„Das deutsche Problem ist wieder da“

NATO-Gipfel stärkt Biden vor Putin-Treffen / „NATO-30-Agenda“ benennt Russland als Bedrohung für unsere Sicherheit und China als systemische Herausforderung / „Reaktionen des Westens notwendig bei gleichzeitiger Bereitschaft zum Dialog“ / Enttäuschung über Deutschland auf US-Seite

IMAGO / Agencia EFE

Die Stunden des NATO-Gipfels in Brüssel müssen für Angela Merkel noch nerviger gewesen sein als der G7-Gipfel in Cornwall am Tag zuvor. Ohne zu zögern kann man sagen, dass sich Merkel zwischen all den alten weißen Männern mit ihrem eigenen Weltbild einsam und allein gefühlt haben muss. So unterschiedlich die Herren und ihre Interessen auch sein mögen, eine Gemeinsamkeit verbindet sie: die tiefe Identifikation mit der freien und individualisierten Art und Weise, des auf den Werten der Aufklärung basierenden Lebens im – im weiteren Sinne – Westen. Angela Merkel ist da nie angekommen.

Die alte Bundesrepublik ist bis heute nicht das Land, das ihrer Gesellschaftsvorstellung entspricht. Das macht es für sie auch so schwer, in Russland oder China wirkliche Gefahren zu erkennen; vielleicht hat sie die Vorstellung von der Entwicklung einer anderen, besseren Gesellschaft ohne ideologische Gegensätze in einem harmonischen, kollektivistischen Miteinander – bei dem man auch mal im Namen des großen Ganzen vor gewissen Dingen die Augen verschließt.

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Merkels gewiefter Emissär und Vertrauter, Thomas de Maizière, dürfte sein Bestes gegeben haben, aus den Gipfeldokumenten jede Schärfe oder Festlegungen auf konkrete Schritte gegenüber China und Russland herauszuhalten. Gelingen konnte dies in Wahrheit nicht. Dazu saßen mit Biden, Johnson und Macron zu starke Gewichte am Tisch. Ohne Schnörkel fanden die Worte „Bedrohung unserer Sicherheit durch systematische Regelverletzungen des Völkerrechts und aggressives Agieren Russlands und Chinas, die Gegenreaktionen erforderlich machen“ Eingang in das Schlussdokument des Gipfels. Dazu gehörte auch die Abgabe einer Schutzgarantie für die baltischen Staaten und der Wille, die Ukraine in ihrem Kampf um Souveränität weiter aktiv zu unterstützen.

Unentwegt, so Mitglieder der amerikanischen Delegation, wiederholte die deutsche Kanzlerin ihr Mantra von der Notwendigkeit, die Gleichwertigkeit von Abwehr und Dialog in die NATO-30-Agenda aufzunehmen. An und für sich ist das eine Selbstverständlichkeit. Selbst in den düstersten Momenten der Konflikte zwischen dem Sowjetimperium und den westlichen Demokratien galt der Grundsatz des „Harmel“-Berichts zur NATO-Strategie der 70er und 80er Jahre: Die eine Hand ist immer weit ausgestreckt, aber nur dann, wenn die andere am Griff der Pistole in der Hosentasche ist. Alte Hasen im Dealen mit den Russen, zu denen auch Joe Biden gehört, mögen an diesen oft gebrauchten Nato-Spruch gedacht haben. Ausgesprochen hat ihn gestern auch im kleinen Kreis niemand. Es ziemt sich einfach nicht, die Schlachten von Gestern mit denen von Heute zu vergleichen.

Eines steht fest: Der Gipfel hat den amerikanischen Präsidenten für sein Treffen mit Putin am Mittwoch in Genf gestärkt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die deutsche Regierungschefin dazu das Geringste beigetragen hat. Oder wie formulierte es doch so treffend der amerikanische Deutschland-Kenner und Ex-US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, als er erst jüngst in aller Nüchternheit und Kühle feststellte: „Das deutsche Problem ist wieder da.“

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Kommentare ( 47 )

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Auswanderer
2 Jahre her

Na ja, gesellschaftlich sehe ich den Islam als grösstes Problem und wirtschaftlich China. Russland ist da meiner Meinung maximal an dritter Stelle. Nur sollte mir mal einer erklären, wo denn Russland Vorteile hätte von einer sagen wir mal Besetzung der baltischen Staaten! Die Krim konnte man vorher verstehen und wer etwas von Logistik und Strategie versteht für den war das doch alles vorhersehbar. Nur unsere betriebsblinden Politiker sehen alles immer vom Ende her! Nachher ist man immer schlauer! Nur wenn das vorher schon passiert ist kann man an dem Ding auch nachher nicht mehr viel ändern! Die USA sind da… Mehr

Sonny
2 Jahre her

„Angela Merkel ist da nie angekommen.“ (Im Westen).
Das bringt alles, was seit der Machtergreifung dieser DDR-Schranze in der Bundesrepublik passiert ist, auf den Punkt.

Johann Thiel
2 Jahre her

Joe Biden ist ein Unheil-Stifter wie Obama. Außerdem sind Franzosen wie Briten immer an einer Schwächung Deutschlands interessiert und haben mit den Amis das gemeinsame Interesse, ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Bei dem politischen Personal der Bundesrepublik, keine wirkliche Herausforderung.

Konservativer2
2 Jahre her

„Der Wille, die Ukraine in ihrem Kampf um Souveränität weiter aktiv zu unterstützen.“ Die Ukraine ist das Land, aus dem sich möglichst viele Bürger ins Ausland absetzen (fragen Sie mal Flüchtlinge von dort), in dem junge Frauen Kinder für Westeuropäer austragen (Thema einer interessanten Reportage im ÖR vor wenigen Wochen), aus dem junge Männer kommen (habe ich selbst kennengelernt) und sich einen defekten Golf kaufen, weil die im Land produzierten Fahrzeuge eines Westkonzerns quasi Schrott sind, sobald sie vom Band laufen, und in dem sich viele Menschen ein Leben unter zumindest geordneten Verhältnissen unter russischer Regierung wünschen (ebenfalls eine Aussage… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Konservativer2
Georg J
2 Jahre her

Weitere Aspekte in der Beziehung zu Russland, die zu selten betrachtet werden: Russland will nicht in die Arme Chinas getrieben werden. China ist dann auch für Russland „übermächtig“. China kann nur unter Kontrolle gebracht werden in einer multipolaren Welt in der sich die Mächte ausbalancieren. Diese multipolare Welt mit den primären Machtzentren China, USA, EU, Russland, Japan, Indien, – neben den Regionalmächten wie z.B. Brasilien, Südafrika oder Indonesien – sorgt für eine stabile „balance of power“ in der Welt. Weder eine „einzige Supermacht USA“ (Brzezinski) noch eine „einzige Supermacht China“, dienen Frieden und Stabilität in der Welt. Wenn der so… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Georg J
Konservativer2
2 Jahre her

„Der Wille, die Ukraine in ihrem Kampf um Souveränität weiter aktiv zu unterstützen.“ Die Ukraine ist das Land, aus dem sich möglichst viele Bürger ins Ausland absetzen, in dem junge Frauen Kinder für Westeuropäer austragen, aus dem junge Männer kommen und sich einen defekten Golf kaufen, weil die im Land produzierten Fahrzeuge eines Westkonzerns quasi Schrott sind, sobald sie vom Band laufen, und in dem sich viele Menschen ein Leben unter zumindest geordneten Verhältnissen unter russischer Regierung wünschen. Wann kapieren unsere Vordenker außerdem, dass vor dem Wunsch nach westlichen Werten ein voller Bauch kommt??? Warum kann sich der Westen nicht… Mehr

MajorTOm
2 Jahre her

Auch wenn ich Merkel als das schlimmste Unheil ansehe, das dieses Land seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs heimgesucht hat, so empfinde ich ihre Politik gegenüber Russland als das einzig Richtige, das sie getan hat. Deutschland sollte nicht abhängig sein vom US-Frackinggas und ein Hebel über Nordstream II funktioniert in beide Richtungen, wobei Russland abhängiger vom Export ist, als Deutschland vom Import. Dass das den amerikanischen Geostrategen natürlich nicht passt ist vorhersehbar. Schade, dass in diesem Artikel so kurz gedacht wird, wobei ich mit der Meinung zu China übereinstimme – China gehört radikal eingedämmt. Der Westen hat sich in gefährlicher… Mehr

Last edited 2 Jahre her by MajorTOm
Auswanderer
2 Jahre her
Antworten an  MajorTOm

Wir sind von China mittlerweile auch mit ganz banalen Dingen abhängig! VW interessiert mich im Augenblick eigentlich nicht so richtig, man kann seinen PKW auch etwas länger fahren. Letztes Jahr waren in den Krankenhäusern viele Medikamente nicht verfügbar und auch Dinge für die Anästhesie fehlten.

Mirabelle
2 Jahre her

Cornwall ist ein County, ein sehr alter keltischer Teil von England, das Seebad heißt Carbis Bay oder St. Ives. Ist das so richtig?

Felicitas21
2 Jahre her

Haben doch gerade in Deutschland alle gejubelt, als der böse Trump endlich weg war. Die werden sich noch wundern über die knallharten Forderungen von Biden. Auch er vertritt:“ America first“ und erwartet von uns nicht nur den Beitrag an militärischer Unterstützung mit 2% vom Bip. Sondern brave Gefolgschaft in allen aussenpolitischen Belangen!

Berlindiesel
2 Jahre her

Das „deutsche“ Problem ist nicht, dass Deutschland nicht macht, was die Amerikaner und Franzoesen (vulgo und weiterhin: Die Westalliierten) wollen. Mag sein, dass der von Überalterung und Dekadenz getriebene Pazifismus der heutigen deutschen Regierung den Westalliierten missfällt und ebenso wenig ins Konzept passt wie die Wiedervereinigungsphantasien der Westbundesregierung von 1961. Aber auch die Putinisten sind nicht anders. Sie verkennen in Russland einen möglichen „Freund“ oder „Verbündeten“, den eine allzu westorientierte Politik vor den Kopf stieße und daran hinderte, endlich mit Deutschland der Sonne entgegenzustreben. Dabei wollen sie nichts anderes als die Atlantiker: Deutsches Geld für Renten und Konsum ausgeben, anstatt… Mehr

Konservativer2
2 Jahre her
Antworten an  Berlindiesel

„Dass Russland noch nie unser „Freund“ war und gar nicht sein will…“. Dummerweise kenne ich sehr viele deutschfreundliche Ukrainer und Russen, selbst solche, die unter den Auswirkungen des Krieges unmittelbar zu leiden hatten, und kann daher Ihre Aussage nicht teilen. Klar, die feiern ihren Sieg über Deutschland mit Bohei, aber dieser offene Umgang mit der eigenen Überlegenheit macht es unnötig, dies „dem deutschen“ permanent aufs Butterbrot zu schmieren. Die müssen nicht, wie wir, ständig was kompensieren. Wir könnten dagegen eine hervorragende Rolle als Vermittler zwischen Russland und den USA spielen, statt die Russen ständig vor den Kopf zu stossen. Das… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Konservativer2
bkkopp
2 Jahre her
Antworten an  Berlindiesel

Zum Sowjet-Denkmal in Berlin ( und auch Wien) möchte ich anmerken, dass die Sowjetunion, also Russland, durch den Krieg, der ihnen von Deutschland aufgezwungen wurde, ca. 25 Millionen Menschen verloren hat. Die Denkmäler abreißen zu wollen erschiene mir als keine gute Idee.