Mehr