Schutz für Deserteure: Wie die Ampel noch einen neuen Asylgrund erfinden will

Noch 2014 beklagte „Pro Asyl“ die geringe Anerkennungsquote für Kriegsdienstverweigerer im deutschen Asylsystem. Die neue Bundesregierung ist auf dem besten Weg, dies im Spezialfall Russland zu ändern. Langfristig könnte das dann auch für hunderttausende Männer aus anderen Ländern gelten.

IMAGO / Lehtikuva
Zahlreiche junge russische Männer reisen seit Putins Mobilmachung nach Finnland, hier am Grenzübergang Virolahti, 25.09.2022

Der finnische Grenzschutz hat in der vergangenen Woche von einer Zunahme des Grenzverkehrs von Russland berichtet. In einer Graphik zeigte man sehr anschaulich einen Anstieg um 3.000 zusätzliche Einreisen, denen keine Ausreisen in gleicher Höhe gegenüberstehen, binnen drei Tagen. Wenig später warnten die Grenzschützer vor „irreführenden Informationen“. Videos waren aufgetaucht, die angeblich die Fluchtversuche russischer Deserteure zeigten. Aber es bleibt bei dem Anstieg: Am Sonntag reisten 4.300 mehr Russen ein, als am selben Tag wieder ausreisten. Am 19. September waren diese Ströme noch ausgeglichen gewesen.

Finnland will die Einreisebestimmungen nun verschärfen und sich so an andere Nachbarstaaten wie Estland, Lettland und Polen anpassen, die in der Einreise russischer Staatsbürger ein Sicherheitsrisiko sehen. Die kleine Geschichte von der finnischen Grenze illustriert jedenfalls bestens, wozu vorschnelle Aufnahmezusagen deutscher Ministerinnen an europäischen Grenzen führen können.

In Berlin werden bestehende Asylunterkünfte gerade „verdichtet“ und Hostels angemietet. Die Erstaufnahme hat derzeit das Problem, dass normale Asylbewerber im Gegensatz zu Ukraine-Flüchtlingen normalerweise nicht privat eine Unterkunft fänden. Im September wurden allein in Sachsen durchschnittlich 862 neue Asylanträge gestellt. Auch in Bayern steigen die Aufgriffe an. In Bayern waren es bis Juli immerhin 5.600 pro Monat. „Von einer Entspannung in den nächsten Monaten“, so Innenminister Joachim Herrmann, „kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Wir müssen uns vielmehr auf noch höhere Zugangszahlen einstellen, sodass die bisherigen Unterkunftsplätze bis zu den Wintermonaten restlos belegt sein werden.“ Dabei berichten die Ankerzentren des Landes schon jetzt von Auslastungen von bis zu 144 Prozent (2.163 statt vorgesehenen 1.500 Bewohnern im Ankerzentrum Bamberg).  

Derweil fordern bayerische „Asylhelfer“ – ein eigentümlicher Berufsstand –, dass das Chancenaufenthaltsrecht auch auf geduldete Ausländer ausgeweitet wird, die zu mehr als 90 Tagessätzen verurteilt wurden. Hintergrund: 100 Tagessätze seien eine übliche Strafe, wenn ein Ausländer nicht bei der Passbeschaffung mitwirkt. Asylhelfer, und nichts anderes musste man wohl erwarten, heißen es also gut, wenn Ausländer in Deutschland mutwillig ohne Papiere bleiben und sich so einen Aufenthaltstitel nach dem anderen erschleichen.

Baerbock: In Deutschland haben wir „zum Glück“ das Asylrecht

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte kürzlich in der Sendung RTL aktuell, in Deutschland habe man „zum Glück“ ein Asylrecht, das Menschen Schutz gewähre, die vor Krieg und Gewalt fliehen: „Und das zählt für jeden Bürger auf dieser Welt und das zählt natürlich auch für Russen, die um Leib und Leben Sorge haben.“ Diese wieder einmal schnell dahingesagten Worten entsprechen einer allmählichen Ausweitung der Asylgründe von Gnaden der Außenministerin. Krieg und Gewalt mögen klassische Asylgründe sein. Aber Kriegsdienstverweigerung? Innenministerin Faeser stellte klar, was die Bundesregierung tut: Die Entscheidungspraxis des BAMF wurde „bereits angepasst“. Russische Deserteure sollen „im Regelfall … internationalen Schutz in Deutschland“ erhalten.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), rechnet nicht mit großen Zahlen: „Aber wenn jemand einem völkerrechtswidrigen Krieg nicht folgen mag, dann hat er auch das Recht auf politisches Asyl.“

Es liegt also – so versteht man die Rot-Grünen wohl richtig – am Völkerrecht. Doch ist diese Vokabel leider so biegsam wie nur etwas. Asyl wird damit ganz im Sinne der Sozialdemokraten und Grünen zum Ehrentitel der moralisch Rechtdenkenden. Es ist daneben ein offenes Geheimnis, dass viele junge Russen lieber in Westeuropa leben würden als in einer ihrer heimischen Städte. Aufgrund mangelnder Einreisepapiere konnten sie diesen Wunsch bisher nur schwer verwirklichen. Die Ampel-Asylhilfe macht das nun einfacher.

Im Juli 2014 hieß es in einer juristisch aufgemachten Broschüre der NGO „Pro Asyl“:

„Etwa 300.000 Soldaten sind in den 1990er Jahren allein im ehemaligen Jugoslawien desertiert. Zehntausende von ihnen kamen nach Deutschland. Im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan Anfang der 1990er Jahre sind in Teilen von Armenien über 90% der Rekruten der Einberufung zum Militär nicht gefolgt. Tausende US-Soldaten und -Soldatinnen entziehen sich jährlich dem Militär. Sie gelten, solange sie sich nicht dauerhaft dem Dienst entziehen als ‚unerlaubt abwesend‘. Tausende Eritreer und Eritreerinnen verlassen jedes Jahr das Land, um der Rekrutierung zum Militär zu entgehen. Viele dieser Deserteure und Deserteurinnen suchen Schutz und Asyl, um der Verfolgung im Herkunftsland zu entkommen. Nur wenige von ihnen schaffen es nach Deutschland. Die Flucht durch mehrere Länder, ihre Probleme die Grenzsicherungen einer Festung Europa zu überwinden und eine Asylpolitik, die möglichst keinen Schutz für Flüchtlinge gewähren will, führt zum Tod Tausender. Wer dennoch die Grenzen überwindet, hofft hier auf Schutz, muss sich aber mit hohen Hürden für eine Anerkennung auseinandersetzen.“

Mit Moralbombast gegen alle Zweifel am Asylrecht

Je nun, mit diesen Problemen – vor allem dem Problem der „Flucht durch mehrere [sichere] Länder“ – sind alle Migranten konfrontiert. 2014 wurde auch noch in den meisten Fällen geprüft – so möchte man glauben –, ob durch Dublin III ein anderes EU-Land für einen Asylantrag zuständig ist. Die Migrations-NGO beklagte dieses rechtmäßige Verfahren: „Asylanträge von Asylsuchenden, die über Italien, Ungarn, Polen etc. in die EU eingereist sind, finden dadurch in Deutschland keine Beachtung. Ohne Anhörung ihrer Fluchtgründe sind die Asylsuchenden von Abschiebung bedroht.“ Aber mit dieser Praxis haben deutsche Gerichte und Regierende seitdem weitgehend Schluss gemacht.

Man kann sagen, dass man auch in Deutschland traditionell zurückhaltend war, was die Gewährung von Asyl für Kriegsdienstverweigerer anging. Insofern stellt die Position der Bundesregierung hier eine Neuerung dar. Asyl wurde in solchen Fällen – zumindest noch bis 2014 – nicht gewährt. Die Ausländerbehörden sollten „vor dem Vollzug aufenhaltsbeendender Maßnahmen“ allerdings „eine geltend gemachte Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen … beachten“, heißt es in der Broschüre, und das gelte keineswegs nur für „völkerrechtswidrige Einsätze“. 

Jener Moralbombast, dass man einen jungen Russen nicht in den Völkerrechtsbruch treiben dürfe, ist also durchaus den neueren Rot-Grünen zuzurechnen. Auch die Pro-Asyl-Experten kamen 2014 noch zu dem Ergebnis, dass eine Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern nur dann angenommen werden kann, wenn „besondere Umstände“ hinzuträten, aus denen „sich ergebe, dass mit der Inpflichtnahme beabsichtigt sei, Wehrpflichtige … insbesondere wegen einer wirklichen oder vermuteten, von der herrschenden Staatsdoktrin abweichenden politischen Überzeugung zu treffen“. Dieses Kriterium mag wiederum für einige heutige russische Kriegsdienstverweigerer zutreffen, aber sicher nicht für alle. Wer seine abweichende politische Überzeugung erst kurz vor dem Einziehungsbescheid bemerkt, der dürfte hierzulande eigentlich kein Asyl erhalten. Doch so soll es offenbar gemäß den Worten Baerbocks, Faesers und von Michael Roth sein.

Merz: Union ist „strikt dagegen“

Nachdem er in Sachen des ukrainischen „Sozialtourismus“ eingeknickt ist, steht noch eine andere These von CDU-Chef Friedrich Merz im Raum: Bei Bild TV hatte er zum einen die großzügigen Sozialhilfe-Regelungen für Ukraine-Flüchtlinge kritisiert. Diese Kritik wurde vom Vize-Chef der Bild persönlich kassiert. Paul Ronzheimer ist als der ukrainischste aller deutschen Reporter bekannt. Aber muss er deshalb auch ein gutes Wort für Flüchtlinge einlegen, die eventuell gar nicht in Not sind, sondern einfach Wohlstandszuwanderer?

Der Kritikpunkt ist damit vermutlich ein für alle Mal aus der „demokratischen“ Diskussion in Deutschland verdammt. So hätten es Nancy Faeser und andere Interessierte gerne. Daneben griff Merz aber auch das von Baerbock und Faeser angebotene Asyl für russische Deserteure auf, auch dies in durchaus kritischer Weise: „Wir bekämen ein größeres Problem mit Flüchtlingen aus Russland, wenn die Bundesregierung das täte, was die Bundesinnenministerin vorgeschlagen hat, nämlich hier jetzt praktisch allen Verweigerern des Kriegsdienstes, der Mobilisierung in Russland, Zugang zur Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen.“ Die Union sei „strikt dagegen“. 

Steht denn zumindest diese These? Man kann sich offenbar nicht sicher sein bei dieser Opposition. Steht Merz aber nicht dazu, und seine Formulierung war leider wässrig genug, dann könnte noch eine Zinne des alten Asylrechts bald geschliffen sein und noch eine Bresche künftig offenstehen für noch mehr ungeregelte Zuwanderung.

Kritik aus dem rot-grünen Lager war auch hier natürlich nicht fern. Jürgen Trittin kritisierte bei ntv: „Wer russische Kriegsverweigerer daran hindert, in Deutschland Asyl zu erhalten, betreibt das Geschäft des Kriegstreibers Wladimir Putin.“ Es gibt aber auch eine Gegenkritik aus berufenem Munde. Jessica Berlin, Expertin für internationale Beziehungen und gelegentlich bei der Deutschen Welle zu Gast, schlägt vor, dass russische Dissidenten sich besser – ganz im Geist der Weißen Rose und der Operation Walküre – an der inneren Zersetzung der eigenen Streitkräfte beteiligen, bevor sie sich dem ukrainischen Feind ergeben.

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