Der Bürger spürt, dass die etablierten Parteien von Organisationen, die eine erfolgreiche Zukunft des Staates sichern sollten, zu Selbstbedienungsläden politischer Karrieren verkommen sind. All das, was Politik einfordert, setzt sie selbst außer Kraft.
Das Bürgers Politikverdrossenheit, die eigentlich besser mit Parteienverdrossenheit oder noch besser mit Politikerverdrossenheit beschrieben wird, hat viele Gründe. Einer dieser Gründe ist, dass Bürger den Eindruck hat, Politik werde nicht für ihn, sondern ausschließlich für die jeweilige individuelle Karriere des Politikers gemacht. Wie die Politik dadurch ihre Reputation und letztlich die Demokratie verspielt, soll anhand einiger weniger Beispiel aufgezeigt werden. Beginnen wir mit dem aktuellsten.
Die Ohrfeige von Stuttgart
Als im März im Ländle der Bürger zur Urne gerufen wurde, war das Ergebnis eindeutig. Es gab zwei überzeugende Sieger und ebenso viele krachende Verlierer. Die Sieger waren der von den Grünen gestellte Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die erstmals angetretene AfD des Jörg Meuthen. Der auf Ländle-Niveau assimilierte Grüne konnte sein Ergebnis mit 6,1 Prozentpunkten um gut 25 % steigern. Die AfD holte aus dem Stand 15,1 % der abgegebenen Stimmen.
Damit hätte – ginge es darum, eine Landesregierung nach dem Wählerwillen zu organisieren – eigentlich eine Koalition aus Grünen und AfD die Geschäfte übernehmen müssen. Sie waren die beiden Parteien, denen die Wähler ihr Vertrauen ausgesprochen hatten. Doch nicht nur, dass es in der Addition der Parlamentssitze nicht gereicht hätte – hier wären auch Feuer und Wasser aufeinander getroffen. Also kam Kretschmann nicht umhin, sich einen der Verlierer zum Partner zu nehmen.
Zur Erinnerung: Der ehemalige Koalitionspartner SPD hatte 10,4 Prozentpunkte verloren. Das entsprach einem Rückgang um 45 %. Die bisherige Oppositionspartei CDU musste sogar einen Einbruch um zwölf Prozentpunkte verschmerzen – ein Rückgang um 31 %.
Kretschmann entschied sich, es mit dem nicht ganz so großen Verlierer zu versuchen – auch deshalb, weil er mit seinem bisherigen Partner noch einen Dritten mit ins Koalitionsbett hätte nehmen müssen. So weit, so nachvollziehbar. Nichts gelernt aber hatte die CDU. Statt dass die Verantwortlichen für das Wahldesaster umgehend die im Sinne politischer Hygiene unverzichtbare Konsequenz des Rückzugs gezogen hätten, erhob sich der gescheiterte Landesvorsitzende Thomas Strobl zum Königsmacher in eigener Sache und belohnte den Oberverlierer Guido Wolf sogar noch mit einem lukrativen Ministeramt, in dem ihn nicht einmal die Wirtschaft des Landes sehen wollte.
Das Signal ist verheerend, denn es besagt: Egal, wie deutlich der Wähler seinen Unmut über politische Fehlentscheidungen und Fehlbesetzungen kundtut – am Ende teilen die Versager die Pfründe doch wieder nur untereinander auf. Und beklagen sich dann noch darüber, wenn der Wähler aus Protest zu irgendwelchen Parteiangeboten abwandert, die weder über eine geschlossene Programmatik noch über erfahrene Politiker verfügen. Denn egal was – aber für den Bürger ist alles besser als die unbelehrbare, an ihren Sesseln klebende Kaste unbelehrbarer Politiker.
Die Selbstvernichtung von Greifswald
Die Kleinstadt Greifswald an der pommerschen Küste dürfte den meisten Deutschen kaum bekannt sein. Doch gerade dort spielte im Laufe des vergangenen Jahres ein besonders hübsches Schauspiel dessen, was man als methodische Selbstvernichtung bezeichnen könnte. Anlass war die Neuwahl für den Posten des Oberbürgermeisters.
25 Jahre hatte die CDU dieses Amt inne. Zuletzt besetzte sie es mit einem honorigen älteren Herrn namens Arthur König. Der nun sollte, so wollten es die örtlichen Unions-Honoratioren, den Staffelstab an seinen langjährigen beamteten Mitarbeiter und Parteifreund Jörg Hochheim, Hauptdezernent des Bürgermeisteramtes, weiterreichen. Doch die Greifswalder Bürger machten dem Honoratiorenverein einen Strich durch die Rechnung – und entschieden sich mit einem hauchdünnen Vorsprung von 15 Stimmen für den grünen Konkurrenten, Stefan Fassbinder.
Nun war in einem Wahllokal kurzzeitig der Hauptzugang dadurch behindert worden, dass jemand die verankernde Fußmatte entfernt hatte. Das Problem wurde baldigst durch die örtliche Wahlleitung behoben und trotz intensiver öffentlicher Diskussion fand sich nicht ein einziger Bürger, der erklärte, durch diesen Fauxpas an seiner Stimmabgabe gehindert worden zu sein.
Dennoch machten Hochheim und seine CDU ein Riesenfass auf, forderten – natürlich nur für dieses eine, traditionell der Union zugeneigte Wahllokal – Neuwahlen und setzten trotz eindeutiger Gutachten, die die Unsinnigkeit des Unterfangens darlegten, alles daran, den gewählten Grünen zu verhindern. Im Verwaltungsgericht holten sich die Wahlverlierer nach einer monatelangen Seifenoper erwartungsgemäß eine schallende Ohrfeige – und erst ein tiefes In-sich-gehen des gescheiterten Möchtegern-Bürgermeisters, der mit seinem Verhalten zwischenzeitlich auch die Grundlage für eine Zusammenarbeit mit dem neugewählten Fassbinder aufs Spiel gesetzt hatte, konnte die CDU-Oberen davon abhalten, sich auch noch vor der nächst höheren Instanz der Lächerlichkeit preiszugeben.
Dennoch hat die Union im Nordosten mit ihrem Amoklauf nachhaltig dargelegt, dass Demokratie für sie nur dann von Relevanz ist, solange sie selbst davon profitiert. Sollen sich die regionalen Verlierer deshalb nicht beklagen, wenn bei anstehenden Bundes- und Landtagswahlen ihre früheren Wähler in Scharen zu irgendwelchen Parteiangeboten abwandern, die weder über eine geschlossene Programmatik noch über erfahrene Politiker verfügen. Denn egal was – aber für den Bürger ist alles besser als die unbelehrbare, an ihren Sesseln klebende Kaste unbelehrbarer Politiker.
In Hamburg vor die Tür gesetzt
Die Hansestadt Hamburg hatte in der ersten Dekade des jungen Jahrhunderts unter einem von der CDU gestellten Bürgermeister eine Phase ungeahnten Aufschwungs erlebt. Doch als dieser entnervt von gegen seine schwarzgrüne Schulpolitik gerichteten Bürgerprotesten den Bettel hinwarf, versank die Partei im Chaos. Mit einem importierten, durch und durch unhanseatischen Ersatzmann schoss sich die Union bei vorgezogenen Landtagswahlen um satte 20,7 Prozentpunkte vom Sockel. Das entsprach einem Verlust von 49 %. Der in die politische Verantwortung zu nehmende Partei- und Fraktionsvorsitzende ebenso wie der weggewählte Bürgermeister zogen missmutig die Konsequenzen – träumten aber immer noch von einer neuen Karriere, die sie nun in den Deutschen Bundestag verlegen wollten. Nur mit viel Aufwand konnte dieses Comeback der Verlierer innerparteilich verhindert werden.
Vier Jahre später wiederholte sich das Szenario. Die Union – nun von einem angesehenen, aber wenig bürgernahen früheren Senator als Spitzenkandidat und einem Bundestagsabgeordneten als Landeschef geführt – brach noch einmal um sechs Prozentpunkte ein. In Prozenten war dieser Niedergang mit 27 zu beziffern. Trotz dieser schallenden Ohrfeige bedurfte es einer konzentrierten Aktion, um den Verlierern darzulegen, dass es in der Politik nicht anders zugehen sollte als in der Fuball-Bundesliga. Wer als Trainer und als Sportchef versagt, hat seinen Hut zu nehmen. Egal wie hoch sein persönlicher Anteil am Abstieg in die Kreisliga zu bewerten ist.
Sollen sie sich also bitte nicht beklagen, wenn bei den anstehenden Wahlen ihre früheren Wähler in Scharen zu irgendwelchen Parteiangeboten abwandern, die weder über eine geschlossene Programmatik noch über erfahrene Politiker verfügen. Denn egal was – aber für den Bürger ist alles besser als die unbelehrbare, an ihren Pfründen klebende Kaste unbelehrbarer Politiker.
Nur drei kleine Beispiele
Das waren nur drei kleine Beispiele dafür, wie Politiker dem Bürger immer und immer wieder dokumentieren, wie wenig sie das Bürgervotum interessiert. Politik, die ursprünglich hohe Kunst ein Gemeinwesen sicher und erfolgreich durch die Unbilden der Gegenwart in die Zukunft zu bringen, ist in unserer Republik zu einem Geschäft verkommen. Zu einem Geschäft, bei dem sich diejenigen bedienen, die ihren Aufstieg durch die Niederungen der Kleintierzüchtervereinsmentalität der Parteien erfolgreich absolviert haben und denen es offenbar völlig egal ist, wie der Bürger als Souverän ihr Handeln und ihren Erfolg beurteilt.
Der Bürger spürt, dass die etablierten Parteien längst von jenen Organisationen, die eine erfolgreiche Zukunft des Staates sichern sollten, zu Selbstbedienungsläden der politischen Karrieren verkommen sind. All das, was sonst gelten soll und von der Politik selbst eingefordert wird, wird in der Politik außer Kraft gesetzt. Das persönliche Versagen – ein unbedeutender Lapsus, der sich mit den Boni anderer, im Zweifel noch besser dotierter Ämter heilen lässt.
Politiker sind schnell bei der Hand wenn es gilt, andere wegen ihrer Raffgier zu kritisieren. Geheucheltes Entsetzen bestimmt die Szene, wenn jene Bankversager, die mit ihrer Boni-Mentalität Millionen Arbeitsplätze gefährden und die Alterssicherung der einfachen Menschen vernichten, weiterhin ihre Millionen-Boni einfordern.
Geheucheltes Entsetzen, wenn VW-Manager, die es zugelassen haben, dass dieses Weltunternehmen an den Rand des Ruins gefahren wurde, auf ihre vertraglich vereinbarten, durch nichts zu rechtfertigenden Millionen-Zusatzgehälter bestehen.
Dabei sind sie selbst keinen Deut besser, wenn sie sich verzweifelt trotz eigenen Versagens an Mandate und Pfründe klammern, weil sie es niemals gelernt oder es verlernt haben, ihren Lebensunterhalt wie normale Arbeitsnehmer zu bestreiten.
Der Bürger merkt es und ist mittlerweile mehr als verstimmt. Ich muss es deshalb nicht zum vierten Male wiederholen: Sollen sie sich bitte nicht beklagen …
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