Der Staat scheitert am eigenen Böllerverbot

Auf dem Land, wo Menschenansammlungen zu Demonstrationszwecken wenig sinnvoll sind, dienten gestern Straßen und Himmel als Demonstrationshintergrund.

IMAGO / Marius Schwarz

Die Anarchie hat ein neues Symbol gewonnen: den Böller. Jahrelang war er bereits dem Juste Milieu ein Dorn im Auge. Der Böller ist laut, stinkt, kurz: unangenehm. Beginnend mit der Zeitrechnung ab Corona Geburt widerfuhr ihm eine weitere Ächtung. Der Böller war nun nicht mehr allein Ärgernis, er avancierte zum Vorboten der Todesgefahr. Hatte er schon zuvor als Risiko für Leib und Leben gegolten, potenzierte er sich nunmehr zur Ursache von Superspreader-Events. Durch Corona verstärkte sich seine bedrohliche wie verhasste Aura: wer sich fahrlässig die Hand wegsprengt, nimmt Corona-Patienten die Intensivplätze weg. Das Böllerverbot an Silvester war geboren.

Ein linker Kulturkampf

Die Debatte darüber brachte einen erstaunlich luziden Artikel in der taz hervor. Grundton: beim Böllerverbot handelt es sich auch um einen linken Kulturkampf. Das Öko-Spießertum aus Prenzlauer Berg wollte das Spielzeug des kleinen Mannes schon immer verschrottet sehen. Corona ist nur eine elegante Ausrede, um sich der alljährlichen Lärmbelästigung durch das Proletariat zu entledigen. Das Feuerwerk des Arbeiters soll aus Klima- und Umweltschutzgründen weichen: die DUH wünscht sich sogar ein umfassendes, bundesweites Böllerverbot für immer. Puritaner zeichnen sich durch die ständige Angst aus, dass irgendwer in ihrer Nähe Spaß haben könnte.

— Deutsche Umwelthilfe (@Umwelthilfe) January 1, 2022

Indes bedarf es bei der Identifizierung des klassischen Böllertypus in der Großstadt einer Korrektur. Der klassische Arbeiter hat als Aushängeschild der Unterschicht ausgedient. Es sind junge Männer aus dem Orient, die als Hauptvertreter des wilden Böllerwerfers und -zünders seit Jahren die Straßen und Domplätze der Republik bereichern. Dazu gesellen sich die Nachfahren jener eigentlichen Erfinder des Schießpulvers, die traditionell geringe Hemmungen verspüren, wenn es um das westliche oder ostasiatische Neujahrsfest geht. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich an einen Restaurantbesitzer in Bonn, der in der Silvesternacht eine doppelte Reihe wenig vorschriftsgemäßer Chinaböller von seinem Laden quer über eine Ampelkreuzung per Seil spannte und damit mehr Krach und Dreck verursachte als zwei Häuserblöcke zusammen.

Das Böllerverbot als Machtprobe

Die Migranten mit Ungeimpftenhintergrund sind also häufig auch welche mit Böllerhintergrund. Die Janusköpfigkeit linksbürgerlicher Gesellschaftskritik, die einerseits jeden Einwanderer willkommen heißt, aber andererseits deren Lebensstil unausgesprochen verachtet, ist frappierend. Man frönt dem Ungeimpften- und Böllerhass und will das handelnde Individuum nicht sehen, wenn es nicht dem zugewiesenen Klischeekarton angehört. Zufall, dass die „Böller-Idioten“ sich ausgerechnet im Berliner Szenebezirk Neukölln tummelten, wie sie etwa der Berliner Kurier nannte?

Ganz ab von diesen tiefergehenden Befindlichkeiten jener Gesellschaftsgruppe, die Medien und Politik prägt, und ein ganz eigenes Interesse an einer zweiten „Stillen Nacht“ hatte, war Silvester zum Jahr 2022 vor allem eines: eine Machtprobe. Der Souverän hatte die Verachtung bereits letztes Jahr gespürt, als man ihn etwa in Köln dazu aufgerufen hatte, auf Lärm und Feuer zu verzichten und stattdessen zum neuen Jahr das Licht in den eigenen Räumlichkeiten an- und auszuschalten. Das aktuelle Silvesterregiment war von Bundesland zu Bundesland verschieden, aber in seinen Richtlinien ähnlich: keine Versammlungen in der Öffentlichkeit, Verkaufsverbot von Böllern und Feuerwerkskörpern, Verbot der Nutzung in gewissen Bereichen oder ganz. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk leistete Schützenhilfe, so etwa der MDR, der zwar erklärte, dass privates Feuerwerk vorher gekaufter Feuerwerkskörper zwar erlaubt sei, aber zugleich sagte, warum man dies dennoch nicht tun sollte.

Wie bei der Impffrage: eine Melange aus Trotz und Hass

Der Staat testete damit die Grenzen seiner Macht aus. Ein solcher Beschluss, der Millionen von Menschen zugleich an allen Orten der Republik betrifft, kann nur jemand fällen, der davon ausgeht, dass seine Autorität ausreicht. Polizeilich kann Silvester kaum verhindert werden. Schon im Vorfeld hatte es daher – ähnlich wie bei der Impffrage – eine Melange aus Trotz und Hass gegeben. Leute, die sich bisher nie etwas aus Silvester gemacht hatten, deckten sich mit Knall- und Zischkörpern aus den Nachbarländern ein; die polnische Feuerwerksindustrie bedankt sich. Auf der anderen Seite sickerte der unverhohlene Hass gegen jene asozialen Subjekte durch, die sich der puritanischen Ordnung widersetzten. Entmenschlichung ist bei einigen Vorzeigegesichtern der politisch korrekten Meinung bereits zum Volkssport geworden.

Roland Tichy hat erst kürzlich geschrieben, dass „jede billige Kaufhausrakete zum Angriff auf den Staat interpretiert“ werde. So hat es aber nicht nur der Staat interpretiert – sondern auch der Souverän. Zahlreiche Videos und Posts bei Facebook und Twitter bestätigen, dass letzterer sich vielfach nicht an die Regeln gehalten hat; trotz Repressalien, trotz Polizeikontrollen, trotz Drohkulisse. Beide Seiten interpretierten es als Angriff auf die Staatsgewalt. Die Silvesterrebellen sahen in jedem Schuss einen Freiheitsprotest, die Vertreter des Silvesterregiments verurteilten es als Salven aus feindlichen Panzerkanonen. Der ehemalige Bundesminister Peter Altmaier gestand indirekt das Debakel ein. O-Ton: „Noises in the streets of Berlin as if a communist army would attack!“

Die Medien halten am Narrativ fest

Berlins neue Innensenatorin Iris Spranger übte sich dagegen in der Rolle eines weiblichen „Comical Ali“. Während in der letzten Nacht die altmaier’sche Rote Armee durch Berlin gefahren war, wollte Spranger von solchen Vorfällen nichts wissen. Neben gewissen Einzelfällen sei das Silvesterkonzept „wirkungsvoll“ gewesen. Auch die Berliner Polizei zog eine positive Bilanz, trotz mehrfacher Angriffe auf Einsatzkräfte durch Böllerattacken, rund 280 Festnahmen und 15 Böllerverletzten im Unfallkrankenhaus Marzahn. Allein elf Menschen verletzten sich bei einer privaten Silvesterparty bei der Explosion einer selbstgebauten Kugelbombe, insgesamt zwanzig Menschen hätten untersucht werden müssen. Ergo: Ein ganz normales, friedliches Silvester in Berlin.

An diesem Narrativ wollten auch andere Medien festhalten. So steht bei der Tagesschau der vielsagende Satz: „Bundesweit ereigneten sich mehrere schwere Unfälle mit Feuerwerkskörpern, obwohl vor dem Jahreswechsel kein Feuerwerk verkauft werden durfte, um Rettungsdienste und Krankenhäuser nicht durch Verletzte zu belasten.“ Ein Eingeständnis? Ziviler Ungehorsam muss sich nicht immer in Spaziergängen äußern. Auf dem Land, wo Menschenansammlungen zu Demonstrationszwecken wenig sinnvoll sind, dienten gestern Straßen und Himmel als Demonstrationshintergrund.

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