Migranten in der deutschen Nation

Eine Gesellschaft in Verleugnung und Marginalisierung der eigenen nationalen Identität ist nicht in der Lage, Migranten eine neue Heimat zu geben. Ohne selbstverständliche, eigene Identität ist Integration unmöglich. Sagt Marcel Zhu, gerade zurück aus China.

© Sascha Steinbach/Getty Images

Im Zuge der seit einigen Jahren ansetzenden Masseneinwanderung aus dem Balkan, Nahost und Afrika nach Deutschland entflammt die Debatte darüber, wie eine erfolgreiche Integration der Migranten realisiert werden könnte. Einige fordern dabei eine Neudefinition der deutschen Identität, um den Einfluss der Migranten bei der Neukonzeption des deutschen Identität geltend zu machen. Doch der Kern der Integrationsproblematik in Deutschland wird dabei geflissentlich übersehen: die wachsende Kluft zwischen einer säkularen, hedonistischen und entnationalisierten Mainstream-Gesellschaft einerseits, und den weitgehend religiösen, autoritär erzogenen und nationalistisch geprägten Einwanderern aus den Drittstaaten andererseits. Der Erfolg der Integration der Migranten in Deutschland hängt maßgeblich davon ab, ob und in welchem Maße sich die beiden genannten Weltanschauungen miteinander harmonisieren ließen.

Die heutige Bundesrepublik Deutschland kann bereits auf mehr als sechs Jahrzehnte wirtschaftliche Prosperität und Wohlstand zurückblicken. Die Deutschen, die nach 1948 geboren wurden, kennen Deutschland vor allem als Wohlstandsgesellschaft. Dies gilt umso mehr für diejenigen Generationen, die selbst von einer Nachkriegsgeneration geboren wurden und materielle Entbehrungen nur noch aus fernen Erzählungen und aus Spielfilmen kennen. Selbst den Bürgern der ehemaligen DDR ging es wirtschaftlich besser als den Bürgern der meisten anderen kommunistischen Länder. Die antiautoritäre Erziehung, die sich parallel zum Aufstieg der Grünen in der Mitte des bildungspolitischen Establishments breit machte, sowie der Wohlstand im Überfluss führten zu einem hedonistischen Lebensstil der jüngeren Bevölkerung, die immer weniger bereit ist, Leistungen durch harte Arbeit zu erbringen.

Während der christliche Glaube für die deutsche Bevölkerung kontinuierlich an Bedeutung verliert, wird die deutsche Identität vom politischen und medialen Establishment schrittweise durch eine supra-nationale europäische Identität ersetzt. Die exzessive Aufarbeitung der deutschen Geschichte durch die staatlichen Bildungsinstitutionen und Medien, die die öffentlichen Thematisierung der deutschen Geschichte 70 Jahre nach Ende des Nazi-Regimes zum großen Teil immer noch auf die zwölf Jahre nationalsozialistische Gewaltherrschaft und deren Verbrechen verkürzt und nahezu alles Positive an der langen Geschichte der deutschen Kulturnation aus dem kollektiven Gedächtnis tilgt, führt in einem großen Teil der Bevölkerung zu einer Selbstverleugnung – und Selbstverachtung der eigenen deutschen Identität, Tradition und Staatlichkeit.

Stolze fremde Identitäten treffen auf Selbstverleugnung

Die meisten gegenwärtigen Migranten, die nach Deutschland kommen, stammen jedoch aus Ländern im Nahost, Afrika und Asien, in denen Nationalismus und/oder Religiosität zur Staatsdoktrin wie zum Selbstverständnis gehören. Während also die einheimische deutsche Bevölkerung kaum mehr über nationales Bewusstsein verfügt, haben Migranten aus autoritär oder totalitär regierten Drittstaaten in der Regel eine starke ethnisch-religiöse und/oder nationale Identität. Mit anderen Worten: Viele Migranten sind aufgrund ihrer stark nationalistisch oder völkisch-religiös ausgerichteter Sozialisierung stark von einer „Wir-gegen-sie-Mentalität“ geprägt.

Ein weiterer Aspekt, der in der deutschen Öffentlichkeit kaum jemals thematisiert wurde, ist die Tatsache, dass eine vergleichbare geistige Aufklärung über Rassismus und extremen Nationalismus, wie sie in Europa nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg gesellschaftspolitisch forciert wurde, in den allermeisten Staaten außerhalb des westlichen Kulturraumes nicht stattgefunden hat. Dies führt dazu, dass viele Migranten aus dem nicht-europäischen Raum, ja sogar Regierungschefs auf höchster Ebene in den genannten Herkunftsländern immer noch im kolonialen Denkmuster verharren.

Heute würde kaum ein Europäer es wagen, einen Chinesen in der Öffentlichkeit als einen „Gelben“ zu bezeichnen, ohne in die Nähe des Rassismus gerückt zu werden. In China bezeichnen jedoch selbst offizielle Schulbücher die Chinesen als eine „Gelbe Rasse“ (obwohl die Chinesen den Begriff von den Kolonialherren Europas übernommen hatten. Im Übrigen wurden die Chinesen von den europäischen Missionaren im 16. Jh. als „Weiße“ bezeichnet, als China Europa  gegenüber zivilisatorisch ebenbürtig war). Aus dem selben Grund ist es zu erklären, warum sich Angehörige aus nicht-westlichen Ländern oft beleidigt und persönlich angegriffen fühlen, sobald ihr Land von einem Europäer politisch kritisiert wird. Diese ordnen sich und die Europäer nämlich in bekannte Kategorien der Kolonialzeit ein, tragen dieses Bewusstsein ständig mit sich herum und fühlen sich dann entsprechend beleidigt, wenn sie Kritik an ihrer Religion oder an ihrem Land gleich als einen erniedrigenden Frontalangriff von Europäern gegen ihre Religion, Ethnie oder gar ihre Hautfarbe werten.

Vormoderne trifft auf Postmoderne

Wir haben deshalb einerseits eine postmoderne Mentalität bei dem Großteil der einheimischen deutschen Bevölkerung, welche die Grenzen der Kulturen, Ethnien, ja sogar der Staatlichkeit als überwunden sieht, und eine vormoderne Mentalität der Kolonialzeit bei vielen Migranten aus dem nicht-europäischen Raum, die derzeit nach Deutschland strömen oder bereits hier leben: in der Nation, Volk und/oder Religion immer noch als eine Selbstverständlichkeit gelten. Beide Mentalitäten sind von zwei Gegensätzlichkeiten geprägt und schließen sich gegenseitig aus. Beide Gedankenausrichtungen können zwar nebeneinander existieren (sofern die tolerantere postmoderne Mentalität vorherrscht), aber nicht einander integrierbar. Diese Inkompatibilität der deutschen Mainstream-Gesellschaft gegenüber der Mentalität von Millionen Migranten ist die größte Herausforderung bei der kulturellen Integration von Millionen außereuropäischen Migranten in Deutschland.

Eine kulturelle Integration dieser Migranten in die deutsche Gesellschaft kann nur dann gelingen, wenn sich entweder die migrantische Mentalität der Mainstream-Gesellschaft annähert oder umgekehrt. Da die allgemein in der ganzen Welt akzeptierte Regel besagt, dass Migranten sich dem Aufnahmeland anzupassen haben und nicht umgekehrt, kann die Lösung der Integration nur darin liegen, dass die Migranten auf ihre aus ihrem Herkunftsland mitgebrachte Mentalität verzichten, die Mentalität der deutschen Mehrheitsgesellschaft annehmen und sich als Teil dieser Gesellschaft ansehen.

Erfahrungen aus den Einwanderungsländern wie Amerika oder Australien zeigen allerdings, dass Integration nur dann gelingen kann, indem den Eingewanderten eine starke nationale Identität des Aufnahmelandes gegeben wird. Gleichzeitig mit der Annahme der neuen Staatsangehörigkeit schwören frisch Eingebürgerte in Amerika feierlich jeglicher Loyalität zu ihrem alten Heimatland ab und schwören, ihr neues Heimatland gegen jede fremde Nation – auch ihr vormaliges Heimatland – zu verteidigen. Dieses feierliche Bekenntnis zu seinem neuen Heimatland ist jedoch nicht nur eine Zeremonie: Es wird real im alltäglichen Leben in einem Patriotismus für die Nation ausgelebt, die dann auch uneingeschränkt für jeden Staatsbürger dieses Landes gilt. Der Patriotismus ist ein elementarer Bestandteil jedes Einwanderungslandes und schafft erst die Grundlage und Voraussetzung für eine Einwanderungsgesellschaft, in der alle Bürger ob Neubürger oder Alteingesessene sich zu der gemeinsamen Nation bekennen und nach ihrem Wohlergehen streben.

Eine deutsche Gesellschaft in Verleugnung und Marginalisierung ihrer nationalen Identität ist jedoch nicht in der Lage, den Migranten eine neue, deutsche Identität zu geben. Die entwurzelten Einwanderer suchen daher ihre Identität vor allem in ihrem alten Heimatland oder in ihrer mitgebrachten Religion, Kultur oder Ethnie. Auf diese Weise wird die aus dem Herkunftsland mitgebrachte Sozialisierung in der Fremde – in Deutschland – fortlaufend verstärkt. Auf diesem Wege radikalisieren sich manche Migranten zu religiösen Fundamentalisten oder Nationalisten, die in Abgrenzung zu der deutschen Mehrheitsgesellschaft ihren einzigen Halt in der fundamentalen Auslegung ihrer Religion oder im Nationalismus des Herkunftslandes sehen.

Eine erfolgreiche Integrationspolitik in Deutschland setzt deshalb voraus, dass sich die deutsche Mehrheitsgesellschaft wieder auf ihre eigene nationale Identität besinnt: nicht zuletzt mit den positiven, identitätsstiftenden Teilen ihrer Geschichte. Nur wenn das deutsche Staatsvolk wieder ein unkompliziertes, gesundes Verhältnis zu seiner Identität entwickelt, nur dann wird es in der Lage sein, integrationswilligen Migranten eine Identität zu geben und erfolgreich in Deutschland heimisch zu machen.

Der unabhängige Blick
Ist Deutschland ein „Einwanderungsland“?
 Ein gesunder Patriotismus kann gegenüber Migranten inkludierend wirken, wie er in den USA gegenüber den Migranten aus aller Welt tut, oder wie er es einst im Königreich Preußen gegenüber den eingewanderten Hugenotten tat. Wie ich hier bereits in einem Artikel analysiert hatte: Die deutsche Nation ist traditionell in erster Linie kulturell und sprachlich definiert. Wer bereit ist, die deutsche Sprache als seine Alltagssprache anzunehmen und sich an die deutsche Kultur und ihre Gepflogenheiten anzupassen, der wird von der breiten Mehrheit der einheimischen deutschen Bevölkerung als einer der ihren akzeptiert. Ich bin daher davon überzeugt, dass Migranten eine großzügige Aufnahme in der deutschen Mehrheitsgesellschaft finden werden, sobald sie sich uneingeschränkt zu ihrer neuen Heimat bekennen, sich kulturell und sprachlich bedingungslos an die deutsche Gesellschaft anpassen und finanziell auf eigenen Beinen stehen können.

Eine Einbürgerung in Deutschland muss an die Bedingung der uneingeschränkten Loyalität zu Deutschland geknüpft werden, wie übrigens alle Herkunftsländer der Migranten es von ihren Einbürgerungswilligen erwarten. Dafür reicht allein das Bekenntnis zum Grundgesetz noch lange nicht aus. Denn das Bekenntnis zu den grundlegenden Wertvorstellungen (wie Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit) oder zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss für sämtliche Einwanderer unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, da sonst das grundlegende Prinzip des Zusammenlebens und somit der soziale Frieden in Deutschland in Frage gestellt sind. Eine Einbürgerung garantiert einem Eingebürgerten jedoch die vollen Rechte eines Staatsangehörigen, der unter anderem im Ausland konsularische Unterstützung des deutschen Staates einfordern kann. Von einem Eingebürgerten kann und muss daher auch die Loyalität zum einbürgernden Land erwartet werden. In diesem Sinne wirkt eine doppelte Staatsangehörigkeit kontraproduktiv.

Eine weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration der in Deutschland lebenden Migranten ist es, wenn eine unkontrollierte und ungesteuerte Einwanderung unterbunden wird und die Einwanderung aus dem nicht-europäischen Raum begrenzt wird. Zum einen wird die Aufnahmefähigkeit und Aufnahmekapazität der deutschen Gesellschaft durch eine andauernde Massenmigration überfordert. Ohne eine berufliche Integration ist grundsätzlich keine kulturelle Integration aus entfernten Kulturkreisen möglich, während eine berufliche Integration nicht unbedingt eine kulturelle Integration zur Folge hat. Darüber hinaus ist die Sozialisierung im Herkunftsland für die meisten Personen mit 18 Jahren abgeschlossen. Man kann davon ausgehen, dass eine kulturelle Integration in die säkular-rechtsstaatlich geprägte deutsche Gesellschaft bei Migranten aus religiös-autoritär geprägten Sozialisierungen oder eine Loyalität zum deutschen Staat aus nationalistisch-autoritär  geprägten Erziehungen nur in Einzelfällen möglich sind. Unter diesem Kontext ist die Forderung der CSU nachvollziehbar, Personen aus dem nahen Kulturkreis bei der Einwanderung nach Deutschland Vorrang zu geben.

Daher lauten meine Vorschläge für eine erfolgreiche Integrationspolitik in Deutschland:

  1. Förderung identitätsstiftender Aspekte deutscher Geschichte
  2. Schaffung und Stärkung einer inkludierenden nationalen Identität
  3. Verknüpfung der Einbürgerung an die unbedingte Loyalität zu Deutschland
  4. Begrenzung der Zuwanderung aus den entfernten Kulturkreisen und aus Ländern, deren Sozialisierungen den säkular, demokratisch und rechtsstaatlich geprägten westlichen Gesellschaften völlig fremd sind

Würden diese Punkte verwirklicht, dann könnte eine Integration der hiesigen Migranten ähnlich wie in den Vereinigten Staaten gelingen. Eine verantwortungsbewusste Bundesregierung wird man daran erkennen, dass sie auf eine tatsächlich erfolgreiche Integrationspolitik zum Wohle der Nation hinwirkt.

Marcel Zhu, Jahrgang 1989, hat seine Kindheit in China verbracht. Mit 13 Jahren kam er nach Deutschland zu seinem Vater, der als Angehöriger der chinesischen Akademie der Wissenschaften für die Promotion nach Deutschland gegangen ist. Er lebt und arbeitet derzeit in Deutschland.

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