Cancel Culture: Wenn Philosophen unerträglich werden

Sebastian Ostritsch wollte über Kant und Thomas von Aquin diskutieren, doch Protestler kritisierten den Referenten als „rechts“ – bis die Universitätsleitung nachgab und den Vortrag absetzte. Konservative Denker sind selbst an einer Jesuiten-Hochschule nicht mehr sicher vor linksradikalen Übergriffen.

privat / René Schnitz

Wie unerträglich ist Kant? Äußerst unerträglich. Das haben Studenten der Hochschule für Philosophie München (HFPH) festgestellt. Nichts, was verwundern sollte. Knackpunkt allerdings: Es handelte sich um einen Vortrag über Kant (und Thomas von Aquin), der nicht wegen seines Inhalts, sondern des Vortraghalters gecancelt wurde.

Unter dem Titel „Ist Gottes Existenz eine Sache der Vernunfterkenntnis?“ wollte Sebastian Ostritsch einen Vortrag über Gottesbeweise halten. Unerträglich für einige Protestler, die Ostritsch eine „gefährliche politische Agenda“ in einem Social-Media-Posting unterstellten. Für den kommenden Donnerstag, an dem der Philosophievortrag zu Kant und Aquin stattfinden sollte, bereiteten sie einen Gegenprotest vor.

Ostritsch, so lautete das „Framing“ der Studenten, sei ein „rechtsextremer Fundamentalist“. Tatsächlich ist Ostritsch Redakteur und Chef vom Dienst der renommierten katholischen Wochenzeitung Die Tagespost, eine der ältesten Nachkriegszeitungen im deutschsprachigen Raum, die Joseph Ratzinger einst als „unverzichtbar“ bezeichnet hat.

Dass die Tagespost ihr Profil behalten, und sowohl gegen den Synodalen Weg wie auch gegen andere Zeitgeistigkeiten Kurs gehalten hat, verzeiht man ihr nicht – auch ihr wird nunmehr angelastet, „rechtskatholisch“ zu sein, obwohl sie nichts anderes tut, als katholisch zu sein. Insbesondere, da sie mit der neuen Chefredakteurin Franziska Harter wieder deutlicher Position bezieht. Das sieht man freilich auch bei „liberalen Katholiken“ mit Argwohn.

Am Dienstagabend, nur zwei Tage vor der Veranstaltung, hat laut Angaben der Tagespost Professor Patrick Zoll Ostritschs Vortrag abgesagt. Schon zuvor sei die Hochschule eingeknickt und habe Hinweise auf die Veranstaltung von den Plakatwänden und der Internetseite gelöscht. Eine Hochschule für Philosophie, die Angst vor Philosophen hat.

Bitter: Die Hochschule befindet sich in der Trägerschaft der Jesuiten, auch Zoll gehört dem Orden an. Da sollte ein Vortrag, der die Gottesbeweise des Thomas von Aquin gegen Immanuel Kant verteidigt, eigentlich kein Politikum sein. Was also hat Ostritsch gesagt, dass er als „rechtsextremer Fundamentalist“ gecancelt werden konnte? Denn die eigentlichen Gründe haben weder Protestler noch Universität herausgearbeitet.

Sieht man auf das Publikationsverzeichnis des 42-Jährigen, dann finden sich dort kaum politisch verdächtige Schriften – außer, man sieht vielleicht in Hegels Rechtsphilosophie den Vorbereiter des deutschen Nationalsozialismus. Das Gedankenverbrechen, das der an der Universität Heidelberg lehrende Privatdozent begangen hat, ist lediglich sein Einhalten der katholischen Lehre.

Die taz echauffierte sich bereits 2022 über ihn. Stichhaltiges findet man darin nicht. Außer: Ostritsch findet alternative Familienkonstellationen „naturrechtlich hoch problematisch und ethisch falsch“. Und er kritisiert Schwangerschaftsabbrüche. Hat der Katholik also etwas gegen „Ehe für alle“ und Abtreibungen. Unfassbar!

Dass selbst der als „liberal“ geltende Papst Franziskus Abtreibungen mit Auftragsmord verglich, die Gender-Theorie in ihrer Sündhaftigkeit in die Nähe von Atombomben rückte und Geschlechtsoperationen als „ideologische Kolonisation“ verurteilte, ist da schnell vergessen. Das hat Linke nicht davon abgehalten, sich auf den argentinischen Pontifex zu beziehen. Ostritsch dagegen sei ein „Faschist“, der unter dem Deckmantel der Intellektualität den Diskurs verschiebe. Die große Angst der Linken also: schlaue Leute von rechts. Nachvollziehbar.

Der feine Spin war schon damals: Die taz mokierte sich darüber, dass Ostritsch nicht gecancelt werde. Das kann man bereits als unterschwelligen Cancel-Aufruf werten. Nun, da Ostritsch wirklich gecancelt wird, ist das Lager links der Mitte wenig empört. Eine Stern-Mitarbeiterin sagte etwa: „Canceln ist nicht okay, sehe aber auch nicht, wo da unser Land untergeht.“ Übersetzt: Ich bin prinzipiell gegen Cancel Culture, aber wenn sie passiert, bin ich auch nicht dagegen (wenn es die Richtigen trifft).

Bei Social Media solidarisierten sich kurz nach der Bekanntgabe erste Akademiker mit dem geschassten Philosophen. Peter Hoeres von der Universität Würzburg meldete bereits vorab, dass Ostritsch gecancelt worden sei. Auch das Netzwerk-Wissenschaftsfreiheit schaltete sich ein. Der Kant-Experte Tim Henning von der Universität Mainz sprach von einem „indiskutablen Eingriff“ in die Wissenschaftsfreiheit.

Ostritsch ist – auch das wird ihm von linker Seite vorgeworfen – kein Fan der Französischen Revolution. Das ist nachvollziehbar. Der real existierende Jakobinismus hat schließlich gestern seine Fratze gezeigt. Aber wie das mit fanatischen Jakobinern ist: Klugheit gehört nicht zu ihren Tugenden. Denn beim Münchener Vortrag hatte Ostritsch sein neues Buch vorstellen wollen: „Serpentinen. Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung“. Eine bessere Promotion hätte es dafür nicht geben können. So viel Gratis-Publicty für trockenen Stoff über Scholastik und Aufklärung gab es vielleicht noch nie.

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Kommentare ( 51 )

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Jan Frisch
19 Tage her

Natürlich ist Kant in den Augen und Ohren linksradikaler Schneeflöckchen unerträglich. Ein kategorischer Imperativ, der den Einzelnen bei der Verantwortung packt – das ist DER Alptraum des linken Großkindes.
Da hätte Herr Schnitz beweglich sein sollen um auf Nietzsche umzusatteln, um des lieben Friedens willens. 😏

bfwied
19 Tage her
Antworten an  Jan Frisch

Oh ja: der Albtraum der ewigen Kinderrebellen! Wir leisten uns einen sehr großen Kindergarten mit Windelkindern: Berlin bzw. grünrotschwarzroter Parteiensalat. Unerzogen, unerwachsen, dauergepampert, anmaßend im Tobe-Saal bei Kriegsspielen.

Julius
19 Tage her

Ist an dieser Jesuiten-Hochschule nicht dieser Herr Lesch, ZDF-Säulenheiliger der außer-Astronomie-pseudo-Wissenschaftlen, als „Professor für Wissenschaftstheorie“ umtriebig?

Klartexter
19 Tage her

Wer sagte noch: selig sind die Armen im Geiste? War das ein avanti dilettanti für alle Idioten?
Oder ein Freispruch, zu transponieren auf die 68er? Jedenfalls haben wir jetzt den Schlamassel.

Theophil
19 Tage her

Die Abkürzung für den Jesuitenorden SJ hat der Volksmund einst als Schlaue Jungs gelesen. Der Münchner Jesuitenhochschule ist es gelungen, dieses Vorurteil gründlich zu widerlegen.

Axel Fachtan
20 Tage her

Sokrates wurde auch gecanzelt. Schierlingsbecher.
___

Kleine Anekdote von einem ehemaligen Professor aus Trier am Rande.
Seitdem er in Klausuren über den Philosophen „Sogratis“ gelesen habe, schreibe er auch diesen Namen an.

Fabienne
20 Tage her

Wer auf der Homepage jener einstmals renommierten Hochschule nach einer offiziellen Stellungnahme der Chefetage sucht, muss feststellen, dass es um die Kommunikationsfähigkeit der aktuellen „Philosophen“ sehr schlecht bestellt ist. Eine intellektuelle Bankrotterklärung. Aber was will man von einem Hochschulpräsidenten erwarten, der sich als Experte einer „dauerhaft-umweltgerechten Wassernutzung“ (soweit seine „philosophische“ Dissertation) profiliert hat. Was interessieren da noch Kant oder Thomas von Aquin?

Waehler 21
19 Tage her
Antworten an  Fabienne

Hier haben wir einen Grund, warum Richard David Precht gewisse Strukturen von seiner Gesellschaftskritik ausnimmt, sowie es vermeidet, Lösungen für die von ihm erkannten Probleme aufzuzeigen
Täte er es, würde er von der gesamten linken Blase attackiert und seine lösungsabstinente Haltung würde hinterfragt werden.
Oder haben sie schon einmal das Wort Antifa von ihm gehört, oder PFAS auf den Windradflügeln ?

Warum also kritisiert er nur die linken Grünen, die anderen mit schwarzer Kapuze spart er sich aus. Ich auch übrigens- denn ich will nicht von irgendeiner Maya T. niedergeschlagen werden.
Im eigenen Keller herrscht Meinungsfreiheit. Aber nur da.

Last edited 19 Tage her by Waehler 21
c.beilharz
20 Tage her

Wiewohl nicht vom Fach, aber danke für die Buchempfehlung

Dr. Rehmstack
20 Tage her

Jede Student, der einen Vortrag eines anderen verhindert, gehört sofort exmatrikuliert, da er konkludent bewiesen hat, dass er Grundsätze akademischen Lernens und Lehrens nicht verstanden hat und ich spreche von Verhindern, nicht von Meinungsäußerung.

Martin Buhr
20 Tage her

Wenn ein angehender Philosoph den Philosophen meidet , entspricht das eines leeren Wassereimers , der das Wasser meidet und leer bleibt . Das reicht zum Wirtschaftsminister !

Radikaler Demokrat
20 Tage her

Es ist nicht schwer, schlauer zu sein als Linke, meine 6-jährige Nichte dürfte ca. 99% von denen locker in die Tasche stecken, die versteht nämlich, daß man nicht mehr (um)verteilen kann, als da ist.