Die Umweltministerin stellt sich auf die Seite der Straßenblockierer

Bundesumweltministerin Steffi Lemke hält es für legitim, bei Demonstrationen „Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“. Damit solidarisiert sie sich mit „Aktivisten“, die nicht einmal davor zurückschrecken, Ärzten und Rettungswägen den Weg zu versperren.

IMAGO / photothek

Berliner Autofahrer müssen sich nun seit etwa zwei Wochen täglich darauf einstellen, bei ihrem Weg zur Arbeit in endlose Staus zu geraten wegen radikalen „Klimaaktivisten“, die meinen, als „letzte Generation, die den Klimakollaps noch aufhalten kann“ (laut Eigendarstellung auf Twitter), Autobahnausfahrten und wichtige Straßenkreuzungen blockieren zu müssen, um die Welt vor der Klimakatastrophe zu retten und die Politik durch Nötigung zum Beschluss eines Gesetzes gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln zu zwingen.

"Was ist mit euch falsch?"
„Ich muss zur Arbeit!“: Klima-„Aktivisten“ treffen auf Normalbevölkerung
Diesen wiederholten Eingriffen in den Straßenverkehr fiel nun auch eine schwangere Frau zum Opfer, die von der Polizei aus dem Stau befreit und zum Krankenhaus gefahren werden musste.

— Polizei Berlin (@polizeiberlin) February 10, 2022

Trotz solcher Vorfälle und steigendem Unmut unter Berliner Autofahrern scheint die Polizei zum Teil nur zögerlich einzugreifen und ist jedenfalls willens oder nicht in der Lage, die Blockadeaktionen endgültig zu unterbinden. Wie aufgeheizt die Stimmung ist, zeigen Videoaufzeichnung von Autofahrern, die selbst Blockierer von der Straße zerren. Diese sich selbst helfenden Autofahrer wurden nun ihrerseits angezeigt.

Eine von der Polizei für sechs Stunden in Gewahrsam genommene Aktivistin namens Carla Hinrichs verkündet auf Twitter, sie sei „inzwischen wieder zurück in Freiheit“ und sie werde „wieder auf die Straße gehen, bis die Bundesregierung handelt. Denn die nächsten 2-3 Jahre werden die Zukunft der Menschheit entscheiden“. Im dazu geposteten Video begründet sie die Aktionen damit, „dass die Bundesregierung unser Recht auf Überleben immer noch nicht schützt“. Sie sei „bereit, sofort wieder auf die Straße zu gehen, um um das Überleben der Menschheit zu kämpfen“.

Derweil hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) für die „Aktivisten“ der selbsterklärten „letzten Generation“ Verständnis gezeigt. Die Umweltministerin sagte bei einer Gesprächsrunde der „Europe 2022“, einer Konferenz von Tagesspiegel, Zeit, Handelsblatt und Wirtschaftswoche: „Es ist absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen.“ Sie verwies dabei sogar auf ihre eigene Vergangenheit und die friedliche Revolution in der DDR, musste dann aber doch zugeben, dass die Situation nicht ganz vergleichbar sei. Weiter versuchte sie deutlich zu machen, dass „keine Menschen zu Schaden kommen dürfen und dass niemand durch zivilen Ungehorsam auf eine Art und Weise tangiert wird, dass Schaden eintreten könnte“.

Dabei stellt sich die Frage, was für Lemke ein Schaden ist oder nicht. War die hochschwangere Frau in den Wehen nicht in Gefahr zu Schade zu kommen? Ist es etwa kein Schaden, wenn ein Autofahrer nicht in seinen Betrieb kommt und zwanzig Angestellte auf ihn warten müssen, bevor sie sich an ihre Arbeit machen können? Oder wenn ein Wasserschaden sich ausbreitet, vielleicht sogar noch auf die Nachbarwohnung, weil ein Klempner erst eine Stunde später kommen kann als gedacht? Ist es kein Schaden für ein Kind, wenn sein Vater es nicht rechtzeitig abholen kann? Und was ist mit der Ärztin, die sich auf dem Weg zu einer dringenden OP befand? Wer sagt, dass dadurch nicht sogar ein Menschenleben gefährdet wurde – genau wie bei dem Rettungswagen, der nicht sofort durch die Blockade kam, oder durch den schlichten Fakt, dass eine der wichtigsten Zufahrtswege zu einem Berliner Krankenhaus blockiert war?

Alle Hemmungen gefallen
Klima-Blockade: Ärztin musste zu dringender OP fahren - "Aktivisten" ließen sie dennoch nicht durch
Zahlreiche Videos beweisen, dass der potenziell immense Schaden dieser Menschen die „Aktivisten“ der „letzten Generation“ nicht besonders interessiert – und Lemke sieht dabei anscheinend kein Problem. Es sei vielmehr der Auftrag und die Verpflichtung der Politik, eine Radikalisierung der „Klimaaktivisten“ zu verhindern, indem sie dem Handlungsauftrag der bei der Klimakonferenz in Paris eingegangenen Verpflichtungen auf die Klimaziele nachkomme.

Lemke scheint dabei eines nicht verstanden zu haben: Die vermeintlichen „Aktivisten“ sind bereits radikalisiert. Immerhin geht es um Menschen, die von sich selbst sagen, nachts nicht schlafen zu können und zu weinen, weil sie solche Angst haben, dass ihre Familien durch den Klimawandel sterben könnten. Es sind Menschen, die sich selbst am Boden festkleben und so schwere Verletzungen riskieren.

Die Aussagen der Umweltministerin haben nicht nur die Kleinpartei „Bürgerallianz“ zu einer Strafanzeige gegen Lemke wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ motiviert (Anzeige liegt TE vor), sondern lösten auch beim liberalen Koalitionspartner Widerspruch aus. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb am Mittwoch bei Twitter: „Aus gegebenem Anlass: Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig. Protest ist ok, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“ Der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, teilte sogar einen Artikel von Lemke und schrieb dazu: „Mitglieder der Bundesregierung dürfen nicht zu Straftaten aufrufen. Punkt.“ Lemke selbst sieht in ihren Aussagen keinen Konflikt zu ihrem Kollegen Buschmann – und deshalb auch keinen Grund für einen Koalitionskrach.

Ein gewisses Verständnis für die Autobahnblockierer äußerte aber auch der Berliner CDU-Abgeordnete Danny Freymark. Im gemeinsamen Auftritt mit Carla Hinrichs im öffentlich-rechtlichen Sender RBB sprach er von einem „hehren Ziel“, nur der Weg, „andere in Sippenhaft zu nehmen“, sei falsch. Er twitterte: „Carla muss nicht wieder auf die Straße. Vielmehr sollten die Kolleginnen und Kollegen im Abgeordnetenhaus bzw. Bundestag kontaktiert werden und für die Richtigkeit Ihrer Anliegen legal gewonnen werden. So machen das Demokraten.“

Wenn man sieht, wie die Aktionen der „letzten Generation“ von Teilen der Politik verharmlost werden, überrascht es nicht, dass die Aktivisten in der Hauptstadt seit zwei Wochen machen können, was sie wollen. Die Gruppe kündigte bereits an, dass sie weitermachen werde und sich nicht einmal durch die Aussicht abhalten lassen will, eingesperrt zu werden – das werden sie bislang aber nicht. Denn obwohl es in den vergangenen Wochen 200 Anzeigen und 170 vorläufige Festnahmen gab, sind immer wieder dieselben Männer und Frauen auf der Straße. Die Blockaden werden laut „Initiative“ erst enden, wenn sich die Regierung zu dem geforderten Gesetz erpressen lässt. Für dieses Anliegen seien laut den „Essen Retten – Leben Retten“-Fanatikern auch Gesetzesverstöße gerechtfertigt – immerhin sei man in einer Notsituation.

Heute diskutiert das Berliner Abgeordnetenhaus über die aktuelle Situation. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte im Vorfeld die Aktionen kritisiert, die Art und Weise des Protests sei „grenzüberschreitend und nicht zu akzeptieren“. Auf diese Worte sollten die Berliner Regierenden aber auch Taten folgen lassen. Die Aktionen werden wohl erst dann aufhören, wenn die Polizei durchgreift und den Aktionen so schwere Sanktionen folgen lässt, dass die „LastGen“ nicht am nächsten Tag wieder auf der Straße sitzen kann.

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